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Kongo Nummer Zwei
Bin heile angekommen. Viele Vorurteile, derer ich mir beim letzten Mal nicht sicher war, wurden bestätigt. Ich fand schon bei meinem ersten Flug nach Kinshasa, daß Flüge nach Afrika aufregender und unkoordinierter sind, jetzt bin ich mir sicher. Die erste Überraschung erwartete mich schon beim Vorabend Check-in in Frankfurt: in letzter Minute hetze ich zum Schalter, bekomme mein Ticket und die freundliche Stewardess fragt, ob in meinem Gepäck Feuerzeuge oder Streichhölzer sind. Ich verneine anfangs, frage aber noch mal nach: das sei doch sonst kein Problem gewesen? In der Tat, aber nach der Explosion eines Feuerzeugs im Gepäckraum dürfe man Feuerzeuge nun zwar im Handgepäck haben, dafür aber nicht mehr im Koffer. Ich bin froh, nachgefragt zu haben und beide Gepäckstücke – schon auf dem Transportband – rollen zu mir zurück. An Ort und stelle durchforste ich Kulturbeutel und Seitentaschen, ich habe nämlich die Angewohnheit, allerlei Krimskrams an den unmöglichsten Orten zu deponieren. Nachdem ich ein Feuerzeug und ein Streichholzbriefchen aus meinem bevorzugten Verstecken hervorgekramt habe, hoffe ich das beste und gebe den Koffer endgültig auf. Trotzdem bin ich sagenhaft erleichtert, als beide Stücke mit mir in Kinshasa ankommen.
Mit dem Boarding beginnt Air France fast eine Stunde vor dem Abflug, im Tunnel zum Flugzeug staut es sich und dann dürfen plötzlich alle ganz schnell passieren, immer wieder müssen Dokumente anderer Passagiere langwierig überprüft werden. Zwei Minuten vor Abflug kommen die letzten Fluggäste gemütlich hereingeschlendert.
Da ich den Flug über meinen Arbeitgeber gebucht habe, steht auf dem Ticket nun VIP, leider verhilft mir das aber trotzdem nicht zum Upgrade oder sonstiger Sonderbehandlung. Immerhin ist der Flug nicht so voll und ich kann mich umsetzen und habe einen freien Platz neben mir. Überhaupt bin ich inzwischen ein großer Anhänger von Air France, das Essen ist nämlich wirklich sehr genießbar. Bis alle ihre Koffer und Taschen verstaut haben, bis auch der letzte begriffen hat, daß Handgepäck nicht einfach auf freien Sitzen rumstehen darf und man sich hinzusetzen hat, wenn das Flugzeug losrollt, vergeht einige Zeit.
An meinem eigentlichen Sitzplatz habe ich eine afrikanische Nebensitzerin, durchaus gepflegt gekleidet, die umgehend ihre Schuhe auszieht, die Zehen streckt und sich dann einen übergroßen Pashmina Schal übers Gesicht hängt. Leider kann ich trotzdem nicht umhin festzustellen, daß sie vielleicht schon länger unterwegs ist oder jedenfalls länger nicht geduscht hat. Entsprechend schnell setze ich mich um, kaum daß wir in der Luft sind. Zu meiner linken danach eine sehr elegante Dame mit riesiger Einkaufstüte von Armani, die mir allerdings gar nicht damenhaft ihre Füße fast unter die Nase hält, sich quer über drei Sitze legt und außerdem alle vier Kissen unserer Reihe beschlagnahmt. Auch auf Rückfrage gibt sie keines heraus und so muß ich mir eines von den freien Plätzen weiter hinten holen.
Auf der anderen Seite des Ganges ein sehr gepflegtes Paar, sie deutlich einige Jahre jünger als er, mit einem beeindruckenden Stapel an Zeitungslektüre. Die Elle, den Economist, den Nouvel Observateur, L’Expansion, außerdem die Jeune Afrique (Economist für Afrika), Herald International Tribune und das Time Magazine. Ich bin neidisch und frage mich, wo sie die alle herhaben – ich habe nur Le Monde einsammeln können auf dem Weg zum Flugzeug. Am Ende stellt sich heraus, daß beide Italiener sind, was die kosmopolitische Lektüre noch beeindruckender macht, wie ich finde. Glücklicherweise keine schreienden Kinder in meiner Peripherie.
Der Taxiway in N’Djili nimmt sich neben jenen in Frankfurt oder Paris wie eine Buckelpiste aus und ich frage mich, wie groß die Generatoren sein müssen, um die Stromversorgung des Flughafens zu sichern? Oder fliegt man hier auch notfalls ohne Pistenbeleuchtung? Nachdem ich letztes Mal fast zwei Stunden für die Formalitäten gebraucht habe, werde ich diesmal problemlos durchgelassen und sitze dreißig Minuten nach der Landung im klimatisierten Wartesaal der Reiseagentur, wo einer der Fahrer meines Arbeitgebers unerwartet wartet. Außer mir war auch einer meiner Vorgesetzten im Flugzeug und so kann ich mitfahren. Dummerweise kommt des Vorgesetzten Koffer erst über eine Stunde später. Das läßt mir Zeit, die Änderungen am Flughafen zur Kenntnis zu nehmen. Bei meiner ersten Einreise wurden wir noch alle zu Fuß übers Rollfeld gescheucht, inzwischen gibt es Busse für die Strecke von fünfzig Metern. Das Land ist immer noch pechschwarz in der Dunkelheit, aber der verfallene Seiteneingang wurde inzwischen abgeriegelt und das Chaos tobt jetzt vor dem ehemals verschlossenen Haupteingang. Eine neue Rampe hat man ebenfalls aufgeschüttet und den Bereich vor der Reiseagentur abgesperrt, so daß ich in aller Ruhe vor der Tür herumlungern und gucken kann. Bei der Rückfahrt bin ich wieder einmal überrascht, wie sehr ich mich freue, hier zu sein. Trotz Hitze, Armut und Dreck bin ich froh, wieder hier zu sein und sonderbar gerührt.
Das Schlüsselproblem hat mein – abwesender – Mitbewohner ebenfalls gelöst: als ich nach Hause komme wartet unser homme de ménage auf mich, hat schon Doubletten der neuen Schlüssel gezogen, meine Wäsche hängt sauber und gebügelt im Schrank und mein Schlafzimmer ist angenehm klimatisiert. Ich habe ja dazugelernt und als er verkündet, auch wenn es – ach! – schwer sein werde, um diese Zeit nach Hause zu fahren, werde er es doch versuchen, gebe ich ihm zum Dank zehn Dollar. Er ist sichtlich erfreut. Das Wasser funktioniert, der Strom auch, Essen ist leider keins im Haus, aber immerhin Getränke im Kühlschrank. Als ich Eis aus dem Kühlschrank hole und das Licht anmache, sitzt eine sagenhaft fette Kakerlake auf der Schranktür unterm Spülbecken. Sechs Zentimeter lang mindestens, aber sie sieht geradezu bemitleidenswert aus, wie sie mich erschrocken anschaut und mit den Fühlern wackelt – völlig paralysiert vom Licht. Ichekele mich bringe es nicht übers Herz, sie totzumachen und nach einigem Sekunden verschwindet sie langsam im Schrank. Ansonsten ist alles, wie es sein sollte und ich fühle mich – so verrückt das auch ist – zu Hause.
Meine Mama hat Angst, daß ich völlig versiffe und bald über keine europatauglichen Manieren oder Hygienestandards mehr verfüge, wenn ich noch länger hierbleibe. Da hat sie Unrecht. Säße in Deutschland eine Kakerlake in meiner Küche, ich würde toben und umgehend ein Bataillon Kammerjäger ordern. Aber hier? Wollte ich mich über derlei aufregen, wäre ich ständig dem Herzkasper nahe. Und ich dusche immer noch regelmäßig. Alle zwei Wochen einmal.
Mit dem Boarding beginnt Air France fast eine Stunde vor dem Abflug, im Tunnel zum Flugzeug staut es sich und dann dürfen plötzlich alle ganz schnell passieren, immer wieder müssen Dokumente anderer Passagiere langwierig überprüft werden. Zwei Minuten vor Abflug kommen die letzten Fluggäste gemütlich hereingeschlendert.
Da ich den Flug über meinen Arbeitgeber gebucht habe, steht auf dem Ticket nun VIP, leider verhilft mir das aber trotzdem nicht zum Upgrade oder sonstiger Sonderbehandlung. Immerhin ist der Flug nicht so voll und ich kann mich umsetzen und habe einen freien Platz neben mir. Überhaupt bin ich inzwischen ein großer Anhänger von Air France, das Essen ist nämlich wirklich sehr genießbar. Bis alle ihre Koffer und Taschen verstaut haben, bis auch der letzte begriffen hat, daß Handgepäck nicht einfach auf freien Sitzen rumstehen darf und man sich hinzusetzen hat, wenn das Flugzeug losrollt, vergeht einige Zeit.
An meinem eigentlichen Sitzplatz habe ich eine afrikanische Nebensitzerin, durchaus gepflegt gekleidet, die umgehend ihre Schuhe auszieht, die Zehen streckt und sich dann einen übergroßen Pashmina Schal übers Gesicht hängt. Leider kann ich trotzdem nicht umhin festzustellen, daß sie vielleicht schon länger unterwegs ist oder jedenfalls länger nicht geduscht hat. Entsprechend schnell setze ich mich um, kaum daß wir in der Luft sind. Zu meiner linken danach eine sehr elegante Dame mit riesiger Einkaufstüte von Armani, die mir allerdings gar nicht damenhaft ihre Füße fast unter die Nase hält, sich quer über drei Sitze legt und außerdem alle vier Kissen unserer Reihe beschlagnahmt. Auch auf Rückfrage gibt sie keines heraus und so muß ich mir eines von den freien Plätzen weiter hinten holen.
Auf der anderen Seite des Ganges ein sehr gepflegtes Paar, sie deutlich einige Jahre jünger als er, mit einem beeindruckenden Stapel an Zeitungslektüre. Die Elle, den Economist, den Nouvel Observateur, L’Expansion, außerdem die Jeune Afrique (Economist für Afrika), Herald International Tribune und das Time Magazine. Ich bin neidisch und frage mich, wo sie die alle herhaben – ich habe nur Le Monde einsammeln können auf dem Weg zum Flugzeug. Am Ende stellt sich heraus, daß beide Italiener sind, was die kosmopolitische Lektüre noch beeindruckender macht, wie ich finde. Glücklicherweise keine schreienden Kinder in meiner Peripherie.
Der Taxiway in N’Djili nimmt sich neben jenen in Frankfurt oder Paris wie eine Buckelpiste aus und ich frage mich, wie groß die Generatoren sein müssen, um die Stromversorgung des Flughafens zu sichern? Oder fliegt man hier auch notfalls ohne Pistenbeleuchtung? Nachdem ich letztes Mal fast zwei Stunden für die Formalitäten gebraucht habe, werde ich diesmal problemlos durchgelassen und sitze dreißig Minuten nach der Landung im klimatisierten Wartesaal der Reiseagentur, wo einer der Fahrer meines Arbeitgebers unerwartet wartet. Außer mir war auch einer meiner Vorgesetzten im Flugzeug und so kann ich mitfahren. Dummerweise kommt des Vorgesetzten Koffer erst über eine Stunde später. Das läßt mir Zeit, die Änderungen am Flughafen zur Kenntnis zu nehmen. Bei meiner ersten Einreise wurden wir noch alle zu Fuß übers Rollfeld gescheucht, inzwischen gibt es Busse für die Strecke von fünfzig Metern. Das Land ist immer noch pechschwarz in der Dunkelheit, aber der verfallene Seiteneingang wurde inzwischen abgeriegelt und das Chaos tobt jetzt vor dem ehemals verschlossenen Haupteingang. Eine neue Rampe hat man ebenfalls aufgeschüttet und den Bereich vor der Reiseagentur abgesperrt, so daß ich in aller Ruhe vor der Tür herumlungern und gucken kann. Bei der Rückfahrt bin ich wieder einmal überrascht, wie sehr ich mich freue, hier zu sein. Trotz Hitze, Armut und Dreck bin ich froh, wieder hier zu sein und sonderbar gerührt.
Das Schlüsselproblem hat mein – abwesender – Mitbewohner ebenfalls gelöst: als ich nach Hause komme wartet unser homme de ménage auf mich, hat schon Doubletten der neuen Schlüssel gezogen, meine Wäsche hängt sauber und gebügelt im Schrank und mein Schlafzimmer ist angenehm klimatisiert. Ich habe ja dazugelernt und als er verkündet, auch wenn es – ach! – schwer sein werde, um diese Zeit nach Hause zu fahren, werde er es doch versuchen, gebe ich ihm zum Dank zehn Dollar. Er ist sichtlich erfreut. Das Wasser funktioniert, der Strom auch, Essen ist leider keins im Haus, aber immerhin Getränke im Kühlschrank. Als ich Eis aus dem Kühlschrank hole und das Licht anmache, sitzt eine sagenhaft fette Kakerlake auf der Schranktür unterm Spülbecken. Sechs Zentimeter lang mindestens, aber sie sieht geradezu bemitleidenswert aus, wie sie mich erschrocken anschaut und mit den Fühlern wackelt – völlig paralysiert vom Licht. Ich
Meine Mama hat Angst, daß ich völlig versiffe und bald über keine europatauglichen Manieren oder Hygienestandards mehr verfüge, wenn ich noch länger hierbleibe. Da hat sie Unrecht. Säße in Deutschland eine Kakerlake in meiner Küche, ich würde toben und umgehend ein Bataillon Kammerjäger ordern. Aber hier? Wollte ich mich über derlei aufregen, wäre ich ständig dem Herzkasper nahe. Und ich dusche immer noch regelmäßig. Alle zwei Wochen einmal.
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Heimatgefühle
Ich habe darüber nachgedacht, was für mich Heimat ist. Meine Eltern sind seit meiner Geburt drei Mal umgezogen. An das erste Haus erinnere ich mich kaum. Das zweite war mein Zuhause. Beim nächsten Umzug war ich schon ausgezogen, ich habe nicht mitbekommen, wie im Vorfeld hunderte Gegenstände in die Müllkippe vor der Türe wanderten (so hat man mir erzählt), wie Koffer und Kisten gepackt wurden, wie starke Männer ein Möbelstück nach dem anderen aus der Tür trugen. In dem neuen Haus war für mich nicht einmal mehr ein Zimmer vorgesehen, nach einem Jahr wurde ausgebaut und aus meiner türlosen Kammer wurde das Ankleidezimmer meiner Eltern. Ich bezog das kleinste, dunkelste und unattraktivste der vier Schlafzimmer und teilte dieses mit dem Sideboard fürs gute Geschirr meiner Mama, Regalmetern von Ordnern meines Vaters und einem monströsen Schinken von Bild mit Rückepferden im Schnee – Erbstück meines Opas, das meine Mutter nicht aufgeben aber auch ebenso wenig an exponierter Stelle im Hause sehen wollte. Ich habe lange Zeit gebraucht, mich dort zu Hause zu fühlen und als es vor zwei Jahren endlich soweit war, begannen meine Eltern von erneutem Umzug zu sprechen.
Jetzt haben sie also den Blick über Felder und Wälder gegen den Blick über die Stadt getauscht, es gibt nur noch ein Kinderzimmer und eigentlich zu wenig Stauraum für die Hausstände zweier auslands- und abenteuerlustiger Töchter. Das eine verfügbare Kinderzimmer gibt einen spaßigen Einblick in die Soziologie meiner Familie: eigentlich ist es zuerst das Zimmer der jüngsten, noch studierenden E. Im Schrank hängen ihre Kleider, in den Regalen stehen ihre Bücher und im Bad nebenan ihre Zahnbürste. Damit aber wir zwei älteren uns nicht ausgeschlossen und unerwünscht fühlen, wurde innerfamiliär der Begriff „Kinderzimmer“ festgelegt – die einzige hingegen, die konsequent Kinderzimmer sagt ist E. selbst, für alle andere ist es E.s Zimmer.
Mal abgesehen vom nominellen Zuhause, das keines mehr ist, bin ich selbst leider auch kein großer Freund der Sesshaftigkeit. So schön mir die Vorstellung eines richtigen eigenen Zuhauses mit Einrichtung, Dekoration und Büchern scheint – ich kann mir nicht helfen: nach spätestens zwei Jahren werde ich ruhelos. Ich bin seit dem 16. Lebensjahr fünfzehn Mal umgezogen, wenn ich alle Aufenthalte länger als vier Wochen mit eigenem Schlafzimmer zähle – ich könnte die Zahl auch noch hochmanipulieren, wenn ich strenger rechnen würde. Und natürlich treiben die vier Umzüge des letzten Jahres die Zahl hoch. Ich bin im Moment ganz zufrieden, keinen Besitz bewahren zu müssen, meine Habseligkeiten sind vergleichsweise reduziert und lagern bei meinen Eltern im Keller – dafür schätze ich die Freiheit, jeden Tag umziehen zu können, wenn ich nur wollte. Nicht gebunden zu sein. Meine Eltern waren geradezu entsetzt, als sie Fotos von meinen Zimmern im vergangenen Jahr sahen, funktional eingerichtet, hässliche Bilder an der Wand (bestenfalls), kaum Dekoration, abgesehen von einer Handvoll Bücher im Regal (so ich denn eins hatte – ansonsten auf der Heizung oder dem Fensterbrett). Ich habe das anfangs auch so wahrgenommen, in Wien habe ich mir noch Mühe gemacht, Postkarten aufgestellt, und überlegt, ein Poster für die leere Wand überm Bett zu kaufen. In Tunis hingegen oder DC war ich soviel unterwegs und so eingenordet ins Wanderleben, daß ich derartige Bemühungen nicht einmal mehr in Erwägung gezogen habe. Ganz im Gegenteil finde ich mein Zimmer in Kinshasa geradezu gemütlich, während meine Eltern vor Entsetzen bleich wurden.
Von Wohnsitzen abgesehen ist Heimat für mich die Region, in der ich meine Jugend verbracht habe. Ich mag die Hügel und die kurvigen Landstrassen, Wälder und Hecken dazwischen, ganz besonders die Strecke zum Bahnhof über Land rührt mich jedes Mal – obwohl oder gerade weil sie eng verbunden ist mit Abreisen und Ankommen.
Wie wohl ich mich in meinen vielen Wohnungen und Zimmern auf Zeit gefühlt habe konnte ich immer an den blauen Flecken an meinem Körper zählen. Wenn ich nachts unbeschadet im dunkeln das Bad erreichen konnte, war ich angekommen. Mal dauerte das länger, mal ging es schnell. In Kinshasa ging es schnell und ich freue mich arg auf meine Wohnung, mein Zimmer, unserer Terrasse. Die Aussicht dort ist anders, aber nicht schlechter.
Jetzt haben sie also den Blick über Felder und Wälder gegen den Blick über die Stadt getauscht, es gibt nur noch ein Kinderzimmer und eigentlich zu wenig Stauraum für die Hausstände zweier auslands- und abenteuerlustiger Töchter. Das eine verfügbare Kinderzimmer gibt einen spaßigen Einblick in die Soziologie meiner Familie: eigentlich ist es zuerst das Zimmer der jüngsten, noch studierenden E. Im Schrank hängen ihre Kleider, in den Regalen stehen ihre Bücher und im Bad nebenan ihre Zahnbürste. Damit aber wir zwei älteren uns nicht ausgeschlossen und unerwünscht fühlen, wurde innerfamiliär der Begriff „Kinderzimmer“ festgelegt – die einzige hingegen, die konsequent Kinderzimmer sagt ist E. selbst, für alle andere ist es E.s Zimmer.
Mal abgesehen vom nominellen Zuhause, das keines mehr ist, bin ich selbst leider auch kein großer Freund der Sesshaftigkeit. So schön mir die Vorstellung eines richtigen eigenen Zuhauses mit Einrichtung, Dekoration und Büchern scheint – ich kann mir nicht helfen: nach spätestens zwei Jahren werde ich ruhelos. Ich bin seit dem 16. Lebensjahr fünfzehn Mal umgezogen, wenn ich alle Aufenthalte länger als vier Wochen mit eigenem Schlafzimmer zähle – ich könnte die Zahl auch noch hochmanipulieren, wenn ich strenger rechnen würde. Und natürlich treiben die vier Umzüge des letzten Jahres die Zahl hoch. Ich bin im Moment ganz zufrieden, keinen Besitz bewahren zu müssen, meine Habseligkeiten sind vergleichsweise reduziert und lagern bei meinen Eltern im Keller – dafür schätze ich die Freiheit, jeden Tag umziehen zu können, wenn ich nur wollte. Nicht gebunden zu sein. Meine Eltern waren geradezu entsetzt, als sie Fotos von meinen Zimmern im vergangenen Jahr sahen, funktional eingerichtet, hässliche Bilder an der Wand (bestenfalls), kaum Dekoration, abgesehen von einer Handvoll Bücher im Regal (so ich denn eins hatte – ansonsten auf der Heizung oder dem Fensterbrett). Ich habe das anfangs auch so wahrgenommen, in Wien habe ich mir noch Mühe gemacht, Postkarten aufgestellt, und überlegt, ein Poster für die leere Wand überm Bett zu kaufen. In Tunis hingegen oder DC war ich soviel unterwegs und so eingenordet ins Wanderleben, daß ich derartige Bemühungen nicht einmal mehr in Erwägung gezogen habe. Ganz im Gegenteil finde ich mein Zimmer in Kinshasa geradezu gemütlich, während meine Eltern vor Entsetzen bleich wurden.
Von Wohnsitzen abgesehen ist Heimat für mich die Region, in der ich meine Jugend verbracht habe. Ich mag die Hügel und die kurvigen Landstrassen, Wälder und Hecken dazwischen, ganz besonders die Strecke zum Bahnhof über Land rührt mich jedes Mal – obwohl oder gerade weil sie eng verbunden ist mit Abreisen und Ankommen.
Wie wohl ich mich in meinen vielen Wohnungen und Zimmern auf Zeit gefühlt habe konnte ich immer an den blauen Flecken an meinem Körper zählen. Wenn ich nachts unbeschadet im dunkeln das Bad erreichen konnte, war ich angekommen. Mal dauerte das länger, mal ging es schnell. In Kinshasa ging es schnell und ich freue mich arg auf meine Wohnung, mein Zimmer, unserer Terrasse. Die Aussicht dort ist anders, aber nicht schlechter.
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Abschied
Ich hatte eine unglaublich anstrengende Woche in Berlin voller Termine, Termine, Termine, das mir wieder einmal in aller Deutlichkeit demonstriert hat, daß ich der dreißig näher als der zwanzig bin.
Das Wochenende ab Freitag Mittag hatte ich mir also redlich verdient und dafür umso mehr genossen. Ich habe Freitag Nacht etwas zu viel gefeiert, viel Zeit mit reizenden Menschen verbracht, mich blendend amüsiert, der Freund meiner besten Freundin in Frankfurt kocht Frühstückseier auf den Punkt perfekt und überhaupt bin ich froh, die zwei Wochen in Deutschland genutzt zu haben, auch wenn das auf Kosten des Schönheitsschlafs ging.
Jetzt sind die Koffer gepackt, das Visum hat seine Ordnung, und ich genieße die letzten Minuten mit meinem Eltern und den goldenen Herbst.

Das Wochenende ab Freitag Mittag hatte ich mir also redlich verdient und dafür umso mehr genossen. Ich habe Freitag Nacht etwas zu viel gefeiert, viel Zeit mit reizenden Menschen verbracht, mich blendend amüsiert, der Freund meiner besten Freundin in Frankfurt kocht Frühstückseier auf den Punkt perfekt und überhaupt bin ich froh, die zwei Wochen in Deutschland genutzt zu haben, auch wenn das auf Kosten des Schönheitsschlafs ging.
Jetzt sind die Koffer gepackt, das Visum hat seine Ordnung, und ich genieße die letzten Minuten mit meinem Eltern und den goldenen Herbst.

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