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Abenteuer im Aufzug
Der Samstag versprache ein reichlich ereignisloser Tag zu werden. Ich habe den Tag auf der Terrasse verbracht, gearbeitet, und ein Buch gelesen. Normalerweise ist es ja eine hübsche Ausrede, wenn Leute sagen: hach, ich lese so gerne, aber leider fehlt mir die Zeit dazu...., aber ich hatte in den vergangenen vier Wochen wirklich einfach keine ruhige Minute, umso schöner war es an diesem Wochenende zwei ganze Bücher zu lesen und ein drittes anzufangen. Der Arbeitsmoral wenig zuträglich, aber schön. Ich habe mir außerdem einen Sonnenbrand geholt – wer konnte auch ahnen, daß zwanzig Minuten in der prallen Sonne und ein Nachmittag im Schatten solche Wirkung zeigen würde?
Während ich mich dem Schlendrian hingab, wurde unten im Restaurant eine Hochzeit gefeiert (alle Leute, die komisch aussehen, tanzen gerade, unten im Bild außerdem die Band, die uns jeden Freitag und Samstag mit kongolesischer Musik beglückt und der Grill, dessen verführerische Rauchschwaden mich dazu bringen, öfter den Kühlschrank zu frequentieren, als meiner Figur gut tut).

Andere Leute hingegen arbeiten und sorgen dafür, daß in ferner Zukunft Geländewagen keine absolute Notwendigkeit in diesem Land sein werden.

Falls sich überhaupt hier irgendwann der motorisierte Transport durchsetzt.

Der Abend hielt jedoch noch eine völlig unerwartete Überraschung für mich bereit. Für meine geschätzten Leser ist mir kein Abenteuer zu unberechenbar und nach all den langweiligen Berichten über das kongolesische Geschäftsleben, Äußerlichkeiten und Business-Etikette habe ich mich gestern in nachgerade tödliche Gefahr begeben, um etwas Interessantes berichten zu können.
Ich habe ja schon an andere Stelle von den Eigenheiten des Aufzugs in unserem Haus berichtet. Dazu muß man wissen: es gibt im Haus drei Aufzüge, alle schon etwas betagt, derjenige mit dem Aussehen eines Lastenaufzugs hat noch nie funktioniert und seit ungefähr vier Wochen ist einer der anderen beiden dauerhaft ausgefallen.
Die Aufzüge haben kleine, runde, schwarze Knöpfe und können sich immer nur eine Etage merken. Wenn man den Aufzug betritt, zieht man die Tür hinter sich zu. Wenn diese komplett verschlossen ist, geht das Licht aus, dann kann man die gewünschte Etage anwählen, das Licht geht wieder an und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Eine innenliegende Tür gibt es nicht, man fährt also direkt an den Betonwänden des Aufzugschachts vorbei, auf denen die Nummern der Etagen aufgemalt sind. Sind mehrer Nachbarn mit verschiedenen Ausstiegswünschen im Aufzug, spricht man sich ab, derjenige, der im untersten Geschoß wohnt, gibt zuerst seinen Wunsch an, denn wenn man erst die sieben und dann die vier anwählt, fährt der Aufzug direkt in die siebte Etage.
Schon immer war es so, daß der Aufzug theoretisch bis in die achte Etage fahren kann, praktisch jedoch dort dann steckenbleibt und nichts mehr geht, bis die Wachen mit einem Spezialschlüssel kommen und das Ding reparieren. Seit gestern weiß ich, daß der Aufzug sich noch eine weitere Macke angeeignet hat.
Ich wollte abends gegen neun Uhr mit einem kongolesischen Freund spontan noch ein Bier trinken gehen, er war schon unterwegs, ich in Eile und als ich im Aufzug stand und schon das Erdgeschoß angewählt hatte, packte mich meine Tür-Abschließ-Paranoia und ich wollte noch einmal hochfahren. Bisher war es so, daß man in diesem Fall den Stopp-Knopf drücken konnte, der Aufzug hielt an und man konnte neu wählen. Auch dies leider inzwischen nur noch theoretisch, praktisch hielt der Aufzug gestern abend zwischen der sechsten und siebten Etage an, danach rührte er sich nicht mehr. Die Tür der siebten Etage war noch in Sicht, ließ sich aber nicht mehr öffnen, ansonsten Betonschacht um mich herum. Ich habe einen Moment überlegt, meinen Mitbewohner konnte ich nicht anrufen, da der ja sein Handy verloren hatte, von den Wachen unten fehlte mir die Telefonnummer und im Treppenhaus rührte sich niemand, den ich um Hilfe hätte bitten können. Ich habe also den Freund angerufen, der mich abholen wollte und gebeten, die Wachen über meine Notlage zu informieren. Mit mir eingeschlossen etliche Mücken und zwei sechsbeinige Krabbelviecher und jedes Mal, wenn ich mich bewegte, schwankte der Aufzug leicht an seinen Trägerseilen hin und her. Ich gebe zu: ich hatte Angst. Sieben Etage können ziemlich tief sein und der Aufzug – an dessen Zuverlässigkeit ich bislang nie ernsthafte Zweifel gehegt hatte, schien mir plötzlich weit weniger solide. Einen kurzen Moment habe ich überlegt, meine Mama nzurufen und mich wenigstens noch zu verabschieden, aber das schien mir doch zu albern. Dann habe ich nachgedacht, wen ich zur Unterhaltung anrufen könnte. Auch das kam mir irgendwie lächerlich vor und so viele gute Freunde habe ich hier eben doch noch nicht. Dem Impuls, eine Zigarette zu rauchen, stand meine deutsche Regelhörigkiet entgegen und nach zehn endlosen Minuten kam der Wachmann und löste die Aufzugsperre. Anfangs tat sich nichts, nur die Lichter gingen aus und ich war endgültig überzeugt, mein letztes Stündlein habe geschlagen, aber dann setzte er sich doch in Bewegung und eine Minute später hatte das Leben mich wieder. Meine Auferstehung von den beinahe Toten haben wir dann im Quartier Bon Marché mit einem Bier begossen.
Während ich mich dem Schlendrian hingab, wurde unten im Restaurant eine Hochzeit gefeiert (alle Leute, die komisch aussehen, tanzen gerade, unten im Bild außerdem die Band, die uns jeden Freitag und Samstag mit kongolesischer Musik beglückt und der Grill, dessen verführerische Rauchschwaden mich dazu bringen, öfter den Kühlschrank zu frequentieren, als meiner Figur gut tut).

Andere Leute hingegen arbeiten und sorgen dafür, daß in ferner Zukunft Geländewagen keine absolute Notwendigkeit in diesem Land sein werden.

Falls sich überhaupt hier irgendwann der motorisierte Transport durchsetzt.

Der Abend hielt jedoch noch eine völlig unerwartete Überraschung für mich bereit. Für meine geschätzten Leser ist mir kein Abenteuer zu unberechenbar und nach all den langweiligen Berichten über das kongolesische Geschäftsleben, Äußerlichkeiten und Business-Etikette habe ich mich gestern in nachgerade tödliche Gefahr begeben, um etwas Interessantes berichten zu können.
Ich habe ja schon an andere Stelle von den Eigenheiten des Aufzugs in unserem Haus berichtet. Dazu muß man wissen: es gibt im Haus drei Aufzüge, alle schon etwas betagt, derjenige mit dem Aussehen eines Lastenaufzugs hat noch nie funktioniert und seit ungefähr vier Wochen ist einer der anderen beiden dauerhaft ausgefallen.
Die Aufzüge haben kleine, runde, schwarze Knöpfe und können sich immer nur eine Etage merken. Wenn man den Aufzug betritt, zieht man die Tür hinter sich zu. Wenn diese komplett verschlossen ist, geht das Licht aus, dann kann man die gewünschte Etage anwählen, das Licht geht wieder an und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Eine innenliegende Tür gibt es nicht, man fährt also direkt an den Betonwänden des Aufzugschachts vorbei, auf denen die Nummern der Etagen aufgemalt sind. Sind mehrer Nachbarn mit verschiedenen Ausstiegswünschen im Aufzug, spricht man sich ab, derjenige, der im untersten Geschoß wohnt, gibt zuerst seinen Wunsch an, denn wenn man erst die sieben und dann die vier anwählt, fährt der Aufzug direkt in die siebte Etage.
Schon immer war es so, daß der Aufzug theoretisch bis in die achte Etage fahren kann, praktisch jedoch dort dann steckenbleibt und nichts mehr geht, bis die Wachen mit einem Spezialschlüssel kommen und das Ding reparieren. Seit gestern weiß ich, daß der Aufzug sich noch eine weitere Macke angeeignet hat.
Ich wollte abends gegen neun Uhr mit einem kongolesischen Freund spontan noch ein Bier trinken gehen, er war schon unterwegs, ich in Eile und als ich im Aufzug stand und schon das Erdgeschoß angewählt hatte, packte mich meine Tür-Abschließ-Paranoia und ich wollte noch einmal hochfahren. Bisher war es so, daß man in diesem Fall den Stopp-Knopf drücken konnte, der Aufzug hielt an und man konnte neu wählen. Auch dies leider inzwischen nur noch theoretisch, praktisch hielt der Aufzug gestern abend zwischen der sechsten und siebten Etage an, danach rührte er sich nicht mehr. Die Tür der siebten Etage war noch in Sicht, ließ sich aber nicht mehr öffnen, ansonsten Betonschacht um mich herum. Ich habe einen Moment überlegt, meinen Mitbewohner konnte ich nicht anrufen, da der ja sein Handy verloren hatte, von den Wachen unten fehlte mir die Telefonnummer und im Treppenhaus rührte sich niemand, den ich um Hilfe hätte bitten können. Ich habe also den Freund angerufen, der mich abholen wollte und gebeten, die Wachen über meine Notlage zu informieren. Mit mir eingeschlossen etliche Mücken und zwei sechsbeinige Krabbelviecher und jedes Mal, wenn ich mich bewegte, schwankte der Aufzug leicht an seinen Trägerseilen hin und her. Ich gebe zu: ich hatte Angst. Sieben Etage können ziemlich tief sein und der Aufzug – an dessen Zuverlässigkeit ich bislang nie ernsthafte Zweifel gehegt hatte, schien mir plötzlich weit weniger solide. Einen kurzen Moment habe ich überlegt, meine Mama nzurufen und mich wenigstens noch zu verabschieden, aber das schien mir doch zu albern. Dann habe ich nachgedacht, wen ich zur Unterhaltung anrufen könnte. Auch das kam mir irgendwie lächerlich vor und so viele gute Freunde habe ich hier eben doch noch nicht. Dem Impuls, eine Zigarette zu rauchen, stand meine deutsche Regelhörigkiet entgegen und nach zehn endlosen Minuten kam der Wachmann und löste die Aufzugsperre. Anfangs tat sich nichts, nur die Lichter gingen aus und ich war endgültig überzeugt, mein letztes Stündlein habe geschlagen, aber dann setzte er sich doch in Bewegung und eine Minute später hatte das Leben mich wieder. Meine Auferstehung von den beinahe Toten haben wir dann im Quartier Bon Marché mit einem Bier begossen.
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Geschäftswelt
Das erste Wochenende im Kongo. Die halbe Woche Arbeit war anstrengend, vor allem weil ich mit meinen Kollegen kämpfe. Die Aufgaben in meinem Vertrag sind entsetzlich unklar formuliert und es ist schwer für mich, festzustellen, bei welchen Meetings ich mitgehen sollte und wo es sich nicht lohnt. Nachdem ich deutlich gemacht habe, daß nicht alle Treffen für mich relevant sind, bin ich leider auch nicht mehr so eingebunden wie anfangs und werde noch weniger über Pläne informiert. Ich bin gerade halb so alt wie die Kollegen und ganz sicher nicht in jeder Hinsicht gleichberechtigter Partner, und das Informationsdefizit macht es mir doppelt schwer, mich auf Gespräche vernünftig vorzubreiten. Gleichzeitig geben die vielen Termine in Unternehmen und Behörden unglaublich spannende Einblicke in die kongolesische Wirtschaftswelt. Die runden kleinen Metalldinger im Konferenztisch von Mittwoch sind vermutlich Aussparungen für Mikrofone und Kabel, nur ohne Mikrofone und Kabel – so technisch fortgeschritten sind wir hier dann doch nicht. Dies eine Erkenntnis von Freitag Morgen und einer weiteren Begegnung mit dem gleichen Modell von Konferenztisch. Vielleicht gab es Mengenrabatt für einen Großeinkauf mehrerer Behörden. Das Treffen mit dem Chef einer Behörde fand im siebten Obergeschoß des Gebäudes statt, Aufzug defekt. Sport am Morgen. Die oberste Etage war sehr hübsch mit rotem Plüschteppich dekoriert, im Büro selbst standen scheußliche, bunt-marmorierte Vasen mit Metallic-Glitzerapplikationen herum, wie ich sie selbst als fünzehnjähriger Teenager in meiner Rosa-Phase nicht aufgestellt hätte. Nach über einer Stunde wurden Erfrischungen serviert, vorwiegend kleine Tetra-Paks mit Strohhalm, an denen wir dann die folgende Stunde nuckelten. Während der Generaldirektor in seinem Büro-Fauteuil mehr hing als saß, eröffnete sein Assistent jede Aussage mit der Phrase Avec la permission de l’ADG.... (Administrateur Directeur Général). Falls Sie dachten, die Wiener wären titelgeil, kommen Sie in den Kongo, hier sind Titel das Alpha und Omega der wirtschaftsgesellschaftlichen Etikette.
Der nächste Termin führte uns zum – mutmaßlich belgischen – Chef eines französischen Unternehmens und in das bislang eleganteste Büro meines hiesigen Erfahrungshorizonts. Der Boden war ausnahmsweise nicht gefliest sonder mit wunderschönem, dunklem Echtholzparkett ausgelegt, die geschmackvollen Möbel schön arrangiert in einem Büro von der Größe einer geräumigen Zweizimmerwohnung in Frankfurt. Ein langer Konferenztisch, bequeme Sofas, ein monströser Schreibtisch, dahinter die kongolesische Flagge und auf einem riesigen Sideboard zwei kleine französische Flaggen. Auf den Fensterbrettern standen afrikanische Holzstatuetten, ein ziemlich großes Modell einer Windjammer, ein Elfenbeinelefant, während die gegenüberliegenden Wand mit Fotos von auftauchenden U-Booten dekoriert war. Es gab Kaffee aus einer richtigen Espressomaschine, Wasser aus Pappbechern und für den Hausherrn nach gut einer Stunde Zigaretten. Gerne hätte ich mich angeschlossen, habe es allerdings nicht gewagt. Das gesamte Büro strahlte üppigen, kolonialen Charme aus und der Hausherr paßte perfekt dazu. Professionell, dabei sehr entspannt und zu Hause in seiner Rolle. Durchaus kompetent, aber für die technischen Einzelheiten war ganz offensichtlich sein kongolesischer Stellvertreter verantwortlich.
Bei den kongolesischen Geschäftsleuten gibt es – soweit ich das beurteilen kann – drei Typen: die Oberchefs stehen in Kleidung und Auftreten ihren europäischen Pendants in nichts nach: teure, gutsitzende Anzüge, gepflegtes, klassisches Schuhwerk, allenfalls die Uhr fällt häufig etwas rolexiger, klotziger und goldener aus als beim Gentleman in der City. Aufstrebende, zukünftige Verantwortungsträger haben sich diesem Status oft schon weitgehend angenähert, allerdings sind häufig die Schuhe spitzer und extravaganter als notwendig (gestern zum Beispiel im Budapester-Stil, in schwarz mit dunkelgrauem Blatt und einer Spitze, die waffentauglich gewesen wäre) und die Zurückhaltung beim Schmuck ist weniger ausgeprägt. Daran sieht man sofort, ob jemand sich an der traditionellen afrikanischen Elite orientiert oder der europäischen Geschäftswelt: ganz besonders viele Behördenmitarbeiter mit guten Verbindungen und vermutlich langjähriger Karriere erfüllen oftmals jedes vorstellbare Klischee und sind mit Goldschmuck üppiger behängt als die russische Oligarchengattin. Herren der jüngeren Generation haben oft ein ausgeprägte Faible für buntgestreifte Hemden, Typ Investmentbanker in smart casual mit dunklem Jackett und Jeans. Dumm nur, wenn von den silber-blinkenden Knöpfen der mittlere fehlt. Unteres Management wiederum sieht genauso aus wie unteres Management zu Hause: schlecht sitzende Anzüge, lachsfarbene Kurzarmhemden und zu sportliche Schuhe. Geht gar nicht. Eine Besonderheit sind die weitverbreiteten Herrenanzüge mit Kurzarm, die mir zuerst in Tunis begegnet sind. Ja, Sie lesen richtig, man sieht hier oft Herren in Anzügen, bei denen das Jackett nur halbe oder sogar kurze Ärmel hat, dann allerdings nur mit einem dünnen T-Shirt oder Unterhemd drunter. Ichnehme an hoffe, daß diese besondere Scheußlichkeit dem Klima zuzuschreiben ist. Und um mich von diskriminatorischen Vorwürfen reinzuwaschen: Kurzarmhemden in deutschen Büros finde ich gleichermaßen unmöglich. Wenn schon, diskriminiere ich alle.
Die guten Neuigkeiten: ich habe jetzt dank UMTS Internet auch zu Hause. Unglaublich aber wahr, beide großen Telefongesellschaften – mobil, versteht sich, Festnetz gibt es nicht, soweit ich weiß – bieten Daten-Sim-Karten an und die funktionieren sogar. Ich war am Donnerstag Nachmittag in der Hauptniederlassung des Anbieters meiner Wahl, pinkes Logo aber sonst ganz anders als der heimische Telekommunikations-Platzhirsch. Die Filiale hatte die Ausmaße und den dekorativen Charme einer Lagerhalle. Links hinter einer Glaswand zehn Schreibtische zur individuellen Kundenbetreuung, in der Mitte ein Informationsschalter, dahinter mit einem Drehkreuz abgetrennt ein weiterer Schalter, zur rechten dann eine Wartehalle und dahinter ein unverhältnismäßig kleiner Teil, in dem Telefone verkauft wurden. Lohnt sich vermutlich nicht, da man an jeder Straßenecke bei fliegenden Händlern billige Telefone der Freunde aus Fernost günstig erwerben kann. Ich stand einen Moment verloren in der Mitte, um mich herum viel Gewusel und wartenden Kunden, eine lange Schlange am zentralen Schalter. Dort reihte ich mich ein, als auch schon ein junger Mann in Zivil – ohne corporate-identity-pinke Kleidung oder Hundemarke – mir zur Hilfe eilte. Ich trug meinen Wunsch vor, er lotste mich umgehend in den Glaskasten nebenan – ein Schelm wer Böses dabei denkt, daß etliche kongolesische Kunden vor mir weiter in der Schlange warteten. Erneut erklärte ich mein Anliegen, der junge Mann half mir, Sim-Karte und Aufladung zu erwerben, freute sich ungemein, mit mir Deutsch sprechen zu können – Schulkenntnisse, aber gute! – und tauschte auch gleich Telefonnummern mit mir aus. Ich nehme an, ich habe schon wieder ein Blind Date in der Warteschleife. Ich bin jedenfalls geradezu begeistert, daß UMTS hier tatsächlich funktioniert, wieder ein Stück Freiheit gewonnen, weil ich nun wochenends nicht mehr um jeden Preis ins Büro muß, um Internetzugang zu haben.
Jetzt sitze ich auf meiner Terrasse, warte wie ein braves Hausmütterchen auf meinen Mitbewohner, der heute wiederkommt, allerdings leider Schlüssel und Telefon verloren hat und genieße die Sonne. Die Sicht bis Brazzaville war noch nie so klar, zum ersten Mal erkenne ich, daß gegenüber gleich zwei Inseln im Fluß liegen. Es ist so warm, daß jede Bewegung zu Anstrengung wird – und das sei erst der Anfang, so sagt man mir – aber das Sonnenlicht ist mild und nicht so gleißend wie in Tunis. Die Blätter der Topfpflanzen rascheln leise im Wind (die achte Etage ist ein Segen, auch wenn ich vorhin wegen Aufzugausfall zu Fuß hochlaufen mußte), gegenüber auf der Baustelle kreischt eine Säge. Ich hoffe, daß sie es bei sechs Etagen Neubau belassen, sonst leidet unsere Aussicht ernsthaft. Unten auf den Tennisplätzen fliegt der Ball mit einem leisen Plopp hin und her und manchmal hört man auf der Straße einen Sandwichverkäufer. Die tragen auf ihren Köpfe Bottiche herum mit Baguettes ordentlich strahlenförmig rundherum angeordnet, in der Mitte Wurst und Käse oder Erdnußpaste. In der Hand tragen sie ein Messer und mit dem klopfen sie rhythmisch gegen den Bottich, so daß alle wissen: hier kommt ein Brotverkäufer. Wenn es irgendein Geräusch gibt, das für mich typisch Kongo ist, dann dieses. Allgegenwärtig, von früh morgens bis spät abends, verschwindend leise in der Kakophonie von Straßenlärm, Baustellen und afrikanischemAlltag Samstag, aber doch ganz eigen.
Der nächste Termin führte uns zum – mutmaßlich belgischen – Chef eines französischen Unternehmens und in das bislang eleganteste Büro meines hiesigen Erfahrungshorizonts. Der Boden war ausnahmsweise nicht gefliest sonder mit wunderschönem, dunklem Echtholzparkett ausgelegt, die geschmackvollen Möbel schön arrangiert in einem Büro von der Größe einer geräumigen Zweizimmerwohnung in Frankfurt. Ein langer Konferenztisch, bequeme Sofas, ein monströser Schreibtisch, dahinter die kongolesische Flagge und auf einem riesigen Sideboard zwei kleine französische Flaggen. Auf den Fensterbrettern standen afrikanische Holzstatuetten, ein ziemlich großes Modell einer Windjammer, ein Elfenbeinelefant, während die gegenüberliegenden Wand mit Fotos von auftauchenden U-Booten dekoriert war. Es gab Kaffee aus einer richtigen Espressomaschine, Wasser aus Pappbechern und für den Hausherrn nach gut einer Stunde Zigaretten. Gerne hätte ich mich angeschlossen, habe es allerdings nicht gewagt. Das gesamte Büro strahlte üppigen, kolonialen Charme aus und der Hausherr paßte perfekt dazu. Professionell, dabei sehr entspannt und zu Hause in seiner Rolle. Durchaus kompetent, aber für die technischen Einzelheiten war ganz offensichtlich sein kongolesischer Stellvertreter verantwortlich.
Bei den kongolesischen Geschäftsleuten gibt es – soweit ich das beurteilen kann – drei Typen: die Oberchefs stehen in Kleidung und Auftreten ihren europäischen Pendants in nichts nach: teure, gutsitzende Anzüge, gepflegtes, klassisches Schuhwerk, allenfalls die Uhr fällt häufig etwas rolexiger, klotziger und goldener aus als beim Gentleman in der City. Aufstrebende, zukünftige Verantwortungsträger haben sich diesem Status oft schon weitgehend angenähert, allerdings sind häufig die Schuhe spitzer und extravaganter als notwendig (gestern zum Beispiel im Budapester-Stil, in schwarz mit dunkelgrauem Blatt und einer Spitze, die waffentauglich gewesen wäre) und die Zurückhaltung beim Schmuck ist weniger ausgeprägt. Daran sieht man sofort, ob jemand sich an der traditionellen afrikanischen Elite orientiert oder der europäischen Geschäftswelt: ganz besonders viele Behördenmitarbeiter mit guten Verbindungen und vermutlich langjähriger Karriere erfüllen oftmals jedes vorstellbare Klischee und sind mit Goldschmuck üppiger behängt als die russische Oligarchengattin. Herren der jüngeren Generation haben oft ein ausgeprägte Faible für buntgestreifte Hemden, Typ Investmentbanker in smart casual mit dunklem Jackett und Jeans. Dumm nur, wenn von den silber-blinkenden Knöpfen der mittlere fehlt. Unteres Management wiederum sieht genauso aus wie unteres Management zu Hause: schlecht sitzende Anzüge, lachsfarbene Kurzarmhemden und zu sportliche Schuhe. Geht gar nicht. Eine Besonderheit sind die weitverbreiteten Herrenanzüge mit Kurzarm, die mir zuerst in Tunis begegnet sind. Ja, Sie lesen richtig, man sieht hier oft Herren in Anzügen, bei denen das Jackett nur halbe oder sogar kurze Ärmel hat, dann allerdings nur mit einem dünnen T-Shirt oder Unterhemd drunter. Ich
Die guten Neuigkeiten: ich habe jetzt dank UMTS Internet auch zu Hause. Unglaublich aber wahr, beide großen Telefongesellschaften – mobil, versteht sich, Festnetz gibt es nicht, soweit ich weiß – bieten Daten-Sim-Karten an und die funktionieren sogar. Ich war am Donnerstag Nachmittag in der Hauptniederlassung des Anbieters meiner Wahl, pinkes Logo aber sonst ganz anders als der heimische Telekommunikations-Platzhirsch. Die Filiale hatte die Ausmaße und den dekorativen Charme einer Lagerhalle. Links hinter einer Glaswand zehn Schreibtische zur individuellen Kundenbetreuung, in der Mitte ein Informationsschalter, dahinter mit einem Drehkreuz abgetrennt ein weiterer Schalter, zur rechten dann eine Wartehalle und dahinter ein unverhältnismäßig kleiner Teil, in dem Telefone verkauft wurden. Lohnt sich vermutlich nicht, da man an jeder Straßenecke bei fliegenden Händlern billige Telefone der Freunde aus Fernost günstig erwerben kann. Ich stand einen Moment verloren in der Mitte, um mich herum viel Gewusel und wartenden Kunden, eine lange Schlange am zentralen Schalter. Dort reihte ich mich ein, als auch schon ein junger Mann in Zivil – ohne corporate-identity-pinke Kleidung oder Hundemarke – mir zur Hilfe eilte. Ich trug meinen Wunsch vor, er lotste mich umgehend in den Glaskasten nebenan – ein Schelm wer Böses dabei denkt, daß etliche kongolesische Kunden vor mir weiter in der Schlange warteten. Erneut erklärte ich mein Anliegen, der junge Mann half mir, Sim-Karte und Aufladung zu erwerben, freute sich ungemein, mit mir Deutsch sprechen zu können – Schulkenntnisse, aber gute! – und tauschte auch gleich Telefonnummern mit mir aus. Ich nehme an, ich habe schon wieder ein Blind Date in der Warteschleife. Ich bin jedenfalls geradezu begeistert, daß UMTS hier tatsächlich funktioniert, wieder ein Stück Freiheit gewonnen, weil ich nun wochenends nicht mehr um jeden Preis ins Büro muß, um Internetzugang zu haben.
Jetzt sitze ich auf meiner Terrasse, warte wie ein braves Hausmütterchen auf meinen Mitbewohner, der heute wiederkommt, allerdings leider Schlüssel und Telefon verloren hat und genieße die Sonne. Die Sicht bis Brazzaville war noch nie so klar, zum ersten Mal erkenne ich, daß gegenüber gleich zwei Inseln im Fluß liegen. Es ist so warm, daß jede Bewegung zu Anstrengung wird – und das sei erst der Anfang, so sagt man mir – aber das Sonnenlicht ist mild und nicht so gleißend wie in Tunis. Die Blätter der Topfpflanzen rascheln leise im Wind (die achte Etage ist ein Segen, auch wenn ich vorhin wegen Aufzugausfall zu Fuß hochlaufen mußte), gegenüber auf der Baustelle kreischt eine Säge. Ich hoffe, daß sie es bei sechs Etagen Neubau belassen, sonst leidet unsere Aussicht ernsthaft. Unten auf den Tennisplätzen fliegt der Ball mit einem leisen Plopp hin und her und manchmal hört man auf der Straße einen Sandwichverkäufer. Die tragen auf ihren Köpfe Bottiche herum mit Baguettes ordentlich strahlenförmig rundherum angeordnet, in der Mitte Wurst und Käse oder Erdnußpaste. In der Hand tragen sie ein Messer und mit dem klopfen sie rhythmisch gegen den Bottich, so daß alle wissen: hier kommt ein Brotverkäufer. Wenn es irgendein Geräusch gibt, das für mich typisch Kongo ist, dann dieses. Allgegenwärtig, von früh morgens bis spät abends, verschwindend leise in der Kakophonie von Straßenlärm, Baustellen und afrikanischem
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Chaos à nouveau
Der Kongo hat mich wieder, mit allen seinen kleinen Malaisen. Unser homme de ménage war gestern morgen grummelig, vermutlich habe ich etwas falsch gemacht und weiß nicht was. War eine Tüte Weingummi ein zu kleines Geschenk für Fernreisende, die aus fremden Landen zurückkehren? Chaos auch bei der Arbeit, mehr als mir lieb war. Bisher war ich in der komfortablen Situation, weitgehend für mich alleine arbeiten zu können, damit hat es jetzt ein Ende. Ich bin eingebunden in die Arbeit einiger Kollegen aus Washington, welche mich schon letzte Woche per Mail darüber informierten und Mittwoch morgen neun Uhr zur Lagebesprechung vorschlugen. Ich wartete also brav um halb neun vor der Tür auf Abholung, mein Lieblingswächter strahlte vor Freude bei meinem Anblick und brüllte unmißverständlich über den gesamten – morgendlich belebten – Hof: La rose!.... la belle fleur! und überschüttete mich mit Komplimenten. Vermutlich immer noch auf der Suche nach einer europäischen Brieffreundin, der Gute. Ich war kaum ins Auto eingestiegen, als man mir eröffnete: statt Lagebesprechung habe man heute Gesprächstermine mit diversen Organisationen und Unternehmen vereinbart, nämlich um neun, zehn, elf, halb zwei, drei und fünf Uhr. Bei der Gelegenheit könne ich dann auch gleich meine Fragen zu den relevanten Themen anbringen. Mir war zu dem Zeitpunkt nicht einmal klar, welcher Beitrag von mir erwartet wurde und auch am Ende des Tages bin ich nicht viel schlauer. Dafür waren die Meetings höchst interessant.
Unser erster Gesprächspartner, Abteilungsleiter eines Unternehmens, saß in einem schäbigen Büro, war technisch allerdings auf dem neuesten Stand der Dinge. Während der Putz von den Wänden bröckelt, die Türen fast aus dem Rahmen fallen und die Möbel eine so eklektische Mischung sind, wie in deutschen Studentenzimmern, zu denen sämtliche Großtanten und Onkeln jeweils ein Stück beigetragen haben, ließ die technische Ausstattung nichts zu wünschen: auf dem Schreibtisch standen Laptop, Druck und Scanner. Die Ordnerbeschriftung hingegen hätte einem Wirtschaftsprüfer die Tränen in die Augen getrieben. Am beeindruckendsten war jedoch die Ansammlung kommunikativer Spielzeuge: zwei Blackberries und drei Handies. Das wiederum hätte vermutlich jeden geltungssüchtigen Wirtschaftsprüfer vor Neid erblassen lassen.
Der nächste Termin führte uns in den sagenhaft scheußlichen Besprechungsraum eines Ministeriums. Der Raum wurde dominiert von einem ovalen Tisch, der an jedem Sitzplatz ein metall-ausgekleidetes Loch enthielt. Fast hätte ich das für Aschenbecher halten können, hätte an der Wand neben dem allgegenwärtigem Foto des geschätzten Staatsoberhaupts nicht ein monströses Fumer interdit Poster geprangt. Der besonders formhäßliche Sessel am Kopfende des Tisches blieb symbolisch frei für den abwesenden Monsieur le Ministre, die Teilnehmer saßen sich an den Längsseiten in zwei nicht nur bildlichen Fronten gegenüber. Die Bürostühle knarrten so laut bei jeder Bewegung, daß ich vom Gespräch noch weniger verstand, als ohnehin der Fall gewesen wäre, darüber hinaus stand mir nur die rechte Armlehne zur Verfügung. Die Stühle wiesen zwar gewissermaßen doppelte Armlehnen auf – über der ersten waren auf metallenen Halterungen jeweils schmalere zweite Armlehen angebracht –, diese obere Armlehne löste sich jedoch an meinem Stuhl schon als ich mich setzen wollte, und ich konnte sie nur in letzter Sekunde auffangen und den sicherlich laut scheppernden Aufprall auf dem Fußboden verhindern. Danach verbrachte ich den größten Teil des Meetings damit, mich nicht auf die linke Armlehne zu stützen, hatte allerdings Gelegenheit, die Hinterlassenschaften früherer Meetingteilnehmer in der unteren Etage des Tisches (Dokumentenablage) zu begutachten. Neben verknüllten Taschentüchern und Kaugummipapier hatte sich offenbar einer meiner Vorgänge auf diesem schönen Platz die Zeit damit vertrieben, seine Handykarte aufzuladen – davon zeugten die Vodacom Rubbellose.
Erst Mittags kamen wir zum ersten Mal ins Büro, gerade noch rechzeitig, um mich vor dem sicheren Verdursten zu retten (Meetings ohne Getränke – hat man so was schon mal gehört? Ist das der Entwicklungsland-Faktor?), ich war kein bißchen schlauer bezüglich meiner konkreten Aufgaben jenseits der Funktion dekorativen Beiwerks und das Mittagessen fiel dem nächsten Meeting zum Opfer. Danach war der Kollege so erschlagen, daß er im Auto besinnungslos in sich zusammensackte, offenbar ist er auch als Brite großer Anhänger des amerikanischen Power Nap. Immerhin freuten sich alle Kollegen, Fahrer und sonstigen dienstbaren Geister ungemein, mich wiederzusehen, was mein Herz wahrhaftig erwärmt hat. Wie gut, daß ich auf Anraten des schönen Franzosen (der übrigens nächste Woche wiederkommt, laut Plan) Gummibärchen und deutsche Schokoladen mitgebracht habe; wie gut allerdings auch, daß ich die Austeilung für den morgigen Tag aufgespart habe – von der Schokolade wäre nach vier Stunden bei über dreißig Grad Außentemperatur nur noch Fondue übrig geblieben, vermute ich. Zu fortgeschrittener Stunde bat mich dann ein neuer Kollege, ihm beim Abfassen einer französischen Mail behilflich zu sein – ausgerechnet mich! Herr Stubenzweig vermutet zwar freundlicherweise, ich spreche inzwischen nicht mehr Französisch wie une vache espagnole, aber das ist eindeutig zuviel der Ehre. Immerhin konnte ich mit praktischen Tips aufwarten: für Geschäfts-Mails empfiehlt es sich, einfach Phrasen aus der Korrespondenz muttersprachlicher Kollege zu übernehmen, und ist man bei bestimmten Formulierungen unsicher, kann man beide Versionen googlen: jene mit mehr Treffern ist im Zweifel die richtige. Das meinte meine Universität wohl, als sie sich die Vermittlung von Transferwissen auf die Fahnen schrieb. Davon hätte ich gestern noch mehr brauchen können, um allen Überraschungen gewachsen zu sein.
Unser erster Gesprächspartner, Abteilungsleiter eines Unternehmens, saß in einem schäbigen Büro, war technisch allerdings auf dem neuesten Stand der Dinge. Während der Putz von den Wänden bröckelt, die Türen fast aus dem Rahmen fallen und die Möbel eine so eklektische Mischung sind, wie in deutschen Studentenzimmern, zu denen sämtliche Großtanten und Onkeln jeweils ein Stück beigetragen haben, ließ die technische Ausstattung nichts zu wünschen: auf dem Schreibtisch standen Laptop, Druck und Scanner. Die Ordnerbeschriftung hingegen hätte einem Wirtschaftsprüfer die Tränen in die Augen getrieben. Am beeindruckendsten war jedoch die Ansammlung kommunikativer Spielzeuge: zwei Blackberries und drei Handies. Das wiederum hätte vermutlich jeden geltungssüchtigen Wirtschaftsprüfer vor Neid erblassen lassen.
Der nächste Termin führte uns in den sagenhaft scheußlichen Besprechungsraum eines Ministeriums. Der Raum wurde dominiert von einem ovalen Tisch, der an jedem Sitzplatz ein metall-ausgekleidetes Loch enthielt. Fast hätte ich das für Aschenbecher halten können, hätte an der Wand neben dem allgegenwärtigem Foto des geschätzten Staatsoberhaupts nicht ein monströses Fumer interdit Poster geprangt. Der besonders formhäßliche Sessel am Kopfende des Tisches blieb symbolisch frei für den abwesenden Monsieur le Ministre, die Teilnehmer saßen sich an den Längsseiten in zwei nicht nur bildlichen Fronten gegenüber. Die Bürostühle knarrten so laut bei jeder Bewegung, daß ich vom Gespräch noch weniger verstand, als ohnehin der Fall gewesen wäre, darüber hinaus stand mir nur die rechte Armlehne zur Verfügung. Die Stühle wiesen zwar gewissermaßen doppelte Armlehnen auf – über der ersten waren auf metallenen Halterungen jeweils schmalere zweite Armlehen angebracht –, diese obere Armlehne löste sich jedoch an meinem Stuhl schon als ich mich setzen wollte, und ich konnte sie nur in letzter Sekunde auffangen und den sicherlich laut scheppernden Aufprall auf dem Fußboden verhindern. Danach verbrachte ich den größten Teil des Meetings damit, mich nicht auf die linke Armlehne zu stützen, hatte allerdings Gelegenheit, die Hinterlassenschaften früherer Meetingteilnehmer in der unteren Etage des Tisches (Dokumentenablage) zu begutachten. Neben verknüllten Taschentüchern und Kaugummipapier hatte sich offenbar einer meiner Vorgänge auf diesem schönen Platz die Zeit damit vertrieben, seine Handykarte aufzuladen – davon zeugten die Vodacom Rubbellose.
Erst Mittags kamen wir zum ersten Mal ins Büro, gerade noch rechzeitig, um mich vor dem sicheren Verdursten zu retten (Meetings ohne Getränke – hat man so was schon mal gehört? Ist das der Entwicklungsland-Faktor?), ich war kein bißchen schlauer bezüglich meiner konkreten Aufgaben jenseits der Funktion dekorativen Beiwerks und das Mittagessen fiel dem nächsten Meeting zum Opfer. Danach war der Kollege so erschlagen, daß er im Auto besinnungslos in sich zusammensackte, offenbar ist er auch als Brite großer Anhänger des amerikanischen Power Nap. Immerhin freuten sich alle Kollegen, Fahrer und sonstigen dienstbaren Geister ungemein, mich wiederzusehen, was mein Herz wahrhaftig erwärmt hat. Wie gut, daß ich auf Anraten des schönen Franzosen (der übrigens nächste Woche wiederkommt, laut Plan) Gummibärchen und deutsche Schokoladen mitgebracht habe; wie gut allerdings auch, daß ich die Austeilung für den morgigen Tag aufgespart habe – von der Schokolade wäre nach vier Stunden bei über dreißig Grad Außentemperatur nur noch Fondue übrig geblieben, vermute ich. Zu fortgeschrittener Stunde bat mich dann ein neuer Kollege, ihm beim Abfassen einer französischen Mail behilflich zu sein – ausgerechnet mich! Herr Stubenzweig vermutet zwar freundlicherweise, ich spreche inzwischen nicht mehr Französisch wie une vache espagnole, aber das ist eindeutig zuviel der Ehre. Immerhin konnte ich mit praktischen Tips aufwarten: für Geschäfts-Mails empfiehlt es sich, einfach Phrasen aus der Korrespondenz muttersprachlicher Kollege zu übernehmen, und ist man bei bestimmten Formulierungen unsicher, kann man beide Versionen googlen: jene mit mehr Treffern ist im Zweifel die richtige. Das meinte meine Universität wohl, als sie sich die Vermittlung von Transferwissen auf die Fahnen schrieb. Davon hätte ich gestern noch mehr brauchen können, um allen Überraschungen gewachsen zu sein.
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