100 km - eine Weltreise
Ich glaube, das Schicksal möchte mir einen französischen Juristen an die Hand geben. Gestern Abend habe ich endlich den schönen Franzosen wiedergesehen beim Abendessen – schon seit Mittwoch wieder da, aber mir bis dahin noch nicht unter die Augen gekommen. Und bei meinem heutigen Termin bin ich gleich dem nächsten über den Weg gelaufen. Wirklich, hätte ich gewußt, daß mein Gesprächspartner ein so fescher junger Mann ist, hätte ich mir heute morgen mehr Mühe gegeben. Da ich nicht recht wußte, was mich an einem Samstag in einer Fabrik erwarten würde, hatte ich mich für schwarze Shorts mit Bügelfalte, ein graues Strickoberteil und flache Mokassins entschieden, war außerdem nach zwei Stunden Fahrt ohne Klimaanlage (vermaledeite Mietwagenfirma!) völlig durch und nicht gerade eine Zierde der holden Weiblichkeit. Mein Gesprächspartner hingegen sprang sportlich in reichlich kurzen (!) Shorts, Polo-Shirt und robusten Timberlands aus seinem Truck, sehr braungebrannt, sehr lockige Haare mit einem Zick-Zack-Haarreifen zurückgehalten – das fände ich normalerweise ganz fürchterlich, aber in Kombination mit dem markanten Gesicht und dem sportlichen Auftreten wirkte es authentisch und keineswegs feminin. Nein, wahrhaftig, ein schicker Mann, und etwa in meinem Alter. Aber das konnte ich einfach nicht wissen, als ich heute morgen um acht aufgebrochen bin. Mein Fahrer war etwas zu spät, aber noch war die Straße stadtauswärts Richtung Flughafen frei. Mein kongolesischer Freund und Kollege, der am Vortag vollmundig seine Begleitung angekündigt hatte, versetzte mich und so war ich alleine unterwegs, bewaffnet mit zwei kleinen Wasserflaschen und zwei kleinen Waffeln (genug, um mit dem Fahrer zu teilen). Die erste halbe Stunde bewegten wir uns durch belebte Stadtteile von Kinshasa, die man wohl noch zum urbanen Zentrum zählen darf – auch wenn urban hier anders aussieht als in Berlin oder London. Die nächste knappe halbe Stunde waren die Häuser Hütten zunehmend spärlicher gesät, die grünen oder leeren Brachen dazwischen immer häufiger, die Straße immer leerer und die letzte halbe Stunde lag rechts und links nur noch wilde Landschaft mit gelegentlichen Hüttenansammlungen um einen kleinen Platz herum. In der Mitte des Platzes steht immer ein Baum, einige Stände oder Waren auf wackeligen Brettern oder einfach einer Plane auf der Erde ausgelegt und viele untätige Menschen. In losem Umkreis einige Hütten, Wellblech, Spanplatten, Pappe und Tücher, immer öfter auch unbehauene Äste und Riedgrasdächer. Die Landschaft ist trist, grau-braune Steppe, rotbraune Erde, manchmal grün-braunes Gras dazwischen, grün-graue Bäume – das einzige schöne ist der Himmel, der seit neuestem vor allem morgens von einem leuchtenden, schimmernden, strahlenden Zartblau ist, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Nicht das intensive, fast grelle Blau des nordafrikanischen Sommers, nicht das freundliche kontinentaleuropablau eines Sonnentages, nicht das norddeutsche blaßblau, das einem an guten Tagen zuteil wird, sondern anders. Ein bißchen so, als hätte jemand Perlmuttglanz mit in die Farbe gemischt, der alles strahlen läßt.
Die Straße – unser Rezeptionist: Cette une bonne route! war ein Slalomparcours aus zentimetertiefen Schlaglöchern, an den Rändern manchmal über einen Meter Länge tief weggebrochen, an Fahrbahnmarkierungen war nicht zu denken, aber mein Fahrer schaffte es bis auf 140 km/h zu beschleunigen und trotzdem allen Hindernissen auszuweichen. Wir passierten einige Straßenschwellen mit großzügiger Polizeipräsenz und ich bedauerte, das wenige Meter weiter halb auf der Straße stehende Buswrack nicht fotografieren zu können. Immer wieder Menschen am Wegrand, Frauen mit Verkaufsgut, Säcken, Lebensmitteln, Männer mit Holz oder Kohle auf dem Kopf, manche mit einer Plastiktüte in der Hand – alle nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau haltend. Bei einer Frau mit kleinem Kind auf der Hüfte hätte ich fast den Fahrer gebeten, anzuhalten, aber da fegten wir schon mit 100 km/h an ihr vorbei.
Dem Ziel schon näher als der Kapitale, eröffnete sich uns plötzliche eine fantastische Aussicht. Ich bin wahrhaftig nicht nah am Wasser gebaut, aber die Aussicht über geschwungene Hügel hinweg auf den majestätischen Fluß und die urwaldgrünen Berge auf der anderen Seite in Congo-Brazzaville war atemberaubend und trieb mir die Tränen in die Augen. Weil dieses Land so unglaublich schön sein kann.
Störend waren allenfalls die für mein Empfinden zu kurz geratenen Masten der Überlandleitungen mitten im Panorama. Ich habe auf der Rückfahrt auch denStanley Malebo-Pool gesehen, ein Becken wo der Kongo besonders breit ist, ich habe unzählige Menschen am Straßenrand gesehen, Schiffe und Baumstammboote auf dem Fluß, das alte – reichlich verfallene – Feriendomizil von Mobutu, mehr zusammengebrochene Autos mit einem Paar Beine drunter (Reparatur), als ich zählen konnte und am Ende ein 7000 Seelen Dorf. Schätzung des schönen Franzosen Nummer zwei. Er war sehr freundlich, hat mir großer Geduld alle meine Fragen beantwortet, immer neue Unterlagen herangeschafft, mir danach eine kurze Führung über das Gelände angedeihen lassen und sich auch sonst sehr bemüht. Allerdings frage ich mich: was macht ein junger Mann in den besten Jahren, der in einem afrikanischen Kaff in der Mitte von Nirgendwo sitzt, den ganzen Tag? Außer den direkten Kollegen – und das können nicht mehr als ein oder zwei Dutzend sein – wüßte ich nicht, was der Ort an Arbeitsmöglichkeiten für ein gehobenes Ausbildungsniveau bieten sollte, und angesichts der hierarchischen Strukturen wird er wohl abends nicht mit seinen Arbeitern Bier trinken auf dem Marktplatz. Außerdem kein Kino, kein Supermarkt, die Sportmöglichkeiten dürften auch sehr eingeschränkt sein – ich denke mir, daß man dafür schon sehr genügsam sein muß. Leider konnte ich ihn schlecht fragen, ob er mich zur Abwechslung mal in Kinshasa zum Essen ausführen möchte – neugierig wäre ich ja schon gewesen.
Interessant war es jedenfalls, früher als erwartet bin ich wieder daheim und werde mich bis zum Abendessen mit den Kollegen damit befassen, meine Notizen und Aufzeichnungen zu sortieren. Dabei kann ich sogar auf der Terrasse sitzen und an meinem Sommerteint arbeiten.
Ansonsten: hier einige Fotos, bevor ich vergebens nach Worten suche, die die Realität doch nie wiedergeben könnten. Krokodile leider keine gesichtet, nicht von außen und noch weniger von innen. Vielleicht beim nächsten Mal – meine Kollegen wollen mich nächste Woche nach Matadi schicken.
Ich bedauere die schlechte Qualität aber ich kann keine 4 MB Bilder über UMTS hochladen.
Die Straße – unser Rezeptionist: Cette une bonne route! war ein Slalomparcours aus zentimetertiefen Schlaglöchern, an den Rändern manchmal über einen Meter Länge tief weggebrochen, an Fahrbahnmarkierungen war nicht zu denken, aber mein Fahrer schaffte es bis auf 140 km/h zu beschleunigen und trotzdem allen Hindernissen auszuweichen. Wir passierten einige Straßenschwellen mit großzügiger Polizeipräsenz und ich bedauerte, das wenige Meter weiter halb auf der Straße stehende Buswrack nicht fotografieren zu können. Immer wieder Menschen am Wegrand, Frauen mit Verkaufsgut, Säcken, Lebensmitteln, Männer mit Holz oder Kohle auf dem Kopf, manche mit einer Plastiktüte in der Hand – alle nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau haltend. Bei einer Frau mit kleinem Kind auf der Hüfte hätte ich fast den Fahrer gebeten, anzuhalten, aber da fegten wir schon mit 100 km/h an ihr vorbei.
Dem Ziel schon näher als der Kapitale, eröffnete sich uns plötzliche eine fantastische Aussicht. Ich bin wahrhaftig nicht nah am Wasser gebaut, aber die Aussicht über geschwungene Hügel hinweg auf den majestätischen Fluß und die urwaldgrünen Berge auf der anderen Seite in Congo-Brazzaville war atemberaubend und trieb mir die Tränen in die Augen. Weil dieses Land so unglaublich schön sein kann.
Störend waren allenfalls die für mein Empfinden zu kurz geratenen Masten der Überlandleitungen mitten im Panorama. Ich habe auf der Rückfahrt auch den
Interessant war es jedenfalls, früher als erwartet bin ich wieder daheim und werde mich bis zum Abendessen mit den Kollegen damit befassen, meine Notizen und Aufzeichnungen zu sortieren. Dabei kann ich sogar auf der Terrasse sitzen und an meinem Sommerteint arbeiten.
Ansonsten: hier einige Fotos, bevor ich vergebens nach Worten suche, die die Realität doch nie wiedergeben könnten. Krokodile leider keine gesichtet, nicht von außen und noch weniger von innen. Vielleicht beim nächsten Mal – meine Kollegen wollen mich nächste Woche nach Matadi schicken.
Ich bedauere die schlechte Qualität aber ich kann keine 4 MB Bilder über UMTS hochladen.
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Kolonial-Chauvinismus
Das großartige an diesem Land ist, daß kaum ein Tag ohne bemerkenswerte, erzählenswerte, aufschreibenswerte Ereignisse vergeht. Manchmal gutes, manchmal schlechtes, und manchmal beides. Selbst wenn ich abends heimkomme und denke Das war’s, Tag vorbei. werde ich oft eines Besseren belehrt.
Ich hatte noch nie in meinem Leben einen Schwimmbad-Flirt. Vermutlich, weil ich mich in meiner Jugend selten in Schwimmbädern aufgehalten habe. Auf Handtüchern liegend habe ich noch nie bella figura gemacht, schon mit dreizehn hätte ich vor lauter Kurzsichtigkeit meinen Handtuchnachbarn kaum noch erkennen können, gleißendes Sonnenlicht auf Buchseiten fand ich schon immer störend, kurz: mich fand man eher in einer ruhigen Ecke des Hauses mit einem Buch als bei fröhlichen Tändeleien mit der Dorfjugend im Freibad. Gestern abend jedoch war ich schwimmen und das bescherte mir den ersten Freibad-Flirt meines Lebens. Ich liebe das Wasser, das sich im Dunkeln immer anders anfühlt als tagsüber, die Ruhe, ein paar Gäste im Restaurant auf der Terrasse und das Becken mit spiegelglattem Wasser ganz für mich allein. Nach einigen Minuten bekam ich gestern Gesellschaft, mein Nachbar auf Bahn Zwei kraulte fleißig, kraulte zielstrebig auf mich zu, als ich mein Soll erfüllt hatte und noch einen Moment am Beckenrad lehnte. You’ve got quite a stamina - das hört Mademoiselle natürlich immer gerne. Er übrigens auch nicht schlecht, trotz meiner Kurzsichtigkeit nach meinem Dafürhalten ganz eindeutig sehr bella figura. Wir wechselten zwei Sätze, aber ich war nicht in Stimmung für Flirts mit gutgebauten Indern aus der MONUC Truppe, beim nächsten Mal vielleicht.
Mich drückte nämlich mein Gewissen, das mich zu so später Stunde noch ins Wasser getrieben hatte. Ich habe nämlich gestern meinen Fahrer gefeuert, der mich wiederum um acht Uhr abends, als sein Arbeitgeber ihm das mitteilte, anrief. Anrief und umgehend auflegte, gleich Bitte um Rückruf. Was ich natürlich tat, wenn ich schon nachmittags weder den Mut noch die Gelegenheit gefunden hatte, ihm meine Gründe persönlich darzulegen. Ich habe versucht, mich am Telefon zu erklären, habe mich wortreich entschuldigt, irgendwann herrschte betretenes Schweigen auf beiden Seiten und er legte abschiedslos auf. Danach brauchte ich Bewegung, um meine Gedanken zu sortieren und meinem schlechten Gewissen davonzuschwimmen.
Die Angelegenheit hat natürlich eine Vorgeschichte. In meinem Telefonbuch sind beinahe mehr Taxifahrer und Chauffeure gespeichert als Freunde, ich verfüge über einen entsprechend breiten Erfahrungsschatz mit Herren, die für die Formel 1 trainieren, launischen Diven und begriffsstutzigen Schnarchnasen und hatte – zugegebenermaßen – eine gewisse Erwartungshaltung, als ich am Montag die Bekanntschaft meines ersten eigenen Mietwagen-Chauffeurs machte. Grundsätzlich sind die Chauffeure, die gewissermaßen mit dem Mietwagen zusammen von der Mietwagen-Firma gestellt werden, arme Schweine. Obwohl sie sich im Vergleich mit der Mehrheit der Kongolesen glücklich schätzen können ob ihres festen Jobs und sicheren Einkommens, ist das Leben nicht einfach. Fahrer wohnen meist weit außerhalb der Innenstadt und brauchen gerne ein oder zwei Stunden für die Anfahrt zur Zentrale der Leihwagenfirma. Wenn sie den Kunden morgens um acht im Hotel – oder mich an meiner Wohnung – abholen sollen, müssen sie folglich um sechs aufstehen. Den ganzen Tag bringen sie damit zu, den Kunden herumzukutschieren über lausige Straßen, die ein großes Maß an Kunstfertigkeit erfordern, um mit normalen Limousinen heile durch eimertiefe Schlaglöcher und über waldwegwürdige Schotterpisten zu kommen. Zwischendurch warten sie auf Parkplätzen und in Seitenstraßen, dösen, schlafen, plauschen miteinander und müssen stets auf Zuruf zur Verfügung stehen, dann aber bitte hopp-hopp auf Wunsch des Kunden. An ganz argen Tagen hat es die Polizei auf die weißen Reichen oder reichen Weißen abgesehen, dann benimmt sich ein guter Fahrer wie der Secret Service, gibt Gas und liefert den Kunden so schnell wie möglich im Hotel oder Büro ab, wo sich andere der Verwicklungen annehmen können. Weniger kluge Fahrer öffnen die Fenster ein weniges zu weit, der Polizist greift durchs Fenster und sitzt schneller im Auto als eine Kakerlake laufen kann. Ein Polizist im Auto wiederum ist eine Katastrophe, denn ohne Bestechung steigt er nicht aus, man muß sich also entscheiden: Prinzipien oder endloser Ärger.
Vor sieben hört bei uns niemand auf zu arbeiten, folglich sind Fahrer bestenfalls um acht oder neun daheim, schlimmstenfalls – wenn der Kunde noch zum Abendessen verabredet ist oder mit Kollegen ein Bier trinken möchte - wird es deutlich später. Irgendwann nach neun Uhr abends lohnt es sich für sie nicht mehr, den langen Heimweg mit diversen Minibussen und Schwarztaxis anzutreten, dann schlafen sie auf dem Parkplatz der Leihwagenfirma im Auto. An solchen Tagen ist es angemessen, den Fahrern zehn Dollar Trinkgeld zu geben und am nächsten Morgen kann man sie dabei beobachten, wie sie sich in einer Ecke des Parkplatzes in einer Pause den Oberkörper waschen, vielleicht ein frisches Hemd aus dem Kofferraum holen. Chauffeure arbeiten mindestens Montags bis Samstags, verantwortungsbewußte – und lokalkundige – Kollegen geben ihnen wenigstens einen Tag pro Woche frei. Andererseits kommt ein großzügiges Trinkgeld unter Umständen durchaus gelegen, vor allem dann, wenn sie von ihrer Firma nicht pünktlich bezahlt werden – auch das leider keine Seltenheit. Obwohl sie insgesamt zu den wirtschaftlich Bessergestellten im Lande gehören, sind sie arm – einer meiner vielen geliehenen Fahrer verwickelte sich vor einigen Wochen in Diskussionen mit Polizisten und die fünf Dollar Bestechung, die es zur Problemlösung gebraucht hätte, waren jenseits seiner Möglichkeiten.
Alle Fahrer, deren Bekanntschaft ich bislang machen durfte, mochte ich gerne, ich mag ihre Geschichten, lerne gerne über ihren Alltag und ihre Sorgen, ich habe Mitgefühl mit ihrem alltäglichen Kampf ums Überleben in dieser strengen Stadt, ich gebe anständiges Trinkgeld, vor allem wenn sie mißmutig sind – in der Hoffnung, daß ich ihnen das Leben damit etwas leichter machen kann. Mein erster eigener Fahrer N. entpuppte sich jedoch im Verlauf der Woche als Katastrophe.
Das libanesische Restaurant, in dem ich am Montag mit einem Kollegen Mittag essen wollte, kannte er nicht. Obwohl es eine der bescheideneren Adressen der Stadt ist – Chawarma für drei Euro – und von Expatriates wie auch der kongolesischen Mittelschicht gleichermaßen gerne frequentiert wird, befindet es sich ohne Frage weit außerhalb seiner finanziellen Reichweite, ich hatte Verständnis. Er fragte seine Kollegen und die Wachen nach dem Weg und einmal in der richtigen Straße wußte ich selbst, wo ich hinwollte. Die Bank, zu der ich danach mußte, kannte er auch nicht. Weder den Geldautomaten am Supermarkt Hasson & Frères, eine Institution die eigentlich jeder, wirklich jeder kennt, noch das Stammhaus der Bank in der Innenstadt. Ich kannte den Weg und dirigierte ihn zum Automaten auf der Rückseite des Gebäudes. Wir waren auf der falschen Straßenseite, aber schön, ich stieg aus, kletterte über Unrat auf dem Mittelstreifen hinweg, drückte mich an einer Frau vorbei, die in einer Plastikschüssel Teller wusch, stakste mit meinen feinen Schühchen über den Schotter der Straße. Automat defekt. Ich kämpfte mich zurück zum Auto und lotste ihn zum Automaten in der Parallelstraße am Haupteingang. Reihte mich dort in die lange Schlange der Wartenden ein. Statt nun – wie es die übrigen Fahrer der Vergangenheit gemacht hätten – in der Wartezeit einen Parkplatz in meiner Nähe zu suchen, wartete er hundert Meter die Straße hinunter. Als ich wieder ins Auto stieg war ich zu entnervt, ihn eines Besseren zu belehren.
Am nächsten Tag hatte ich diverse Termine, mit und ohne Gesellschaft meiner Kollegen. Jedes Mal parkte der Fahrer unmäßig weit weg vom Eingang, nie kannte er die Adresse. Wenn ich im Wagen auf meine Kollegen warten wollte, parkte er in der prallen Sonne. Wenn ich mit meinen Kollegen telefonieren wollte, mußte ich ihn erst bitten, die Musik leiser zu stellen. Die Klimaanlage lief, aber die weitgeöffneten Fenster konterkarierten die Bemühungen (abgesehen davon, daß man nie mit offenen Fenstern fährt, um Polizisten und Passanten keine Aufdringlichkeiten zu ermöglichen). Auch bei einem zweiten Termin – ein neuer Tag, aber dasselbe Gebäude – nahm er nicht den schnellsten Weg, sondern den simpelsten. Kurz: mein Fahrer hatte von der Stadt und den relevanten Adressen nicht die leiseste Ahnung. Pünktlich, ja, freundlich, ja, sehr bemüht, auch das – aber wenig wendig. Bestätigt wurde ich in meiner Einschätzung gestern Mittag von Kollegen, die es nach einem gemeinsamen Termin vorzogen, in den Wagen ihres eigenen Fahrers zu wechseln statt weiter mit meinem Neuling Schnitzeljagd zu spielen. Und dazu muß man sagen: auch deren Fahrer ist nicht gerade ein leuchtender Stern am Himmel seiner Zunft, sondern eher mißmutig und etwas schwer von Begriff.
Ich habe längst begriffen, daß deutsche Vorstellungen von effizientem Verhalten, sinnvollem Zeitmanagement und einem Minimum an Planung hier nicht realistisch sind und man mit derartigen Wünschen vor die Wand läuft in einem Land, in dem Zeit und Aufwand anders bewertet werden. Aber ein Fahrer, der sich nicht auskennt, ist eine unendliche Pein. Ich habe Samstag einen Termin außerhalb der Stadt im Umland, habe nächste Woche diverse Termine an Orten und in Gebäuden, die ich nicht kenne, und ich war es irgendwann leid, immer zehn Minuten extra einplanen zu müssen, um meinem Fahrer Gelegenheit zu geben, vor Fahrtantritt Erkundigungen bei Kollegen für die ersten zwei Drittel der Strecke einzuholen und sich für das letzte Drittel bei Passanten durchfragen zu können. Hatte ich bis dahin noch gezögert, gab mir die spitze Anmerkung eines Kollegen, die Mietwagenfirma werde mehr als großzügig bezahlt und habe doch wohl die Pflicht, angemessen versierte und ortskundige Fahrer zu stellen, den Rest. Schweren Herzens und nicht ganz reinen Gewissens bat ich unseren Rezeptionisten, einen neuen Fahrer anzufordern. Ich habe meine Gründe ausführlich dargelegt, ich stand beim Gespräch mit der Mietwagenfirma daneben und habe dafür gesorgt, daß meine Zufriedenheit (abgesehen von der völligen Ortsunkenntnis) deutlich wurde, aber ich fühlte mich dennoch schlecht. Danach hatte ich nur noch kurz Gelegenheit, mit N. am Telefon zu sprechen, weil die Kollegen ihn ausgeliehen hatten und zu meiner Schande muß ich gestehen: ich hatte nicht den Mut, am Telefon die Karten auf den Tisch zu legen. Ich habe mich um die unangenehme Wahrheit gedrückt. Dafür bekam ich fairerweise gestern Abend die Rechnung in Form eines anklagenden Anrufs nach Feierabend, und hatte danach ein noch schlechteres Gewissen. Ich hätte es vielleicht der Anständigkeit halber mit N. selbst besprechen sollen – andererseits: was hätte es geändert? Ich hätte ihn bitten können, mich zukünftig am Eingang abzuholen statt hundert Meter über Schotterstraßen laufen zu lassen, ich hätte ihm erklären können, nicht den simpelsten sondern den schnellsten Weg zu nehmen, aber Ortskenntnis hätte ich ihm sicherlich nicht übers Wochenende beibringen können.
Ich befürchte, daß meine Sorge, ihn in Schwierigkeiten zu bringen, berechtigt war, ich schäme mich für den mangelnden Anstand, ihm meine Kritik direkt mitzuteilen und ich habe ein schlechtes Gewissen wegen alldem. Trotzdem bin ich froh, am Samstag nicht auf jemandem angewiesen zu sein, der so wenig mitdenkt und immerhin: das schlechte Gewissen trieb mich ins Wasser, und dort wurde mir der erste Freibad-Flirt meines Lebens zuteil, wenn auch nur kurz und folgenlos. Dieses Land ist wirklich immer für eine Überraschung gut.
[Edit:
Ich schäme mich immer noch. Wegen der Fahrer-Geschichte. Frau Arboretum hat natürlich recht: ich hätte es versuchen können und sollen. Ich habe allerlei gute Entschuldigungen für meine Entscheidung, um einen anderen Fahrer zu bitten: meine Arbeit ist kompliziert und bestenfalls eine Herausforderung (schlimmstenfalls eine Überforderung), ich selbst kenne die Stadt nicht und Verständnis für den Fahrer und seine Orientierungslosigkeit kostet Zeit, mein Arbeitgeber bezahlt für eine Dienstleistung, es ist nicht meine Aufgabe, Fahrer auszubilden oder als Versuchskaninchen zu fungieren, Kinshasa ist selbst unter den besten Umständen ein Abenteuer und ein guter, versierter Fahrer bedeutet zusätzliche Sicherheit in einem unberechenbaren Land. Das alles hat zu meiner Entscheidung beigetragen, aber ich fürchte fast, der Hauptgrund war ein anderer: ich war es leid. Und ich konnte es machen. Selbst mit den wirklich erfahrenen Fahrern ist es mühsam, komplexere Vorgänge als A nach B Strecken zu erklären. Nicht, weil sie dumm wären, sondern weil sie anders denken. Überlegungen wie: wen hole ich zuerst ab, welche Strecke ist praktisch, wie schiebe ich einen Einkauf dazwischen, wie koordiniere ich verschiedene Kollegen und Termine mit einem Fahrer, sind ihnen einfach fremd und man muß sorgfältig seine Planung erklären. Zeit ist hier noch kein Geld. Das ist in jedem Fall anstrengend und war mit N. noch viel anstrengender und ich war die Sorgen und Erklärungen und Verständnisprobleme leid. Es ist leicht, solche Entscheidungen hier durchzudrücken, man gewöhnt sich unglaublich schnell an die Position der Stärke, in der man hier zwangsläufig steht – es kostet nur einen Anruf, natürlich haben alle Kollegen Verständnis – ja, mich geradezu motiviert – und natürlich bekommt ein guter Kunde wie mein Arbeitgeber einen neuen Fahrer, wenn er das wünscht.
Jetzt fühle ich mich erbärmlich. Ich bin doch hier, weil ich glaube, daß meine Arbeit vielleicht ein kleines bißchen dazu beitragen kann, das Leben hier etwas erträglicher zu machen – und bin an meinen eigenen Ansprüchen viel schneller als erwartet kläglich gescheitert. Ich finde durchaus, daß man klein anfangen sollte und in diesem Fall hätte ich mehr darüber nachdenken sollen, welche Konsequenzen mein Handeln hat und weniger an mich denken sollen. Ich bin selbst überrascht, wie schnell man gedankenlos wird und sich korrumpieren läßt vom eigenen Wohlbefinden. Das war wahrhaftig keine moralische Glanzleistung, aber hoffentlich werde ich beim nächsten Mal mehr nachdenken und mich nicht wieder so schäbig verhalten.]
Ich hatte noch nie in meinem Leben einen Schwimmbad-Flirt. Vermutlich, weil ich mich in meiner Jugend selten in Schwimmbädern aufgehalten habe. Auf Handtüchern liegend habe ich noch nie bella figura gemacht, schon mit dreizehn hätte ich vor lauter Kurzsichtigkeit meinen Handtuchnachbarn kaum noch erkennen können, gleißendes Sonnenlicht auf Buchseiten fand ich schon immer störend, kurz: mich fand man eher in einer ruhigen Ecke des Hauses mit einem Buch als bei fröhlichen Tändeleien mit der Dorfjugend im Freibad. Gestern abend jedoch war ich schwimmen und das bescherte mir den ersten Freibad-Flirt meines Lebens. Ich liebe das Wasser, das sich im Dunkeln immer anders anfühlt als tagsüber, die Ruhe, ein paar Gäste im Restaurant auf der Terrasse und das Becken mit spiegelglattem Wasser ganz für mich allein. Nach einigen Minuten bekam ich gestern Gesellschaft, mein Nachbar auf Bahn Zwei kraulte fleißig, kraulte zielstrebig auf mich zu, als ich mein Soll erfüllt hatte und noch einen Moment am Beckenrad lehnte. You’ve got quite a stamina - das hört Mademoiselle natürlich immer gerne. Er übrigens auch nicht schlecht, trotz meiner Kurzsichtigkeit nach meinem Dafürhalten ganz eindeutig sehr bella figura. Wir wechselten zwei Sätze, aber ich war nicht in Stimmung für Flirts mit gutgebauten Indern aus der MONUC Truppe, beim nächsten Mal vielleicht.
Mich drückte nämlich mein Gewissen, das mich zu so später Stunde noch ins Wasser getrieben hatte. Ich habe nämlich gestern meinen Fahrer gefeuert, der mich wiederum um acht Uhr abends, als sein Arbeitgeber ihm das mitteilte, anrief. Anrief und umgehend auflegte, gleich Bitte um Rückruf. Was ich natürlich tat, wenn ich schon nachmittags weder den Mut noch die Gelegenheit gefunden hatte, ihm meine Gründe persönlich darzulegen. Ich habe versucht, mich am Telefon zu erklären, habe mich wortreich entschuldigt, irgendwann herrschte betretenes Schweigen auf beiden Seiten und er legte abschiedslos auf. Danach brauchte ich Bewegung, um meine Gedanken zu sortieren und meinem schlechten Gewissen davonzuschwimmen.
Die Angelegenheit hat natürlich eine Vorgeschichte. In meinem Telefonbuch sind beinahe mehr Taxifahrer und Chauffeure gespeichert als Freunde, ich verfüge über einen entsprechend breiten Erfahrungsschatz mit Herren, die für die Formel 1 trainieren, launischen Diven und begriffsstutzigen Schnarchnasen und hatte – zugegebenermaßen – eine gewisse Erwartungshaltung, als ich am Montag die Bekanntschaft meines ersten eigenen Mietwagen-Chauffeurs machte. Grundsätzlich sind die Chauffeure, die gewissermaßen mit dem Mietwagen zusammen von der Mietwagen-Firma gestellt werden, arme Schweine. Obwohl sie sich im Vergleich mit der Mehrheit der Kongolesen glücklich schätzen können ob ihres festen Jobs und sicheren Einkommens, ist das Leben nicht einfach. Fahrer wohnen meist weit außerhalb der Innenstadt und brauchen gerne ein oder zwei Stunden für die Anfahrt zur Zentrale der Leihwagenfirma. Wenn sie den Kunden morgens um acht im Hotel – oder mich an meiner Wohnung – abholen sollen, müssen sie folglich um sechs aufstehen. Den ganzen Tag bringen sie damit zu, den Kunden herumzukutschieren über lausige Straßen, die ein großes Maß an Kunstfertigkeit erfordern, um mit normalen Limousinen heile durch eimertiefe Schlaglöcher und über waldwegwürdige Schotterpisten zu kommen. Zwischendurch warten sie auf Parkplätzen und in Seitenstraßen, dösen, schlafen, plauschen miteinander und müssen stets auf Zuruf zur Verfügung stehen, dann aber bitte hopp-hopp auf Wunsch des Kunden. An ganz argen Tagen hat es die Polizei auf die weißen Reichen oder reichen Weißen abgesehen, dann benimmt sich ein guter Fahrer wie der Secret Service, gibt Gas und liefert den Kunden so schnell wie möglich im Hotel oder Büro ab, wo sich andere der Verwicklungen annehmen können. Weniger kluge Fahrer öffnen die Fenster ein weniges zu weit, der Polizist greift durchs Fenster und sitzt schneller im Auto als eine Kakerlake laufen kann. Ein Polizist im Auto wiederum ist eine Katastrophe, denn ohne Bestechung steigt er nicht aus, man muß sich also entscheiden: Prinzipien oder endloser Ärger.
Vor sieben hört bei uns niemand auf zu arbeiten, folglich sind Fahrer bestenfalls um acht oder neun daheim, schlimmstenfalls – wenn der Kunde noch zum Abendessen verabredet ist oder mit Kollegen ein Bier trinken möchte - wird es deutlich später. Irgendwann nach neun Uhr abends lohnt es sich für sie nicht mehr, den langen Heimweg mit diversen Minibussen und Schwarztaxis anzutreten, dann schlafen sie auf dem Parkplatz der Leihwagenfirma im Auto. An solchen Tagen ist es angemessen, den Fahrern zehn Dollar Trinkgeld zu geben und am nächsten Morgen kann man sie dabei beobachten, wie sie sich in einer Ecke des Parkplatzes in einer Pause den Oberkörper waschen, vielleicht ein frisches Hemd aus dem Kofferraum holen. Chauffeure arbeiten mindestens Montags bis Samstags, verantwortungsbewußte – und lokalkundige – Kollegen geben ihnen wenigstens einen Tag pro Woche frei. Andererseits kommt ein großzügiges Trinkgeld unter Umständen durchaus gelegen, vor allem dann, wenn sie von ihrer Firma nicht pünktlich bezahlt werden – auch das leider keine Seltenheit. Obwohl sie insgesamt zu den wirtschaftlich Bessergestellten im Lande gehören, sind sie arm – einer meiner vielen geliehenen Fahrer verwickelte sich vor einigen Wochen in Diskussionen mit Polizisten und die fünf Dollar Bestechung, die es zur Problemlösung gebraucht hätte, waren jenseits seiner Möglichkeiten.
Alle Fahrer, deren Bekanntschaft ich bislang machen durfte, mochte ich gerne, ich mag ihre Geschichten, lerne gerne über ihren Alltag und ihre Sorgen, ich habe Mitgefühl mit ihrem alltäglichen Kampf ums Überleben in dieser strengen Stadt, ich gebe anständiges Trinkgeld, vor allem wenn sie mißmutig sind – in der Hoffnung, daß ich ihnen das Leben damit etwas leichter machen kann. Mein erster eigener Fahrer N. entpuppte sich jedoch im Verlauf der Woche als Katastrophe.
Das libanesische Restaurant, in dem ich am Montag mit einem Kollegen Mittag essen wollte, kannte er nicht. Obwohl es eine der bescheideneren Adressen der Stadt ist – Chawarma für drei Euro – und von Expatriates wie auch der kongolesischen Mittelschicht gleichermaßen gerne frequentiert wird, befindet es sich ohne Frage weit außerhalb seiner finanziellen Reichweite, ich hatte Verständnis. Er fragte seine Kollegen und die Wachen nach dem Weg und einmal in der richtigen Straße wußte ich selbst, wo ich hinwollte. Die Bank, zu der ich danach mußte, kannte er auch nicht. Weder den Geldautomaten am Supermarkt Hasson & Frères, eine Institution die eigentlich jeder, wirklich jeder kennt, noch das Stammhaus der Bank in der Innenstadt. Ich kannte den Weg und dirigierte ihn zum Automaten auf der Rückseite des Gebäudes. Wir waren auf der falschen Straßenseite, aber schön, ich stieg aus, kletterte über Unrat auf dem Mittelstreifen hinweg, drückte mich an einer Frau vorbei, die in einer Plastikschüssel Teller wusch, stakste mit meinen feinen Schühchen über den Schotter der Straße. Automat defekt. Ich kämpfte mich zurück zum Auto und lotste ihn zum Automaten in der Parallelstraße am Haupteingang. Reihte mich dort in die lange Schlange der Wartenden ein. Statt nun – wie es die übrigen Fahrer der Vergangenheit gemacht hätten – in der Wartezeit einen Parkplatz in meiner Nähe zu suchen, wartete er hundert Meter die Straße hinunter. Als ich wieder ins Auto stieg war ich zu entnervt, ihn eines Besseren zu belehren.
Am nächsten Tag hatte ich diverse Termine, mit und ohne Gesellschaft meiner Kollegen. Jedes Mal parkte der Fahrer unmäßig weit weg vom Eingang, nie kannte er die Adresse. Wenn ich im Wagen auf meine Kollegen warten wollte, parkte er in der prallen Sonne. Wenn ich mit meinen Kollegen telefonieren wollte, mußte ich ihn erst bitten, die Musik leiser zu stellen. Die Klimaanlage lief, aber die weitgeöffneten Fenster konterkarierten die Bemühungen (abgesehen davon, daß man nie mit offenen Fenstern fährt, um Polizisten und Passanten keine Aufdringlichkeiten zu ermöglichen). Auch bei einem zweiten Termin – ein neuer Tag, aber dasselbe Gebäude – nahm er nicht den schnellsten Weg, sondern den simpelsten. Kurz: mein Fahrer hatte von der Stadt und den relevanten Adressen nicht die leiseste Ahnung. Pünktlich, ja, freundlich, ja, sehr bemüht, auch das – aber wenig wendig. Bestätigt wurde ich in meiner Einschätzung gestern Mittag von Kollegen, die es nach einem gemeinsamen Termin vorzogen, in den Wagen ihres eigenen Fahrers zu wechseln statt weiter mit meinem Neuling Schnitzeljagd zu spielen. Und dazu muß man sagen: auch deren Fahrer ist nicht gerade ein leuchtender Stern am Himmel seiner Zunft, sondern eher mißmutig und etwas schwer von Begriff.
Ich habe längst begriffen, daß deutsche Vorstellungen von effizientem Verhalten, sinnvollem Zeitmanagement und einem Minimum an Planung hier nicht realistisch sind und man mit derartigen Wünschen vor die Wand läuft in einem Land, in dem Zeit und Aufwand anders bewertet werden. Aber ein Fahrer, der sich nicht auskennt, ist eine unendliche Pein. Ich habe Samstag einen Termin außerhalb der Stadt im Umland, habe nächste Woche diverse Termine an Orten und in Gebäuden, die ich nicht kenne, und ich war es irgendwann leid, immer zehn Minuten extra einplanen zu müssen, um meinem Fahrer Gelegenheit zu geben, vor Fahrtantritt Erkundigungen bei Kollegen für die ersten zwei Drittel der Strecke einzuholen und sich für das letzte Drittel bei Passanten durchfragen zu können. Hatte ich bis dahin noch gezögert, gab mir die spitze Anmerkung eines Kollegen, die Mietwagenfirma werde mehr als großzügig bezahlt und habe doch wohl die Pflicht, angemessen versierte und ortskundige Fahrer zu stellen, den Rest. Schweren Herzens und nicht ganz reinen Gewissens bat ich unseren Rezeptionisten, einen neuen Fahrer anzufordern. Ich habe meine Gründe ausführlich dargelegt, ich stand beim Gespräch mit der Mietwagenfirma daneben und habe dafür gesorgt, daß meine Zufriedenheit (abgesehen von der völligen Ortsunkenntnis) deutlich wurde, aber ich fühlte mich dennoch schlecht. Danach hatte ich nur noch kurz Gelegenheit, mit N. am Telefon zu sprechen, weil die Kollegen ihn ausgeliehen hatten und zu meiner Schande muß ich gestehen: ich hatte nicht den Mut, am Telefon die Karten auf den Tisch zu legen. Ich habe mich um die unangenehme Wahrheit gedrückt. Dafür bekam ich fairerweise gestern Abend die Rechnung in Form eines anklagenden Anrufs nach Feierabend, und hatte danach ein noch schlechteres Gewissen. Ich hätte es vielleicht der Anständigkeit halber mit N. selbst besprechen sollen – andererseits: was hätte es geändert? Ich hätte ihn bitten können, mich zukünftig am Eingang abzuholen statt hundert Meter über Schotterstraßen laufen zu lassen, ich hätte ihm erklären können, nicht den simpelsten sondern den schnellsten Weg zu nehmen, aber Ortskenntnis hätte ich ihm sicherlich nicht übers Wochenende beibringen können.
Ich befürchte, daß meine Sorge, ihn in Schwierigkeiten zu bringen, berechtigt war, ich schäme mich für den mangelnden Anstand, ihm meine Kritik direkt mitzuteilen und ich habe ein schlechtes Gewissen wegen alldem. Trotzdem bin ich froh, am Samstag nicht auf jemandem angewiesen zu sein, der so wenig mitdenkt und immerhin: das schlechte Gewissen trieb mich ins Wasser, und dort wurde mir der erste Freibad-Flirt meines Lebens zuteil, wenn auch nur kurz und folgenlos. Dieses Land ist wirklich immer für eine Überraschung gut.
[Edit:
Ich schäme mich immer noch. Wegen der Fahrer-Geschichte. Frau Arboretum hat natürlich recht: ich hätte es versuchen können und sollen. Ich habe allerlei gute Entschuldigungen für meine Entscheidung, um einen anderen Fahrer zu bitten: meine Arbeit ist kompliziert und bestenfalls eine Herausforderung (schlimmstenfalls eine Überforderung), ich selbst kenne die Stadt nicht und Verständnis für den Fahrer und seine Orientierungslosigkeit kostet Zeit, mein Arbeitgeber bezahlt für eine Dienstleistung, es ist nicht meine Aufgabe, Fahrer auszubilden oder als Versuchskaninchen zu fungieren, Kinshasa ist selbst unter den besten Umständen ein Abenteuer und ein guter, versierter Fahrer bedeutet zusätzliche Sicherheit in einem unberechenbaren Land. Das alles hat zu meiner Entscheidung beigetragen, aber ich fürchte fast, der Hauptgrund war ein anderer: ich war es leid. Und ich konnte es machen. Selbst mit den wirklich erfahrenen Fahrern ist es mühsam, komplexere Vorgänge als A nach B Strecken zu erklären. Nicht, weil sie dumm wären, sondern weil sie anders denken. Überlegungen wie: wen hole ich zuerst ab, welche Strecke ist praktisch, wie schiebe ich einen Einkauf dazwischen, wie koordiniere ich verschiedene Kollegen und Termine mit einem Fahrer, sind ihnen einfach fremd und man muß sorgfältig seine Planung erklären. Zeit ist hier noch kein Geld. Das ist in jedem Fall anstrengend und war mit N. noch viel anstrengender und ich war die Sorgen und Erklärungen und Verständnisprobleme leid. Es ist leicht, solche Entscheidungen hier durchzudrücken, man gewöhnt sich unglaublich schnell an die Position der Stärke, in der man hier zwangsläufig steht – es kostet nur einen Anruf, natürlich haben alle Kollegen Verständnis – ja, mich geradezu motiviert – und natürlich bekommt ein guter Kunde wie mein Arbeitgeber einen neuen Fahrer, wenn er das wünscht.
Jetzt fühle ich mich erbärmlich. Ich bin doch hier, weil ich glaube, daß meine Arbeit vielleicht ein kleines bißchen dazu beitragen kann, das Leben hier etwas erträglicher zu machen – und bin an meinen eigenen Ansprüchen viel schneller als erwartet kläglich gescheitert. Ich finde durchaus, daß man klein anfangen sollte und in diesem Fall hätte ich mehr darüber nachdenken sollen, welche Konsequenzen mein Handeln hat und weniger an mich denken sollen. Ich bin selbst überrascht, wie schnell man gedankenlos wird und sich korrumpieren läßt vom eigenen Wohlbefinden. Das war wahrhaftig keine moralische Glanzleistung, aber hoffentlich werde ich beim nächsten Mal mehr nachdenken und mich nicht wieder so schäbig verhalten.]
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Mademoiselle Damenwahl plant ihr Wochenende:
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Eigenlob und ein Zug
Ich befürchte leider, daß meine Kollegen – alle doppelt so alt wie ich und semi-Rentner, die sich nach erfolgreicher Karriere noch ein bißchen die Zeit vertreiben – keine sehr hohe Meinung von mir haben. Da ich an meinem ersten Arbeitstag vor einer Woche völlig unvorbereitet war (ich hatte ja erst 12 Stunden vorher nach 12 Stunden Reise erfahren, daß mein Einsatz in endlosen Gesprächen gefordert sein würde) und ich außerdem bei hochspezialisierten Fachthemen gelegentlich mit dem Vokabular kämpfe (wußten Sie, daß Mercuriale eine staatlich gesetzte Preisgrenze ist? Nein? Tröstlich, ich nämlich auch nicht.), habe ich die ersten Tage vermutlich multi-inkompetent gewirkt. Ganz nebenbei betrete ich gerade inhaltliches Neuland, indem ich zum ersten Mal erlebe, wie sich die Themen meiner Diplomarbeit in der Praxis gestalten. Gestern jedoch konnte ich Boden gutmachen und da sei es mir gestattet, hier eine Runde anzugeben.
Erstens habe ich angeboten, einen Termin mit einer wichtigen Firma zu vereinbaren. Die lieben Kollegen beklagten nämlich, ihnen fehle die Zeit zum rumtelefonieren und der gewünschte Gesprächspartner gehe nie an sein Handy. Keine große Überraschung, die Nummer ist ja auch abgemeldet, aber mit etwas Internet-Recherche konnte ich die Firmenzentrale erreichen und dort nannte mir die Nummer des Geschäftsführers, der sich wiederum bereit erklärte, uns morgen früh um 7h30 (!) zu empfangen. In seinem Büro, etwas außerhalb der Stadt.
Zweitens konnte ich gestern Abend zu fortgeschrittener Stunde ein logistisches Problem grandios lösen. Einer unserer zwei Fahrer hat ein krankes Kind und daher gebeten, heute Vormittag später anfangen zu dürfen. Das wurde gerne bewilligt, allerdings stellte sich später heraus, daß wir morgens mit vier Personen drei unterschiedliche Termine wahrnehmen sollten und dafür nurmehr einen Fahrer haben würden. Meine vielfältigen Taxifahrer Erfahrungen machten sich jetzt nützlich, innerhalb von dreißig Minuten konnte ich mir einen anderen Fahrer organisieren und meinen den lieben Kollegen überlassen. Das hatte außerdem den Vorteil, daß ich nicht mit meinem eigenen Fahrer – seines Zeichens völlig orientierungslos in der Stadt – aufbrechen mußte, sondern jemanden an meiner Seite hatte, der sich gut auskennt.
Auf dem Weg kamen wir an jenen Quartiers populaires vorbei, die mich schon auf dem Weg zum Flughafen mit Entsetzen erfüllt haben. Kinder in Schuluniformen, ein Vater mit seinem kleinen Sohn an der Hand, Marktfrauen in klapprigen Holzbüdchen, und viel zu viele Kinder ohne Schuluniform. Auf dem Rückweg außerdem ein Zug. Die Gleise waren mir schon auf dem Hinweg aufgefallen, allerdings wäre ich nie darauf gekommen, daß die noch benutzt werden. Personenverkehr auf der Schiene gibt es im Kongo praktisch nicht, außer diesem einen Zug aus den 60er Jahren in Kinshasa, der den Flughafen mit der Innenstadt – genauer: dem Expat Viertel Gombe – verbindet. Ich mußte beim Anblick des Zuges an die alten Flugzeuge denken, die man gelegentlich als Denkmäler auf Flughäfen bewundern kann und bei denen man sich unwillkürlich wundert, wie Reisen wohl früher war und ob die Maschine noch funktionstauglich ist. Der Zug war so alt, daß vermutlich selbst der Schrottwert in Deutschland keine zweistellige Summe ergeben hätte, aber er fuhr. Und wie. Vollbeladen mit Menschen, sie hingen in Trauben aus den Fenstern, tanzten in Gruppen auf dem ersten und letzten Wagen und dazwischen spielten junge Männer fangen –auf dem Dach. Einer sprang auf und ab, über Minuten, und freute sich, daß er immer etwas weiter hinten landete, während der Zug unter ihm durchfuhr. Bis er ans Ende des Waggons kam. Der Zug hielt immer wieder an, fuhr ein Stück, hielt wieder an und braucht sicherlich zwei Stunden für die gesamte Strecke bei dem Tempo. Immerhin ist er umsonst, erklärte mein Fahrer, ein Service der Hafenbehörde – was immer die mit Schienen zu tun haben mag – für die Armen, um sie den Geschäftsmöglichkeiten der Innenstadt näherzubringen. Mein Fahrer hingegen: Alles Diebe! Schlecht für uns, die sollen lieber draußen bleiben!
Erstens habe ich angeboten, einen Termin mit einer wichtigen Firma zu vereinbaren. Die lieben Kollegen beklagten nämlich, ihnen fehle die Zeit zum rumtelefonieren und der gewünschte Gesprächspartner gehe nie an sein Handy. Keine große Überraschung, die Nummer ist ja auch abgemeldet, aber mit etwas Internet-Recherche konnte ich die Firmenzentrale erreichen und dort nannte mir die Nummer des Geschäftsführers, der sich wiederum bereit erklärte, uns morgen früh um 7h30 (!) zu empfangen. In seinem Büro, etwas außerhalb der Stadt.
Zweitens konnte ich gestern Abend zu fortgeschrittener Stunde ein logistisches Problem grandios lösen. Einer unserer zwei Fahrer hat ein krankes Kind und daher gebeten, heute Vormittag später anfangen zu dürfen. Das wurde gerne bewilligt, allerdings stellte sich später heraus, daß wir morgens mit vier Personen drei unterschiedliche Termine wahrnehmen sollten und dafür nurmehr einen Fahrer haben würden. Meine vielfältigen Taxifahrer Erfahrungen machten sich jetzt nützlich, innerhalb von dreißig Minuten konnte ich mir einen anderen Fahrer organisieren und meinen den lieben Kollegen überlassen. Das hatte außerdem den Vorteil, daß ich nicht mit meinem eigenen Fahrer – seines Zeichens völlig orientierungslos in der Stadt – aufbrechen mußte, sondern jemanden an meiner Seite hatte, der sich gut auskennt.
Auf dem Weg kamen wir an jenen Quartiers populaires vorbei, die mich schon auf dem Weg zum Flughafen mit Entsetzen erfüllt haben. Kinder in Schuluniformen, ein Vater mit seinem kleinen Sohn an der Hand, Marktfrauen in klapprigen Holzbüdchen, und viel zu viele Kinder ohne Schuluniform. Auf dem Rückweg außerdem ein Zug. Die Gleise waren mir schon auf dem Hinweg aufgefallen, allerdings wäre ich nie darauf gekommen, daß die noch benutzt werden. Personenverkehr auf der Schiene gibt es im Kongo praktisch nicht, außer diesem einen Zug aus den 60er Jahren in Kinshasa, der den Flughafen mit der Innenstadt – genauer: dem Expat Viertel Gombe – verbindet. Ich mußte beim Anblick des Zuges an die alten Flugzeuge denken, die man gelegentlich als Denkmäler auf Flughäfen bewundern kann und bei denen man sich unwillkürlich wundert, wie Reisen wohl früher war und ob die Maschine noch funktionstauglich ist. Der Zug war so alt, daß vermutlich selbst der Schrottwert in Deutschland keine zweistellige Summe ergeben hätte, aber er fuhr. Und wie. Vollbeladen mit Menschen, sie hingen in Trauben aus den Fenstern, tanzten in Gruppen auf dem ersten und letzten Wagen und dazwischen spielten junge Männer fangen –auf dem Dach. Einer sprang auf und ab, über Minuten, und freute sich, daß er immer etwas weiter hinten landete, während der Zug unter ihm durchfuhr. Bis er ans Ende des Waggons kam. Der Zug hielt immer wieder an, fuhr ein Stück, hielt wieder an und braucht sicherlich zwei Stunden für die gesamte Strecke bei dem Tempo. Immerhin ist er umsonst, erklärte mein Fahrer, ein Service der Hafenbehörde – was immer die mit Schienen zu tun haben mag – für die Armen, um sie den Geschäftsmöglichkeiten der Innenstadt näherzubringen. Mein Fahrer hingegen: Alles Diebe! Schlecht für uns, die sollen lieber draußen bleiben!
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Petitessen
Ich darf noch einmal zu der Firma mit den Booten gehen und weitere dumme Fragen zum Exportgeschäft stellen. Das eröffnet zumindest theoretisch die Möglichkeit, sich noch mal ausführlich über les transports fluviales auszutauschen -- ob das allerdings zu einer Einladung zu zwei Wochen Kongo-Kreuzfahrt führt, wage ich zu bezweifeln.
Ich würde das ja sofort machen, ich würde auch ein Vermögen in UMTS Einheiten investieren, um meine geschätzten Leser über sämtliche Abenteuer zu informieren, aber mal ehrlich: ich kann doch nicht einfach so ein Ansinnen stellen. Nur weil Madame gerne mal zum Privatvergnügen Bötchen fahren möchte? Leider bin ich auch sehr ungeschickt darin, solche Themen diplomatisch einzuleiten und Gespräche in meinem Sinne zu steuern, also machen Sie sich bitte keine Hoffnungen. Als Ersatz: Blood River von Tim Butcher lesen. Hat hier vor Ort Heart of Darkness als Pflichtlektüre aller Expatriates abgelöst.
In der Zwischenzeitlangweile ich mich lerne ich weiter viel in endlosen Meetings. Ein neuer Kollege ist Franzose und spricht in diesem ganz eigenen, leisen Singsang, den ich entsetzlich schlecht verstehe. Der englische Kollege spricht unverdrossen Französisch mit englischem Akzent, "mais" hört sich an wie "may" und geht mir damit fürchterlich auf den Keks. Überhaupt mag ich Menschen nicht, die immer so leise sprechen, daß man sie kaum versteht. Im Gymnasium hatte ich einen Lehrer, der dadurch seine Klassen strategisch disziplinieren wollte und ich fand es damals genauso dämlich wie heute. Vor allem angesichts der allgegenwärtigen Klimaanlagen im Hintergrund eine anstrengende Angewohnheit, die mir lange Termine geradezu zur Qual macht.
Was noch? Gestern hatte ich entschieden, meinen Laptop Akku zu schonen und nicht mit ins Büro zu nehmen, mich folglich aufs Stromnetz zu verlassen. Ganz falsche Entscheidung, sechs Mal gingen im Laufe des Tages die Lichter aus und obendrein scheine ich in einem Büro zweiter Klasse gelandet zu sein: die Lichter gingen bei mir nämlich immer erst zwei Minuten später an als im restlichen Gebäude. Weiß jemand zufällig, ob es dem Rechner schadet, wenn er so oft durch Stromausfall kaltgestellt wird (und nicht ordnungsgemäß heruntergefahren)? Dann müßte ich meine Prioritäten noch mal überdenken.
Ich würde das ja sofort machen, ich würde auch ein Vermögen in UMTS Einheiten investieren, um meine geschätzten Leser über sämtliche Abenteuer zu informieren, aber mal ehrlich: ich kann doch nicht einfach so ein Ansinnen stellen. Nur weil Madame gerne mal zum Privatvergnügen Bötchen fahren möchte? Leider bin ich auch sehr ungeschickt darin, solche Themen diplomatisch einzuleiten und Gespräche in meinem Sinne zu steuern, also machen Sie sich bitte keine Hoffnungen. Als Ersatz: Blood River von Tim Butcher lesen. Hat hier vor Ort Heart of Darkness als Pflichtlektüre aller Expatriates abgelöst.
In der Zwischenzeit
Was noch? Gestern hatte ich entschieden, meinen Laptop Akku zu schonen und nicht mit ins Büro zu nehmen, mich folglich aufs Stromnetz zu verlassen. Ganz falsche Entscheidung, sechs Mal gingen im Laufe des Tages die Lichter aus und obendrein scheine ich in einem Büro zweiter Klasse gelandet zu sein: die Lichter gingen bei mir nämlich immer erst zwei Minuten später an als im restlichen Gebäude. Weiß jemand zufällig, ob es dem Rechner schadet, wenn er so oft durch Stromausfall kaltgestellt wird (und nicht ordnungsgemäß heruntergefahren)? Dann müßte ich meine Prioritäten noch mal überdenken.
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Noch mehr Meetings
Heute habe ich einen Hafen besichtigt. Privat-Hafen. Am Fluß. Davor kamen allerdings drei endlose Stunden Meeting, in dessen Verlauf ich gelernt habe, daß es einfacher sein dürfte, eine Ladung Drogen ins Kanzleramt zu schmuggeln, als einen Sack Kakao aus diesem Land zu exportieren. Der Geschäftsführer und seine Assistenten waren für sich schon eine Attraktion. Anfangs war ich mir nicht einmal sicher, wer in jenem Laden die Hosen anhat. Wir wurden empfangen von einem Mann mit dem Aussehen von Jean Reno und der Stimme eines hysterischen Teenagers im Stimmbruch, in Jeans und Hemd, die feisten Handgelenke in etliche Armbänder gezwängt. Sah schmerzhaft aus. Optisch noch weniger seriös war der Geschäftsführer, der aussah wie ein Europäer mit zuviel Sonnenbankbesuchen, sich allerdings als halber Kongolese herausstellte. Unter dem offenen schwarzen Hemd mit silbernen Applikationen schlängelte sich eine fette Goldkette über die üppig behaarte Brust und seine beiden Söhne orientierten sich modisch ganz deutlich am Vater, hatten allerdings marginal weniger häßliche Hemden an. Während des Gesprächs mit einem der Jungs konnte ich kaum die Augen vom bis zum Bauchnabel offenen Hemdausschnitt lassen und wünschte, ich hätte annähernd ebenso viele Haare auf dem Kopf wie dieser junge Mann auf der Front. Der dritte im Bunde war ein leitender Mitarbeiter, der einzige Kongolese in unserer Runde, der überaus distinguiert und deutlich geschäftsführermäßiger gekleidet war als seine Vorgesetzten. In klassischem Hemd mit Doppelmanschette linste er professoral über seine auf der Nasenspitze balancierende Brille hinweg und überschüttete uns mit Wäschekörben von Unterlagen zu all unseren Fragen. Nett jedoch, waren sie alle. Sehr sogar!
In aller Ausführlichkeit lernten wir sämtliche Schritte des Exportgewerbes kennen. Die Plantagen sind 700 bis 1.000 km flußaufwärts gelegen, allein der Transport nach Kinshasa zur Abfertigung und Prüfung der Ware nimmt schon mindestens zehn Tage in Anspruch. Weiter östlich im Land sind nicht nur die Wege länger, sondern auch noch diverse Zölle der Provinzregierungen einzukalkulieren. Während die Fracht sich auf den Weg macht, muß eine Exportlizenz beantragt werden, in Kinshasa werden die Güter sortiert, verpackt und geprüft. Dafür sind je nach Produkt diverse Behörden verantwortlich, die zwar teilweise seit kurzem keine Behörden mehr sind, was sie aber nicht davon abhält, nach alter Sitte weiter behördliche Anordnungen auszustellen, sehr zum Leidwesen der kläglichen Überreste der Privatwirtschaft. Außerdem müssen der entsprechende Devisenverkehr bei der Zentralbank registriert und Frachtpapiere sowie diverse Zollunterlagen vorbereitet werden. In Kinshasa geht es flußabwärts nicht weiter (Wasserfälle und Stromschnellen), daher kommt alles auf die Schiene zum Hafen in Matadi, weitere vier Tage Transport für etwa dreihundert Kilometer. Während die Container auf ihre Verladung warten, gilt es, Unterlagen von vier Behörden einzusammeln, gegebenenfalls zuzüglich weiterer Qualitätskontrollen die vom importierenden Land oder Kunden gefordert werden. Insgesamt, ich habe es gerade noch mal nachgezählt, fünfzehn Arbeitsschritte, bis die Ladung das Land verläßt, ohne die parallelen Zahlungsvorgänge für die ganzen Formalitäten. Sollte ich jemals den Wunsch äußern, hier im Import-Export-Geschäft aktiv zu werden, halten Sie mich bitte davon ab, gerne auch mit Gewalt.
Zum Abschluß unseres Gesprächs durften wir den Hafen besichtigen, glücklich, wer es zumindest in Kinshasa vermeiden kann, die staatlichen Hafenanlagen zu nutzen, die notorisch unzuverlässig sind und außerdem weder Eile noch Effizienz kennen. Während der Chef sich gleich neben dem Rauchen-Verboten Schild unterhalb der Lagersilos eine Zigarette anzündete, erläuterte er deren Inhalte. Auf dem Gelände standen etliche Zwanzig-Fuß-Container und am Kai lagen mehrere flacheSchrottkähne Frachter nebeneinander (also: Seite an Seite, man hätte von einem zum nächsten klettern können). Der äußerste sah sogar noch leidlich fahrtüchtig aus. Auf einem weniger vertrauenerweckenden Kahn saß eine afrikanische Großfamilie bei der Vorbereitung des Abendessens, direkt davor zwei flache einheimische Baumstamm-Boote mit Fischern, die gerade ihre Netze einholten – wenn so die lokale Fischerei aussieht, werde ich zukünftig keinen Fisch mehr im Restaurant essen. Auf dem Fluß trieben kleine Grasschollen, als hätte jemand einen halben Golfplatz auf Reisen geschickt, während ein Speedboat der Wasserpolizei vorbeischoß.
Der junge Mann mit dem beeindruckenden Brustfell erzählte, daß er nächste Woche mit seinem Vater zu den Plantagen reisen würden und oh!- wie gerne würde ich mitfahren. Ich möchte soviel sehen und für einen Moment habe ich mir vorgestellt, ich könnte den Dezember nutzen um etwas so völlig absurdes zu machen, wie zwei Wochen mit einem Kahn flußaufwärts das Land zu sehen. Mit solchen Hintergedanken habe ich mich bemüht, besonders aufmerksam dem jungen Mann zuzuhören und dabei treuherzig zu schauen, aber ich war wohl nicht genug und die verbleibenden fünf Minuten zu kurz für einen ernsthaften Flirt. Sehr schade, das, aber ich war ja in offizieller Mission dort und konnte mich ihm nicht einfach an den Hals werfen und solche kuriosen Ansinnen äußern.
Hafengelände, das ich bei anderer Gelegenheit fotografiert habe – der gestrige war wesentlich aufgeräumter, die Frachter jedoch in nur unwesentlich besserem Zustand.
In aller Ausführlichkeit lernten wir sämtliche Schritte des Exportgewerbes kennen. Die Plantagen sind 700 bis 1.000 km flußaufwärts gelegen, allein der Transport nach Kinshasa zur Abfertigung und Prüfung der Ware nimmt schon mindestens zehn Tage in Anspruch. Weiter östlich im Land sind nicht nur die Wege länger, sondern auch noch diverse Zölle der Provinzregierungen einzukalkulieren. Während die Fracht sich auf den Weg macht, muß eine Exportlizenz beantragt werden, in Kinshasa werden die Güter sortiert, verpackt und geprüft. Dafür sind je nach Produkt diverse Behörden verantwortlich, die zwar teilweise seit kurzem keine Behörden mehr sind, was sie aber nicht davon abhält, nach alter Sitte weiter behördliche Anordnungen auszustellen, sehr zum Leidwesen der kläglichen Überreste der Privatwirtschaft. Außerdem müssen der entsprechende Devisenverkehr bei der Zentralbank registriert und Frachtpapiere sowie diverse Zollunterlagen vorbereitet werden. In Kinshasa geht es flußabwärts nicht weiter (Wasserfälle und Stromschnellen), daher kommt alles auf die Schiene zum Hafen in Matadi, weitere vier Tage Transport für etwa dreihundert Kilometer. Während die Container auf ihre Verladung warten, gilt es, Unterlagen von vier Behörden einzusammeln, gegebenenfalls zuzüglich weiterer Qualitätskontrollen die vom importierenden Land oder Kunden gefordert werden. Insgesamt, ich habe es gerade noch mal nachgezählt, fünfzehn Arbeitsschritte, bis die Ladung das Land verläßt, ohne die parallelen Zahlungsvorgänge für die ganzen Formalitäten. Sollte ich jemals den Wunsch äußern, hier im Import-Export-Geschäft aktiv zu werden, halten Sie mich bitte davon ab, gerne auch mit Gewalt.
Zum Abschluß unseres Gesprächs durften wir den Hafen besichtigen, glücklich, wer es zumindest in Kinshasa vermeiden kann, die staatlichen Hafenanlagen zu nutzen, die notorisch unzuverlässig sind und außerdem weder Eile noch Effizienz kennen. Während der Chef sich gleich neben dem Rauchen-Verboten Schild unterhalb der Lagersilos eine Zigarette anzündete, erläuterte er deren Inhalte. Auf dem Gelände standen etliche Zwanzig-Fuß-Container und am Kai lagen mehrere flache
Der junge Mann mit dem beeindruckenden Brustfell erzählte, daß er nächste Woche mit seinem Vater zu den Plantagen reisen würden und oh!- wie gerne würde ich mitfahren. Ich möchte soviel sehen und für einen Moment habe ich mir vorgestellt, ich könnte den Dezember nutzen um etwas so völlig absurdes zu machen, wie zwei Wochen mit einem Kahn flußaufwärts das Land zu sehen. Mit solchen Hintergedanken habe ich mich bemüht, besonders aufmerksam dem jungen Mann zuzuhören und dabei treuherzig zu schauen, aber ich war wohl nicht genug und die verbleibenden fünf Minuten zu kurz für einen ernsthaften Flirt. Sehr schade, das, aber ich war ja in offizieller Mission dort und konnte mich ihm nicht einfach an den Hals werfen und solche kuriosen Ansinnen äußern.
Hafengelände, das ich bei anderer Gelegenheit fotografiert habe – der gestrige war wesentlich aufgeräumter, die Frachter jedoch in nur unwesentlich besserem Zustand.
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Abenteuer im Aufzug
Der Samstag versprache ein reichlich ereignisloser Tag zu werden. Ich habe den Tag auf der Terrasse verbracht, gearbeitet, und ein Buch gelesen. Normalerweise ist es ja eine hübsche Ausrede, wenn Leute sagen: hach, ich lese so gerne, aber leider fehlt mir die Zeit dazu...., aber ich hatte in den vergangenen vier Wochen wirklich einfach keine ruhige Minute, umso schöner war es an diesem Wochenende zwei ganze Bücher zu lesen und ein drittes anzufangen. Der Arbeitsmoral wenig zuträglich, aber schön. Ich habe mir außerdem einen Sonnenbrand geholt – wer konnte auch ahnen, daß zwanzig Minuten in der prallen Sonne und ein Nachmittag im Schatten solche Wirkung zeigen würde?
Während ich mich dem Schlendrian hingab, wurde unten im Restaurant eine Hochzeit gefeiert (alle Leute, die komisch aussehen, tanzen gerade, unten im Bild außerdem die Band, die uns jeden Freitag und Samstag mit kongolesischer Musik beglückt und der Grill, dessen verführerische Rauchschwaden mich dazu bringen, öfter den Kühlschrank zu frequentieren, als meiner Figur gut tut).
Andere Leute hingegen arbeiten und sorgen dafür, daß in ferner Zukunft Geländewagen keine absolute Notwendigkeit in diesem Land sein werden.
Falls sich überhaupt hier irgendwann der motorisierte Transport durchsetzt.
Der Abend hielt jedoch noch eine völlig unerwartete Überraschung für mich bereit. Für meine geschätzten Leser ist mir kein Abenteuer zu unberechenbar und nach all den langweiligen Berichten über das kongolesische Geschäftsleben, Äußerlichkeiten und Business-Etikette habe ich mich gestern in nachgerade tödliche Gefahr begeben, um etwas Interessantes berichten zu können.
Ich habe ja schon an andere Stelle von den Eigenheiten des Aufzugs in unserem Haus berichtet. Dazu muß man wissen: es gibt im Haus drei Aufzüge, alle schon etwas betagt, derjenige mit dem Aussehen eines Lastenaufzugs hat noch nie funktioniert und seit ungefähr vier Wochen ist einer der anderen beiden dauerhaft ausgefallen.
Die Aufzüge haben kleine, runde, schwarze Knöpfe und können sich immer nur eine Etage merken. Wenn man den Aufzug betritt, zieht man die Tür hinter sich zu. Wenn diese komplett verschlossen ist, geht das Licht aus, dann kann man die gewünschte Etage anwählen, das Licht geht wieder an und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Eine innenliegende Tür gibt es nicht, man fährt also direkt an den Betonwänden des Aufzugschachts vorbei, auf denen die Nummern der Etagen aufgemalt sind. Sind mehrer Nachbarn mit verschiedenen Ausstiegswünschen im Aufzug, spricht man sich ab, derjenige, der im untersten Geschoß wohnt, gibt zuerst seinen Wunsch an, denn wenn man erst die sieben und dann die vier anwählt, fährt der Aufzug direkt in die siebte Etage.
Schon immer war es so, daß der Aufzug theoretisch bis in die achte Etage fahren kann, praktisch jedoch dort dann steckenbleibt und nichts mehr geht, bis die Wachen mit einem Spezialschlüssel kommen und das Ding reparieren. Seit gestern weiß ich, daß der Aufzug sich noch eine weitere Macke angeeignet hat.
Ich wollte abends gegen neun Uhr mit einem kongolesischen Freund spontan noch ein Bier trinken gehen, er war schon unterwegs, ich in Eile und als ich im Aufzug stand und schon das Erdgeschoß angewählt hatte, packte mich meine Tür-Abschließ-Paranoia und ich wollte noch einmal hochfahren. Bisher war es so, daß man in diesem Fall den Stopp-Knopf drücken konnte, der Aufzug hielt an und man konnte neu wählen. Auch dies leider inzwischen nur noch theoretisch, praktisch hielt der Aufzug gestern abend zwischen der sechsten und siebten Etage an, danach rührte er sich nicht mehr. Die Tür der siebten Etage war noch in Sicht, ließ sich aber nicht mehr öffnen, ansonsten Betonschacht um mich herum. Ich habe einen Moment überlegt, meinen Mitbewohner konnte ich nicht anrufen, da der ja sein Handy verloren hatte, von den Wachen unten fehlte mir die Telefonnummer und im Treppenhaus rührte sich niemand, den ich um Hilfe hätte bitten können. Ich habe also den Freund angerufen, der mich abholen wollte und gebeten, die Wachen über meine Notlage zu informieren. Mit mir eingeschlossen etliche Mücken und zwei sechsbeinige Krabbelviecher und jedes Mal, wenn ich mich bewegte, schwankte der Aufzug leicht an seinen Trägerseilen hin und her. Ich gebe zu: ich hatte Angst. Sieben Etage können ziemlich tief sein und der Aufzug – an dessen Zuverlässigkeit ich bislang nie ernsthafte Zweifel gehegt hatte, schien mir plötzlich weit weniger solide. Einen kurzen Moment habe ich überlegt, meine Mama nzurufen und mich wenigstens noch zu verabschieden, aber das schien mir doch zu albern. Dann habe ich nachgedacht, wen ich zur Unterhaltung anrufen könnte. Auch das kam mir irgendwie lächerlich vor und so viele gute Freunde habe ich hier eben doch noch nicht. Dem Impuls, eine Zigarette zu rauchen, stand meine deutsche Regelhörigkiet entgegen und nach zehn endlosen Minuten kam der Wachmann und löste die Aufzugsperre. Anfangs tat sich nichts, nur die Lichter gingen aus und ich war endgültig überzeugt, mein letztes Stündlein habe geschlagen, aber dann setzte er sich doch in Bewegung und eine Minute später hatte das Leben mich wieder. Meine Auferstehung von den beinahe Toten haben wir dann im Quartier Bon Marché mit einem Bier begossen.
Während ich mich dem Schlendrian hingab, wurde unten im Restaurant eine Hochzeit gefeiert (alle Leute, die komisch aussehen, tanzen gerade, unten im Bild außerdem die Band, die uns jeden Freitag und Samstag mit kongolesischer Musik beglückt und der Grill, dessen verführerische Rauchschwaden mich dazu bringen, öfter den Kühlschrank zu frequentieren, als meiner Figur gut tut).
Andere Leute hingegen arbeiten und sorgen dafür, daß in ferner Zukunft Geländewagen keine absolute Notwendigkeit in diesem Land sein werden.
Falls sich überhaupt hier irgendwann der motorisierte Transport durchsetzt.
Der Abend hielt jedoch noch eine völlig unerwartete Überraschung für mich bereit. Für meine geschätzten Leser ist mir kein Abenteuer zu unberechenbar und nach all den langweiligen Berichten über das kongolesische Geschäftsleben, Äußerlichkeiten und Business-Etikette habe ich mich gestern in nachgerade tödliche Gefahr begeben, um etwas Interessantes berichten zu können.
Ich habe ja schon an andere Stelle von den Eigenheiten des Aufzugs in unserem Haus berichtet. Dazu muß man wissen: es gibt im Haus drei Aufzüge, alle schon etwas betagt, derjenige mit dem Aussehen eines Lastenaufzugs hat noch nie funktioniert und seit ungefähr vier Wochen ist einer der anderen beiden dauerhaft ausgefallen.
Die Aufzüge haben kleine, runde, schwarze Knöpfe und können sich immer nur eine Etage merken. Wenn man den Aufzug betritt, zieht man die Tür hinter sich zu. Wenn diese komplett verschlossen ist, geht das Licht aus, dann kann man die gewünschte Etage anwählen, das Licht geht wieder an und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Eine innenliegende Tür gibt es nicht, man fährt also direkt an den Betonwänden des Aufzugschachts vorbei, auf denen die Nummern der Etagen aufgemalt sind. Sind mehrer Nachbarn mit verschiedenen Ausstiegswünschen im Aufzug, spricht man sich ab, derjenige, der im untersten Geschoß wohnt, gibt zuerst seinen Wunsch an, denn wenn man erst die sieben und dann die vier anwählt, fährt der Aufzug direkt in die siebte Etage.
Schon immer war es so, daß der Aufzug theoretisch bis in die achte Etage fahren kann, praktisch jedoch dort dann steckenbleibt und nichts mehr geht, bis die Wachen mit einem Spezialschlüssel kommen und das Ding reparieren. Seit gestern weiß ich, daß der Aufzug sich noch eine weitere Macke angeeignet hat.
Ich wollte abends gegen neun Uhr mit einem kongolesischen Freund spontan noch ein Bier trinken gehen, er war schon unterwegs, ich in Eile und als ich im Aufzug stand und schon das Erdgeschoß angewählt hatte, packte mich meine Tür-Abschließ-Paranoia und ich wollte noch einmal hochfahren. Bisher war es so, daß man in diesem Fall den Stopp-Knopf drücken konnte, der Aufzug hielt an und man konnte neu wählen. Auch dies leider inzwischen nur noch theoretisch, praktisch hielt der Aufzug gestern abend zwischen der sechsten und siebten Etage an, danach rührte er sich nicht mehr. Die Tür der siebten Etage war noch in Sicht, ließ sich aber nicht mehr öffnen, ansonsten Betonschacht um mich herum. Ich habe einen Moment überlegt, meinen Mitbewohner konnte ich nicht anrufen, da der ja sein Handy verloren hatte, von den Wachen unten fehlte mir die Telefonnummer und im Treppenhaus rührte sich niemand, den ich um Hilfe hätte bitten können. Ich habe also den Freund angerufen, der mich abholen wollte und gebeten, die Wachen über meine Notlage zu informieren. Mit mir eingeschlossen etliche Mücken und zwei sechsbeinige Krabbelviecher und jedes Mal, wenn ich mich bewegte, schwankte der Aufzug leicht an seinen Trägerseilen hin und her. Ich gebe zu: ich hatte Angst. Sieben Etage können ziemlich tief sein und der Aufzug – an dessen Zuverlässigkeit ich bislang nie ernsthafte Zweifel gehegt hatte, schien mir plötzlich weit weniger solide. Einen kurzen Moment habe ich überlegt, meine Mama nzurufen und mich wenigstens noch zu verabschieden, aber das schien mir doch zu albern. Dann habe ich nachgedacht, wen ich zur Unterhaltung anrufen könnte. Auch das kam mir irgendwie lächerlich vor und so viele gute Freunde habe ich hier eben doch noch nicht. Dem Impuls, eine Zigarette zu rauchen, stand meine deutsche Regelhörigkiet entgegen und nach zehn endlosen Minuten kam der Wachmann und löste die Aufzugsperre. Anfangs tat sich nichts, nur die Lichter gingen aus und ich war endgültig überzeugt, mein letztes Stündlein habe geschlagen, aber dann setzte er sich doch in Bewegung und eine Minute später hatte das Leben mich wieder. Meine Auferstehung von den beinahe Toten haben wir dann im Quartier Bon Marché mit einem Bier begossen.
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Geschäftswelt
Das erste Wochenende im Kongo. Die halbe Woche Arbeit war anstrengend, vor allem weil ich mit meinen Kollegen kämpfe. Die Aufgaben in meinem Vertrag sind entsetzlich unklar formuliert und es ist schwer für mich, festzustellen, bei welchen Meetings ich mitgehen sollte und wo es sich nicht lohnt. Nachdem ich deutlich gemacht habe, daß nicht alle Treffen für mich relevant sind, bin ich leider auch nicht mehr so eingebunden wie anfangs und werde noch weniger über Pläne informiert. Ich bin gerade halb so alt wie die Kollegen und ganz sicher nicht in jeder Hinsicht gleichberechtigter Partner, und das Informationsdefizit macht es mir doppelt schwer, mich auf Gespräche vernünftig vorzubreiten. Gleichzeitig geben die vielen Termine in Unternehmen und Behörden unglaublich spannende Einblicke in die kongolesische Wirtschaftswelt. Die runden kleinen Metalldinger im Konferenztisch von Mittwoch sind vermutlich Aussparungen für Mikrofone und Kabel, nur ohne Mikrofone und Kabel – so technisch fortgeschritten sind wir hier dann doch nicht. Dies eine Erkenntnis von Freitag Morgen und einer weiteren Begegnung mit dem gleichen Modell von Konferenztisch. Vielleicht gab es Mengenrabatt für einen Großeinkauf mehrerer Behörden. Das Treffen mit dem Chef einer Behörde fand im siebten Obergeschoß des Gebäudes statt, Aufzug defekt. Sport am Morgen. Die oberste Etage war sehr hübsch mit rotem Plüschteppich dekoriert, im Büro selbst standen scheußliche, bunt-marmorierte Vasen mit Metallic-Glitzerapplikationen herum, wie ich sie selbst als fünzehnjähriger Teenager in meiner Rosa-Phase nicht aufgestellt hätte. Nach über einer Stunde wurden Erfrischungen serviert, vorwiegend kleine Tetra-Paks mit Strohhalm, an denen wir dann die folgende Stunde nuckelten. Während der Generaldirektor in seinem Büro-Fauteuil mehr hing als saß, eröffnete sein Assistent jede Aussage mit der Phrase Avec la permission de l’ADG.... (Administrateur Directeur Général). Falls Sie dachten, die Wiener wären titelgeil, kommen Sie in den Kongo, hier sind Titel das Alpha und Omega der wirtschaftsgesellschaftlichen Etikette.
Der nächste Termin führte uns zum – mutmaßlich belgischen – Chef eines französischen Unternehmens und in das bislang eleganteste Büro meines hiesigen Erfahrungshorizonts. Der Boden war ausnahmsweise nicht gefliest sonder mit wunderschönem, dunklem Echtholzparkett ausgelegt, die geschmackvollen Möbel schön arrangiert in einem Büro von der Größe einer geräumigen Zweizimmerwohnung in Frankfurt. Ein langer Konferenztisch, bequeme Sofas, ein monströser Schreibtisch, dahinter die kongolesische Flagge und auf einem riesigen Sideboard zwei kleine französische Flaggen. Auf den Fensterbrettern standen afrikanische Holzstatuetten, ein ziemlich großes Modell einer Windjammer, ein Elfenbeinelefant, während die gegenüberliegenden Wand mit Fotos von auftauchenden U-Booten dekoriert war. Es gab Kaffee aus einer richtigen Espressomaschine, Wasser aus Pappbechern und für den Hausherrn nach gut einer Stunde Zigaretten. Gerne hätte ich mich angeschlossen, habe es allerdings nicht gewagt. Das gesamte Büro strahlte üppigen, kolonialen Charme aus und der Hausherr paßte perfekt dazu. Professionell, dabei sehr entspannt und zu Hause in seiner Rolle. Durchaus kompetent, aber für die technischen Einzelheiten war ganz offensichtlich sein kongolesischer Stellvertreter verantwortlich.
Bei den kongolesischen Geschäftsleuten gibt es – soweit ich das beurteilen kann – drei Typen: die Oberchefs stehen in Kleidung und Auftreten ihren europäischen Pendants in nichts nach: teure, gutsitzende Anzüge, gepflegtes, klassisches Schuhwerk, allenfalls die Uhr fällt häufig etwas rolexiger, klotziger und goldener aus als beim Gentleman in der City. Aufstrebende, zukünftige Verantwortungsträger haben sich diesem Status oft schon weitgehend angenähert, allerdings sind häufig die Schuhe spitzer und extravaganter als notwendig (gestern zum Beispiel im Budapester-Stil, in schwarz mit dunkelgrauem Blatt und einer Spitze, die waffentauglich gewesen wäre) und die Zurückhaltung beim Schmuck ist weniger ausgeprägt. Daran sieht man sofort, ob jemand sich an der traditionellen afrikanischen Elite orientiert oder der europäischen Geschäftswelt: ganz besonders viele Behördenmitarbeiter mit guten Verbindungen und vermutlich langjähriger Karriere erfüllen oftmals jedes vorstellbare Klischee und sind mit Goldschmuck üppiger behängt als die russische Oligarchengattin. Herren der jüngeren Generation haben oft ein ausgeprägte Faible für buntgestreifte Hemden, Typ Investmentbanker in smart casual mit dunklem Jackett und Jeans. Dumm nur, wenn von den silber-blinkenden Knöpfen der mittlere fehlt. Unteres Management wiederum sieht genauso aus wie unteres Management zu Hause: schlecht sitzende Anzüge, lachsfarbene Kurzarmhemden und zu sportliche Schuhe. Geht gar nicht. Eine Besonderheit sind die weitverbreiteten Herrenanzüge mit Kurzarm, die mir zuerst in Tunis begegnet sind. Ja, Sie lesen richtig, man sieht hier oft Herren in Anzügen, bei denen das Jackett nur halbe oder sogar kurze Ärmel hat, dann allerdings nur mit einem dünnen T-Shirt oder Unterhemd drunter. Ichnehme an hoffe, daß diese besondere Scheußlichkeit dem Klima zuzuschreiben ist. Und um mich von diskriminatorischen Vorwürfen reinzuwaschen: Kurzarmhemden in deutschen Büros finde ich gleichermaßen unmöglich. Wenn schon, diskriminiere ich alle.
Die guten Neuigkeiten: ich habe jetzt dank UMTS Internet auch zu Hause. Unglaublich aber wahr, beide großen Telefongesellschaften – mobil, versteht sich, Festnetz gibt es nicht, soweit ich weiß – bieten Daten-Sim-Karten an und die funktionieren sogar. Ich war am Donnerstag Nachmittag in der Hauptniederlassung des Anbieters meiner Wahl, pinkes Logo aber sonst ganz anders als der heimische Telekommunikations-Platzhirsch. Die Filiale hatte die Ausmaße und den dekorativen Charme einer Lagerhalle. Links hinter einer Glaswand zehn Schreibtische zur individuellen Kundenbetreuung, in der Mitte ein Informationsschalter, dahinter mit einem Drehkreuz abgetrennt ein weiterer Schalter, zur rechten dann eine Wartehalle und dahinter ein unverhältnismäßig kleiner Teil, in dem Telefone verkauft wurden. Lohnt sich vermutlich nicht, da man an jeder Straßenecke bei fliegenden Händlern billige Telefone der Freunde aus Fernost günstig erwerben kann. Ich stand einen Moment verloren in der Mitte, um mich herum viel Gewusel und wartenden Kunden, eine lange Schlange am zentralen Schalter. Dort reihte ich mich ein, als auch schon ein junger Mann in Zivil – ohne corporate-identity-pinke Kleidung oder Hundemarke – mir zur Hilfe eilte. Ich trug meinen Wunsch vor, er lotste mich umgehend in den Glaskasten nebenan – ein Schelm wer Böses dabei denkt, daß etliche kongolesische Kunden vor mir weiter in der Schlange warteten. Erneut erklärte ich mein Anliegen, der junge Mann half mir, Sim-Karte und Aufladung zu erwerben, freute sich ungemein, mit mir Deutsch sprechen zu können – Schulkenntnisse, aber gute! – und tauschte auch gleich Telefonnummern mit mir aus. Ich nehme an, ich habe schon wieder ein Blind Date in der Warteschleife. Ich bin jedenfalls geradezu begeistert, daß UMTS hier tatsächlich funktioniert, wieder ein Stück Freiheit gewonnen, weil ich nun wochenends nicht mehr um jeden Preis ins Büro muß, um Internetzugang zu haben.
Jetzt sitze ich auf meiner Terrasse, warte wie ein braves Hausmütterchen auf meinen Mitbewohner, der heute wiederkommt, allerdings leider Schlüssel und Telefon verloren hat und genieße die Sonne. Die Sicht bis Brazzaville war noch nie so klar, zum ersten Mal erkenne ich, daß gegenüber gleich zwei Inseln im Fluß liegen. Es ist so warm, daß jede Bewegung zu Anstrengung wird – und das sei erst der Anfang, so sagt man mir – aber das Sonnenlicht ist mild und nicht so gleißend wie in Tunis. Die Blätter der Topfpflanzen rascheln leise im Wind (die achte Etage ist ein Segen, auch wenn ich vorhin wegen Aufzugausfall zu Fuß hochlaufen mußte), gegenüber auf der Baustelle kreischt eine Säge. Ich hoffe, daß sie es bei sechs Etagen Neubau belassen, sonst leidet unsere Aussicht ernsthaft. Unten auf den Tennisplätzen fliegt der Ball mit einem leisen Plopp hin und her und manchmal hört man auf der Straße einen Sandwichverkäufer. Die tragen auf ihren Köpfe Bottiche herum mit Baguettes ordentlich strahlenförmig rundherum angeordnet, in der Mitte Wurst und Käse oder Erdnußpaste. In der Hand tragen sie ein Messer und mit dem klopfen sie rhythmisch gegen den Bottich, so daß alle wissen: hier kommt ein Brotverkäufer. Wenn es irgendein Geräusch gibt, das für mich typisch Kongo ist, dann dieses. Allgegenwärtig, von früh morgens bis spät abends, verschwindend leise in der Kakophonie von Straßenlärm, Baustellen und afrikanischemAlltag Samstag, aber doch ganz eigen.
Der nächste Termin führte uns zum – mutmaßlich belgischen – Chef eines französischen Unternehmens und in das bislang eleganteste Büro meines hiesigen Erfahrungshorizonts. Der Boden war ausnahmsweise nicht gefliest sonder mit wunderschönem, dunklem Echtholzparkett ausgelegt, die geschmackvollen Möbel schön arrangiert in einem Büro von der Größe einer geräumigen Zweizimmerwohnung in Frankfurt. Ein langer Konferenztisch, bequeme Sofas, ein monströser Schreibtisch, dahinter die kongolesische Flagge und auf einem riesigen Sideboard zwei kleine französische Flaggen. Auf den Fensterbrettern standen afrikanische Holzstatuetten, ein ziemlich großes Modell einer Windjammer, ein Elfenbeinelefant, während die gegenüberliegenden Wand mit Fotos von auftauchenden U-Booten dekoriert war. Es gab Kaffee aus einer richtigen Espressomaschine, Wasser aus Pappbechern und für den Hausherrn nach gut einer Stunde Zigaretten. Gerne hätte ich mich angeschlossen, habe es allerdings nicht gewagt. Das gesamte Büro strahlte üppigen, kolonialen Charme aus und der Hausherr paßte perfekt dazu. Professionell, dabei sehr entspannt und zu Hause in seiner Rolle. Durchaus kompetent, aber für die technischen Einzelheiten war ganz offensichtlich sein kongolesischer Stellvertreter verantwortlich.
Bei den kongolesischen Geschäftsleuten gibt es – soweit ich das beurteilen kann – drei Typen: die Oberchefs stehen in Kleidung und Auftreten ihren europäischen Pendants in nichts nach: teure, gutsitzende Anzüge, gepflegtes, klassisches Schuhwerk, allenfalls die Uhr fällt häufig etwas rolexiger, klotziger und goldener aus als beim Gentleman in der City. Aufstrebende, zukünftige Verantwortungsträger haben sich diesem Status oft schon weitgehend angenähert, allerdings sind häufig die Schuhe spitzer und extravaganter als notwendig (gestern zum Beispiel im Budapester-Stil, in schwarz mit dunkelgrauem Blatt und einer Spitze, die waffentauglich gewesen wäre) und die Zurückhaltung beim Schmuck ist weniger ausgeprägt. Daran sieht man sofort, ob jemand sich an der traditionellen afrikanischen Elite orientiert oder der europäischen Geschäftswelt: ganz besonders viele Behördenmitarbeiter mit guten Verbindungen und vermutlich langjähriger Karriere erfüllen oftmals jedes vorstellbare Klischee und sind mit Goldschmuck üppiger behängt als die russische Oligarchengattin. Herren der jüngeren Generation haben oft ein ausgeprägte Faible für buntgestreifte Hemden, Typ Investmentbanker in smart casual mit dunklem Jackett und Jeans. Dumm nur, wenn von den silber-blinkenden Knöpfen der mittlere fehlt. Unteres Management wiederum sieht genauso aus wie unteres Management zu Hause: schlecht sitzende Anzüge, lachsfarbene Kurzarmhemden und zu sportliche Schuhe. Geht gar nicht. Eine Besonderheit sind die weitverbreiteten Herrenanzüge mit Kurzarm, die mir zuerst in Tunis begegnet sind. Ja, Sie lesen richtig, man sieht hier oft Herren in Anzügen, bei denen das Jackett nur halbe oder sogar kurze Ärmel hat, dann allerdings nur mit einem dünnen T-Shirt oder Unterhemd drunter. Ich
Die guten Neuigkeiten: ich habe jetzt dank UMTS Internet auch zu Hause. Unglaublich aber wahr, beide großen Telefongesellschaften – mobil, versteht sich, Festnetz gibt es nicht, soweit ich weiß – bieten Daten-Sim-Karten an und die funktionieren sogar. Ich war am Donnerstag Nachmittag in der Hauptniederlassung des Anbieters meiner Wahl, pinkes Logo aber sonst ganz anders als der heimische Telekommunikations-Platzhirsch. Die Filiale hatte die Ausmaße und den dekorativen Charme einer Lagerhalle. Links hinter einer Glaswand zehn Schreibtische zur individuellen Kundenbetreuung, in der Mitte ein Informationsschalter, dahinter mit einem Drehkreuz abgetrennt ein weiterer Schalter, zur rechten dann eine Wartehalle und dahinter ein unverhältnismäßig kleiner Teil, in dem Telefone verkauft wurden. Lohnt sich vermutlich nicht, da man an jeder Straßenecke bei fliegenden Händlern billige Telefone der Freunde aus Fernost günstig erwerben kann. Ich stand einen Moment verloren in der Mitte, um mich herum viel Gewusel und wartenden Kunden, eine lange Schlange am zentralen Schalter. Dort reihte ich mich ein, als auch schon ein junger Mann in Zivil – ohne corporate-identity-pinke Kleidung oder Hundemarke – mir zur Hilfe eilte. Ich trug meinen Wunsch vor, er lotste mich umgehend in den Glaskasten nebenan – ein Schelm wer Böses dabei denkt, daß etliche kongolesische Kunden vor mir weiter in der Schlange warteten. Erneut erklärte ich mein Anliegen, der junge Mann half mir, Sim-Karte und Aufladung zu erwerben, freute sich ungemein, mit mir Deutsch sprechen zu können – Schulkenntnisse, aber gute! – und tauschte auch gleich Telefonnummern mit mir aus. Ich nehme an, ich habe schon wieder ein Blind Date in der Warteschleife. Ich bin jedenfalls geradezu begeistert, daß UMTS hier tatsächlich funktioniert, wieder ein Stück Freiheit gewonnen, weil ich nun wochenends nicht mehr um jeden Preis ins Büro muß, um Internetzugang zu haben.
Jetzt sitze ich auf meiner Terrasse, warte wie ein braves Hausmütterchen auf meinen Mitbewohner, der heute wiederkommt, allerdings leider Schlüssel und Telefon verloren hat und genieße die Sonne. Die Sicht bis Brazzaville war noch nie so klar, zum ersten Mal erkenne ich, daß gegenüber gleich zwei Inseln im Fluß liegen. Es ist so warm, daß jede Bewegung zu Anstrengung wird – und das sei erst der Anfang, so sagt man mir – aber das Sonnenlicht ist mild und nicht so gleißend wie in Tunis. Die Blätter der Topfpflanzen rascheln leise im Wind (die achte Etage ist ein Segen, auch wenn ich vorhin wegen Aufzugausfall zu Fuß hochlaufen mußte), gegenüber auf der Baustelle kreischt eine Säge. Ich hoffe, daß sie es bei sechs Etagen Neubau belassen, sonst leidet unsere Aussicht ernsthaft. Unten auf den Tennisplätzen fliegt der Ball mit einem leisen Plopp hin und her und manchmal hört man auf der Straße einen Sandwichverkäufer. Die tragen auf ihren Köpfe Bottiche herum mit Baguettes ordentlich strahlenförmig rundherum angeordnet, in der Mitte Wurst und Käse oder Erdnußpaste. In der Hand tragen sie ein Messer und mit dem klopfen sie rhythmisch gegen den Bottich, so daß alle wissen: hier kommt ein Brotverkäufer. Wenn es irgendein Geräusch gibt, das für mich typisch Kongo ist, dann dieses. Allgegenwärtig, von früh morgens bis spät abends, verschwindend leise in der Kakophonie von Straßenlärm, Baustellen und afrikanischem
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Chaos à nouveau
Der Kongo hat mich wieder, mit allen seinen kleinen Malaisen. Unser homme de ménage war gestern morgen grummelig, vermutlich habe ich etwas falsch gemacht und weiß nicht was. War eine Tüte Weingummi ein zu kleines Geschenk für Fernreisende, die aus fremden Landen zurückkehren? Chaos auch bei der Arbeit, mehr als mir lieb war. Bisher war ich in der komfortablen Situation, weitgehend für mich alleine arbeiten zu können, damit hat es jetzt ein Ende. Ich bin eingebunden in die Arbeit einiger Kollegen aus Washington, welche mich schon letzte Woche per Mail darüber informierten und Mittwoch morgen neun Uhr zur Lagebesprechung vorschlugen. Ich wartete also brav um halb neun vor der Tür auf Abholung, mein Lieblingswächter strahlte vor Freude bei meinem Anblick und brüllte unmißverständlich über den gesamten – morgendlich belebten – Hof: La rose!.... la belle fleur! und überschüttete mich mit Komplimenten. Vermutlich immer noch auf der Suche nach einer europäischen Brieffreundin, der Gute. Ich war kaum ins Auto eingestiegen, als man mir eröffnete: statt Lagebesprechung habe man heute Gesprächstermine mit diversen Organisationen und Unternehmen vereinbart, nämlich um neun, zehn, elf, halb zwei, drei und fünf Uhr. Bei der Gelegenheit könne ich dann auch gleich meine Fragen zu den relevanten Themen anbringen. Mir war zu dem Zeitpunkt nicht einmal klar, welcher Beitrag von mir erwartet wurde und auch am Ende des Tages bin ich nicht viel schlauer. Dafür waren die Meetings höchst interessant.
Unser erster Gesprächspartner, Abteilungsleiter eines Unternehmens, saß in einem schäbigen Büro, war technisch allerdings auf dem neuesten Stand der Dinge. Während der Putz von den Wänden bröckelt, die Türen fast aus dem Rahmen fallen und die Möbel eine so eklektische Mischung sind, wie in deutschen Studentenzimmern, zu denen sämtliche Großtanten und Onkeln jeweils ein Stück beigetragen haben, ließ die technische Ausstattung nichts zu wünschen: auf dem Schreibtisch standen Laptop, Druck und Scanner. Die Ordnerbeschriftung hingegen hätte einem Wirtschaftsprüfer die Tränen in die Augen getrieben. Am beeindruckendsten war jedoch die Ansammlung kommunikativer Spielzeuge: zwei Blackberries und drei Handies. Das wiederum hätte vermutlich jeden geltungssüchtigen Wirtschaftsprüfer vor Neid erblassen lassen.
Der nächste Termin führte uns in den sagenhaft scheußlichen Besprechungsraum eines Ministeriums. Der Raum wurde dominiert von einem ovalen Tisch, der an jedem Sitzplatz ein metall-ausgekleidetes Loch enthielt. Fast hätte ich das für Aschenbecher halten können, hätte an der Wand neben dem allgegenwärtigem Foto des geschätzten Staatsoberhaupts nicht ein monströses Fumer interdit Poster geprangt. Der besonders formhäßliche Sessel am Kopfende des Tisches blieb symbolisch frei für den abwesenden Monsieur le Ministre, die Teilnehmer saßen sich an den Längsseiten in zwei nicht nur bildlichen Fronten gegenüber. Die Bürostühle knarrten so laut bei jeder Bewegung, daß ich vom Gespräch noch weniger verstand, als ohnehin der Fall gewesen wäre, darüber hinaus stand mir nur die rechte Armlehne zur Verfügung. Die Stühle wiesen zwar gewissermaßen doppelte Armlehnen auf – über der ersten waren auf metallenen Halterungen jeweils schmalere zweite Armlehen angebracht –, diese obere Armlehne löste sich jedoch an meinem Stuhl schon als ich mich setzen wollte, und ich konnte sie nur in letzter Sekunde auffangen und den sicherlich laut scheppernden Aufprall auf dem Fußboden verhindern. Danach verbrachte ich den größten Teil des Meetings damit, mich nicht auf die linke Armlehne zu stützen, hatte allerdings Gelegenheit, die Hinterlassenschaften früherer Meetingteilnehmer in der unteren Etage des Tisches (Dokumentenablage) zu begutachten. Neben verknüllten Taschentüchern und Kaugummipapier hatte sich offenbar einer meiner Vorgänge auf diesem schönen Platz die Zeit damit vertrieben, seine Handykarte aufzuladen – davon zeugten die Vodacom Rubbellose.
Erst Mittags kamen wir zum ersten Mal ins Büro, gerade noch rechzeitig, um mich vor dem sicheren Verdursten zu retten (Meetings ohne Getränke – hat man so was schon mal gehört? Ist das der Entwicklungsland-Faktor?), ich war kein bißchen schlauer bezüglich meiner konkreten Aufgaben jenseits der Funktion dekorativen Beiwerks und das Mittagessen fiel dem nächsten Meeting zum Opfer. Danach war der Kollege so erschlagen, daß er im Auto besinnungslos in sich zusammensackte, offenbar ist er auch als Brite großer Anhänger des amerikanischen Power Nap. Immerhin freuten sich alle Kollegen, Fahrer und sonstigen dienstbaren Geister ungemein, mich wiederzusehen, was mein Herz wahrhaftig erwärmt hat. Wie gut, daß ich auf Anraten des schönen Franzosen (der übrigens nächste Woche wiederkommt, laut Plan) Gummibärchen und deutsche Schokoladen mitgebracht habe; wie gut allerdings auch, daß ich die Austeilung für den morgigen Tag aufgespart habe – von der Schokolade wäre nach vier Stunden bei über dreißig Grad Außentemperatur nur noch Fondue übrig geblieben, vermute ich. Zu fortgeschrittener Stunde bat mich dann ein neuer Kollege, ihm beim Abfassen einer französischen Mail behilflich zu sein – ausgerechnet mich! Herr Stubenzweig vermutet zwar freundlicherweise, ich spreche inzwischen nicht mehr Französisch wie une vache espagnole, aber das ist eindeutig zuviel der Ehre. Immerhin konnte ich mit praktischen Tips aufwarten: für Geschäfts-Mails empfiehlt es sich, einfach Phrasen aus der Korrespondenz muttersprachlicher Kollege zu übernehmen, und ist man bei bestimmten Formulierungen unsicher, kann man beide Versionen googlen: jene mit mehr Treffern ist im Zweifel die richtige. Das meinte meine Universität wohl, als sie sich die Vermittlung von Transferwissen auf die Fahnen schrieb. Davon hätte ich gestern noch mehr brauchen können, um allen Überraschungen gewachsen zu sein.
Unser erster Gesprächspartner, Abteilungsleiter eines Unternehmens, saß in einem schäbigen Büro, war technisch allerdings auf dem neuesten Stand der Dinge. Während der Putz von den Wänden bröckelt, die Türen fast aus dem Rahmen fallen und die Möbel eine so eklektische Mischung sind, wie in deutschen Studentenzimmern, zu denen sämtliche Großtanten und Onkeln jeweils ein Stück beigetragen haben, ließ die technische Ausstattung nichts zu wünschen: auf dem Schreibtisch standen Laptop, Druck und Scanner. Die Ordnerbeschriftung hingegen hätte einem Wirtschaftsprüfer die Tränen in die Augen getrieben. Am beeindruckendsten war jedoch die Ansammlung kommunikativer Spielzeuge: zwei Blackberries und drei Handies. Das wiederum hätte vermutlich jeden geltungssüchtigen Wirtschaftsprüfer vor Neid erblassen lassen.
Der nächste Termin führte uns in den sagenhaft scheußlichen Besprechungsraum eines Ministeriums. Der Raum wurde dominiert von einem ovalen Tisch, der an jedem Sitzplatz ein metall-ausgekleidetes Loch enthielt. Fast hätte ich das für Aschenbecher halten können, hätte an der Wand neben dem allgegenwärtigem Foto des geschätzten Staatsoberhaupts nicht ein monströses Fumer interdit Poster geprangt. Der besonders formhäßliche Sessel am Kopfende des Tisches blieb symbolisch frei für den abwesenden Monsieur le Ministre, die Teilnehmer saßen sich an den Längsseiten in zwei nicht nur bildlichen Fronten gegenüber. Die Bürostühle knarrten so laut bei jeder Bewegung, daß ich vom Gespräch noch weniger verstand, als ohnehin der Fall gewesen wäre, darüber hinaus stand mir nur die rechte Armlehne zur Verfügung. Die Stühle wiesen zwar gewissermaßen doppelte Armlehnen auf – über der ersten waren auf metallenen Halterungen jeweils schmalere zweite Armlehen angebracht –, diese obere Armlehne löste sich jedoch an meinem Stuhl schon als ich mich setzen wollte, und ich konnte sie nur in letzter Sekunde auffangen und den sicherlich laut scheppernden Aufprall auf dem Fußboden verhindern. Danach verbrachte ich den größten Teil des Meetings damit, mich nicht auf die linke Armlehne zu stützen, hatte allerdings Gelegenheit, die Hinterlassenschaften früherer Meetingteilnehmer in der unteren Etage des Tisches (Dokumentenablage) zu begutachten. Neben verknüllten Taschentüchern und Kaugummipapier hatte sich offenbar einer meiner Vorgänge auf diesem schönen Platz die Zeit damit vertrieben, seine Handykarte aufzuladen – davon zeugten die Vodacom Rubbellose.
Erst Mittags kamen wir zum ersten Mal ins Büro, gerade noch rechzeitig, um mich vor dem sicheren Verdursten zu retten (Meetings ohne Getränke – hat man so was schon mal gehört? Ist das der Entwicklungsland-Faktor?), ich war kein bißchen schlauer bezüglich meiner konkreten Aufgaben jenseits der Funktion dekorativen Beiwerks und das Mittagessen fiel dem nächsten Meeting zum Opfer. Danach war der Kollege so erschlagen, daß er im Auto besinnungslos in sich zusammensackte, offenbar ist er auch als Brite großer Anhänger des amerikanischen Power Nap. Immerhin freuten sich alle Kollegen, Fahrer und sonstigen dienstbaren Geister ungemein, mich wiederzusehen, was mein Herz wahrhaftig erwärmt hat. Wie gut, daß ich auf Anraten des schönen Franzosen (der übrigens nächste Woche wiederkommt, laut Plan) Gummibärchen und deutsche Schokoladen mitgebracht habe; wie gut allerdings auch, daß ich die Austeilung für den morgigen Tag aufgespart habe – von der Schokolade wäre nach vier Stunden bei über dreißig Grad Außentemperatur nur noch Fondue übrig geblieben, vermute ich. Zu fortgeschrittener Stunde bat mich dann ein neuer Kollege, ihm beim Abfassen einer französischen Mail behilflich zu sein – ausgerechnet mich! Herr Stubenzweig vermutet zwar freundlicherweise, ich spreche inzwischen nicht mehr Französisch wie une vache espagnole, aber das ist eindeutig zuviel der Ehre. Immerhin konnte ich mit praktischen Tips aufwarten: für Geschäfts-Mails empfiehlt es sich, einfach Phrasen aus der Korrespondenz muttersprachlicher Kollege zu übernehmen, und ist man bei bestimmten Formulierungen unsicher, kann man beide Versionen googlen: jene mit mehr Treffern ist im Zweifel die richtige. Das meinte meine Universität wohl, als sie sich die Vermittlung von Transferwissen auf die Fahnen schrieb. Davon hätte ich gestern noch mehr brauchen können, um allen Überraschungen gewachsen zu sein.
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Kongo Nummer Zwei
Bin heile angekommen. Viele Vorurteile, derer ich mir beim letzten Mal nicht sicher war, wurden bestätigt. Ich fand schon bei meinem ersten Flug nach Kinshasa, daß Flüge nach Afrika aufregender und unkoordinierter sind, jetzt bin ich mir sicher. Die erste Überraschung erwartete mich schon beim Vorabend Check-in in Frankfurt: in letzter Minute hetze ich zum Schalter, bekomme mein Ticket und die freundliche Stewardess fragt, ob in meinem Gepäck Feuerzeuge oder Streichhölzer sind. Ich verneine anfangs, frage aber noch mal nach: das sei doch sonst kein Problem gewesen? In der Tat, aber nach der Explosion eines Feuerzeugs im Gepäckraum dürfe man Feuerzeuge nun zwar im Handgepäck haben, dafür aber nicht mehr im Koffer. Ich bin froh, nachgefragt zu haben und beide Gepäckstücke – schon auf dem Transportband – rollen zu mir zurück. An Ort und stelle durchforste ich Kulturbeutel und Seitentaschen, ich habe nämlich die Angewohnheit, allerlei Krimskrams an den unmöglichsten Orten zu deponieren. Nachdem ich ein Feuerzeug und ein Streichholzbriefchen aus meinem bevorzugten Verstecken hervorgekramt habe, hoffe ich das beste und gebe den Koffer endgültig auf. Trotzdem bin ich sagenhaft erleichtert, als beide Stücke mit mir in Kinshasa ankommen.
Mit dem Boarding beginnt Air France fast eine Stunde vor dem Abflug, im Tunnel zum Flugzeug staut es sich und dann dürfen plötzlich alle ganz schnell passieren, immer wieder müssen Dokumente anderer Passagiere langwierig überprüft werden. Zwei Minuten vor Abflug kommen die letzten Fluggäste gemütlich hereingeschlendert.
Da ich den Flug über meinen Arbeitgeber gebucht habe, steht auf dem Ticket nun VIP, leider verhilft mir das aber trotzdem nicht zum Upgrade oder sonstiger Sonderbehandlung. Immerhin ist der Flug nicht so voll und ich kann mich umsetzen und habe einen freien Platz neben mir. Überhaupt bin ich inzwischen ein großer Anhänger von Air France, das Essen ist nämlich wirklich sehr genießbar. Bis alle ihre Koffer und Taschen verstaut haben, bis auch der letzte begriffen hat, daß Handgepäck nicht einfach auf freien Sitzen rumstehen darf und man sich hinzusetzen hat, wenn das Flugzeug losrollt, vergeht einige Zeit.
An meinem eigentlichen Sitzplatz habe ich eine afrikanische Nebensitzerin, durchaus gepflegt gekleidet, die umgehend ihre Schuhe auszieht, die Zehen streckt und sich dann einen übergroßen Pashmina Schal übers Gesicht hängt. Leider kann ich trotzdem nicht umhin festzustellen, daß sie vielleicht schon länger unterwegs ist oder jedenfalls länger nicht geduscht hat. Entsprechend schnell setze ich mich um, kaum daß wir in der Luft sind. Zu meiner linken danach eine sehr elegante Dame mit riesiger Einkaufstüte von Armani, die mir allerdings gar nicht damenhaft ihre Füße fast unter die Nase hält, sich quer über drei Sitze legt und außerdem alle vier Kissen unserer Reihe beschlagnahmt. Auch auf Rückfrage gibt sie keines heraus und so muß ich mir eines von den freien Plätzen weiter hinten holen.
Auf der anderen Seite des Ganges ein sehr gepflegtes Paar, sie deutlich einige Jahre jünger als er, mit einem beeindruckenden Stapel an Zeitungslektüre. Die Elle, den Economist, den Nouvel Observateur, L’Expansion, außerdem die Jeune Afrique (Economist für Afrika), Herald International Tribune und das Time Magazine. Ich bin neidisch und frage mich, wo sie die alle herhaben – ich habe nur Le Monde einsammeln können auf dem Weg zum Flugzeug. Am Ende stellt sich heraus, daß beide Italiener sind, was die kosmopolitische Lektüre noch beeindruckender macht, wie ich finde. Glücklicherweise keine schreienden Kinder in meiner Peripherie.
Der Taxiway in N’Djili nimmt sich neben jenen in Frankfurt oder Paris wie eine Buckelpiste aus und ich frage mich, wie groß die Generatoren sein müssen, um die Stromversorgung des Flughafens zu sichern? Oder fliegt man hier auch notfalls ohne Pistenbeleuchtung? Nachdem ich letztes Mal fast zwei Stunden für die Formalitäten gebraucht habe, werde ich diesmal problemlos durchgelassen und sitze dreißig Minuten nach der Landung im klimatisierten Wartesaal der Reiseagentur, wo einer der Fahrer meines Arbeitgebers unerwartet wartet. Außer mir war auch einer meiner Vorgesetzten im Flugzeug und so kann ich mitfahren. Dummerweise kommt des Vorgesetzten Koffer erst über eine Stunde später. Das läßt mir Zeit, die Änderungen am Flughafen zur Kenntnis zu nehmen. Bei meiner ersten Einreise wurden wir noch alle zu Fuß übers Rollfeld gescheucht, inzwischen gibt es Busse für die Strecke von fünfzig Metern. Das Land ist immer noch pechschwarz in der Dunkelheit, aber der verfallene Seiteneingang wurde inzwischen abgeriegelt und das Chaos tobt jetzt vor dem ehemals verschlossenen Haupteingang. Eine neue Rampe hat man ebenfalls aufgeschüttet und den Bereich vor der Reiseagentur abgesperrt, so daß ich in aller Ruhe vor der Tür herumlungern und gucken kann. Bei der Rückfahrt bin ich wieder einmal überrascht, wie sehr ich mich freue, hier zu sein. Trotz Hitze, Armut und Dreck bin ich froh, wieder hier zu sein und sonderbar gerührt.
Das Schlüsselproblem hat mein – abwesender – Mitbewohner ebenfalls gelöst: als ich nach Hause komme wartet unser homme de ménage auf mich, hat schon Doubletten der neuen Schlüssel gezogen, meine Wäsche hängt sauber und gebügelt im Schrank und mein Schlafzimmer ist angenehm klimatisiert. Ich habe ja dazugelernt und als er verkündet, auch wenn es – ach! – schwer sein werde, um diese Zeit nach Hause zu fahren, werde er es doch versuchen, gebe ich ihm zum Dank zehn Dollar. Er ist sichtlich erfreut. Das Wasser funktioniert, der Strom auch, Essen ist leider keins im Haus, aber immerhin Getränke im Kühlschrank. Als ich Eis aus dem Kühlschrank hole und das Licht anmache, sitzt eine sagenhaft fette Kakerlake auf der Schranktür unterm Spülbecken. Sechs Zentimeter lang mindestens, aber sie sieht geradezu bemitleidenswert aus, wie sie mich erschrocken anschaut und mit den Fühlern wackelt – völlig paralysiert vom Licht. Ichekele mich bringe es nicht übers Herz, sie totzumachen und nach einigem Sekunden verschwindet sie langsam im Schrank. Ansonsten ist alles, wie es sein sollte und ich fühle mich – so verrückt das auch ist – zu Hause.
Meine Mama hat Angst, daß ich völlig versiffe und bald über keine europatauglichen Manieren oder Hygienestandards mehr verfüge, wenn ich noch länger hierbleibe. Da hat sie Unrecht. Säße in Deutschland eine Kakerlake in meiner Küche, ich würde toben und umgehend ein Bataillon Kammerjäger ordern. Aber hier? Wollte ich mich über derlei aufregen, wäre ich ständig dem Herzkasper nahe. Und ich dusche immer noch regelmäßig. Alle zwei Wochen einmal.
Mit dem Boarding beginnt Air France fast eine Stunde vor dem Abflug, im Tunnel zum Flugzeug staut es sich und dann dürfen plötzlich alle ganz schnell passieren, immer wieder müssen Dokumente anderer Passagiere langwierig überprüft werden. Zwei Minuten vor Abflug kommen die letzten Fluggäste gemütlich hereingeschlendert.
Da ich den Flug über meinen Arbeitgeber gebucht habe, steht auf dem Ticket nun VIP, leider verhilft mir das aber trotzdem nicht zum Upgrade oder sonstiger Sonderbehandlung. Immerhin ist der Flug nicht so voll und ich kann mich umsetzen und habe einen freien Platz neben mir. Überhaupt bin ich inzwischen ein großer Anhänger von Air France, das Essen ist nämlich wirklich sehr genießbar. Bis alle ihre Koffer und Taschen verstaut haben, bis auch der letzte begriffen hat, daß Handgepäck nicht einfach auf freien Sitzen rumstehen darf und man sich hinzusetzen hat, wenn das Flugzeug losrollt, vergeht einige Zeit.
An meinem eigentlichen Sitzplatz habe ich eine afrikanische Nebensitzerin, durchaus gepflegt gekleidet, die umgehend ihre Schuhe auszieht, die Zehen streckt und sich dann einen übergroßen Pashmina Schal übers Gesicht hängt. Leider kann ich trotzdem nicht umhin festzustellen, daß sie vielleicht schon länger unterwegs ist oder jedenfalls länger nicht geduscht hat. Entsprechend schnell setze ich mich um, kaum daß wir in der Luft sind. Zu meiner linken danach eine sehr elegante Dame mit riesiger Einkaufstüte von Armani, die mir allerdings gar nicht damenhaft ihre Füße fast unter die Nase hält, sich quer über drei Sitze legt und außerdem alle vier Kissen unserer Reihe beschlagnahmt. Auch auf Rückfrage gibt sie keines heraus und so muß ich mir eines von den freien Plätzen weiter hinten holen.
Auf der anderen Seite des Ganges ein sehr gepflegtes Paar, sie deutlich einige Jahre jünger als er, mit einem beeindruckenden Stapel an Zeitungslektüre. Die Elle, den Economist, den Nouvel Observateur, L’Expansion, außerdem die Jeune Afrique (Economist für Afrika), Herald International Tribune und das Time Magazine. Ich bin neidisch und frage mich, wo sie die alle herhaben – ich habe nur Le Monde einsammeln können auf dem Weg zum Flugzeug. Am Ende stellt sich heraus, daß beide Italiener sind, was die kosmopolitische Lektüre noch beeindruckender macht, wie ich finde. Glücklicherweise keine schreienden Kinder in meiner Peripherie.
Der Taxiway in N’Djili nimmt sich neben jenen in Frankfurt oder Paris wie eine Buckelpiste aus und ich frage mich, wie groß die Generatoren sein müssen, um die Stromversorgung des Flughafens zu sichern? Oder fliegt man hier auch notfalls ohne Pistenbeleuchtung? Nachdem ich letztes Mal fast zwei Stunden für die Formalitäten gebraucht habe, werde ich diesmal problemlos durchgelassen und sitze dreißig Minuten nach der Landung im klimatisierten Wartesaal der Reiseagentur, wo einer der Fahrer meines Arbeitgebers unerwartet wartet. Außer mir war auch einer meiner Vorgesetzten im Flugzeug und so kann ich mitfahren. Dummerweise kommt des Vorgesetzten Koffer erst über eine Stunde später. Das läßt mir Zeit, die Änderungen am Flughafen zur Kenntnis zu nehmen. Bei meiner ersten Einreise wurden wir noch alle zu Fuß übers Rollfeld gescheucht, inzwischen gibt es Busse für die Strecke von fünfzig Metern. Das Land ist immer noch pechschwarz in der Dunkelheit, aber der verfallene Seiteneingang wurde inzwischen abgeriegelt und das Chaos tobt jetzt vor dem ehemals verschlossenen Haupteingang. Eine neue Rampe hat man ebenfalls aufgeschüttet und den Bereich vor der Reiseagentur abgesperrt, so daß ich in aller Ruhe vor der Tür herumlungern und gucken kann. Bei der Rückfahrt bin ich wieder einmal überrascht, wie sehr ich mich freue, hier zu sein. Trotz Hitze, Armut und Dreck bin ich froh, wieder hier zu sein und sonderbar gerührt.
Das Schlüsselproblem hat mein – abwesender – Mitbewohner ebenfalls gelöst: als ich nach Hause komme wartet unser homme de ménage auf mich, hat schon Doubletten der neuen Schlüssel gezogen, meine Wäsche hängt sauber und gebügelt im Schrank und mein Schlafzimmer ist angenehm klimatisiert. Ich habe ja dazugelernt und als er verkündet, auch wenn es – ach! – schwer sein werde, um diese Zeit nach Hause zu fahren, werde er es doch versuchen, gebe ich ihm zum Dank zehn Dollar. Er ist sichtlich erfreut. Das Wasser funktioniert, der Strom auch, Essen ist leider keins im Haus, aber immerhin Getränke im Kühlschrank. Als ich Eis aus dem Kühlschrank hole und das Licht anmache, sitzt eine sagenhaft fette Kakerlake auf der Schranktür unterm Spülbecken. Sechs Zentimeter lang mindestens, aber sie sieht geradezu bemitleidenswert aus, wie sie mich erschrocken anschaut und mit den Fühlern wackelt – völlig paralysiert vom Licht. Ich
Meine Mama hat Angst, daß ich völlig versiffe und bald über keine europatauglichen Manieren oder Hygienestandards mehr verfüge, wenn ich noch länger hierbleibe. Da hat sie Unrecht. Säße in Deutschland eine Kakerlake in meiner Küche, ich würde toben und umgehend ein Bataillon Kammerjäger ordern. Aber hier? Wollte ich mich über derlei aufregen, wäre ich ständig dem Herzkasper nahe. Und ich dusche immer noch regelmäßig. Alle zwei Wochen einmal.
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