Tag am Meer
[Sonntag - urlaubsmäßig unsortiert] Ich fühle mich, als hätte ich einen Tag Urlaub am Meer verbracht. Mit den Kollegen, die aktuell auf Dienstreise hier sind, werde ich nicht recht warm, der Mitbewohner ist auf Konferenz in Europa und alle anderen Bekanntschaften in Kinshasa hatten schon eigene Pläne, also habe ich das Wochenende – von einem siebenstündigen Abstecher, haha, ins Büro am Samstag abgesehen – zu Hause verbracht. Ich habe anständig gekocht, Wodka-Tonic und Weißwein getrunken, meine Einkäufe erledigt (neunzig US-Dollar für Müsli und Milch, eine Flasche Wein, Schokolade, und allerlei Kleinigkeiten) und auf der Terrasse gesessen. Stundenlang. Es ist faszinierend, wie sich die Aussicht im Laufe des Tages verändert. Am Samstag Abend ein berauschender Sonnenuntergang, den Sonnenaufgang am Sonntag verpaßt und aufgewacht zu strahlend-heißem Sommertag. Über Brazzaville lag noch ein diesiger Schleier, der sich im Laufe des Tages verzog, die riesige Wasserfläche des Flusses schimmerte freundlich, spiegelte das Sommerblau des Himmels wieder. Dazwischen Wattewölkchen über dem Wasser, graue Regenwolken über der Stadt. Ich habe nachmittags Milchkaffee auf Eis gemacht – Eiswürfel, Espresso und die letzten Reste in der Milchtüte ordentlich geschüttelt, bis die Milch dick und schaumig wurde. Ich möchte lieber nicht darüber nachdenken, was das über die Einhaltung der Kühlkette aussagt, wenn H-Milch die Konsistenz von Sahne annimmt – es war aber gut. Ich könnte auch stundenlang einfach nur auf den Fluß schauen und beobachten, wie sich die Sicht immer wieder um Nuancen verändert und ich neue Details entdecken kann, habe allerdings die Gelegenheit genutzt und die Bibliothek meines Mitbewohners geplündert. Ein einziger trauriger Regalmeter, aber immer noch besser als meine zehn Bücher und eine nette Auswahl. Im Schneidersitz vor seinem Regal kauernd, habe ich alle interessanten Titel in meinen Tagesplaner geschrieben (Kaufen nach der Rückkehr nach Deutschland), einen Schmöker, der mir das Geld zum dauerhaften Erwerb nicht wert wäre, aber dem Tag zusätzliches Urlaubsflair verlieh, habe ich gelesen. Zwischendurch habe ich den Geckos zugeschaut, die über die Terrasse huschen, geschäftig hin und her, und plötzlich an der Hauswand hinunter verschwinden. Wenn ich mich bewege bleiben sie völlig erstarrt stehen, nach einigen Sekunden bewegt sich der Kopf ein paar Mal auf und ab, dann flitzen sie weiter. Es gibt kleine graubraune Geckos und größere – ungefähr so lang wie mein Unterarm – in blau mit orangenem Kopf. Gegen fünf kam Sturm auf, heftige Windböen mit ganz viel Staub – so in etwa stelle ich mir einen Sandsturm vor. Danach sehen die Straßen aus wie bei Pulverschnee und Sturm zu Hause im Winter: überall loser Sand, von Reifenspuren durchschnitten. Später zogen graue Wolkenberge langsam vom Hinterland über den Kongo nach Kinshasa, als wäre der Fluß eine Straße, und breiteten eine Decke über die Stadt und der Fluß changierte zu bedrohlichem, düsterem graublau. Über Brazzaville ein schmaler heller Streifen rosa Sonnenuntergang, hält sich tapfer gegen den Einbruch der Dunkelheit, während er langsam schwächer und dunkler wird. Ich kann mich gar nicht mehr auf meine Lektüre konzentrieren sondern schaue immer wieder um die Ecke, staunend und fasziniert.
Um sechs Uhr abends ist der Himmel über Brazza graublau, überm Fluß wird er dunkler und kleine Regenwölkchen schimmern von unten grau-rosa im Sonnenuntergang. Über Kinshasa hingegen leuchtet der Himmel ungefähr dort, wo die Sonne sein sollte, organgelb, die Wolken sind regenschwer und behäbig und hängen dicht über Stadt, mit Ausnahme einer kleinen watteweißen Kuschelwolke, die sich scheinbar verirrt hat. Es donnert schon seit einer Weile und fängt an zu blitzen, während über die Stadt in den Ausläufern von orange-gelb Staubwolken den Horizont braun färben. Zum Flughafen hin ist es schon nacht. Wenn ich aus dem Windschatten der Terrasse heraustrete, riecht es intensiv nach Regen, die Blätter unserer Topfpflanzen rascheln aufgeregt im Wind und die Lichter der Stadt glitzern immer intensiver am Horizont. Zehn Minuten später ist es völlig finster, die Stadt ist ein Lichtermeer und doch nicht, verglichen mit anderen Metropolen. Die Lichter sind so wenige und so dünn, daß der Himmel dunkel bleibt, während anderswo die Wolkendecke von unten leuchten würde. Hier hingegen bekommt Wetterleuchten eine neue Bedeutung. Einzelne Blitze sind man nicht, aber der ganze Himmel strahlte immer wieder auf, als hätte jemand eine Discokugel aufgehängt. Ich fasse nicht, wie schön dieses Land ist und wie aufregend. Meine Worte sind so völlig unzureichend, um dieses Naturschauspiel zu beschreiben, Fotos – hat die Erfahrung gezeigt – helfen auch nicht weiter. Ich wünschte, jemand würde diesen Eindruck mit mir teilen, weil es so überwältigend und großartig ist, die ganze Vielfalt eines Wetterjahres in Deutschland an einem einzigen Himmel in einem einzigen Moment.
Um sechs Uhr abends ist der Himmel über Brazza graublau, überm Fluß wird er dunkler und kleine Regenwölkchen schimmern von unten grau-rosa im Sonnenuntergang. Über Kinshasa hingegen leuchtet der Himmel ungefähr dort, wo die Sonne sein sollte, organgelb, die Wolken sind regenschwer und behäbig und hängen dicht über Stadt, mit Ausnahme einer kleinen watteweißen Kuschelwolke, die sich scheinbar verirrt hat. Es donnert schon seit einer Weile und fängt an zu blitzen, während über die Stadt in den Ausläufern von orange-gelb Staubwolken den Horizont braun färben. Zum Flughafen hin ist es schon nacht. Wenn ich aus dem Windschatten der Terrasse heraustrete, riecht es intensiv nach Regen, die Blätter unserer Topfpflanzen rascheln aufgeregt im Wind und die Lichter der Stadt glitzern immer intensiver am Horizont. Zehn Minuten später ist es völlig finster, die Stadt ist ein Lichtermeer und doch nicht, verglichen mit anderen Metropolen. Die Lichter sind so wenige und so dünn, daß der Himmel dunkel bleibt, während anderswo die Wolkendecke von unten leuchten würde. Hier hingegen bekommt Wetterleuchten eine neue Bedeutung. Einzelne Blitze sind man nicht, aber der ganze Himmel strahlte immer wieder auf, als hätte jemand eine Discokugel aufgehängt. Ich fasse nicht, wie schön dieses Land ist und wie aufregend. Meine Worte sind so völlig unzureichend, um dieses Naturschauspiel zu beschreiben, Fotos – hat die Erfahrung gezeigt – helfen auch nicht weiter. Ich wünschte, jemand würde diesen Eindruck mit mir teilen, weil es so überwältigend und großartig ist, die ganze Vielfalt eines Wetterjahres in Deutschland an einem einzigen Himmel in einem einzigen Moment.
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Wieder da.
Wurde heute von einem Belgier für eine Belgierin gehalten. Nehme das als Kompliment für mein Französisch, gebe allerdings zu: ich habe nur drei Sätze gesagt, den Rest des Gesprächs führte ein Kollege. Auch Belgier, übrigens. Ich mag Belgier. Franzosen aber auch.
Ich merke gerade, daß man mich vermisst hat - ich bin richtig gerührt. Vielen Dank für die Sorge, das Interesse... ich bin in keinem Topf gelandet, sondern hatte nur einen Anfall von Paranoia, da mein Chef mir dauernd über die Schulter schaute. Ich hoffe einfach, daß er nicht mitliest und ich mir alles nur eingebildet habe.
Wurde heute von einem Belgier für eine Belgierin gehalten. Nehme das als Kompliment für mein Französisch, gebe allerdings zu: ich habe nur drei Sätze gesagt, den Rest des Gesprächs führte ein Kollege. Auch Belgier, übrigens. Ich mag Belgier. Franzosen aber auch.
Ich merke gerade, daß man mich vermisst hat - ich bin richtig gerührt. Vielen Dank für die Sorge, das Interesse... ich bin in keinem Topf gelandet, sondern hatte nur einen Anfall von Paranoia, da mein Chef mir dauernd über die Schulter schaute. Ich hoffe einfach, daß er nicht mitliest und ich mir alles nur eingebildet habe.
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Caf'conc
Gestern war ich feudal essen. Meine ehemalige Vorgesetzte ist heute morgen wieder abgereist, ein weiterer – ebenfalls französischer – Kollege macht sich selbständig und hatte daher ebenfalls Anlaß zum feiern, mit von der Partie außerdem ein gemeinsamer kongolesischer Freund. In der Gesellschaft zweier Franzosen konnte es ja nur ein großartiges Essen werden, im teuersten Restaurant der Stadt. Von außen eher schäbig und im Umbau begriffen, wurde man drinnen von der gediegensten und unprätentiösesten Restaurant-Atmosphäre umfangen, die ich bisher in Kinshasa erlebt habe. Klassisch gedeckte Tische, schlichte Stühle, Weinflaschen dekorativ in Glasvitrinen und in Paneelen eingelassenen Holzregalen, sonst keine weitere Dekoration. Im Gegensatz zu den meisten Restaurants hier (oft draußen), die deutlich vermitteln, man befinde sich vor allem der Gesellschaft und der Nahrungsaufnahme wegen dort, verkündete der ganze Raum im Caf'conc: hier wird gespeist, nicht gegessen, wir sind nicht zum Spaß hier, sondern für ernsthaften kulinarischen Genuß. Wir nahmen Platz in einer Ecke mit Sofas und gepolsterten Hockern, gleichzeitig mit den Hors d’oevre vom Haus kam der Champagner. Mittags um eins. Ich tauschte mein Häppchen mit Creme gegen ein zweites Sushi-Stück mit dem lieben F. – nachdem ich mit herzerweichender Demonstrativität verkündet hatte, dies sei mein erstes Sushi seit fünf Monaten.
Die Speisekarten wurden gereicht und hätte meine Kollegin nicht vorab verkündet, sie lade uns alle ein, ich hätte einen fürchterlichen Schreck bekommen. Vorspeisen um zwanzig Dollar, Hauptgerichte um vierzig Dollar – im Mittel, wohlgemerkt –, Desserts elf bis dreizehn Dollar. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich noch zwei Mal überlegt, ob ein Hauptgericht für mehr als zehn Euro ohne jeden besonderen Anlaß wirklich notwendig ist (und es im Zweifelsfall gelassen). Jetzt nickte ich zustimmend, als F. kommentierte, die Desserts seien verhältnismäßig günstig. Waren sie ja auch, verglichen mit den Hauptgerichten. Stoischer Gleichmut hilft nicht nur im Umgang mit Kakerlaken und Stromausfällen, sondern auch im Angesicht der Speiskarten hier und ihren Preisen. Wäre ich nicht eingeladen gewesen, ich hätte mich dennoch nicht anders verhalten. Am Ende nahmen alle auf Drängen der Gastgeberin ein dreigängiges Menü für ungefähr siebzig Dollar Paketpreis, wir zogen um an den Tisch, jemand suchte Wein aus. Nach einem weiteren Sushi-Teilchen vom Haus kam die Vorspeise und meine Kombination beinhaltete Froschschenkel gegrillt, Shrimps in Estragon-Champignon-Sauce und eine Jakobsmuschel in Zitronen-Dill-Sauce. Sehr fein. Während die Kollegen Fisch – den hier unvermeidlichen Capitaine - auf Linsen bekamen, hatte ich Kalbsfilet und Rinderfilet an zweierlei Saucen. Daneben ein kleines Türmchen wunderbares Gratin Dauphinois und – eine Sensation – Gemüse in Knoblauchbutter geschwenkt. Unbedingt nachkochen, wenn ich wieder zu Hause bin. Beim Dessert sah ich voller Vorfreude der kleinen Schokoldatentarte entgegen, die in der Dreier-Variation angekündigt wurde, am besten war allerdings ein Türmchen aus Cognac-getränkter Ananas, Karamellplättchen und Vanillecreme. Die Käsevariation der Kollegin sah ebenfalls delikat aus: Crêpe mit Gorgonzola gefüllt, Ziegenkäse auf Salatblatt und ein Stück Hartkäse mit Obst. Die Dessertpralinen vom Haus ließen wir für die Kollegen im Büro einpacken. Von der Unterhaltung bei Tisch bekam ich nur die Hälfte mit, zuschnell zuviel Französisch, aber ich war ja auch mit Essen beschäftigt.
Am bemerkenswertesten fand ich jedoch, daß ich überhaupt dabei sein durfte. Ich habe mit meiner ex-Chefin zwei Wochen zusammengelebt in ihrem Haus, wir haben viel unternommen im Juli und August, aber uns kaum jemals über Privates unterhalten. Ich weiß nichts über ihre Familie, ihre Träume, ob es ihr in dem neuen Job gefällt oder nicht. In den zwei Wochen, die sie jetzt auf Dienstreise hier war, habe ich wenig von ihr gesehen und war entsprechend erfreut, als sie Mittagessen mit Freunden vorschlug. Für mich hätte es allerdings auch ein Sandwich in der Patisserie Nouvelle getan. Wenn ich mich erinnere, wie nachdrücklich sie sich dafür eingesetzt hat, daß ich überhaupt im Juli hier anfangen konnte (und wieviel Zeit sie in Kämpfen mit dem bürokratischen Monster unseres Arbeitgebers um meinetwillen verbracht haben muß), wie sehr sie mir geholfen hat, damit ich bleiben kann bis Dezember, wie sie sich jetzt bemüht, mir fürs nächste Jahr eine neue Aufgabe zu finden, bin ich überwältigt von so viel unbedingter Freundlichkeit, die sie mich doch kaum kennt. Keine Ahnung, womit ich das verdient habe. Gar nicht zu reden davon, daß sie mich in den ersten drei gemeinsamen Wochen hier perfekt in die internationale Expat-Gemeinschaft eingeführt hat und außerdem wiederholt bei gemeinsamen Abendessen Rechnungen zu meinen Gunsten abgerundet hat – zu Lasten ihres persönlichen Einkommens.
Ich erlebe immer wieder Situationen, in denen ich überrascht bin, wie wenig Menschen bereit sind etwas zu tun, um anderen zu helfen – selbst wenn es sie nichts kostet. Aus Nachlässigkeit, mangelnder Nachdenklichkeit, Egoismus.... ich weiß es nicht. Diese Kollegin hingegen – ebenso wie einige andere Bekannte hier – war so großherzig, bemüht und hilfsbereit, daß ich immer wieder erstaunt bin. In krassem Kontrast dazu war ich letzte Woche einmal mit zwei Kollegen aus Amerika essen. Wir haben alle gleichermaßen anständige Gehälter und inzwischen muß mich niemand mehr aus Mitleid einladen – trotzdem fand ich es bezeichnend, daß ich, die ich mit Abstand das bescheidenste Gericht hatte, auf dem größten Teil der Rechnung sitzenblieb. Ebenso übrigens am vergangenen Wochenende, als ich für die ganze Gesellschaft Chips und Kuchen zum Überbrücken der Wartezeit gekauft hatte. Jene Kollegen, die anboten, die Kosten zu teilen, waren beide in Afrika stationiert, während die amerikanischen Gäste sich nicht einmal bedankten. Wobei es streng genommen mit der Nationalität nichts zu tun haben kann, denn von den „Afrikanern“ ist eine Französin und der andere Amerikaner, während die „Amerikaner“ einen kanadischen, holländischen und türkischen Pass haben. Ich kann nur vermuten, daß es entweder Zufall ist, oder eben doch Menschen, die ganz bewußt ein Leben im Hottentottenland wählen, irgendwie anders ticken und einfach netter und verbindlicher sind. Finden Sie das zu gewagt? Ich habe ja noch ein paar Wochen, meine These zu verifizieren.
Die Speisekarten wurden gereicht und hätte meine Kollegin nicht vorab verkündet, sie lade uns alle ein, ich hätte einen fürchterlichen Schreck bekommen. Vorspeisen um zwanzig Dollar, Hauptgerichte um vierzig Dollar – im Mittel, wohlgemerkt –, Desserts elf bis dreizehn Dollar. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich noch zwei Mal überlegt, ob ein Hauptgericht für mehr als zehn Euro ohne jeden besonderen Anlaß wirklich notwendig ist (und es im Zweifelsfall gelassen). Jetzt nickte ich zustimmend, als F. kommentierte, die Desserts seien verhältnismäßig günstig. Waren sie ja auch, verglichen mit den Hauptgerichten. Stoischer Gleichmut hilft nicht nur im Umgang mit Kakerlaken und Stromausfällen, sondern auch im Angesicht der Speiskarten hier und ihren Preisen. Wäre ich nicht eingeladen gewesen, ich hätte mich dennoch nicht anders verhalten. Am Ende nahmen alle auf Drängen der Gastgeberin ein dreigängiges Menü für ungefähr siebzig Dollar Paketpreis, wir zogen um an den Tisch, jemand suchte Wein aus. Nach einem weiteren Sushi-Teilchen vom Haus kam die Vorspeise und meine Kombination beinhaltete Froschschenkel gegrillt, Shrimps in Estragon-Champignon-Sauce und eine Jakobsmuschel in Zitronen-Dill-Sauce. Sehr fein. Während die Kollegen Fisch – den hier unvermeidlichen Capitaine - auf Linsen bekamen, hatte ich Kalbsfilet und Rinderfilet an zweierlei Saucen. Daneben ein kleines Türmchen wunderbares Gratin Dauphinois und – eine Sensation – Gemüse in Knoblauchbutter geschwenkt. Unbedingt nachkochen, wenn ich wieder zu Hause bin. Beim Dessert sah ich voller Vorfreude der kleinen Schokoldatentarte entgegen, die in der Dreier-Variation angekündigt wurde, am besten war allerdings ein Türmchen aus Cognac-getränkter Ananas, Karamellplättchen und Vanillecreme. Die Käsevariation der Kollegin sah ebenfalls delikat aus: Crêpe mit Gorgonzola gefüllt, Ziegenkäse auf Salatblatt und ein Stück Hartkäse mit Obst. Die Dessertpralinen vom Haus ließen wir für die Kollegen im Büro einpacken. Von der Unterhaltung bei Tisch bekam ich nur die Hälfte mit, zuschnell zuviel Französisch, aber ich war ja auch mit Essen beschäftigt.
Am bemerkenswertesten fand ich jedoch, daß ich überhaupt dabei sein durfte. Ich habe mit meiner ex-Chefin zwei Wochen zusammengelebt in ihrem Haus, wir haben viel unternommen im Juli und August, aber uns kaum jemals über Privates unterhalten. Ich weiß nichts über ihre Familie, ihre Träume, ob es ihr in dem neuen Job gefällt oder nicht. In den zwei Wochen, die sie jetzt auf Dienstreise hier war, habe ich wenig von ihr gesehen und war entsprechend erfreut, als sie Mittagessen mit Freunden vorschlug. Für mich hätte es allerdings auch ein Sandwich in der Patisserie Nouvelle getan. Wenn ich mich erinnere, wie nachdrücklich sie sich dafür eingesetzt hat, daß ich überhaupt im Juli hier anfangen konnte (und wieviel Zeit sie in Kämpfen mit dem bürokratischen Monster unseres Arbeitgebers um meinetwillen verbracht haben muß), wie sehr sie mir geholfen hat, damit ich bleiben kann bis Dezember, wie sie sich jetzt bemüht, mir fürs nächste Jahr eine neue Aufgabe zu finden, bin ich überwältigt von so viel unbedingter Freundlichkeit, die sie mich doch kaum kennt. Keine Ahnung, womit ich das verdient habe. Gar nicht zu reden davon, daß sie mich in den ersten drei gemeinsamen Wochen hier perfekt in die internationale Expat-Gemeinschaft eingeführt hat und außerdem wiederholt bei gemeinsamen Abendessen Rechnungen zu meinen Gunsten abgerundet hat – zu Lasten ihres persönlichen Einkommens.
Ich erlebe immer wieder Situationen, in denen ich überrascht bin, wie wenig Menschen bereit sind etwas zu tun, um anderen zu helfen – selbst wenn es sie nichts kostet. Aus Nachlässigkeit, mangelnder Nachdenklichkeit, Egoismus.... ich weiß es nicht. Diese Kollegin hingegen – ebenso wie einige andere Bekannte hier – war so großherzig, bemüht und hilfsbereit, daß ich immer wieder erstaunt bin. In krassem Kontrast dazu war ich letzte Woche einmal mit zwei Kollegen aus Amerika essen. Wir haben alle gleichermaßen anständige Gehälter und inzwischen muß mich niemand mehr aus Mitleid einladen – trotzdem fand ich es bezeichnend, daß ich, die ich mit Abstand das bescheidenste Gericht hatte, auf dem größten Teil der Rechnung sitzenblieb. Ebenso übrigens am vergangenen Wochenende, als ich für die ganze Gesellschaft Chips und Kuchen zum Überbrücken der Wartezeit gekauft hatte. Jene Kollegen, die anboten, die Kosten zu teilen, waren beide in Afrika stationiert, während die amerikanischen Gäste sich nicht einmal bedankten. Wobei es streng genommen mit der Nationalität nichts zu tun haben kann, denn von den „Afrikanern“ ist eine Französin und der andere Amerikaner, während die „Amerikaner“ einen kanadischen, holländischen und türkischen Pass haben. Ich kann nur vermuten, daß es entweder Zufall ist, oder eben doch Menschen, die ganz bewußt ein Leben im Hottentottenland wählen, irgendwie anders ticken und einfach netter und verbindlicher sind. Finden Sie das zu gewagt? Ich habe ja noch ein paar Wochen, meine These zu verifizieren.
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Patchwork
[Gestern Abend] Alles gut an der Hottentottenfront. Ich sitze mit einem Tonic auf meiner Terrasse, in der Ferne zucken Blitze über Brazzaville, man hört das Gewitter nicht, sonder sieht nur – im Blitzlicht auch die Wolkenberge, denn sonst ist der Himmel pechschwarz. Der ältliche Chef mit Faible für die Tanzfläche ist abgereist und hat mir Berge von Arbeit hinterlassen, die mich fast zur Verzweiflung treiben. Statt des einen langsamen Chefs habe ich jetzt zwei schnelle, kein endloses Warten mehr, dafür Streß und Termindruck. Immerhin ist einer von meiner Arbeit so begeistert, daß er mich tatsächlich auf eine Plantage in der Mitte von Nirgendwo schicken möchte, allerdings stehen zwischen mir und dem Abenteuer meines Lebens Sicherheitsbedenken, Transportschwierigkeiten und die Zustimmung des von uns Auge gefaßten Gastgebers, der noch nichts von seinem Glück weiß.
Kinshasa ist schöner denn je und wer genau hinschaut, versteht, warum es früher Kinshasa La Belle hieß – heute sagt man Kinshasa La Poubelle (Mülleimer). Ich bin jedes Mal fasziniert von neuen Details der Aussicht aufs andere Flußufer. Es ist jetzt unverkennbar Sommer und Platitüden wie die Sonne brennt bekommen eine neue Bedeutung. Um vier Uhr nachmittags habe ich einen Kaffee auf die Terrasse mitgenommen – die zweitbeste Option nach Mittagsschlaf – und fühlte, wie die Sonne auf der Haut tatsächlich prickelte. Ich konnte geradezu spüren, wie ich braun werde, mit jeder Sekunde etwas mehr. Die Sicht ist klarer denn je, ich habe grüne Gipfel im Rücken von Brazzaville entdeckt, die Bäume auf der Insel im Fluß hoben sich gestochen scharf ab, das Wasser spiegelte den blauen Himmel und schimmerte so freundlich. Mit ungefähr elf Jahren, frisch auf dem Gymnasium, beklagte ich mich bei meinen Eltern, daß die Lehrer seit zwei Jahren schon immer schlechter an die Tafel schrieben, aber jetzt im Gymnasium sei es wirklich ganz schlimm geworden, gar nicht mehr so ordentlich wie in der Grundschule. Ich wurde zum Augenarzt spediert, bekam meine erste Brille und ich werde nie vergessen, wie ich in meinem Zimmer stand und voller Verwunderung die einzelnen Blütenblätter im Geranientopf unserer Nachbarn gegenüber anstaunte: eine neue Welt eröffnete sich meinen kurzsichtigen Augen. So ungefähr war es heute auch.
Kinshasa ist schöner denn je und wer genau hinschaut, versteht, warum es früher Kinshasa La Belle hieß – heute sagt man Kinshasa La Poubelle (Mülleimer). Ich bin jedes Mal fasziniert von neuen Details der Aussicht aufs andere Flußufer. Es ist jetzt unverkennbar Sommer und Platitüden wie die Sonne brennt bekommen eine neue Bedeutung. Um vier Uhr nachmittags habe ich einen Kaffee auf die Terrasse mitgenommen – die zweitbeste Option nach Mittagsschlaf – und fühlte, wie die Sonne auf der Haut tatsächlich prickelte. Ich konnte geradezu spüren, wie ich braun werde, mit jeder Sekunde etwas mehr. Die Sicht ist klarer denn je, ich habe grüne Gipfel im Rücken von Brazzaville entdeckt, die Bäume auf der Insel im Fluß hoben sich gestochen scharf ab, das Wasser spiegelte den blauen Himmel und schimmerte so freundlich. Mit ungefähr elf Jahren, frisch auf dem Gymnasium, beklagte ich mich bei meinen Eltern, daß die Lehrer seit zwei Jahren schon immer schlechter an die Tafel schrieben, aber jetzt im Gymnasium sei es wirklich ganz schlimm geworden, gar nicht mehr so ordentlich wie in der Grundschule. Ich wurde zum Augenarzt spediert, bekam meine erste Brille und ich werde nie vergessen, wie ich in meinem Zimmer stand und voller Verwunderung die einzelnen Blütenblätter im Geranientopf unserer Nachbarn gegenüber anstaunte: eine neue Welt eröffnete sich meinen kurzsichtigen Augen. So ungefähr war es heute auch.
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Löwe gefällig?
In diesem Land kann man alles kaufen. Als meine Kollegin vor einigen Wochen versehentlich kurz davor war, ein Leopardenfell zu erwerben, dachten wir noch, das sei illegal und eigentlich gar nicht möglich. Weit gefehlt. Hier ist alles möglich und im Zweifel gibt es auch ein Gesetz, das alles möglich macht.
Leoparden zum Beispiel gelten laut Gesetz von 2006 als teilweise geschützte Art, aber das impliziert lediglich etwas höhere Steuern. Fürs Einfangen bezahlt man eine Steuer von 129.380 FC (=152 USD), für die Schlachtung 107.820 FC (=126 USD) und die dauerhafte Haltung ist zum Schnäppchenpreis von 87.280 FC (= 102 USD) zu haben. Deutlich teurer kommen völlig geschützte Arten, die man zwar nicht schlachten darf, wohl aber fangen und halten. Für den Fang von Elephanten, Gorillas oder Schimpansen sind (trotz des Größenunterschieds) jeweils 646.910 FC (=761 USD) fällig, für Okapis* muß man immerhin 1.078.180 FC (=1.268 USD) FC auf den Tisch legen. Rhinozeroshörner sind übrigens zum Kilogrammpreis zu haben.
Zuzüglich der Jagdlizenz und der Tourismuslizenz, versteht sich, zuzüglich der Steuer für den Jagdführer und der Aufenthaltslizenz. Zuzüglich der Exportsteuer. Wenn man nun davon absieht, daß ich bei allen Ballsportarten schon immer völlig unbegabt war und vermutlich mit Bällen in Gewehren genausowenig treffen würde wie mit Fußbällen ein Tor, kann ich anbieten: zum Schnäppchenpreis von ungefähr zweitausend Dollar (überschlagsweise, plus Transport und Unterbringung) bringe ich Ihnen ein Löwenfell mit.
Falls Sie sich eher für Kleinvieh oder Vögel interessieren, empfehle ich Lektüre des des Gesetzestextes - aktuell ist ein Dollar ungefähr 850 Franc Congolais wert.
Vielleicht, allerdings, habe ich das auch alles falsch verstanden. Ich hoffe einfach, daß mein Französisch noch schlechter ist als ich jemals dachte, und es sich ganz anders verhält.
*Okapis sind optisch eine Kreuzung aus Zebra und Giraffe, leben nur im Kongo, sind so scheu, daß sie kaum jemals gesichtet werden und daher kann man nur vermuten, daß sie vom Aussterben bedroht sind.
Leoparden zum Beispiel gelten laut Gesetz von 2006 als teilweise geschützte Art, aber das impliziert lediglich etwas höhere Steuern. Fürs Einfangen bezahlt man eine Steuer von 129.380 FC (=152 USD), für die Schlachtung 107.820 FC (=126 USD) und die dauerhafte Haltung ist zum Schnäppchenpreis von 87.280 FC (= 102 USD) zu haben. Deutlich teurer kommen völlig geschützte Arten, die man zwar nicht schlachten darf, wohl aber fangen und halten. Für den Fang von Elephanten, Gorillas oder Schimpansen sind (trotz des Größenunterschieds) jeweils 646.910 FC (=761 USD) fällig, für Okapis* muß man immerhin 1.078.180 FC (=1.268 USD) FC auf den Tisch legen. Rhinozeroshörner sind übrigens zum Kilogrammpreis zu haben.
Zuzüglich der Jagdlizenz und der Tourismuslizenz, versteht sich, zuzüglich der Steuer für den Jagdführer und der Aufenthaltslizenz. Zuzüglich der Exportsteuer. Wenn man nun davon absieht, daß ich bei allen Ballsportarten schon immer völlig unbegabt war und vermutlich mit Bällen in Gewehren genausowenig treffen würde wie mit Fußbällen ein Tor, kann ich anbieten: zum Schnäppchenpreis von ungefähr zweitausend Dollar (überschlagsweise, plus Transport und Unterbringung) bringe ich Ihnen ein Löwenfell mit.
Falls Sie sich eher für Kleinvieh oder Vögel interessieren, empfehle ich Lektüre des des Gesetzestextes - aktuell ist ein Dollar ungefähr 850 Franc Congolais wert.
Vielleicht, allerdings, habe ich das auch alles falsch verstanden. Ich hoffe einfach, daß mein Französisch noch schlechter ist als ich jemals dachte, und es sich ganz anders verhält.
*Okapis sind optisch eine Kreuzung aus Zebra und Giraffe, leben nur im Kongo, sind so scheu, daß sie kaum jemals gesichtet werden und daher kann man nur vermuten, daß sie vom Aussterben bedroht sind.
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Urlaub und Arbeit
Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, dieses Wochenende wenigstens einen Tag überhaupt nicht zu arbeiten. Die Vorfreude war leider verfrüht. Für Sonntag hatten Kollegen vorgeschlagen, zum Mittagessen flußaufwärts aus der Stadt rauszufahren – ähnliche Strecke wie voriges Wochenende – und dort die wunderbare Aussicht auf den Fluß zu genießen. Dummes Schaf, das ich bin, fragt ich am Vorabend, ob man irgendwas mitbringen müsse – ich dachte an Handtücher, Badeanzüge – nein, nichts dergleichen, aber das Essen dauere oft lange und wo ich doch so bequem dem Supermarkt gegenüber wohne könne ich vielleicht... Konnte ich natürlich. Zwei Tüten Chips, eine Packung Madeleines und ein paar Weintrauben für zwanzig Dollar. Frohen Mutes sah ich der Autofahrt entgegen, fand mich allerdings ganz unerwartet in Gesellschaft meines Chefs und einer Kollegin auf Dienstreise wieder, die sich begeistert die ganze Zeit über die Arbeit unterhielten und immer wieder Fragen an mich hatten zu einem Thema, mit dem ich mich ausgewiesenermaßen am besten auskannte. Statt also aus dem Fenster zu schauen, Fotos zu machen und vor mich hinzuträumen fühlte ich mich verpflichtet, interessiert dem Gespräch auf der Rückbank zu folgen, zu Lasten meines Nackens. Voriges Wochenende hatte ich die Strecke in einer bescheidenen Limousine zurückgelegt, die bei starkem Lenkradeinschlag jämmerlich quietschte und knarrte – allerdings ohne Probleme. Dieses Mal hatten wir zwei dicke Geländewagen, aber nach wenigen Kilometern den ersten Platten. Zehn Minuten Pause am Straßenrand, während die Fahrer den Reifen wechselten, dann ging es weiter. Ich bemühte mich redlich, interessiert halb nach hinten gewandt zuzuhören und trotzdem noch aus dem Fenster zu schauen und sichtete unter anderem einen meterhoch beladenen Lastwagen, auf dessen Dach mehrere Ziegen standen, abfahrbereit. Außer mir niemandem aufgefallen. Auch die großartigen Aussichten auf den Fluß hätten meine beiden Mitfahrer ohne meine Aufmerksamkeit verpaßt, so vertieft waren sie in ihr Fachgespräch. Vor Ort die üblichen strohgedeckten Hütten, rasch wurde der Tisch für uns eingedeckt und wir richteten uns gemütlich ein. Ein paar Baumstammboote mit Fischern, ein Baumstammboot mit bunten Plastikstühlen für Ausflügler und ansonsten die Aussicht auf den anderen Kongo am gegenüberliegenden Flußufer. Daß es sich um ein Grenzgebiet handelt, konnte keinem der Gäste entgehen, denn noch vor den Kellnern und der Speisekarte wurde man von einem Mitarbeiter der Direction Générale de Migration abgefangen. Meine Kollegin – in flagranti mit der Kamera in der Hand – lernte, daß man hier im Grenzgebiet eigentlich keine Fotos machen dürfe, strategische Bedeutung! Schmuggler! Illegale Migranten!* Nun sehe er aber ein, setzte uns der Polizist in seiner schäbigen Uniform auseinander, daß wir zur Erholung hier seien und natürlich wolle man den geschätzten Gästen nicht das Ablichten der wunderbaren Landschaft verwehren, daher dürften wir ausnahmsweise doch Fotos machen. Allerdings würde er sich sehr freuen, wenn diese seine Großzügigkeit später angemessen honoriert würde. Wir haben gut gegessen, die Sonne genossen, einigen Badenden beim planschen zugeschaut – uns selbst zog es allerdings nicht ins reichlich brackige Wasser. Beinahe hätte es sich wie ein halber Tag Urlaub angefühlt, hätten die lieben Kollegen nicht so angeregt fast durchgängig über die Arbeit und die anstehenden Projekte diskutiert. Kaum waren wir um drei wieder aufgebrochen, ereilte uns das Schicksal erneut, ein zweiter Platten. Diesmal gab es keinen passenden Ersatzreifen mehr und so wartete die Hälfte der Gruppe neben dem Auto – der Chef mit meinem Schal auf der Glatze, gegen die brennende Sonne – während der eine Chauffeur den anderen Chauffeur im nächsten Dorf absetzte, auf daß er sich dort alleine den Heimtransport mitsamt kaputtem Auto organisiere. Die Rückfahrt zog sich in drangvoller Enge mit sechs Passagieren plus verbliebenem Chauffeur endlos hin, die Klimaanlage kämpfte gegen Überlastung, ich kämpfte gegen eingeschlafene Beine auf dem Mittelplatz der Rückbank und die Kollegen diskutierten mit ungebrochenem Elan die Feinheiten irgendwelcher Projekte. Urlaub ist nun wirklich anders.
* Wobei man sich fragen kann, wie groß die Motivation der Bürger eines reichen Ölstaates sein kann, freiwillig den bettelarmen Nachbarn zu besuchen.
* Wobei man sich fragen kann, wie groß die Motivation der Bürger eines reichen Ölstaates sein kann, freiwillig den bettelarmen Nachbarn zu besuchen.
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Congo special edition
Draußen regnet es in Strömen. Kein tropischer Starkregen, aber doch genug, um das Leben auf den Straßen jenseits der Geländewagen weitgehend zum Erliegen zu bringen. Die Menschen sammeln sich unter den wenigen Ständen mit Sonnenschirm und in Hauseingängen, im Cercle Elais bleiben die Sonnenliegen leer und auf der Baustelle gegenüber starren die Arbeiter müßig aus dem Rohbau nach draußen und versuchen nicht einmal mehr, beschäftigt auszusehen. Gerade noch rechtzeitig war ich eben schwimmen und danach schnell im Supermarkt. Auf dem Parkplatz sammelte mich einer der Wächter mit einem riesigen Sonnenschirm ein und geleitete mich bis zum Vordach, während ich über schlierige Pfützen hinwegstieg. Das Wetter paßt zu meiner erschöpften Stimmung und den Kollegen dürfte es nach einer endlosen, hektischen Woche ähnlich gehen. Davon abgesehen wäre am gestrigen weniger Alkohol gut gewesen, mehr Schlaf auch.
Der Höhepunkt der Woche war eine Veranstaltung mit etlichen bedeutenden Ehrengästen und vielen Präsentationen von der Art, bei der sich die 5% der Redner so rasend gerne selbst reden hören, daß sie keinerlei Rücksicht darauf nehmen, daß die übrigen 95 % der zuhörenden Teilnehmer tödlich gelangweilt sind.
Wie immer ging es morgens schon verspätet los. Ich wollte eigentlich vormittags zur Eröffnung gar nicht hingehen, änderte allerdings meine Planung, als der schöne Franzose um halb zehn seinen Aufbruch verkündete. Wir kamen um zehn Uhr an, europäisch pünktlich zum ersten Vortrag nach den für neun Uhr angesetzten Reden der Begrüßungs-Redner – die Veranstaltung hatte jedoch noch nicht einmal begonnen. Die Kollegen verteilten noch Namensschilder und Begrüßungsmappen, während die Teilnehmer in konzentrischen Kreisen um die Kaffeebar herum standen – alles wartete auf die Ehrengäste. Während es normalerweise für eine Veranstaltung sehr schmückend ist, ranghohe Gäste anwesend zu haben, führt dies hier zu unendlichen Problemen. Die Kongolesen sind versessen auf protokollarische und hierarchische Abläufe und lädt man zu viele Ehrengäste ein, verkompliziert sich der Veranstaltungsablauf ungemein aufgrund all ihrer Allüren und Eitelkeiten. Von den fünf oder sechs gleichrangigen Ehrengästen wollte natürlich niemand der erste sein und auf die anderen warten, während unser Chef seine Begleitung für den noch etwas wichtigeren Oberehrengast reservierte – daher also um eine Stunde nach planmäßigem Beginn immer noch aufgelöste Unordnung. Die für solche Veranstaltungen unerläßlichen Fotografen hantierten mit Video- und Fotokameras, lichteten wahllos Teilnehmer ab, während die Techniker mit der Ausrüstung vorne kämpften. Irgendwann defilierten alle bedeutenden Personen gemeinsam herein, zum Schluß der Oberehrengast eskortiert von unserem Chef, wir standen alle auf (das gehört sich hier so, wenn Minister anwesend sind) und dann folgten die unendlich langweiligen Eröffnungsreden. Der Redner war eine Katastrophe, quälte sich stockend von Wort zu Wort, schleuderte dann einige Satzteile hintereinander heraus wie ein stotterndes Maschinengewehr, die Betonungen waren irritierend unpassend – einfach nur schrecklich, ich hatte das Gefühl, er kämpfe gegen die Sprache statt sich ihrer zu bedienen. Falls Sie unsere Politiker im Bundestags auf Phoenix grauenvoll finden, kommen Sie hierher, da tun sich neue Dimensionen von Abgründen auf. Sämtliche Fotografen stürzten bei den ersten Worten nach vorne und gingen vorm Rednertisch auf die Knie, wo sie die gesamten fünfzehn Minuten der Rede verharrten. Aus meiner Perspektive von schräg hinten sahen die Hände auf Gesichtshöhe mit den Kameras aus, als würden sie beten – keine völlig unpassende Assoziation, bedenkt man die Umstände. Erstaunlich gelenkig sprangen sie beim Ende der Rede auf, um keinen Satz des nächsten Redners zu verpassen – ich hätte ja eher erwartet, daß sie nach vorne kippen oder ihnen die Knie wegknicken nach dieser Tortur. Während der schöne Franzose auf der anderen Seite ein Gähnen nur mit Mühe unterdrücken konnte, kam mir ein Termin um elf Uhr zur Hilfe und ich konnte mich guten Gewissens verabschieden. Ähnlich wie bei der deutschen Bahn werden einmal eingefahrene Verspätungen nur selten wieder aufgeholt und als wir uns um eins – zur planmäßigen Mittagspause – bei den Kollegen erkundigten, war die Fragerunde noch lange nicht beendet. Beim Mittagessen wurden fleißig Visitenkarten ausgetauscht, völlig unabhängig davon, ob man die Absicht hat, sich jemals im Leben wiederzutreffen, ich könnte aber jetzt theoretisch einen Angestellten des mittleren Managements der staatlichen Eisenbahn in Lubumbashi anrufen – auf der anderen Seite des Landes, 1.000 km entfernt von mir. Man weiß ja nie. Während der nachmittäglichen Graveyard-Shift hatte ich leider keine guten Ausreden mehr und mußte außerdem fünf endlose Stunden lang auf Französisch Protokolle schreiben. Vor mir faltete einer der Teilnehmer eine durchaus großformatige Zeitung aus und begann zu lesen, teilte diese später großzügig mit seinem Sitznachbarn, alle paar Minuten klingelte irgendein Handy. Neben dem typischen Nokia-Bimmel ist vor allem der Klingelton Destiny unglaublich beliebt – ich kann ihn inzwischen kaum noch ertragen. Es ist gesellschaftlich völlig akzeptiert, für Telefonate kurz vor die Tür zu gehen und viele führen Gespräche in der Konferenz. Dazu kauern sie sich nach vorne zusammen wie im Flugzeug bei der Notwasserung, halten das Handy ganz nahe an den Mund und die Hand davor, was in etwa so aussieht, wie ungezogene Leute, die Zahnstocher bei Tisch benutzen und ihre Mitmenschen mit unerfreulichen Anblicken belästigen. Unerfreulich finde ich auch die Telefonate, denn oft genug hört man in den Rednerpausen Gesprächsfetzen und überhaupt finde ich es unerträglich unhöflich. Aufgrund der Verspätung wurde die Kaffeepause – mein Highlight des Tages – ersatzlos gestrichen, trotzdem zog sich die Veranstaltung bis kurz vor sieben hin und schon um acht waren wir alle bei unserem Chef zur Party zum Empfang eingeladen.
Eine zehnköpfige Band, die stets großzügig bestückte Bar und das wie immer hervorragende Buffet machen diese Veranstaltungen zu einer erträglichen Pflichtübung, leider war ich viel zu müde von der Woche, um mich mit der erforderlichen Verve ins Networking zu stürzen. Nach dem Essen schoben mich meine Kollegen einem unserer Chefs geradezu in die Arme - He’s is XYZ Manager, very important, you should talk to him, der mich wiederum umgehend in den Kreis der Tanzenden zog, wo ich einige Minuten lang orientierungslos herumstolperte, bis er sich einem anderen Kollegen zuwandte und ich den Rückzug antreten konnte. Noch vor dem Essen hatte sich mein ältlicher Teamleiter mit einer für ihre Tanzfreude berüchtigten kongolesischen Kollegin im Paartanz versucht und war nach dem Essen erst recht nicht mehr zu bremsen, während ich mich von einer langweiligen Unterhaltung mit einem unglaublich steifen Madegassen mit Hilfe des Dessertbuffets abzulenken versuchte. Bei der Verteilung diverse Geschenke an ausscheidende Kollege flüsterte ich mit dem neu eingetroffenen verrückten J. in den hinteren Reihen und brachte in Erfahrung, daß die Fortsetzung des Abends in kleiner Gruppe mit meiner ehemaligen Betreuerin im Black and White geplant sei. Dort zu fortgeschrittener Stunde außerdem angetroffen: ein scheidender französischer Kollege Mitte dreißig, mein ehemaliger Oberchef Ende dreißig (den ich zum ersten Mal persönlich getroffen habe), ein belgischer Kollege nahe dem Alter meines Vaters, außerdem ein typischer Ami fortgeschrittenen Alters in Begleitung einer jungen, hübschen – und netten – Kongolesin. Der Ober brachte Caipirinha – in Toilettenpapier eingewickelt! – und viel Cola-Rum. Dabei erhält man ein gut zur Hälfte gefülltes Glas Rum auf Eis und eine Flasche Cola separat, die perfekte Vorlage für strategisches Betrunkenwerden. Das, nachdem ich auf der Party schon mit einer Kollegin gemeinsam die Flasche Martini an der Bar geleert hatte, um meinen Geist von den Blödsinnsreden des Tages freizuspülen. Der verrückte J. wurde allen Erwartungen an absurdes Verhalten gerecht, nachdem wir reihum die Tätowierung unter dem leichten Pullover auf seinem nackten, knochigen Oberkörper inspiziert hatten, stürzte er sich auf die Tanzfläche und knüpfte nahtlos an die Suche nach der Femme de sa vie seines letzten Aufenthalts an, während die Kollegen mir verschwörerisch anvertrauten, vor ihm müsse man sich in Acht nehmen. Nach Mitternacht wechselten wir die Lokalität und fuhren ins Standing, une boîte techno. Erfreulicherweise ist dieses Land auch in Sachen Musik etwas rückständig, was hier als Techno firmiert, wäre in Deutschland Hitparaden Musik, dazwischen auch immer wieder kongolesische Lieder – also entgegen meinen Befürchtungen durchaus erträglich. Während sich die männlichen Kollegen – inklusive dessen, der mein Vater sein könnte – auf die Tanzfläche und die aufreizend gekleideten kongolesischen Damen stürzten und fleißig mit den Hüften wackelten, fragte ich meine ex-Betreuerin, ob ein gewisses Maß an Wahnsinn eigentlich Einstellungsvoraussetzung bei meinem Arbeitgeber sei, woraufhin sie meinte: This is the Congo special edition.
Der Höhepunkt der Woche war eine Veranstaltung mit etlichen bedeutenden Ehrengästen und vielen Präsentationen von der Art, bei der sich die 5% der Redner so rasend gerne selbst reden hören, daß sie keinerlei Rücksicht darauf nehmen, daß die übrigen 95 % der zuhörenden Teilnehmer tödlich gelangweilt sind.
Wie immer ging es morgens schon verspätet los. Ich wollte eigentlich vormittags zur Eröffnung gar nicht hingehen, änderte allerdings meine Planung, als der schöne Franzose um halb zehn seinen Aufbruch verkündete. Wir kamen um zehn Uhr an, europäisch pünktlich zum ersten Vortrag nach den für neun Uhr angesetzten Reden der Begrüßungs-Redner – die Veranstaltung hatte jedoch noch nicht einmal begonnen. Die Kollegen verteilten noch Namensschilder und Begrüßungsmappen, während die Teilnehmer in konzentrischen Kreisen um die Kaffeebar herum standen – alles wartete auf die Ehrengäste. Während es normalerweise für eine Veranstaltung sehr schmückend ist, ranghohe Gäste anwesend zu haben, führt dies hier zu unendlichen Problemen. Die Kongolesen sind versessen auf protokollarische und hierarchische Abläufe und lädt man zu viele Ehrengäste ein, verkompliziert sich der Veranstaltungsablauf ungemein aufgrund all ihrer Allüren und Eitelkeiten. Von den fünf oder sechs gleichrangigen Ehrengästen wollte natürlich niemand der erste sein und auf die anderen warten, während unser Chef seine Begleitung für den noch etwas wichtigeren Oberehrengast reservierte – daher also um eine Stunde nach planmäßigem Beginn immer noch aufgelöste Unordnung. Die für solche Veranstaltungen unerläßlichen Fotografen hantierten mit Video- und Fotokameras, lichteten wahllos Teilnehmer ab, während die Techniker mit der Ausrüstung vorne kämpften. Irgendwann defilierten alle bedeutenden Personen gemeinsam herein, zum Schluß der Oberehrengast eskortiert von unserem Chef, wir standen alle auf (das gehört sich hier so, wenn Minister anwesend sind) und dann folgten die unendlich langweiligen Eröffnungsreden. Der Redner war eine Katastrophe, quälte sich stockend von Wort zu Wort, schleuderte dann einige Satzteile hintereinander heraus wie ein stotterndes Maschinengewehr, die Betonungen waren irritierend unpassend – einfach nur schrecklich, ich hatte das Gefühl, er kämpfe gegen die Sprache statt sich ihrer zu bedienen. Falls Sie unsere Politiker im Bundestags auf Phoenix grauenvoll finden, kommen Sie hierher, da tun sich neue Dimensionen von Abgründen auf. Sämtliche Fotografen stürzten bei den ersten Worten nach vorne und gingen vorm Rednertisch auf die Knie, wo sie die gesamten fünfzehn Minuten der Rede verharrten. Aus meiner Perspektive von schräg hinten sahen die Hände auf Gesichtshöhe mit den Kameras aus, als würden sie beten – keine völlig unpassende Assoziation, bedenkt man die Umstände. Erstaunlich gelenkig sprangen sie beim Ende der Rede auf, um keinen Satz des nächsten Redners zu verpassen – ich hätte ja eher erwartet, daß sie nach vorne kippen oder ihnen die Knie wegknicken nach dieser Tortur. Während der schöne Franzose auf der anderen Seite ein Gähnen nur mit Mühe unterdrücken konnte, kam mir ein Termin um elf Uhr zur Hilfe und ich konnte mich guten Gewissens verabschieden. Ähnlich wie bei der deutschen Bahn werden einmal eingefahrene Verspätungen nur selten wieder aufgeholt und als wir uns um eins – zur planmäßigen Mittagspause – bei den Kollegen erkundigten, war die Fragerunde noch lange nicht beendet. Beim Mittagessen wurden fleißig Visitenkarten ausgetauscht, völlig unabhängig davon, ob man die Absicht hat, sich jemals im Leben wiederzutreffen, ich könnte aber jetzt theoretisch einen Angestellten des mittleren Managements der staatlichen Eisenbahn in Lubumbashi anrufen – auf der anderen Seite des Landes, 1.000 km entfernt von mir. Man weiß ja nie. Während der nachmittäglichen Graveyard-Shift hatte ich leider keine guten Ausreden mehr und mußte außerdem fünf endlose Stunden lang auf Französisch Protokolle schreiben. Vor mir faltete einer der Teilnehmer eine durchaus großformatige Zeitung aus und begann zu lesen, teilte diese später großzügig mit seinem Sitznachbarn, alle paar Minuten klingelte irgendein Handy. Neben dem typischen Nokia-Bimmel ist vor allem der Klingelton Destiny unglaublich beliebt – ich kann ihn inzwischen kaum noch ertragen. Es ist gesellschaftlich völlig akzeptiert, für Telefonate kurz vor die Tür zu gehen und viele führen Gespräche in der Konferenz. Dazu kauern sie sich nach vorne zusammen wie im Flugzeug bei der Notwasserung, halten das Handy ganz nahe an den Mund und die Hand davor, was in etwa so aussieht, wie ungezogene Leute, die Zahnstocher bei Tisch benutzen und ihre Mitmenschen mit unerfreulichen Anblicken belästigen. Unerfreulich finde ich auch die Telefonate, denn oft genug hört man in den Rednerpausen Gesprächsfetzen und überhaupt finde ich es unerträglich unhöflich. Aufgrund der Verspätung wurde die Kaffeepause – mein Highlight des Tages – ersatzlos gestrichen, trotzdem zog sich die Veranstaltung bis kurz vor sieben hin und schon um acht waren wir alle bei unserem Chef
Eine zehnköpfige Band, die stets großzügig bestückte Bar und das wie immer hervorragende Buffet machen diese Veranstaltungen zu einer erträglichen Pflichtübung, leider war ich viel zu müde von der Woche, um mich mit der erforderlichen Verve ins Networking zu stürzen. Nach dem Essen schoben mich meine Kollegen einem unserer Chefs geradezu in die Arme - He’s is XYZ Manager, very important, you should talk to him, der mich wiederum umgehend in den Kreis der Tanzenden zog, wo ich einige Minuten lang orientierungslos herumstolperte, bis er sich einem anderen Kollegen zuwandte und ich den Rückzug antreten konnte. Noch vor dem Essen hatte sich mein ältlicher Teamleiter mit einer für ihre Tanzfreude berüchtigten kongolesischen Kollegin im Paartanz versucht und war nach dem Essen erst recht nicht mehr zu bremsen, während ich mich von einer langweiligen Unterhaltung mit einem unglaublich steifen Madegassen mit Hilfe des Dessertbuffets abzulenken versuchte. Bei der Verteilung diverse Geschenke an ausscheidende Kollege flüsterte ich mit dem neu eingetroffenen verrückten J. in den hinteren Reihen und brachte in Erfahrung, daß die Fortsetzung des Abends in kleiner Gruppe mit meiner ehemaligen Betreuerin im Black and White geplant sei. Dort zu fortgeschrittener Stunde außerdem angetroffen: ein scheidender französischer Kollege Mitte dreißig, mein ehemaliger Oberchef Ende dreißig (den ich zum ersten Mal persönlich getroffen habe), ein belgischer Kollege nahe dem Alter meines Vaters, außerdem ein typischer Ami fortgeschrittenen Alters in Begleitung einer jungen, hübschen – und netten – Kongolesin. Der Ober brachte Caipirinha – in Toilettenpapier eingewickelt! – und viel Cola-Rum. Dabei erhält man ein gut zur Hälfte gefülltes Glas Rum auf Eis und eine Flasche Cola separat, die perfekte Vorlage für strategisches Betrunkenwerden. Das, nachdem ich auf der Party schon mit einer Kollegin gemeinsam die Flasche Martini an der Bar geleert hatte, um meinen Geist von den Blödsinnsreden des Tages freizuspülen. Der verrückte J. wurde allen Erwartungen an absurdes Verhalten gerecht, nachdem wir reihum die Tätowierung unter dem leichten Pullover auf seinem nackten, knochigen Oberkörper inspiziert hatten, stürzte er sich auf die Tanzfläche und knüpfte nahtlos an die Suche nach der Femme de sa vie seines letzten Aufenthalts an, während die Kollegen mir verschwörerisch anvertrauten, vor ihm müsse man sich in Acht nehmen. Nach Mitternacht wechselten wir die Lokalität und fuhren ins Standing, une boîte techno. Erfreulicherweise ist dieses Land auch in Sachen Musik etwas rückständig, was hier als Techno firmiert, wäre in Deutschland Hitparaden Musik, dazwischen auch immer wieder kongolesische Lieder – also entgegen meinen Befürchtungen durchaus erträglich. Während sich die männlichen Kollegen – inklusive dessen, der mein Vater sein könnte – auf die Tanzfläche und die aufreizend gekleideten kongolesischen Damen stürzten und fleißig mit den Hüften wackelten, fragte ich meine ex-Betreuerin, ob ein gewisses Maß an Wahnsinn eigentlich Einstellungsvoraussetzung bei meinem Arbeitgeber sei, woraufhin sie meinte: This is the Congo special edition.
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Babylon
Ich liebe es, in Fremdsprachen zu arbeiten. Am letzten Samstag Abend war ich mit den – vorwiegend ältlichen – Kollegen Abendessen, ein Franzose, ein Belgier, ein Brite und ich und das gesamte Gespräch hindurch wechselten wir von Französisch zu Englisch und wieder zurück, manchmal mitten im Satz. Je pense que c’est vraiment utile de,... il faut considérer, … we should consider to see … . Non, c’est pas comme ca, I have to correct you there…. So ungefähr. Ich liebe es, mehrere Sprachen auf dem Flur zu hören, ich liebe es, mit den Kollegen Französisch oder Englisch zu sprechen, ich liebe die Eigenheiten jeder Sprache. Vor allem die blumigen französischen Floskeln sind mir ein steter Quell der Freude. Hätte ich nicht immer große Sorge um meine vielen Fehler, das Mails schreiben in Französisch wäre ein reiner Spaß.
Madame l’Administrateur Directeur Générale,
merci beaucoup pour prendre le temps de nous recevoir… . Je serais très reconnaissante si vous pouvez… . Je vous prie de.... .Veuillez agréer, Madame l’Administrateur Directeur Générale, mes sentiments le plus distinguées.
Sicherheitshalber bitte ich bei wichtigen Korrespondenten einen muttersprachlichen Kollegen um Korrektur, damit ich mich nicht allzu sehr blamiere. Auf Gespräche bereite ich mich sorgfältig vor, schreibe mir meine Fragen auf, suche Vokabeln vorher raus und notfalls muß ich Dinge eben zwei Mal sagen. Oder zwei mal fragen, bis ich’s verstanden habe. Kongolesen wachsen in der Regel mit einem oder mehreren der afrikanischen Dialekte auf (Amtssprachen im Kongo: Lingala und Kikongo in der Gegend um Kinshasa, Swahili im Osten und Tshiluba in der Mitte, bei irgendwas zwischen 200 und 300 weiteren Dialekten), während Französisch die erste Fremdsprache ist und in der Schule gelernt wird – wenn auch früher als wir mit Englisch anfangen. Während die Eliten meistens ein sehr gutes und eloquentes Französisch sprechen, habe ich mit Wächtern, Taxifahrern und Verkäufern manchmal zu kämpfen, vor allem der Aussprache wegen. Mit Belgiern komme ich gut zurecht, aber Franzosen sind mir ein ständiges Ärgernis. Mit dem schönen Franzosen habe ich es eine Weile versucht, mittlerweile sprechen wir allerdings meistens Englisch. Als ich ihn irgendwann bat, doch mehr Französisch mit mir zu reden erklärte, er müsse ja auf Französisch alles zwei Mal sagen, weil ich es nicht verstehe. Das war das.
Wirklich schlimm ist jedoch der französische Kollege in meinem Team. Er spricht unangenehm leise, so daß ich schon akustisch sehr die Ohren spitzen muß. Außerdem – typisch französisch – sehr schnell und zieht die Wörter ineinander, so daß ich sie nicht mehr unterscheiden kann. Und obendrein – auch typisch französisch – weigert er sich, Englisch zu sprechen. Ihm scheint reichlich egal zu sein, daß ich allenfalls die Hälfte verstehe, und vor einigen Tagen hat er bei mir endgültig alle Sympathien verspielt. Ich hatte im Gespräch eine Vokabel – Fachterminus! – nicht richtig verstanden und der ältliche Kollege Team-Chef korrigierte meine Aussprache. Und der fiese Franzose lachte. Nicht laut, für sich, aber sehr sichtbar.
Nun werde ich gerne korrigiert von Personen, die ich mag. Ich wünschte, der schöne Franzose oder der nette Belgier würden mich öfter berichtigen, das ist nur gut für mich. Ich kann damit leben, daß mich jemand korrigiert, der zwar einen schauderhaften Akzent hat, aber grundsätzlich sehr gut spricht. Aber ich habe innerlich getobt, als dieser Idiot, der kaum fünf Sätze auf Englisch von sich gegeben hat – vermutlich weil sein Englisch Lichtjahre von unserem entfernt ist, keine Ahnung ob er zufällig noch fließend Deutsch oder Chinesisch spricht um sich zu rehabilitieren –, über mich gelacht hat. Gar nicht nett. Ganz schlechte Kinderstube.
Madame l’Administrateur Directeur Générale,
merci beaucoup pour prendre le temps de nous recevoir… . Je serais très reconnaissante si vous pouvez… . Je vous prie de.... .Veuillez agréer, Madame l’Administrateur Directeur Générale, mes sentiments le plus distinguées.
Sicherheitshalber bitte ich bei wichtigen Korrespondenten einen muttersprachlichen Kollegen um Korrektur, damit ich mich nicht allzu sehr blamiere. Auf Gespräche bereite ich mich sorgfältig vor, schreibe mir meine Fragen auf, suche Vokabeln vorher raus und notfalls muß ich Dinge eben zwei Mal sagen. Oder zwei mal fragen, bis ich’s verstanden habe. Kongolesen wachsen in der Regel mit einem oder mehreren der afrikanischen Dialekte auf (Amtssprachen im Kongo: Lingala und Kikongo in der Gegend um Kinshasa, Swahili im Osten und Tshiluba in der Mitte, bei irgendwas zwischen 200 und 300 weiteren Dialekten), während Französisch die erste Fremdsprache ist und in der Schule gelernt wird – wenn auch früher als wir mit Englisch anfangen. Während die Eliten meistens ein sehr gutes und eloquentes Französisch sprechen, habe ich mit Wächtern, Taxifahrern und Verkäufern manchmal zu kämpfen, vor allem der Aussprache wegen. Mit Belgiern komme ich gut zurecht, aber Franzosen sind mir ein ständiges Ärgernis. Mit dem schönen Franzosen habe ich es eine Weile versucht, mittlerweile sprechen wir allerdings meistens Englisch. Als ich ihn irgendwann bat, doch mehr Französisch mit mir zu reden erklärte, er müsse ja auf Französisch alles zwei Mal sagen, weil ich es nicht verstehe. Das war das.
Wirklich schlimm ist jedoch der französische Kollege in meinem Team. Er spricht unangenehm leise, so daß ich schon akustisch sehr die Ohren spitzen muß. Außerdem – typisch französisch – sehr schnell und zieht die Wörter ineinander, so daß ich sie nicht mehr unterscheiden kann. Und obendrein – auch typisch französisch – weigert er sich, Englisch zu sprechen. Ihm scheint reichlich egal zu sein, daß ich allenfalls die Hälfte verstehe, und vor einigen Tagen hat er bei mir endgültig alle Sympathien verspielt. Ich hatte im Gespräch eine Vokabel – Fachterminus! – nicht richtig verstanden und der ältliche Kollege Team-Chef korrigierte meine Aussprache. Und der fiese Franzose lachte. Nicht laut, für sich, aber sehr sichtbar.
Nun werde ich gerne korrigiert von Personen, die ich mag. Ich wünschte, der schöne Franzose oder der nette Belgier würden mich öfter berichtigen, das ist nur gut für mich. Ich kann damit leben, daß mich jemand korrigiert, der zwar einen schauderhaften Akzent hat, aber grundsätzlich sehr gut spricht. Aber ich habe innerlich getobt, als dieser Idiot, der kaum fünf Sätze auf Englisch von sich gegeben hat – vermutlich weil sein Englisch Lichtjahre von unserem entfernt ist, keine Ahnung ob er zufällig noch fließend Deutsch oder Chinesisch spricht um sich zu rehabilitieren –, über mich gelacht hat. Gar nicht nett. Ganz schlechte Kinderstube.
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Skurrilitätenkabinett
Aus mir völlig unbegreiflichen Gründen wurde mir eine gewissen Wankelmütigkeit in der Verteilung meiner romantischen Hoffnungen unterstellt. Natürlich ist alles ganz anders als Sie denken. Mehr als jedes andere Land, in dem ich jemals war, zieht die DR Kongo spannende Menschen an wie ein Magnet. Mein Kollege mit den möglicherweise nicht rein kollegialen Interessen zum Beispiel hat Frau und Kinder in den USA, lebt aber seit mehreren Jahren alleine im Ausland und führt eine Ehe auf Distanz. Beim Mittagessen neulich sprach er ausführlich darüber, daß man Arrangements finden müsse, daß ihm die Vertrauensperson an seiner Seite natürlich fehle, auch die körperliche Nähe – dies mit bedeutsamen Blicken garniert – und man sich aber doch irgendwie einrichten könne. Eine andere Bekannte hat einige Jahre mit ihrem Mann zusammen am selben Ort in Afrika gearbeitet, im Moment hingegen ist sie hier und er hat eine Stelle in Kanada – da muß man Ferien und Konferenzbesuche geschickt legen und sich arrangieren. Dann wäre da der schön Franzose Nummer Zwei, der in dem gottverlorenen Kaff vor der Stadt sitzt, wo ihn sicherlich keine Partnerin, die noch bei Sinnen ist, jemals freiwillig hinbegleiten würde. Abgesehen von den Lebensentwürfen sind die Menschen aber überhaupt einen Tick skurriler als in Frankfurt oder Washington.
Der schöne Franzose Nummer Eins zum Beispiel ist eine entsetzliche Diva, eigentlich völlig ungeeignet für das Leben in Entwicklungsländern. Andauernd fummelt er an seinem Mückenrepellent herum, stets und überall führt er kleine Fläschchen mit Hand Sanitizer mit sich herum (und deponiert diese bevorzugt in meiner Handtasche), und klagt andauernd über die mangelnde Infrastruktur, das drittklassige Hotel, und die anstrengenden Flüge, wenn er nicht von Business auf First Class hochgestuft wurde. Er gibt großzügige Trinkgelder, aber erwartet dafür auch entsprechende Leistungen und rückt kein Jota von seinen europäischen Standards ab – wobei ich ersteres für eine sehr löbliche Eigenschaft halte, die vielen Kollegen im Laufe der Karriere verloren geht.
Mein Chef ist ein weiterer Exzentriker: seine Position ist auf jeden Fall einflußreich, er verkehrt mit den Würdenträgern dieses Landes, eilte gestern direkt vom Flughafen hierher, deponierte sein Gepäck in meinem Büro und gewährte mir im anschließenden Gespräch Aussicht auf einen sicherlich fünf Zentimeter langen Riß in seinem Hemd. Die meisten Chauffeure hier sind gepflegter gekleidet als er es heute war – in fröhlicher Mißachtung des abendlichen Meetings mit einigen der oben erwähnten Würdenträgern.
Ein ganz besonders bemerkenswerter Fall ist mein ältlicher Kollege der letzten zwei Wochen. Anfangs bin ich mit der britischen Distanziertheit gar nicht warm geworden, muß aber zunehmend feststellen, daß er ein sehr netter Mensch ist. In jeglichen Treffen hört er grundsätzlich sich selbst am liebsten reden und hat mir vor einigen Tagen einen von mir organisierten Termin im Zuge eines hostile takeover völlig aus den Händen genommen, sich aber im Nachhinein wortreich entschuldigt und mich ausführlich belehrt, wie ich mich besser durchsetzen könne. Beim Meeting des heutigen Abends erklärte er unserem Team in verschwörerischem Ton, es seien wichtige Personen anwesend und wir müßten unsere Worte sorgsam wählen, um keinen Anstoß zu erregen – fand danach aber selbst überaus deutliche Worte. Seine scheinbar endlosen Monologe durchsetzt er gerne mit d’accord oder okay, allerdings ohne jeden fragenden Unterton, was diese Interjektionen zu einer reinen Formalie deklassiert, durch den Tonfall geradezu Lügen straft. Vor allem nach dem Mittagessen sackt ihm bei Terminen gelegentlich das Kinn auf die Brust, aber schon Minuten später ist er wieder völlig präsent, wirft sich mit Verve in die Diskussion und redet alle Gesprächspartner an die Wand. Der andere ältliche Kollege wiederum bemüht sich außerordentlich, mich auch in Themen anzuleiten, die mit unseren gemeinsamen Aufgaben wenig zu tun haben und bekundete am Wochenende beim Abendessen mit traurigem Hundeblick und väterlicher Ernsthaftigkeit seine Enttäuschung ob meines Zigaretten-Lasters: Damenwahl, I am sincerely disappointed to see you smoke – I wouldn’t have expected that. It is not good for you. Do your parents approve of this?. Gleichzeitig hat er offenbar mit dem jüngeren Kollegen im Team in den letzten Tagen Männerfreundschaft geschlossen, wie aus den vertraulichen Scherzen über den Bauchumfang des jeweils anderen heute zu entnehmen war – obendrein benahmen sich die beiden während des bedeutsamen Meetings abends wie die Schuljungs auf der letzten Bank, schrieben sich gegenseitig Briefchen und tauschten verschwörerische Blicke.
Es sind sonderbare Beziehungen, die sich in einem solchen Land anbahnen. Wirklich enge Freundschaften, wie ich sie zu Hause habe, sind selten – angesichts der hohen Fluktuation in der Gemeinschaft der Expatriates ist einfach nicht genug Zeit, sich wirklich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Es ist ein bißchen wie im Beraterleben: man wird in einer Zwangsgemeinschaft zusammengeworfen und muß sich mit dem arrangieren, was an Sozialleben verfügbar ist. Viele Gespräche nach Feierabend – und hier eben auch am Wochenende, auf Parties, beim gemeinsamen Frühstück – beschäftigen sich vor allem mit dem Arbeitsleben und dem großen gemeinsamen Nenner: dem Aufenthaltsland und seinen Eigenheiten. Obwohl ich anfangs zwei Wochen mit einer Kollegin zusammengewohnt habe, habe wir uns nie über private Themen, Familie, Lebensplanung ausgetauscht. Mit dem schönen Franzosen war ich inzwischen vier Mal zu zweit Essen – das würde unter allen anderen Umständen als den hiesigen definitiv als Beginn einer Romanze qualifizieren, hier jedoch haben wir beim ersten Mal ausschließlich über den Beruf gesprochen. Beim zweiten Mal ganz am Ende kurz über seine Schwester und Mutter und meine Familie und den innerfamiliären Kleiderschrankraub. Gestern Abend wiederum – viertes gemeinsames Dinner – haben wir mit dem Austausch über die Eigenheiten und handarbeitlichen Aktivitäten unser Mütter und Weihnachtsfeiern gewissermaßen das nächste Level genommen. Obwohl ich mit diesen Menschen viel Zeit verbringe, weiß ich: sobald ich abreise, wird der Kontakt einschlafen. Während meiner oder ihrer Abwesenheiten wechsele ich mit den meisten Kollegen kaum eine Mail. In Washington habe ich unglaublich viel Zeit mit einer Gruppe lateinamerikanischer Kollegen verbracht, ganze Wochenenden durchgefeiert, bin immer wieder eingeladen worden, immer wieder haben sie daran gedacht, mich über ihre Aktivitäten nach Feierabend zu informieren und mitzunehmen. Mit zwei Kollegen war ich außerdem sehr regelmäßig nachmittags Kaffee trinken, aber seither habe ich kein Wort von ihnen gehört (außer einer kurzen Meldung, daß bei dem Metro-Unglück vor einigen Monaten niemand von ihnen zu Schaden gekommen sei). Wenn ich bedenke, mit welchem Bemühen im 18. Jahrhundert handschriftliche Briefe geschrieben und mit Kosten und Aufwand befördert wurden, um Beziehungen zu pflegen, finde ich es beklagenswert, wie wenig in meiner Generation dafür getan wird. Obwohl es in Zeiten von Facebook und Skype so einfach wäre, sich gelegentlich nach dem Befinden des anderen zu erkundigen, macht es kaum jemand. Dabei sind doch hundertfünfzig Kontakte bei Facebook wirklich kein Vergleich mit dem Korrespondentenkreis eines Goethe – aber die Zeit, das Bemühen, das aufrichtige Interesse am anderen scheint verloren zu sein. Ich weiß nicht warum.
Der schöne Franzose Nummer Eins zum Beispiel ist eine entsetzliche Diva, eigentlich völlig ungeeignet für das Leben in Entwicklungsländern. Andauernd fummelt er an seinem Mückenrepellent herum, stets und überall führt er kleine Fläschchen mit Hand Sanitizer mit sich herum (und deponiert diese bevorzugt in meiner Handtasche), und klagt andauernd über die mangelnde Infrastruktur, das drittklassige Hotel, und die anstrengenden Flüge, wenn er nicht von Business auf First Class hochgestuft wurde. Er gibt großzügige Trinkgelder, aber erwartet dafür auch entsprechende Leistungen und rückt kein Jota von seinen europäischen Standards ab – wobei ich ersteres für eine sehr löbliche Eigenschaft halte, die vielen Kollegen im Laufe der Karriere verloren geht.
Mein Chef ist ein weiterer Exzentriker: seine Position ist auf jeden Fall einflußreich, er verkehrt mit den Würdenträgern dieses Landes, eilte gestern direkt vom Flughafen hierher, deponierte sein Gepäck in meinem Büro und gewährte mir im anschließenden Gespräch Aussicht auf einen sicherlich fünf Zentimeter langen Riß in seinem Hemd. Die meisten Chauffeure hier sind gepflegter gekleidet als er es heute war – in fröhlicher Mißachtung des abendlichen Meetings mit einigen der oben erwähnten Würdenträgern.
Ein ganz besonders bemerkenswerter Fall ist mein ältlicher Kollege der letzten zwei Wochen. Anfangs bin ich mit der britischen Distanziertheit gar nicht warm geworden, muß aber zunehmend feststellen, daß er ein sehr netter Mensch ist. In jeglichen Treffen hört er grundsätzlich sich selbst am liebsten reden und hat mir vor einigen Tagen einen von mir organisierten Termin im Zuge eines hostile takeover völlig aus den Händen genommen, sich aber im Nachhinein wortreich entschuldigt und mich ausführlich belehrt, wie ich mich besser durchsetzen könne. Beim Meeting des heutigen Abends erklärte er unserem Team in verschwörerischem Ton, es seien wichtige Personen anwesend und wir müßten unsere Worte sorgsam wählen, um keinen Anstoß zu erregen – fand danach aber selbst überaus deutliche Worte. Seine scheinbar endlosen Monologe durchsetzt er gerne mit d’accord oder okay, allerdings ohne jeden fragenden Unterton, was diese Interjektionen zu einer reinen Formalie deklassiert, durch den Tonfall geradezu Lügen straft. Vor allem nach dem Mittagessen sackt ihm bei Terminen gelegentlich das Kinn auf die Brust, aber schon Minuten später ist er wieder völlig präsent, wirft sich mit Verve in die Diskussion und redet alle Gesprächspartner an die Wand. Der andere ältliche Kollege wiederum bemüht sich außerordentlich, mich auch in Themen anzuleiten, die mit unseren gemeinsamen Aufgaben wenig zu tun haben und bekundete am Wochenende beim Abendessen mit traurigem Hundeblick und väterlicher Ernsthaftigkeit seine Enttäuschung ob meines Zigaretten-Lasters: Damenwahl, I am sincerely disappointed to see you smoke – I wouldn’t have expected that. It is not good for you. Do your parents approve of this?. Gleichzeitig hat er offenbar mit dem jüngeren Kollegen im Team in den letzten Tagen Männerfreundschaft geschlossen, wie aus den vertraulichen Scherzen über den Bauchumfang des jeweils anderen heute zu entnehmen war – obendrein benahmen sich die beiden während des bedeutsamen Meetings abends wie die Schuljungs auf der letzten Bank, schrieben sich gegenseitig Briefchen und tauschten verschwörerische Blicke.
Es sind sonderbare Beziehungen, die sich in einem solchen Land anbahnen. Wirklich enge Freundschaften, wie ich sie zu Hause habe, sind selten – angesichts der hohen Fluktuation in der Gemeinschaft der Expatriates ist einfach nicht genug Zeit, sich wirklich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Es ist ein bißchen wie im Beraterleben: man wird in einer Zwangsgemeinschaft zusammengeworfen und muß sich mit dem arrangieren, was an Sozialleben verfügbar ist. Viele Gespräche nach Feierabend – und hier eben auch am Wochenende, auf Parties, beim gemeinsamen Frühstück – beschäftigen sich vor allem mit dem Arbeitsleben und dem großen gemeinsamen Nenner: dem Aufenthaltsland und seinen Eigenheiten. Obwohl ich anfangs zwei Wochen mit einer Kollegin zusammengewohnt habe, habe wir uns nie über private Themen, Familie, Lebensplanung ausgetauscht. Mit dem schönen Franzosen war ich inzwischen vier Mal zu zweit Essen – das würde unter allen anderen Umständen als den hiesigen definitiv als Beginn einer Romanze qualifizieren, hier jedoch haben wir beim ersten Mal ausschließlich über den Beruf gesprochen. Beim zweiten Mal ganz am Ende kurz über seine Schwester und Mutter und meine Familie und den innerfamiliären Kleiderschrankraub. Gestern Abend wiederum – viertes gemeinsames Dinner – haben wir mit dem Austausch über die Eigenheiten und handarbeitlichen Aktivitäten unser Mütter und Weihnachtsfeiern gewissermaßen das nächste Level genommen. Obwohl ich mit diesen Menschen viel Zeit verbringe, weiß ich: sobald ich abreise, wird der Kontakt einschlafen. Während meiner oder ihrer Abwesenheiten wechsele ich mit den meisten Kollegen kaum eine Mail. In Washington habe ich unglaublich viel Zeit mit einer Gruppe lateinamerikanischer Kollegen verbracht, ganze Wochenenden durchgefeiert, bin immer wieder eingeladen worden, immer wieder haben sie daran gedacht, mich über ihre Aktivitäten nach Feierabend zu informieren und mitzunehmen. Mit zwei Kollegen war ich außerdem sehr regelmäßig nachmittags Kaffee trinken, aber seither habe ich kein Wort von ihnen gehört (außer einer kurzen Meldung, daß bei dem Metro-Unglück vor einigen Monaten niemand von ihnen zu Schaden gekommen sei). Wenn ich bedenke, mit welchem Bemühen im 18. Jahrhundert handschriftliche Briefe geschrieben und mit Kosten und Aufwand befördert wurden, um Beziehungen zu pflegen, finde ich es beklagenswert, wie wenig in meiner Generation dafür getan wird. Obwohl es in Zeiten von Facebook und Skype so einfach wäre, sich gelegentlich nach dem Befinden des anderen zu erkundigen, macht es kaum jemand. Dabei sind doch hundertfünfzig Kontakte bei Facebook wirklich kein Vergleich mit dem Korrespondentenkreis eines Goethe – aber die Zeit, das Bemühen, das aufrichtige Interesse am anderen scheint verloren zu sein. Ich weiß nicht warum.
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Wenn alles gut läuft, macht das Leben in Abenteuerland Spaß. Für die gelegentlichen Unannehmlichkeiten wird man mit all den skurrilen Erlebnissen und interessanten Bekanntschaften reichlich entschädigt und insgesamt ist das Ärgernisse auch wert. Manchmal allerdings türmen sich die kleinen Probleme und Sorgen himmelhoch und abends ist man einfach nur noch frustriert und erschöpft.
Sonntag hatten wir den ganzen Tag kein Wasser, mein Fahrer kam zu spät, endlose Meetings im Büro, um fünf wurde es dunkel und begann orkanartig zu stürmen, ich bin nach Hause geeilt, um die Balkontür zu schließen, der Aufzug war kaputt und ich bin acht Etage rauf und wieder runter gesprintet. Mein Feuerzeug war hinüber, ein neues nur schwer aufzutreiben, beim Einkaufen hatte ich nur wenig Geld dabei und mußte sorgfältig rechnen (gar nicht so einfach, wenn die Preise in Francs ausgezeichnet sind aber in Dollar bezahlt wird). Montag morgen hatte ich aus völlig unerfindlichen Gründen einen neuen Fahrer – seine Erklärungen waren umständlich und kompliziert und ich habe sie nicht verstanden –, ich fürchte, daß ein Kollege kein ausschließlich kollegiales Interesse an mir hat und es ist leider nicht der schöne Franzose. Ein Meeting zog sich endlos hin, das Büro ist so überfüllt, daß ich morgen keinen Schreibtisch mehr habe, die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz gestaltet sich schwierig, ein anderes Meeting mußten wir auf der Terrasse abhalten, weil alle anderen Besprechungsräume belegt waren, von den Kollegen kümmerte sich niemand um Getränke, meine Höflichkeit gegenüber den Gästen reduzierte mich gefühlt von der Kollegin zur Praktikantin. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde ich von Mücken belagert, auf der Terrasse bei uns zu Hause Käfer-Attacke. Ich war so fertig, daß ich beim ersten Anblick der Viecher – die ich da noch für Kakerlaken hielt – einen hysterischen Anfall bekam, wo man hintritt KäferKäferKäfer, die Straße ein Käferfriedhof, bis ins Bad sind sie vorgedrungen, und zu guter Letzt rief der schöne Franzose an und verkündete, er reise aus administrativen Gründen schon Freitag wieder ab. Trotz langatmiger Erklärungen seiner Gründe wollte er aber kein Bier mehr mit mir trinken gehen und ich werde mich wohl von all meinen romantischen Hoffnungen verabschieden müssen. Keinesfalls werde ich deshalb nachts vor Trauer in mein Kissen weinen, so weit ist es mit mir noch nicht, aber ein kleiner Flirt belebt den Alltag ganz ungemein.
Wie nett wäre es, wenn ich morgen den schönen Franzosen Nummer Zwei anrufe und sich daraus etwas ergibt. Nach Durchsicht meiner Aufzeichnungen von Samstag habe ich reichlich Fragen – lies: Gründe zum anrufen – und werde ihn außerdem bitten, meine Aufstellung der Daten gegenzulesen. Ich stelle mir vor, daß ich über Nacht nicht nur besser Französisch spreche, sondern auf wundersame Weise die Fähigkeit zum subtilen Flirt über mich kommen wird – gleichsam im Doppelpack. Ich werde mich bei diesem Telefonat nicht wie sonst mühsam durch die Sätze kämpfen und drei Mal nachfragen müssen, um den Sinn der Antworten erraten zu können, sondern einige überaus intelligente und kluge Fragen stellen, die Zeugnis von meiner herausragenden Auffassungsgabe ablegen. Dabei auch noch witzig sein und dem Gespräch eine leichte Note jenseits der geschäftlichen Formalien geben können. Wie es das Schicksal wollen wird, wird der zweite schöne Franzose ohnehin zum Ende der Woche für einige Termine nach Kinshasa kommen und mir anbieten, man könne sich noch einmal zusammensetzen. In meinem unglaublich überladenen Terminkalender ist dafür gerade noch Platz und wir werden uns für, sagen wir, Donnerstag Spätnachmittag verabreden. Ich werde mich richtig aufrüschen und überaus smart und elegant aussehen, diesmal ganz Zierde der holden Weiblichkeit. Er wird auch gut aussehen, vielleicht einen guten Anzug tragen und auf jeden Fall sehr gute Schuhe, und wir werden uns – dank meiner über Nacht erworbenen Eloquenz in Französisch – fantastisch verstehen und komplizierte Dinge bereden. Beiläufig werden wir darauf zu sprechen kommen, wie das Leben im Niemandsland im Vergleich zur Hauptstadt ist, daß er gelegentlich in Kinshasa ist, aber nicht allzu oft, daß er nicht viele Leute hier kennt, aber doch übers Wochenende bleiben wird. Die Einladung zu einem gemeinsamen Abendessen wird sich ganz selbstverständlich daraus ergeben und damit ist mein Abend hübsch geplant. Franzose Nummer eins hingegen wird vor Enttäuschung in sein Kissen beißen, wenn er mich eine Stunde später ebenfalls nach der Abendplanung fragt und ich vergeben bin, wird bitterlich enttäuscht sein und sich seine Zögerlichkeit nie im Leben verzeihen. Mit dem schönen Franzosen Nummer Zwei hingegen – der ein Glückspilz ist, daß er mit mir ausgehen darf – werde ich zum Beispiel ins Fleur du Sel gehen, weil es nicht zu groß und hübsch zu sitzen ist. Außerdem kann man zu fortgeschrittener Stunde an die Bar wechseln und dort beinahe vergessen, in Afrika zu sein. Jemand, der mehr oder minder alleine in der Mitte von Nirgendwo lebt, ist sicherlich sehr belesen und gebildet und wir werden uns fantastisch über Bücher, Politik und das Leben in Afrika austauschen. Das Essen wird wunderbar sein, aber lange dauern, und am Ende wird genug Vertrautheit da sein, um ein Dessert zu teilen. Beiläufig werden wir eine Mousse au Chocolat löffeln, beiläufig und ohne Gier, aber doch mit Genuß, und uns über Afrika und dieses großartige Land mit seinen unzähligen Problemen austauschen, und unser gemeinsames Faible für ein Leben jenseits von Paris und Berlin, und danach noch auf einen Absacker an die Bar wechseln. An einem Donnerstag wird die Bar ziemlich voll sein und wir werden an einem engen Ecktisch landen, wo man so nah beieinander sitzt, daß sich die Beine gelegentlich berühren, wenn man das Gewicht verlagert. Männer wie er trinken vermutlich einen Whisky oder Cognac, während ich einen Martini oder Amaretto nehme. Ich glaube, er raucht ebenfalls und das eröffnet weitere Möglichkeiten. Sich Feuer geben zu lassen ist immer ein wunderbarer Anknüpfungspunkt: beim ersten Mal vermeidet man die Berührung der Hände beinahe noch, aber irgendwann wird man mutiger und es sind diese Kleinigkeiten, die einen solchen Abend aufregend machen und die subtile Verständigung über die Absichten des anderen ermöglichen.
Meine gelegentlich schrägen Formulierungen und mein leichter Akzent – denn mehr als den werde ich bei einem solchen Anlaß nicht haben – werden keinesfalls inkompetent und dumm wirken, sondern charmant und niedlich. Überhaupt werde ich den ganzen Abend äußerst charmant und unterhaltsam sein – aber nicht zu sehr, sondern auch eine außerordentlich aufmerksame und interessierte Zuhörerin, Männer brauchen das – und am Ende des Abends, zu sehr fortgeschrittener Stunde, wird er mir völlig verfallen sein. Ich ihm ebenso. Da ich eine Dame bin und kein leichtes Mädchen, wird der Abend zu diesem Zeitpunkt enden, aber irgendwann zwischendurch wird mein kongolesischer Freund D. angerufen haben, um ausgehen in größerer Gruppe für Freitag vorzuschlagen und natürlich, herzlich gerne, darf ich den Franzosen Nummer Zwei mitbringen. Damit ist gesichert, daß sich weitere Treffen ergeben werden und so kann ich an diesem ersten Rendez-vous glücklich nach Hause gehen und von den unendlichen Möglichkeiten träumen, die das Leben manchmal bereit hält, wenn man es am wenigsten erwartet.
Schicksal, das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um in mein Leben einzugreifen. Und wenn ich schon den Mann meines Lebens und Vater meiner Kinder nicht bekommen kann, dann wünsche ich mir bitte wenigstens einen anständigen Schreibtisch für morgen.
Sonntag hatten wir den ganzen Tag kein Wasser, mein Fahrer kam zu spät, endlose Meetings im Büro, um fünf wurde es dunkel und begann orkanartig zu stürmen, ich bin nach Hause geeilt, um die Balkontür zu schließen, der Aufzug war kaputt und ich bin acht Etage rauf und wieder runter gesprintet. Mein Feuerzeug war hinüber, ein neues nur schwer aufzutreiben, beim Einkaufen hatte ich nur wenig Geld dabei und mußte sorgfältig rechnen (gar nicht so einfach, wenn die Preise in Francs ausgezeichnet sind aber in Dollar bezahlt wird). Montag morgen hatte ich aus völlig unerfindlichen Gründen einen neuen Fahrer – seine Erklärungen waren umständlich und kompliziert und ich habe sie nicht verstanden –, ich fürchte, daß ein Kollege kein ausschließlich kollegiales Interesse an mir hat und es ist leider nicht der schöne Franzose. Ein Meeting zog sich endlos hin, das Büro ist so überfüllt, daß ich morgen keinen Schreibtisch mehr habe, die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz gestaltet sich schwierig, ein anderes Meeting mußten wir auf der Terrasse abhalten, weil alle anderen Besprechungsräume belegt waren, von den Kollegen kümmerte sich niemand um Getränke, meine Höflichkeit gegenüber den Gästen reduzierte mich gefühlt von der Kollegin zur Praktikantin. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde ich von Mücken belagert, auf der Terrasse bei uns zu Hause Käfer-Attacke. Ich war so fertig, daß ich beim ersten Anblick der Viecher – die ich da noch für Kakerlaken hielt – einen hysterischen Anfall bekam, wo man hintritt KäferKäferKäfer, die Straße ein Käferfriedhof, bis ins Bad sind sie vorgedrungen, und zu guter Letzt rief der schöne Franzose an und verkündete, er reise aus administrativen Gründen schon Freitag wieder ab. Trotz langatmiger Erklärungen seiner Gründe wollte er aber kein Bier mehr mit mir trinken gehen und ich werde mich wohl von all meinen romantischen Hoffnungen verabschieden müssen. Keinesfalls werde ich deshalb nachts vor Trauer in mein Kissen weinen, so weit ist es mit mir noch nicht, aber ein kleiner Flirt belebt den Alltag ganz ungemein.
Wie nett wäre es, wenn ich morgen den schönen Franzosen Nummer Zwei anrufe und sich daraus etwas ergibt. Nach Durchsicht meiner Aufzeichnungen von Samstag habe ich reichlich Fragen – lies: Gründe zum anrufen – und werde ihn außerdem bitten, meine Aufstellung der Daten gegenzulesen. Ich stelle mir vor, daß ich über Nacht nicht nur besser Französisch spreche, sondern auf wundersame Weise die Fähigkeit zum subtilen Flirt über mich kommen wird – gleichsam im Doppelpack. Ich werde mich bei diesem Telefonat nicht wie sonst mühsam durch die Sätze kämpfen und drei Mal nachfragen müssen, um den Sinn der Antworten erraten zu können, sondern einige überaus intelligente und kluge Fragen stellen, die Zeugnis von meiner herausragenden Auffassungsgabe ablegen. Dabei auch noch witzig sein und dem Gespräch eine leichte Note jenseits der geschäftlichen Formalien geben können. Wie es das Schicksal wollen wird, wird der zweite schöne Franzose ohnehin zum Ende der Woche für einige Termine nach Kinshasa kommen und mir anbieten, man könne sich noch einmal zusammensetzen. In meinem unglaublich überladenen Terminkalender ist dafür gerade noch Platz und wir werden uns für, sagen wir, Donnerstag Spätnachmittag verabreden. Ich werde mich richtig aufrüschen und überaus smart und elegant aussehen, diesmal ganz Zierde der holden Weiblichkeit. Er wird auch gut aussehen, vielleicht einen guten Anzug tragen und auf jeden Fall sehr gute Schuhe, und wir werden uns – dank meiner über Nacht erworbenen Eloquenz in Französisch – fantastisch verstehen und komplizierte Dinge bereden. Beiläufig werden wir darauf zu sprechen kommen, wie das Leben im Niemandsland im Vergleich zur Hauptstadt ist, daß er gelegentlich in Kinshasa ist, aber nicht allzu oft, daß er nicht viele Leute hier kennt, aber doch übers Wochenende bleiben wird. Die Einladung zu einem gemeinsamen Abendessen wird sich ganz selbstverständlich daraus ergeben und damit ist mein Abend hübsch geplant. Franzose Nummer eins hingegen wird vor Enttäuschung in sein Kissen beißen, wenn er mich eine Stunde später ebenfalls nach der Abendplanung fragt und ich vergeben bin, wird bitterlich enttäuscht sein und sich seine Zögerlichkeit nie im Leben verzeihen. Mit dem schönen Franzosen Nummer Zwei hingegen – der ein Glückspilz ist, daß er mit mir ausgehen darf – werde ich zum Beispiel ins Fleur du Sel gehen, weil es nicht zu groß und hübsch zu sitzen ist. Außerdem kann man zu fortgeschrittener Stunde an die Bar wechseln und dort beinahe vergessen, in Afrika zu sein. Jemand, der mehr oder minder alleine in der Mitte von Nirgendwo lebt, ist sicherlich sehr belesen und gebildet und wir werden uns fantastisch über Bücher, Politik und das Leben in Afrika austauschen. Das Essen wird wunderbar sein, aber lange dauern, und am Ende wird genug Vertrautheit da sein, um ein Dessert zu teilen. Beiläufig werden wir eine Mousse au Chocolat löffeln, beiläufig und ohne Gier, aber doch mit Genuß, und uns über Afrika und dieses großartige Land mit seinen unzähligen Problemen austauschen, und unser gemeinsames Faible für ein Leben jenseits von Paris und Berlin, und danach noch auf einen Absacker an die Bar wechseln. An einem Donnerstag wird die Bar ziemlich voll sein und wir werden an einem engen Ecktisch landen, wo man so nah beieinander sitzt, daß sich die Beine gelegentlich berühren, wenn man das Gewicht verlagert. Männer wie er trinken vermutlich einen Whisky oder Cognac, während ich einen Martini oder Amaretto nehme. Ich glaube, er raucht ebenfalls und das eröffnet weitere Möglichkeiten. Sich Feuer geben zu lassen ist immer ein wunderbarer Anknüpfungspunkt: beim ersten Mal vermeidet man die Berührung der Hände beinahe noch, aber irgendwann wird man mutiger und es sind diese Kleinigkeiten, die einen solchen Abend aufregend machen und die subtile Verständigung über die Absichten des anderen ermöglichen.
Meine gelegentlich schrägen Formulierungen und mein leichter Akzent – denn mehr als den werde ich bei einem solchen Anlaß nicht haben – werden keinesfalls inkompetent und dumm wirken, sondern charmant und niedlich. Überhaupt werde ich den ganzen Abend äußerst charmant und unterhaltsam sein – aber nicht zu sehr, sondern auch eine außerordentlich aufmerksame und interessierte Zuhörerin, Männer brauchen das – und am Ende des Abends, zu sehr fortgeschrittener Stunde, wird er mir völlig verfallen sein. Ich ihm ebenso. Da ich eine Dame bin und kein leichtes Mädchen, wird der Abend zu diesem Zeitpunkt enden, aber irgendwann zwischendurch wird mein kongolesischer Freund D. angerufen haben, um ausgehen in größerer Gruppe für Freitag vorzuschlagen und natürlich, herzlich gerne, darf ich den Franzosen Nummer Zwei mitbringen. Damit ist gesichert, daß sich weitere Treffen ergeben werden und so kann ich an diesem ersten Rendez-vous glücklich nach Hause gehen und von den unendlichen Möglichkeiten träumen, die das Leben manchmal bereit hält, wenn man es am wenigsten erwartet.
Schicksal, das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um in mein Leben einzugreifen. Und wenn ich schon den Mann meines Lebens und Vater meiner Kinder nicht bekommen kann, dann wünsche ich mir bitte wenigstens einen anständigen Schreibtisch für morgen.
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