Klinkenputzen
Mit kaum neunzehn Jahren, die Eltern in der Sommerfrische und unabkömmlich, zog ich das erste Mal aus, mir ein eigenes Heim zu suchen. Wieviel ich ausgeben dürfe, hatte ich gefragt. 400 DM, war die Antwort – die Ambition meines Ziels, innerhalb eines Tages ein passendes Zimmer für diesen Preis zu finden, wurde mir im Laufe des Tages schnell klar. Am Ende wurde es eines jeder typischen Studentenwohnheimzimmer. Die Dusche nur ein abgesenkter Fliesenboden, das Bett ein Bettsofa, draußen fuhren die Züge so dicht am Fenster vorbei, daß ich sie hätte streicheln können, aber das Limit meiner Eltern war eingehalten.

Nach Jahren in mehr oder minder hübschen Wohnungen und mehr oder minder angenehmen Wohngemeinschaften werde ich endlich die Kisten wieder auspacken, die ich vor vier Jahren gepackt habe und die seither unangerührt in verschiedenen Kellern auf mich warten. Meine Bücher und meine Bilderrahmen, mein Geschirr und meine Fotoalben, den kitschigen Swarowski-Delphin (ein Geschenk), meine Wassergläser aus Marokko und die Bettwäsche aus Großtantes Aussteuerdamast. Allerdings werden all meine schönen Habseligkeiten voraussichtlich in eine Bleibe auf dem Standard meiner ersten Studentenjahre einziehen. Nach Inflation dann für eher 400 Euro als 400 DM. Ich war also auf der Suche nach einem Dach über dem Lotterbett zum Lesen für mich und dem Schreibtisch für mein virtuelles Wohnzimmer, und das war gar nicht einfach. Bei Mietpreisen wie in der Frankfurter City habe ich mich rasch von der Vorstellung verabschiedet, mehr als dreißig Quadratmeter anzustreben. Ich wollte: einen Balkon oder eine separate Küche (für den gesellschaftsverträglichen Konsum meines liebsten Lasters). Holz oder Laminat. Zentrale Lage. Maximal 700 CHF. Und bitte: irgendwas mit Charme, Persönlichkeit, Kuschelfaktor.
Die erste Wohnung war teuer und düster. Wenn schon Souterrain und getäfelte Decken, kann man die nicht wenigstens weißen? Der Reiz der Terrasse nach draußen wurde gemindert durch die übervollen Biotonnen gleich nebendran. Die zweite hatte die Größe eines Schuhkartons (für Sandalen, nicht für Stiefel), Küchenzeile mittendrin und auch die Option, den alten Kleiderschrank im Waschkeller nebenan mitnutzen zu dürfen für eigene Kleidung, machte dieses Angebot nicht attraktiver. Die nächste Wohnung, äußerst zentral gelegen gleich über dem innerstädtischen Waffen- und Militarialaden und mit Fenster zur Hauptstraße, begeisterte mich gleichermaßen wenig, auch wenn der dort residierende junge Mann mit seinen sonderbaren Ohrringen und engen Lederhosen eine interessante Bekanntschaft war. Der nächste Termin, für den ich extra um 18 Uhr abends noch mal den Berg hinabgeklettert war (und folglich später wieder hinaufklettern mußte) tauchte nicht auf – die Lage inmitten etlicher Geschäfte des multikulturellen Einzelhandels und allerlei fragwürdiger Lokalitäten schien aber ohnehin nicht wünschenswert, so daß ich nur mäßig enttäuscht war.
Beim nächsten Termin waren die Fotos im Internet durchaus vielversprechend, ein verwinkeltes Zimmerchen mit halb Balkon halb verglastem Wintergarten in idealer Lage, leider tauchte hier die Schlüsselinhaberin nicht auf. Beim Folgetermin stellte ich fest: die Fotos gehörten zu einer anderen Wohnung im selben Haus. Wie frech kann man als Makler eigentlich sein? Immerhin habe ich dafür ein Waschbecken gesehen, das man aufgrund der Platzbegrenzung zwischen über-der-Badewanne und über-der-Toilette an einer Schiene bewegen kann. Äußerst praktisch, das.
Dann gab es noch die Dame, die über Tage am Telefon nicht erreichbar war, und am Sonntag Abend um 17h00, als ich endlich Erfolg hatte, zu brüllen anhub: „SIE! An einem Sonntag! Was erlauben Sie sich..., das ist ja...“ Sie lesen richtig, ich wurde am Telefon wie ein Schulmädel runtergeputzt. Ich nehme an, nach meiner Beschwerde beim Makler wird ihr jemand etwas über korrektes Verhalten während der Nachmietersuche und Nichterreichbarkeit beibringen, ich für mein Teil werde nie wieder Schweizer am Sonntag anrufen, nicht einmal in äußerster Not. Ich verspreche es.

Das einzige nicht ganz und gar schreckliche Objekt bisher war die Wohnung in einem Riesenblock aus den 60er Jahren, sehr gepflegt mit den gleichen kleinen schwarzen Klingelschildchen, Briefkastenschildchen und putzigen – ebenfalls identischen – bunten Teppichen vor allen Türen, im 9. Obergeschoß im Beinahe-Penthouse. Das insofern, als der Balkon über die Länge des Zimmers nach oben offen war, wunderbar hell, freundlich, sonnig. Ansonsten leider eher funktional und unpersönlich, aber auf halbwegs durchdachte Weise mit Einbauschränken und dergleichen praktischen Details. Nach Abarbeitung meiner letzte Woche erstellten Liste sah ich mich bereits die nächsten drei Jahre in einem vernünftigen Kompromiß-Schuhkarton zwischen schwedischen Standardmöbeln sitzen, die Traumwohnung, die einen beim ersten Blick vereinnahmt und sagt „nimm mich, ich bin perfekt trotz aller Makel“ war nicht dabei. Bis heute. Das schmalbrüstige, zu beiden Seiten von größeren Bauten eingequetschte Fachwerkhäuschen war ein Geheimtipp von Freunden, unter der Hand - was mal wieder bestätigt, daß die schönen Objekte eben nicht im Internet zu finden sind. Eine schauerlich schiefe, schmale Treppe ins Obergeschoß, eine geradezu ausufernd üppige Küchenzeile mit einer kleinen Theke und zwei Barhockern, die mich an die typischen Provinz-Pizzerien meiner Kindheit im siebziger Jahre Stil erinnerten. Außerdem Parkett und freiliegende Trägerbalken. Kein Balkon, kein Trockenkeller, die Küche im Raum, keine lange Fensterfront, sondern Butzenscheiben – aber: die ist es. Das wußte ich eigentlich sofort oder jedenfalls nach fünf Minuten, aber sicherheitshalber und aus Verantwortungsbewußtsein habe ich um eine Nacht Bedenkzeit gebeten. Ich ahne, daß ich mit zu großen Möbeln und zu wenig Platz kämpfen werde, nichts wird passen, ich werde fluchen, wenn meine Blusen das Bad wie ein orientalisches Zelt zuhängen werden, während ich eine Küche dieser Dimension nie nutzen werde, und dennoch: ich weiß, daß ich mich dort Zuhause fühlen werde und das ist das Wichtigste. Mission erfüllt.

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jean stubenzweig, Donnerstag, 11. März 2010, 03:12
Was die internette Wohnungssuche betrifft, da muß ich widersprechen. Ich habe sowohl meine wirklich schöne südliche Behausung hoch oben auf dem belle vue des mer méditerranée als auch mein schnuckeliges ländliches Bürokathedrälchen nahe mer Baltique, ebenso den Hamburger Ruhepol übers weltweite Netz gefunden. Und in beiden Fällen war keine Maklerprivision fällig, was mir besonders in einer französischen Großstadt als eine Rarität erschien; jeweils inserierten die Besitzer persönlich und gebührenfrei. Allerdings liegen bis auf Hamburg die Fälle bald zehn Jahre zurück. Möglicherweise hat sich mittlerweile auch hier das Blenden bis Betrügen verbreitert. Und Zürich, meine Güte, das war bereits in den Siebzigern ein heißer Tanzboden. Ich hab's mal versucht und habe aufgegeben. Denn in die Zürcher Banlieu wollte ich nicht ziehen für eine temporäre Behausung, dazu war ich zu sehr Städter. Dafür hat's mich dann später zwischenzeitlich in die bernerische verschlagen. Und das, ich sag's Ihnen, das muß man schon sehr mögen ...

damenwahl, Donnerstag, 11. März 2010, 08:24
Ja, als ich die vielen Maklerannoncen sah, wurde mir ganz graus zumute, die ersten Mieten, der Umzug, neue Möbel plus Kaution plus Provision - das ist ein großer Brocken für gewesene Beinahe-Hartz4-Empfänger. Dann aber lernte ich: die Maklerprovision zahlt hier der Vermieter. Sehr praktisch, wenn auch letztendlich irrelevant.

mmmb, Donnerstag, 11. März 2010, 23:27
Das ist in Sydney auch so. Auf den ersten Blick wirkt das vorteilhaft, aber letztlich finanziert der Vermieter den Makler auch wieder über eine entsprechend angepasste Miete.

damenwahl, Freitag, 12. März 2010, 21:55
Hmpf, das hatte ich so nicht bedacht, aber Sie haben vermutlich Recht. Immerhin, die jetzige Wohnung ist ohne Makler, also betrifft es mich nicht mehr.
Sydney... . So weit weg. Ich möchte auch wieder weit weg.

nnier, Donnerstag, 11. März 2010, 09:57
Ich gratuliere. Umso mehr, als ich Ihnen schon zurufen wollte: Nehmen Sie das Vernunftspenthouse! Aber wenn sich nun doch Fachwerk und Butzenscheiben anbieten, freiligende Balken obendrein, dann freut mich das wirklich sehr für Sie. (Und bauen Sie das orientalische Zelt doch einfach in der Küche auf - erst kürzlich erzählte mir jemand, wie seine gestrickten, langen Wollunterhosen den Winter über zum Trocknen stets über dem Herd hingen.)

damenwahl, Donnerstag, 11. März 2010, 19:39
Ja, so in etwa wird das auch bei mir werden, fürchte ich. Aber das ist es wert. Jedem seine Prioritäten, meine jedenfalls stellen Eigenwilligkeit vor Funktionalität.