Dienstag, 8. Februar 2011
Geteilte Persönlichkeit
Offiziell habe ich seit letzter Woche einen neuen Job (Teilzeit), aber de facto bin ich in Vollzeit Revolution Watcher. Ich gucke Twitter, AJE, Twitpic, verfolge Freunde auf Facebook. Und wäre gern dabei.

Jetzt, wo den Journalisten der westlichen Qualitätsmedien langweilig wird und sie nach Hause fliegen (keine Zeitung will sich auf Dauer 200 Euro pro Nacht im Nile Hilton leisten, kann man verstehen), noch mehr als letzte Woche. Jeden Morgen öffne ich mit Bangen AJE, und hoffe, dass die Proteste nicht einschlafen. Denn wenn das passiert und es hier niemanden mehr interessiert, dann Gnade den Demonstranten, die in mehr als einer Hinsicht dokumentiert sind (namentlich, bildlich) und einer korrupten, folternden, autokratischen Regierung vollständig ausgeliefert.

Ich wünschte, ich wäre eine richtige Journalistin, dann hätte ich einen Auftrag und sässe schon längst im Flugzeug. Aber leider, leider, ich bin nur eine amateurhafte Bloggerin und so sitze ich hinter meinem Schreibtisch und schiebe Papiere hin und her. Physisch anwesend, aber in Gedanken bei den Demonstranten.

[Rolle vorwärts, Rolle rückwärts: nach einem Wechselbad von Gefühlen und endlosen Gesprächen mit Eltern (Du spinnst!) Freunden (tu's!), noch mehr Freunden (du könntest...) - kann ich nicht. Mein Gefühl sagt mir, daß es Verrückte geben muß, die von solchen Orten berichten und die Ägypter jede Stimme gebrauchen könnten, sogar meine unbedeutende Wenigkeit. Mein Verstand sagt mir, daß meine Berichte auch ein Forum brauchen und die Rückendeckung durch einen Auftrag unerläßlich ist, um solche Risiken mit einem guten Gewissen eingehen zu können. Es mag sich abstrus anhören, aber die Risiken betreffen nicht nur mich, sondern auch meine Familie und schlimmstenfalls die Öffentlichkeit - sollte das AA mich aus mißlichen Situationen heraushauen müssen. Mit einem Auftrag wäre das zu rechtfertigen. Wie die Dinge liegen, wäre ich in der Retrospektive nur eine unbedarfte, leichtsinnige Frauensperson mit Katastrophenambitionen - und das möchte ich nicht sein. ]

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Mittwoch, 2. Februar 2011
Erinnerungen
Eigentlich muß man Goldman Sachs Banker nicht mögen, immerhin waren die ganz bestimmt mitschuld an der Finanzkrise. Andererseits muß ich gestehen, daß gerade die drei Exemplare in meinem weiteren Bekanntenkreis außerordentliche Persönlichkeiten sind. Solche, die neben ihrem Job noch ein Studium in Informatik lernen, weil sie Computer so gerne mögen. Oder Arabisch lernen – nicht, um jemals mit Arabern Geschäfte zu machen (viel zu riskant!), sondern aus Neugier an Kultur und Sprache. Einfach so.
Finanzkrise hin oder her, soviel Wissbegier ist mir immer sympathisch, sogar wenn sie einen teuren Anzug trägt und sonst in einem Londoner Büro hockt. Ganz besonders sympathisch ist mir das Interesse an arabischen Ländern, das ich zufällig teile. Mein erster Ausflug nach Nordafrika nach dem Studium war noch ein Zufall, es sollte nur außerhalb von Europa sein. Beim ersten passenden Angebot habe ich zugegriffen, und habe mich zum Entsetzen meiner Familie drei Monate nach Marokko verabschiedet. Ich freundete mich mit Kakerlaken in der Büroküche an, knabberte zum ersten Mal frittieren Fisch direkt von den Gräten runter, ging regelmäßig Sonntags ins Hammam, schnappte ein paar Wörter auf, machte sonderbare und außergewöhnliche Bekanntschaften und war danach angefixt.

Trotzdem vergingen zwei Jahre, bis ich der Abenteuerlust das nächste Mal nachgeben konnte. Das erste Mal in meinem Leben brach ich auf, ohne am anderen Ende der Reise von jemandem erwartet zu werden – abgesehen vom Taxifahrer des Hostels meiner Wahl. Nicht jeder mag es entspannend finden, vier Wochen lang mit fremden Schriftzeichen zu kämpfen und vergeblich den Unterschied zwischen zwei verschiedenen h's und t's hören zu wollen, aber das war der beste Urlaub meines Lebens. Morgens weckten mich die Glocken der koptischen Kirche gegenüber, tagsüber lernte ich eine faszinierende Sprache, und abends saß ich mit den jungen Ägyptern von der Rezeption auf dem Dach, rauchte Shisha, und sprach über Gott und die Welt. Ich linste neugierig um die Ecke, wenn sie ihre Gebetsteppiche ausrollten und zog mich dann schnell diskret zurück. Wurde aufs freundlichste unterstützt, als mein Rechner sich verabschiedete. Bekam vom Eigentümer aus der Hand mein Schicksal geweissagt und erkundete am Wochenende die Souks und Moscheen.
Innerhalb kürzester Zeit war ich bevorzugter Gast, nach kurzer Abwesenheit bekam ich das schönste Zimmer, Vermittlung in tausendundeins Angelegenheiten und Unternehmungen, und hatte ernsthaft das Gefühl, Freundschaften geschlossen zu haben.

In dem Maße, in dem die Taxifahrer mir keine Mondpreise mehr abverlangten, und der Verkäufer im Kiosk zwischen Talaat Harb und dem Midan Tahrir schon wußte, was ich kaufen würde, fühlte ich mich auf sonderbare Art zu Hause in einer unüberschaubaren Millionenmetropole. Ich wohnte in Downtown, saß jeden Tag zwei Mal mindestens dreißig Minuten im Taxi für wenige Kilometer Strecke, der Dreck, der Lärm, das Gehupe, die Pfiffe, die Baggerversuche, das Gewühl – Kairo überfordert und ist sagenhaft anstrengend, so daß man nach drei Wochen eine Pause herbeisehnt, aber trotz allem wunderbar.

Einen Abend verbrachte ich mit Freunden aus der Sprachschule auf einem der Partyboote, die von den Kais am Ostufers ablegen, und bei lauter arabischer Musik unter schaukelnden, bunten Lampions ein Stück flußabwärts fahren und wieder zurück. Das Boot liegt so lange an der Pier, bis wirklich alle Sitzplätze rund um die Reling besetzt sind und keine Maus mehr dazwischen passt.

Mädchen in langen Röcken, modischen Kopftüchern und mit glitzernden Täschchen und dezentem Make-up herausgeputzt, junge Männer in sorgsam gebügelten Hemden mit spitzen Schuhen, möglicherweise Plastik aber tiptop geputzt, und dazwischen wir drei Sprachschüler, verstohlen beäugt von der urbanen Jugend. Solange das Boot noch vertäut ist, sitzen alle brav, plaudern halblaut, aber sobald das Ufer sich entfernt, geht es rund. Die Musik wird lauter bis einem die Ohren klingeln, zuerst stehen die Mädchen auf, streifen die Schuhe ab und lassen die Hüften im Bauchtanz kreisen. Die jungen Männer sitzen drumrum, rauchen, schnippen die Kippen in den Nil. Stehen irgendwann auch auf, tanzen mit auf der schaukelnden Tanzfläche und vereinzelt passt nun zwischen die Tanzenden keine Maus mehr dazwischen. Viel Bauchtanz – nicht ohne Reize – aber auch viel Stil, wie man ihn auch in jeder europäischen Disko sehen könnte. Für eine völlig surreale Stunde hat man das Gefühl, an einem anderen Ort zu sein. Bis das Boot umkehrt, das Land wieder in Sicht kommt – und die Welt wieder in den Normalzustand zurückfindet.

Dieser Abend war wie alles in Kairo: herausfordernd und anstrengend in seiner Andersartigkeit, aber auch eine grandiose Erfahrung. In einem großen Land, das zu Recht stolz auf eine große Vergangenheit ist. Und hoffentlich eine große Zukunft haben wird.

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Dienstag, 1. Februar 2011
Haben will
Erst mit Mitte Zwanzig habe ich begriffen, was für ein kapitales Ereignis der Mauerfall war - 1989 war ich zu klein und die Geschehnisse weit weg. Dieser sehr umstrittene Journalist hat offenbar mal gesagt, beim nächsten Mauerfall wolle er dabei sein. Der Gedanke hätte von mir sein können - es käme mir allerdings vermessen vor, so etwas laut zu sagen. Oder zu tun, was er tut.

Was zum Teufel soll ich mit meinen fünf Worten Arabisch in Kairo? Die wenigen Bekannten von vor zwei Jahren sind vermutlich längst weg oder nicht mehr auffindbar. Ich müßte wahnsinnig sein, das zu machen. Als Frau. Ohne Versicherung. Den Job hier liegen lassen. Total meschugge. Aber wenn ich anderer Leute Berichte lese, packt mich die Sehnsucht und ich frage mich, ob ich es mein Leben lang bereuen werde, nicht dagewesen zu sein, in dieser Zeit.

(Edit: Es gibt noch Flüge. Es gäbe auch eine Versicherung. Mein Handy kann kein Internet, aber mein Rechner hat ja UMTS. Das Visum bekommt man am Flughafen und es kostet immer noch 15 EUR. Vielleicht würde sogar meine alte Handykarte noch funktionieren. Na gut, das vermutlich eher nicht. Aber mein Hostel gibt es noch, gleich um die Ecke vom Midan Tahrir. Ich könnte Assim morgen anrufen und fragen. Könnte, würde, sollte, möchte.)

(Edit, 3.2. Ich hätte jetzt ein Hotel. Haha. Steht im Moment leider nicht zur Debatte, aber gut zu wissen.)

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