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Eines Landes Herz
Ich habe heute gelesen, dieser Mai sei der wärmste seit Jahrzehnten gewesen. Kann ich nicht nachvollziehen, ich habe die meisten Tage gefroren, mir nasse Füsse geholt in dünnen Ledersohlen und allenfalls gefühlte sechs Tage waren wirklich trocken und sonnig. Im Kongo wäre es jetzt auch nicht so viel schöner, in der Trockenzeit. Trockenzeit heißt ewiggleiches grau den ganzen Tag, milde 25 Grad zwar, aber die Sonne versteckt sich stets hinter den Wolken, solange, bis man meint, depressiv zu werden vom ewigen Grau.
Und ausgerechnet da finde ich bei Arte einen wunderbaren Film über Flusschiffahrt auf dem Kongo. Vor einem Jahr, als ich mein zweites Wochenende in Kinshasa mit Fieber, Schüttelfrost und marternden Kopfschmerzen im Bett verbrachte, habe ich ihn auf DVD gesehen, lesen war nicht möglich weil jede Bewegung, sogar Umblättern, neue Schmerzen bedeutete. Damals war ich gerade erst angekommen und ich erinnere mich noch, wie ich dachte: pffff. Fernsehen. Ist sowieso zur Hälfte erfunden, geschönt, dramatisiert, getürkt. Heute sehe ich den Film mit anderen Augen und bin beeindruckt von der warmherzigen Authentizität.
Hätte ich einen Wunsch frei, ich würde nach Kisangani fliegen, ans obere Ende der Schiffsverbindung und mich eine Woche auf einer Barge einmieten. Tagaus tagein säße ich zwischen lauter Kongolesen, würde zuhören und fragen und lernen und dieses wunderbare Land sehen, und es wäre gut. Vielleicht würde ich auch bloggen, in Echtzeit, mit UMTS, damit Sie auch was davon haben.
Auch wenn ich diese Chance wohl nie bekommen werde, und auch nie mehr als 80 km flußaufwärts gekommen bin, sind viele Details aus dem Film vertraut. Straßen und Eisenbahnnetz sind für ein bettelarmes Land von der Größe Westeuropas, davon weite Teile Dschungel, keine ernsthafte Option, der Kongo auf der Strecke zwischen Kisangani und Kinshasa (unterhalb von Kinshasa verhindern unschiffbare Stromschnellen die Weiterfahrt) fast 1.800 km lang, und das ist gerade mal die Hälfte der Gesamtlänge. Diese Hälfte ist so lang wie Rhein und Main zusammen, der gesamte Kongo ist vier mal so lang wie der Rhein. Und natürlich viel, viel breiter, und tiefer, vermutlich mit 220 m der tiefste Fluß der Welt. Ach ja, und über 250 m Wasserfall gibt es auch noch.
Unzählige Seitenarme führen ins Landesinnere, und da der Fluß eine unvorstellbar große Kurve nach Norden durchs Land schlägt und sich dann in den Süden hinunter windet, deckt er die Oberfläche tatsächlich erstaunlich gut ab. Die Biegung führt ausserdem dazu, daß der Fluß halb über und halb unterm Äquator liegt, auf einer Seite ist immer Regenzeit und folglich führt er immer großzügig Wasser, in Kinshasa – kurz vorm Mündungsdelta – sah man über sechs Monate kaum einen Unterschied. Und er fließt schnell. Angeblich verbrauchen Boote aufwärts 3000l Sprit und sind drei Wochen unterwegs, abwärts hingegen braucht es nur 1/3 von beidem, Sprit wie auch Zeit. Wenn alles gut geht, wenn man nicht steckenbleibt, von Sandbänken aufgehalten wird, in Seitenarmen Nebengeschäfte tätigt, mit Papierkrieg und Kontrollen entlang der Strecke Zeit verbringt und keine technischen Probleme hat.
Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, ich hätte nie geglaubt, wie hoffnungslos überladen die Bargen sind. Es gibt zu wenige Schubelemente, zu wenige Ladekähne, zu wenige Kapitäne. Theoretisch ausgebildete Kapitäne sind ohnehin Mangelware, wer so ein Schiff steuert hat es nur in der Praxis gelernt und kennt den Fluß aus Erfahrung, nicht von Karten. Vernünftige Karten gibt es kaum, Sandbänke ändern sich allzu oft, Baggerschiffe sind unendlich teuer, viel zu teuer für den armen Staat, und so wurschtelt man sich irgendwie durch. Der Kapitän im Film präsentiert stolz seine handgemalte Karte, mit sämtlichen Dörfern und Seitenarmen sorgsam eingezeichnet - genauso ist das. Angeblich mit Hilfe Ihrer Steuergelder wurde die Flußschiffahrtsschule vor kurzem renoviert, aber bis die ersten ausgebildeten Schiffer in die Praxis entlassen werden, können noch Jahre vergehen, auch Lehrer und Unterrichtsmaterial kosten Geld. Dann die Instandhaltung: es gibt nur wenige Werften, davon angeblich nur eine nennenswert große, privatwirtschaftlich betriebene Werft, auf die man sich verlassen kann – die entsprechend ebenso hoffnungslos überlastet ist wie so viele andere infrastrukturelle Einrichtungen.
Auf den wenigen Bargen, die folglich die ganze Versorgungslast fürs Landesinnere tragen müssen und außerdem das einzige Transportmittel für die Bevölkerung darstellen – wer kann sich schon Flüge leisten? - reisen also tatsächlich ganze Familien. Männer, Frauen, Kinder, viele Kinder, Ziegen, Hühner, Gepäck. Zur Ergänzung werden auch die für den Export zu Floßen zusammengeschnürten Tropenhölzer herangezogen, per Gesetz zur „Sicherung des Transports für die lokale Bevölkerung“ verpflichtet. Der Fischfang hingegen wird tatsächlich fast ausschließlich – genau wie im Film – mit Holzkanus und handgeknüpften Netzen betrieben, Affen werden tatsächlich über offenen Kohlefeuerchen geröstet und gehäutet (was bestialisch stinkt, wenn ich das anmerken darf), und ja, Affen werden auch gegessen. Was dazu geführt hat, daß die nur im Kongo lebenden Bonobo Affen inzwischen von der Ausrettung gefährdet sind. Das nennt man dann Buschfleisch, zusammen mit Elefantenfleisch, Antilopenfleisch, Krokodilfleisch und überhaupt allem, was der Kongolese so in der Natur jagt. Krokodile gibt es übrigens nur noch flußaufwärts, mir ist in Kinshasa keines begegnet. Bei Kongo denkt man natürlich an Heart of Darkness und bei mir rief das Bilder von Dunkelheit, von den Fluß überschattendem Urwalddickicht, von unbenennbarer Angst hervor, aber so ist es nicht. Der Kongo ist so weit, so breit, rechts und links mag der Urwald eine undurchdringliche Wand bilden, aber über dem Fluß ist Licht und die Sonne glitzert auf dem Wasser und es ist einfach nur schön.
Und so schwelge ich in den Bildern des Films, die Weite des Flusses, das Licht über dem Wasser, das grau-grün des Urwalds. Die dunklen Gesichter, ein bißchen alle gleich und dann doch unterschiedlich, die Musik und der Klang von Lingala, der ganz eigene französische Akzent im Film, die bunten Gewänder der Frauen, die sorgsam sapé gekleideten Männer – das alles ist Kongo, genauso wie ich es kenne. Heimweh.
Und ausgerechnet da finde ich bei Arte einen wunderbaren Film über Flusschiffahrt auf dem Kongo. Vor einem Jahr, als ich mein zweites Wochenende in Kinshasa mit Fieber, Schüttelfrost und marternden Kopfschmerzen im Bett verbrachte, habe ich ihn auf DVD gesehen, lesen war nicht möglich weil jede Bewegung, sogar Umblättern, neue Schmerzen bedeutete. Damals war ich gerade erst angekommen und ich erinnere mich noch, wie ich dachte: pffff. Fernsehen. Ist sowieso zur Hälfte erfunden, geschönt, dramatisiert, getürkt. Heute sehe ich den Film mit anderen Augen und bin beeindruckt von der warmherzigen Authentizität.
Hätte ich einen Wunsch frei, ich würde nach Kisangani fliegen, ans obere Ende der Schiffsverbindung und mich eine Woche auf einer Barge einmieten. Tagaus tagein säße ich zwischen lauter Kongolesen, würde zuhören und fragen und lernen und dieses wunderbare Land sehen, und es wäre gut. Vielleicht würde ich auch bloggen, in Echtzeit, mit UMTS, damit Sie auch was davon haben.
Auch wenn ich diese Chance wohl nie bekommen werde, und auch nie mehr als 80 km flußaufwärts gekommen bin, sind viele Details aus dem Film vertraut. Straßen und Eisenbahnnetz sind für ein bettelarmes Land von der Größe Westeuropas, davon weite Teile Dschungel, keine ernsthafte Option, der Kongo auf der Strecke zwischen Kisangani und Kinshasa (unterhalb von Kinshasa verhindern unschiffbare Stromschnellen die Weiterfahrt) fast 1.800 km lang, und das ist gerade mal die Hälfte der Gesamtlänge. Diese Hälfte ist so lang wie Rhein und Main zusammen, der gesamte Kongo ist vier mal so lang wie der Rhein. Und natürlich viel, viel breiter, und tiefer, vermutlich mit 220 m der tiefste Fluß der Welt. Ach ja, und über 250 m Wasserfall gibt es auch noch.
Unzählige Seitenarme führen ins Landesinnere, und da der Fluß eine unvorstellbar große Kurve nach Norden durchs Land schlägt und sich dann in den Süden hinunter windet, deckt er die Oberfläche tatsächlich erstaunlich gut ab. Die Biegung führt ausserdem dazu, daß der Fluß halb über und halb unterm Äquator liegt, auf einer Seite ist immer Regenzeit und folglich führt er immer großzügig Wasser, in Kinshasa – kurz vorm Mündungsdelta – sah man über sechs Monate kaum einen Unterschied. Und er fließt schnell. Angeblich verbrauchen Boote aufwärts 3000l Sprit und sind drei Wochen unterwegs, abwärts hingegen braucht es nur 1/3 von beidem, Sprit wie auch Zeit. Wenn alles gut geht, wenn man nicht steckenbleibt, von Sandbänken aufgehalten wird, in Seitenarmen Nebengeschäfte tätigt, mit Papierkrieg und Kontrollen entlang der Strecke Zeit verbringt und keine technischen Probleme hat.
Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, ich hätte nie geglaubt, wie hoffnungslos überladen die Bargen sind. Es gibt zu wenige Schubelemente, zu wenige Ladekähne, zu wenige Kapitäne. Theoretisch ausgebildete Kapitäne sind ohnehin Mangelware, wer so ein Schiff steuert hat es nur in der Praxis gelernt und kennt den Fluß aus Erfahrung, nicht von Karten. Vernünftige Karten gibt es kaum, Sandbänke ändern sich allzu oft, Baggerschiffe sind unendlich teuer, viel zu teuer für den armen Staat, und so wurschtelt man sich irgendwie durch. Der Kapitän im Film präsentiert stolz seine handgemalte Karte, mit sämtlichen Dörfern und Seitenarmen sorgsam eingezeichnet - genauso ist das. Angeblich mit Hilfe Ihrer Steuergelder wurde die Flußschiffahrtsschule vor kurzem renoviert, aber bis die ersten ausgebildeten Schiffer in die Praxis entlassen werden, können noch Jahre vergehen, auch Lehrer und Unterrichtsmaterial kosten Geld. Dann die Instandhaltung: es gibt nur wenige Werften, davon angeblich nur eine nennenswert große, privatwirtschaftlich betriebene Werft, auf die man sich verlassen kann – die entsprechend ebenso hoffnungslos überlastet ist wie so viele andere infrastrukturelle Einrichtungen.
Auf den wenigen Bargen, die folglich die ganze Versorgungslast fürs Landesinnere tragen müssen und außerdem das einzige Transportmittel für die Bevölkerung darstellen – wer kann sich schon Flüge leisten? - reisen also tatsächlich ganze Familien. Männer, Frauen, Kinder, viele Kinder, Ziegen, Hühner, Gepäck. Zur Ergänzung werden auch die für den Export zu Floßen zusammengeschnürten Tropenhölzer herangezogen, per Gesetz zur „Sicherung des Transports für die lokale Bevölkerung“ verpflichtet. Der Fischfang hingegen wird tatsächlich fast ausschließlich – genau wie im Film – mit Holzkanus und handgeknüpften Netzen betrieben, Affen werden tatsächlich über offenen Kohlefeuerchen geröstet und gehäutet (was bestialisch stinkt, wenn ich das anmerken darf), und ja, Affen werden auch gegessen. Was dazu geführt hat, daß die nur im Kongo lebenden Bonobo Affen inzwischen von der Ausrettung gefährdet sind. Das nennt man dann Buschfleisch, zusammen mit Elefantenfleisch, Antilopenfleisch, Krokodilfleisch und überhaupt allem, was der Kongolese so in der Natur jagt. Krokodile gibt es übrigens nur noch flußaufwärts, mir ist in Kinshasa keines begegnet. Bei Kongo denkt man natürlich an Heart of Darkness und bei mir rief das Bilder von Dunkelheit, von den Fluß überschattendem Urwalddickicht, von unbenennbarer Angst hervor, aber so ist es nicht. Der Kongo ist so weit, so breit, rechts und links mag der Urwald eine undurchdringliche Wand bilden, aber über dem Fluß ist Licht und die Sonne glitzert auf dem Wasser und es ist einfach nur schön.
Und so schwelge ich in den Bildern des Films, die Weite des Flusses, das Licht über dem Wasser, das grau-grün des Urwalds. Die dunklen Gesichter, ein bißchen alle gleich und dann doch unterschiedlich, die Musik und der Klang von Lingala, der ganz eigene französische Akzent im Film, die bunten Gewänder der Frauen, die sorgsam sapé gekleideten Männer – das alles ist Kongo, genauso wie ich es kenne. Heimweh.
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