Finanzkrisen sind schwarze Schwäne
Ich bin im Moment in der luxuriösen Situation, von Berufs wegen den ganzen Tag anspruchsvolle Blogs zur Krise lesen zu dürfen, und lerne dabei mancherlei nützliches und überflüssiges Zeug. Für nützliches Wissen empfehle ich den Economist oder andere eingschlägige Medien, aber die unterhaltsamen Aspekte will ich niemandem vorenthalten.
In Deutschland werden Wirtschaftsprüfer ja auch etwas abfällig „Häkchenmacher“ genannt, weil sie die ersten Jahre der Berufspraxis regelmäßig damit verbringen, Zahlenkolonnen zu kontrollieren – sagt das Gerücht. Der Berufsstand scheint auch in den USA einen zweifelhaften Ruf zu genießen, denn hier heißt es offenbar „sharp pencilholders“. So gelesen bei nakedcapitalism.com. Die USA planen nämlich, die notleidenden Banken erst mal einer Reihe von Streß-Tests zu unterziehen, bevor staatliche Geldgeschenke verteilt werden und hat laut NY Times auch schon die ersten Geschwader an Prüfern auf die ohnehin schon gebeutelten Banken losgelassen. Ich kann den Kommentatoren da leider nur zustimmen, 100 Prüfer in einer größeren Bank für ein paar Wochen sind ein schöner Ansatz, aber auch nicht viel mehr. Mein liebster Kommentar ist dieser hier von alexblack: „In my fantasy, the 100 federal banking regulators descending upon Ci*ti are actually a larger version of "Ocean's Eleven". Ci*ti is giggling as they hide all their toxic assets from these "bureaucratic rubes", as the "regulators" are actually stuffing everything they can find that has value into duffel bags and disappearing into the night.” Ich habe schon von Prüfern gehört, die sich im Winter immer zu den Mandanten mit der besten Keksauswahl haben versetzen lassen… .

Das Wort Finanzkrise ist auch gar nicht mehr angesagt, es gibt eine viel schönere Wortkreation dafür: „Black Swan“. In der deutschen Wiki*pedia hat es noch nicht für einen eigenständigen Artikel gereicht, wohl aber in der englischen Fassung. Der – ehemalige – Börsenhändler N.N. Ta*leb mißtraute nämlich schon vor Jahren mathemtischen und statistischen Modellen zur Risikomessung (schon wieder eine Gemeinsamkeit zwischen geistigen Größen und mir) und diagnostizierte schon 2007 massive Risiken für amerikanische Immobilienfinanzierer.
Bis in 17. Jahrhundert hinein glaubte die Welt nämlich, es gebe keine schwarzen Schwäne – bis selbige in Australien entdeckt wurden. In Anlehnung an die früher für unumstößlich gehaltene Wahrheit, es gebe keine schwarzen Schwäne und deren Falsifizierung bezeichnet Ta*leb völlig überraschende und unerwartete Ereignisse von historischer Bedeutung und Konsequenz als „black swan events“. Daß der Mensch im Nachhinein dann doch versucht, sie als vorhersehbar oder erwartbar zu klassifizieren, ist sozusagen konstituierendes Merkmal solcher Ereignisse. Paßt wunderbar zur aktuellen Situation und ist so viel schöner als das nüchterne „Finanzkrise“ oder „Credit Crunch“ (da muß ich sowieso immer an Müsli denken und bekomme Hunger).
Meiner Bucherwerbsliste habe ich jedenfalls heute einen neuen Titel hinzugefügt.

P.S. Weitere Schimpfwörter für finanz-affine Berufe? Ich bitte um Kommentare!

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