Donnerstag, 15. April 2010
Franzosendinner
Gestern Abend mit zwei Kollegen Essen gewesen. Oder besser: gekocht. Nämlich mit dem schönen Franzosen, den gibt es natürlich immer noch, schön wie eh und je. Er und ein anderer Kollege (wir drei sind ein eingespieltes Dinner-Team, bisher aber immer auswärts) haben offenbar nachmittags ausführlich diskutiert, was man für mich kochen würde und sich zielsicher für das einzige von mir gehaßte Gemüse: Salatgurke entschieden. Aber der gute Wille zählt, und diesen Fall hätte auch Kant ganz sicher anerkannt, zumal ich mit Risotto und Merguez danach durchaus einverstanden war. Und es schmeckte tatsächlich gar nicht schlecht, zumal verglichen mit meinen Kochbemühungen vor einigen Monaten (auch wenn die natürlich durch meine klammen Finanzen eingeschränkt waren).
Ich habe also als guter Gast einen Abstecher zu Kinshasas zweiter (und erster richtiger) Eisdiele gemacht N'Ice Cream, die dort abhängende Jeunesse Dorée bewundert, zehn Dollar für einen wirklich sehr, sehr kleinen Halbliterkasten ausgegeben und war franzosenpünktlich um kurz nach acht vor der Tür (er ist immer zu spät und mit Eiscreme in Händen wollte ich nicht warten).
Der schöne Franzose wohnt in einem sehr großen, sehr neuen, sehr feudalen Appartement Haus, wo die Mieten deutlich höher als das deutsche Durchschnittseinkommen sind. Dafür ist die Wohnung von der Art, daß man alles drumherum vergessen kann. Wenn man möchte. Die Anlage hat einen eigenen Fitneßraum, ein Schwimmbecken mit Terrasse, eine Poolbar. Die Wohnung hat eine Küche, wie ich sie hier noch nicht gesehen habe, alles neu, alles sauber, alles funktioniert. Mit Eiswürfelautomat. Überraschend geschmackvoll eingerichtet, dunkles Holz für die Eßzimmermöbel, helleres Korbgeflecht fürs Wohnzimmer, durchaus liebevoll dekoriert. Blumen. Zwei Bücher. (Ähem.) Die aber kein Schund.
Überhaupt war es ein netter Abend, wir haben uns wie immer wunderbar unterhalten, auch wenn wir in manchen Punkten völlig unterschiedlicher Meinung sind. Ich würde nie und nimmer in einer Seifenblasenwohnung wie seiner wohnen. Er würde nie und nimmer in einer Bruchbude wohnen, nur der Aussicht halber. Ich finde Economy Class zu fliegen völlig in Ordnung. Er steigt unter Business Class nicht mal in den Flughafenzubringer. Ich finde Rolex scheußlich. Er hat mindestens zwei.
Am nettesten aber war: Du fehlst uns hier. Wir müssen wirklich sehen, wie wir Dich dauerhaft herbekommen. Das wäre schön, denn auch wenn ich heute Vorhänge für meine Schweizer Wohnung in Auftrag gegeben habe, wird mir das Abenteuer fehlen.

Permalink (7 Kommentare)   Kommentieren





Montag, 12. April 2010
Das Elend dieser Welt
Früh morgens. Heute.



Wenn ich in meinem Hotelzimmer am Fenster stehe, schaue ich auf die Straßen vor dem Hotelportal. Gegenüber ist ein anderes, aber sehr schäbiges Hotel, in dem selbst die ärmste NGO ihre internationalen Mitarbeiter nicht unterzubringen wagen würde. Daneben ein heruntergekommenes Gebäude mit Appartements und kleinen Büros, unten einige Läden, gegenüber die Hauptfiliale eines Telekom-Anbieters. Tagsüber tobt in der Straße das pralle Leben. Vor dem Hotel stehen einige Wachkräfte und rufen gelegentlich die vielen kleinen Straßenhändler zur Ordnung. John, mein treuer Telefonkartenversorger, ein anderer bietet Geldwechsel, daneben Zigarettenverkäufer und Landkartenverkäufer und die an touristischen Orten unausweichlichen Anbieter von Tim und Struppi Bildern. Der Verkehr fließt unaufhaltsam, dauernd halten schöne Autos vor dem Portal und entlassen ihre Insassen in die glänzende, saubere Lobby, bevor die Fahrer sich auf den Parkplatz um die Ecke zurückziehen. Gegenüber auf der anderen Straßenseite weitere Verkäufer, gelegentlich passieren fliegende Händler die Straße, verkaufen billige Sandwiches und allerlei Krempel an die vor Ort auf der Straße stationierten Händler und Chauffeure. Dazwischen Frauen in ihren farbenfrohen Kleidern, die vom Schnitt immer wie europäisches Abendkleider aussehen, bettelnde Kinder und aller menschliches Strandgut, das irgendwie auf Ausbeute hofft angesichts der reichen Hotelklientel.

Sonntags nachts hingegen ist die Straße wie leergefegt. In der Ferne blinken einige Lichter am Mont Ngaliema, dem Edelviertel, unter mir leuchtet die Hotelreklame, ansonsten ist die Nacht hier dunkler als irgendwo in Europa. Die kleinen Läden gegenüber sind verrammelt, die Fenster im Appartementhaus fast alle dunkel. In der Gosse liegt Unrat, dadrüber thronen zwei Männer auf der Bürgersteigkante und unterhalten sich. Hinter ihnen sitzt eine junge, knappe gekleidete Frau auf einem Plastikstuhl und wartet – ich weiß nicht, worauf. In einer Nische vor einem der geschlossenen Läden liegt ein Mann. Er trägt eine dunkle Hose und ein helles Hemd, hat Pappen untergelegt. Ich kann im Abglanz der Hotelbeleuchtung nicht viel erkennen, aber er liegt wie ein Kind zusammengekauert in der Nische und schläft. Ohne daß ich es sehe, weiß ich, daß auf der anderen Straßenseite, auf der anderen Seite des Hotels weitere Menschen in den Nischen der Hotelmauern liegen, ich habe sie neulich beim heimkommen gesehen. Flüchtig, während mein Auto vorfuhr, habe ich den Anblick wohl wahrgenommen, aber über der Verabschiedung von den Kollegen und dem Treppensteigen zu meinem Zimmer, und der Planung des kommenden Tages den Eindruck schnell beiseite gewischt.
Jetzt aber stehe ich an meinem Fenster, hinter mir ein blitzend sauberes Bad und nicht minder sauberes Bett. Zwei mal zwei Meter, viel zu groß für mich alleine, zwei Kissen, eine riesige Bettdecke. Der dunkelrote Überwurf passt zu den dunkelroten Vorhängen und überhaupt ist alles recht hübsch. Neben mir, unter mir, über mir, weitere Zimmer von derselben Art, viele Betten und sicherlich manche davon leer. Gegenüber aber liegt der Mann und um die Ecke liegen Kinder auf der Straße. Kein Zuhause, kein Dach über dem Kopf, vermutlich höchstens eine Mahlzeit am Tag. Keine Bildung, kein Beruf, keine Zukunft. In einem Land, in dem man bei der Hochzeit noch Mitgift zahlen muß, vermutlich auch niemals Heirat und niemals Familie. Werden sie krank, wird sie kein Arzt behandeln. Werden sie alt, wird sich niemand kümmern. Werden sie sterben, bekommen sie ein Armengrab – falls es hier sowas gibt.

So gerne ich dem Gedanken ausweichen würde, ich kann nicht umhin, mich nach der Sinnhaftigkeit dessen zu fragen, was ich hier tue. Trägt meine Arbeit irgendwie dazu bei, diesem Mann zu helfen? Vermutlich nicht. Ich frage mich, ob ich irgend etwas anders machen könnte in meinem Leben, aber mir fällt nichts ein. Jetzt hinunter zu gehen und ihm hundert Dollar zu geben, würde wenig helfen. Könnte ich ihm eine Ausbildung bezahlen? Sagen wir mal, drei Jahre à 100 USD Lebenshaltungskosten im Monat, also 3.600 Dollar plus sechs mal 500 USD für Ausbildungskosten, macht insgesamt 6.600 Dollar insgesamt. Ich könnte also, vermutlich. Aber würde es was bringen? Und würde er das Geld nicht möglicherweise ganz anders anwenden? Würde er dann, mit Ausbildung, tatsächlich eine Stelle finden in diesem Land, wo ohne Kontakte und Beziehungen selbst der beste Universitätsabsolvent keine Chancen hat? Es ist leicht, festzustellen, sich selbst zu trösten, daß nichts, was ich persönlich ausrichten könnte mit meinen beschränkten Mitteln, mehr als ein Mini-Tropfen auf einem kochend-heißen Stein wäre und es daher von vorneherein sinnlos ist. Daß ich immerhin nicht meinen Hintern in einer Beratunsgesellschaft plattsitze und mein Geld damit verdiene, anderen den Job wegzurationalisieren. Obwohl mir das in jenem Moment lieber wäre, denn dann wäre ich nicht mit diesem Bild konfrontiert. Ich stehe immer noch am Fenster, länger als sonst, wenn die Zigarette schon aus ist. In so einem Moment kommt mir mein Leben sinnlos vor. Ich möchte nach Hause, ich möchte das nicht sehen, ich möchte dieses Bild nicht mein Leben lang mit mir herumtragen und wissen: es gibt Milliarden von Menschen, denen es auch an meinem Todestag, viele Jahre von heute, noch so elend gehen wird wie diesem Mann, gegenüber, in seiner Nische.
Ein Teil von mir möchte in solchen Momenten auf mehr verzichten. Weniger Gehalt, weniger Hotel, weniger Auto – damit mehr Geld bleibt, solchen Menschen zu helfen. Gleichzeitig habe ich Angst. Ich möchte nicht in fünfzig Jahren auf Hartz 4 angewiesen sein, ich möchte Rücklagen bilden, ich möchte ein angenehmes Leben haben, einkaufen, gut essen, in Konzerte gehen. Ich möchte nicht den letzten Pfennig meines Einkommens für gute Werke opfern, sondern auch Spaß an meinem eigenen Leben haben, aber wie kann ich das tun, wenn andere Menschen hungern? Zu Hunderttausenden? Wie kann ich, nachdem ich das gesehen habe, mich in meine weichen Federn kuscheln und vom nächsten Abenteuer träumen, während um mich herum 10 Millionen schlafen, für dieses Land kein Abenteuer ist, sondern bittere Realität?

Permalink (20 Kommentare)   Kommentieren





Sonntag, 11. April 2010
Déja Vu: Kinshasa Leben
Nach einer Woche voller Arbeit, Kollegen und Hotel hatte ich gestern endlich wieder ein Häppchen vom eigentlichen Kinshasa-Kuchen. Da die liebe C. nach über einem Jahr hier ihren Abschied von diesem wunderbaren Land feiert, war ich sicher, massenhaft alte Freunde zu treffen, und habe mich gleich vorher noch mit einer Freundin und deren Freunden zum Abendessen verabredet. Auf dem Weg dorthin hatte ich mit unserem Fahrer eine lustige Diskussion: ich stellte ihm frei, ob er Sonntag arbeiten wolle oder nicht. Für den Kollegen und mich war das relativ gleich, unsere Arbeiten lassen sich zumindest für einen Tag im Hotel genauso gut erledigen wie im Büro – eine Fahrt zum Büro hingegen und Abendessen auswärts wären auch nicht schlecht gewesen. Ich habe dem Fahrer also die Lage erklärt und gefragt, ob er arbeiten möchte oder nicht. Verlegenes Lachen: das sei doch meine Entscheidung. Ich erklärte erneut, uns sei es egal, ich wolle nun seine Meinung hören. Es ging endlos hin und her, ich habe nachgehakt, ob der Arbeitstag für ihn mehr Bezahlung bedeute oder nicht, er erkundigte sich schüchtern, wie lange wir denn gegebenenfalls würden arbeiten wollen, dann wieder verlegenes Lachen und keine richtige Antwort. Irgendwann hatte ich zunehmend das Gefühl, daß ein Tag se reposer ihm ganz recht wäre und habe ihm für heute freigegeben.
Im Restaurant La Piscine war das piscine kläglich leer, in dem Becken voller Sprünge und abgeplatzter Farbe stand nur noch ein dreckiger Tümpel Brackwasser, aber das Essen war prima und die Gesellschaft tröstete ohnehin über alles hinweg. Eine Kanadierin, zwei Britinnen (davon eine Halbspanierin), eine Französin, ein Amerikaner und ich. Anders ausgedrückt: ein Hahn im Korb (der Amerikaner) und fünf Damen. Der Ami und ich waren neu in der Runde (wobei ich immerhin meine Freundin I. und die Französin schon kannte), die anderen hingegen alte Freunde. Trotzdem – und das macht den Charme des Soziallebens hier an guten Tagen aus – wurden der Ami und ich sofort und völlig unkompliziert in die Runde integriert. Als ich kam, war meine Freundin I. noch nicht da und ich schlenderte unsicher in Richtung des einzigen besetzten Tisches und wurde, noch bevor ich fragen konnte, ob sie eventuell die Freunde von I. seien, angesprochen: ich sei bestimmt die Damenwahl, ach wie schön! Sieht man davon ab, daß der Ami – nur auf Dienstreise und zum ersten Mal hier – mit den Gegebenheiten von Kinshasa naturgemäß weniger vertraut war als wir, wurde keinen einzigen Moment über Themen gesprochen, bei denen nicht jeder hätte folgen können. So oft, wenn man zu einer etablierten Clique stößt, wird über gemeinsame Freunde, die letzte Party und allerlei Interna geplaudert und der Neuankömmling sitzt daneben und schweigt – nicht jedoch hier.

Auch auf der anschließenden Party kamen wir sechs immer wieder in kleinen Gruppen zusammen, ich hatte Gelegenheit, mit der Kanadierin länger über ein spannendes Thema zu reden und als sie gegen eins aufbrechen wollte und ich vorsichtig, ganz vorsichtig nach einer Mitfahrgelegenheit fragte: aber selbstverständlich könne sie mich heimbringen. Gar kein Problem (obwohl der Boulevard so weiträumig gesperrt ist und das ein echter Umweg war) und auch im Auto haben wir uns noch wunderbar verstanden und ruckzuck verabredet, daß wir uns unbedingt noch einmal vor meiner Abreise sehen müssen, vielleicht nächsten Sonntag.

Es sind solche Abende, an denen plötzlich das wunderbare Gefühl der sechs Monate im Vorjahr wieder da ist, die Freude, so unverhofft auf Gleichgesinnte zu treffen und mit wildfremden Menschen einen Abend zu verbringen, der schöner nicht hätte sein können. Sieht man vom traurigen Anlaß einer Abschiesparty ab.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren