Samstag, 14. November 2009
Schichtwechsel
Das Leben könnte schlimmer sein. Der alte Mitbewohner – bindungsunfähiger Brite Ende dreißig, null Kochkünste, aber sonst sehr nett – ist zu neuen Ufern auf der anderen Seite des Atlantik aufgebrochen. Auftritt: D., Französin Mitte dreißig, auch nett, soweit ich das nach den wenigen Abenden beurteilen kann. Nachdem mein schöner Franzose die Abschiedsparty verpasst hat, hoffe ich auf eine neue Chance anläßlich der Einzugsparty nächste Woche. Darüberhinaus wird der neue Umgang meinem Französisch gut tun, auch wenn es die Abende unentspannter macht. Sie hat umgehend vom Apartment Besitz ergriffen und ihre Dekoration verteilt – leider in einer Art und Weise, die ich als Verschlechterung empfinde. Unsere Wohnzimmergarnitur kann man nur als scheußlichen, chinesischen Schrott bezeichnen, aber mit weißen Laken drüber fällt das kaum auf. Die Wände zierte bislang ein leerer weißer Holzrahmen – ohne jeden sinnvollen Zweck – und eine dieser wunderbaren leicht veralteten Landkarten vom Kongo, auf denen es noch einen Lac Mobutu und einen Lac Amin gibt. Beides mochte ich – immer wenn ich auf jemanden gewartet habe, habe ich die Karte studiert. Die hat sie nun leider abgehängt und halb in den Holzrahmen ein Kunstposter gehängt – ich mochte den leeren Rahmen lieber. Das hatte irgendwie Stil, während das Poster zwar nett ist, aber eben leider über den Rahmen drüberhängt – gar kein Stil, finde ich. Die massiven afrikanischen Holzbänke, die sie dem Haushalt zugeführt hat, sind hübsch, aber völlig unpassend plaziert – immerhin die Gläser im Schrank sind eine echte Verbesserung (die alten hat eine Freundin des ex-Mitbewohners am Sonntag abgeholt).



Seit dieser Woche habe ich einen neuen Fahrer. Die letzten Wochen waren anstrengend, ich habe das Auto aus Budgetgründen mit meinem Chef geteilt und es versteht sich von selbst, wer die Hälfte seiner Zeit in der Warteschleife verbrachte. Letzte Woche verschwand er um kurz vor sechs zu einem Meeting und ich saß ohne Transport im Büro, wollte nach Hause und war irgendwann so wütend, daß ich zu Fuß gegangen bin. Die einsame Straße bis zum belebteren Viertel habe ich mich bemüht, mich nicht allzu deutlich an meiner Tasche festzuklammern, danach ging es... sieht man davon ab, daß zwanzig Minuten Fußmarsch über Schotterpisten in Pumps kein reines Vergnügen sind – auch nicht für die Ledersohlen meiner feinen Schühchen. Jetzt also wieder ein eigener Fahrer, ganz für mich allein, Vorfreude seit Montag auf neue Unabhängigkeit. Sämtliche Einkaufspläne – feine Sachen in zu Fuß unerreichbaren Supermärkten – wurden leider sabotiert, weil der Fahrer möglichst früh zu seinem kranken Kind nach Hause wollte. Natürlich vergaß er nicht, wiederholt anzumerken, daß – ach! – er kaum die Kosten für den Arztbesuch bezahlen könne, und natürlich habe ich meine Pflicht als reiche Weiße getan und großzügig für die gute Sache gespendet. Immerhin bescherte mir das einen guten Grund, den Nachmittag mit einem anständigen Kaffee auf der Terrasse zu arbeiten, frühzeitig schwimmen zu gehen, und als ich zurückkam wartete die neue Mitbewohnerin schon mit einer Flasche Wein.

Das zumindest ist eine Eigenschaft, die ich an Franzosen zu schätzen weiß.

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Freitag, 13. November 2009
Die Polizei - kein Freund und Helfer
Ich habe Respekt vor Polizisten. Ich war nie in Anti-Atomkraft-Bewegungen, habe mich nie an Gleisen festgekettet oder Tiere befreien wollen und verspürte auch nie das Bedürfnis mit Plakaten in der Hand gegen sonstige Unrechte zu protestieren, weshalb ich – möglicherweise mit einem Rest gutgläubiger Naivität – in Deutschland dazu neige, die Polizei als meinen Freund und Helfer zu betrachten. Hier hingegen bin ich gespalten. Wenn ich in meinem Schicki-Club schwimmen gehe, sitzt gelegentlich ein Polizist bei den Wachen am Eingang und sieht sehr harmlos aus. Solide dunkelblaue Uniform – im Schnitt entfernt an Militärkleidung angelehnt – mit gelben Sternen auf der Schulter, das Barrett nicht schneidig auf dem Kopf sondern lässig im Schoß, macht der Polizist den Eindruck eines ganz normalen Menschen, der mit Bekannten eine Runde plauscht. Im Straßenverkehr hingegen sind Polizisten gefürchtet – aufgrund der Macht, oftmals willkürlich eingesetzt, die ihnen zu Gebote steht. Polizisten sind wie fast alle Staatsangestellten der unteren Ränge lausig – und manchmal über Monate gar nicht – bezahlt und bessern ihr Gehalt durch Schikanen auf.
Heute morgen war ich mit meinem Fahrer unterwegs, als uns zwei, drei weiße Prado Geländewagen überholten. Nicht die neuen Modellen der UN, sondern alte, etwas klapprige Fahrzeuge, unmarkiert, innen jeweils acht Polizisten. Einer hing auf der Fahrerseite aus dem Fenster, pfiff durchdringend auf einer Pfeife und wedelte heftig mit den Händen. Alle Autos hatten Warnblinker an und schlängelten sich in gefährlich schnellem Slalom durch den üblichen Verkehr. Eine Schrecksekunde lang bezog ich das hektische Gewedel des Fenstersitzers auf uns, mein Fahrer nutzte nämlich die Gelegenheit, im Kielwasser der Polizisten unsere Fahrt zu beschleunigen. Mehrere Male signalisierte der am Heckfenster sitzende Polizist, wir sollten zurückbleiben (was meinen Fahrer viel weniger beeindruckte als mich). Obwohl die Herren in der drangvollen Enge ihres Fahrzeugs nicht besonders eindrucksvoll sondern eher bedauernswert aussahen, war ich froh, als sich unsere Wege trennten. Ganz egal wie erbärmlich, heruntergekommen oder zusammengestaucht die Amtsgewalt aussieht – hier erfüllt sie mich mit einem unbestimmten Unbehagen und je größer die Präsenz desto größer mein Unbehagen. Respekt vor der Amtsgewalt lernt man hier schnell – denn Amtsgewalt ist unberechenbar. Auf jeder Kreuzung, an jeder Stichstraße stehen Polizisten (kein Wunder bei der Präsenz, daß der Staat pleite ist) und gleich vor meinem Haus kann ich beobachten, wir auffällige Autos freiwillig kleine Scheine aus dem Fenster reichen, noch bevor die Fahrer angesprochen werden.
Während meines ersten Aufenthalts war ich mit einer Kollegin und ihrem Fahrer unterwegs. Der Fahrer lebte regelmäßig Ambitionen am Steuer aus, die der Formel 1 würdig gewesen wären und an einem Tag hätte er dabei fast einen Fußgänger mitgenommen. Es war unklar, wessen Schuld der Beinahe-Zusammenstoß war, in jedem Fall begann der Passant zu schimpfen, ein Polizist näherte sich, verlangte mit uns zu sprechen, unser Fahrer kurbelte das Fenster zu weit hinunter, der Polizist griff hinein, öffnete die Tür und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Nach einigen Minuten wurde deutlich, daß er von unserem Fahrer eine Zahlung erwartete, stellvertretend auch gerne von uns. Unser Fahrer bat uns um Hilfe, wir lehnten ab – aus Prinzip. Das Gespräch zog sich, wir verstanden nur die Hälfte, wenn die beiden Lingala sprachen, unser Fahrer fuhr irgendwohin, wir riefen unsere Sicherheitsabteilung an, Diskussionen, am Telefon, in Person, endlose zwanzig Minuten, bis der Polizist irgendwann aufgab. In aller Regel kann man – gerade als Weißer – diese Situationen aussitzen, aber es kostet Nerven und vor allem Zeit (die man nicht immer hat). Weiterhin ist es fast immer undurchschaubar, auf welcher gesetzlichen Grundlage der Polizist handelt. Heute hatte sich mein Fahrer in eine sehr ungünstige Parkposition manövriert und erhielt beim Ausparken großzügige Hilfe von einem der Herren in blau, der danach umgehend verlangend an mein Fenster klopfte. Und natürlich nicht erfreut war, als ich den Kopf schüttelte. Die Mehrheit meiner Kollegen vermeidet unter allen Umständen, tagsüber in Privatautos zu fahren, bin ich mit jemandem zum Mittagessen verabredet, nehmen wir immer den Fahrer und ich hole die Freunde im Zweifelsfall ab, statt daß sie selbst mit dem eigenen Auto fahren. Ich weigere mich kategorisch – solange die Entscheidung bei mir liegt – irgendetwas zu bezahlen, aber ich gebe zu: ich bin jedes Mal ein bißchen bange, weil die Konsequenzen kaum abzuschätzen sind. Auch hier scheiden sich die Geister der Expatriates: eine Freundin – mit bescheidenem Gehalt im Privatsektor – bezahlt ebenfalls niemals und wartet notfalls bis zum Sankt Nimmerleinstag. Langjährige Bewohner des Landes haben sich so sehr an die allgegenwärtige Korruption gewöhnt, daß sie souverän verhandeln und schon vorher wissen, wieviel zu bezahlen ist. Kollegen auf Dienstreise bezahlen ohne zu murren. Andere sind wiederum ein Muster an Prinzipientreue und verteidigen in post-kolonialer Konsequenz die These, daß irgendjemand hier einen Anfang machen müsse und dem Treiben Einhalt gebieten. Und bei allem Mitleid mit den armen Teufeln – dem stimme ich zu.

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Mittwoch, 11. November 2009
Das ganze Land - ein Dilemma
Kongo ist eine Katastrophe. Alles hier. Man liest einen Artikel in einer namenhaften Zeitung über fragile Staaten und die Abwesenheit der Staatsgewalt, die Korruption, die endlosen administrativen Hürden im Geschäftsleben und denkt: so schwierig kann es doch bitte nicht sein. Ein paar anständige Staatsanwälte gegen die Korruption, ein paar gute Berater fürs Wirtschaftsleben, radikale Neustrukturierung und alles könnte grünen und blühen und florieren. Leider ist die Realität vor Ort komplizierter. Die Verflechtungen zwischen den Problemen sind wie ein Stoffgewebe – zieht man einem scheinbar losen Fädchen, fällt alles auseinander und plötzlich hat man nur noch Fetzen in der Hand. Jedes Defizit für sich genommen wäre behebbar, aber alle denkbaren Maßnahmen würden an anderer Stelle Auswirkungen haben, die die Maßnahme von vorneherein unmöglich machen. Mehr als irgendwo anders kann man hier verstehen, wie Staat und Privatwirtschaft, kollektive und individuelle Interessen aneinandergekettet sind in gegenseitiger Abhängigkeit.

Einen Teil des Problems kann man tagtäglich auf den Straßen sehen: Container. Es gibt viele Gründe, warum die Hauptstraßen von Kinshasa dem Verkehrsinfarkt nahe sind. Einer davon sind Zwanzig- und Vierzigfußcontainer, die sich auf LKWs mühsam über Schlaglöcher und Schotterpisten vom Hafen zu den diversen Unternehmen quälen. In Europa ist Logistik meist unsichtbar, man muß schon zum Hamburger Hafen fahren, um Container und Schiffe zu sehen, denn der Warentransport findet in einer Parallelwelt statt, die wir kaum noch wahrnehmen. Hier hingegen gibt es kein feingesponnenes Netz, das Häfen, Verladeplätze und Schiene nahtlos aneinander bindet: Güter reisen unter aller Augen von einem Ort zum nächsten – mangels Masse und Schienenverkehr meist LKWs. Leere Container zu bewegen ist Verschwendung von Ressourcen, daher sorgen komplizierte Systeme im Idealfall dafür, daß Container niemals leer sind. Das funktioniert, wenn jeder etwas zu kaufen und zu verkaufen hat. Kongo hingegen hat viel zu kaufen, aber kaum etwas zu verkaufen, und so sind viele Container, die einem hier unter die Augen kommen, leer. Zuerst jedoch kommen die Container an, beladen mit Lebensmitteln, Kleidung aus China, Werkzeugen oder technischen Geräten. Im Hafen von Matadi macht der Container eine Pause, denn unter drei Wochen wird hier nichts bearbeitet, buchstäblich not for love or money, wie der Engländer sagt. Wollte man von dort aus die Schiene nutzen, müßte man weitere sechs Wochen für eine Strecke von 300 km einplanen, daher wandert der Container auf einen LKW und reist auf Rädern nach Kinshasa. Die Straße von Matadi zur Haupstadt gehört zu den wenigen in leidlich gutem Zustand, aber angesichts der Vielzahl der Fahrzeuge dauert es trotzdem einen Tag. An diesem Tag kann der Container einiges erleben: der Fahrer des LKWs hält möglicherweise an und läßt Passanten auf der Ladefläche mitreisen – gegen gutes Geld in die eigene Tasche. Oder er legt eine kleine Pause ein und zweigt Benzin aus dem Tank ab, ebenfalls für die eigene Tasche. Wenn er technisch geschickt ist und einen verschlafenen Chef hat, wagt er es vielleicht sogar und tauscht einige hochwertige Bauteile des Fahrzeugs gegen billigen Schrott ein – der Gewinn geht natürlich ebenfalls in die eigene Tasche.

In Kinshasa werden die importierten Güter – die aufgrund der unzähligen Zölle und Abgaben bei der Einfuhr inzwischen bis zu 50 % an Wert gewonnen haben – entladen und verteilen sich im Land. Während der Container in irgendeinem Hof auf die Rückreise wartet – und im besten Falle auf Exportgüter – wandern Lebensmittel und Kleidung vielleicht im Hafen eines Import/Exportunternehmens in kleinen Portionen, Säcken oder Kisten auf ein Schiff. Der Fluß Kongo zieht sich in einem großen Bogen nördlich durch das gesamte Land und ist angesichts der kläglichen Infrastruktur das Transportmittel der Wahl. Mitsamt Waren, Besatzung und 4.000 Litern Kraftstoff im Bauch macht sich das Schiff auf den Weg auf die einmonatige Reise flußaufwärts bis nach Kisangani, im Osten. Glücklich kann sich der Händler schätzen, der eigene Lastkähne hat oder mit den großen Transportunternehmen kooperiert, denn der Flußbootkapitän hat dieselben finanziellen Nöte wie der LKW-Fahrer und daher dieselbe Neigung, auf Abwegen zu wandeln. Das bietet sich auf dem Fluß noch mehr an als auf der Straße, denn den Fluß kann man kaum überwachen. Halt!, denken Sie, natürlich kann man Boote überwachen (falls es sich nicht gerade um in der Ostsee gekaperte russische Frachter handelt). Hier nicht unbedingt. Neben teuren Satellitentelefonen ist das fortschrittlichste Medium das Handy und jeder Kapitän kann entweder sein Handy einfach ausschalten oder die schlechte Netzabdeckung zum Sündenbock erklären und einige private Ausflüge und Transporte auf Kosten der Firma durchführen. Die Fahrt dauerte länger? Die Sandbänke bewegen sich, der Fluß war blockiert, das Hochwasser, Rebellenkämpfe – an glaubhaften und schwer widerlegbaren Ausreden für Zeitverlust und Spritverbrauch herrscht kein Mangel. Folglich kann die Reise mit einem kleinen, unabhängigen Transporteur der fragwürdigen Sorte auch gerne sechs Wochen dauern. Oder länger.
Auf der Reise flußaufwärts gewinnen die Waren weiter an Wert, denn neben den bundesstaatlichen Steuern möchten auch die Provinzen und einzelnen Häfen mitverdienen, von Zöllnern, Polizisten und Hafenangestellten mit ihren tiefen, leeren Taschen ganz zu schweigen. Das Internet kennt für die Demokratische Republik Kongo mehr als 4.000 Gesetze, einige davon aus Kolonialzeiten, eine Vielzahl aus den letzten acht Jahren mit föderalistischen Tendenzen, aber leider weiß kaum jemand genau, welches Gesetz in welchem Bereich anwendbar ist. Doppelbesteuerung durch den Bund und die Föderalstaaten ist eigentlich ein Unding – man stelle sich nur vor, sowohl Hessen als auch Berlin würden jeweils eigene Transportsteuern auf dieselbe Autobahn erheben und dadurch dem Handel mit dringend notwendigen Gütern einen doppelten Klotz ans Bein binden. Also schlagen ausländische Berater vor, die Provinzen in ihrer Besteuerungswut an die Kandare zu nehmen, zwecks Verbesserung des Wirtschaftsklimas. Damit graben sie allerdings den Provinzen finanziell das Wasser ab. Erstens ist die Steuergrundlage – eine völlig desolate Wirtschaft mit geschätzten achtzig Prozent informeller Wirtschaftstätigkeit – ohnehin schon gering. Zweitens gelangt von den minimalen Staatseinnahmen nur wenig in die Provinzen. Dreht man den Provinzen den informellen Geldhahn zu, gräbt man gleichzeitig den Ansätzen von Entwicklung dort das Wasser ab. Die Provinz kann ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen, weshalb man auf den Regenwald als Selbstbedienungsladen ausweicht. Die Provinz kann auch ihre Straßen nicht mehr instandhalten, was den ohnehin dürftigen Handel weiter erschwert. Und sie kann die Gehälter ihrer Angestellten nicht mehr bezahlen, die nach alternativen money making opportunities Ausschau halten, um ihre Familien zu ernähren. Da bietet es sich an, Güter im Hafen besonders gründlich zu inspizieren, Fehler zu finden und großzügig gegen monetäre Anerkennung passieren zu lassen. Oder sich bei der Ausfertigung notwendiger Dokumente Zeit zu lassen – schneller geht es gegen finanzielle Hilfe. Wem solche Wege nicht offen stehen, kann immerhin noch im Regenwald am illegalen Handel mit Tropenholz teilnehmen, illegal nach Mineralien schürfen oder Diamanten am Fluß waschen, auch illegal, versteht sich. Die Lizenz dafür gäbe es ganz legal in Kinshasa, wo sie für den Großteil der Bevölkerung genauso unerreichbar ist, als säße die verantwortliche Behörde in Berlin. Die Lasten von formeller und informeller Besteuerung sind wie die Wahl zwischen Pest und Cholera: mit informellen Abgaben hält sich die Provinz über Wasser, schnürt dabei aber wie ein Ertrinkender der Privatwirtschaft die Luft ab und vermindert damit die zukünftige Besteuerungsgrundlage. Geht man radikal gegen informelle Abgaben vor, verschafft man der Privatwirtschaft Luft, aber entzieht der Provinzregierung auch die letzte Handlungsfreiheit.
Während sich die Provinz, die Regierung in der Hauptstadt und die ausländischen Berater um die Verteilung des knappen Geldes zanken, sind die Waren auf ihrem Schiff in Kisangani angekommen und ein kleines Vermögen wert. Egal worum es sich handelt, alles ist in dieser entlegenen Region knapp und daher wertvoll, sogar die im Tank verbliebenen 1.000 Liter Sprit sind hier mehr wert als in Kinshasa, aber die braucht das Schiff für die Rückreise. 3.000 Liter flußaufwärts, aber nur ein Drittel davon auf der Rückreise, mit dem Strom gen Meer. Einzuladen gibt es in Kisangani fast nichts, daher tritt das Schiff die Rückreise genau so leer an wie die meisten Container. Im günstigen Fall werden irgendwo auf halber Strecke Tropenhölzer aufgeladen, solche nämlich, die nicht schwimmen.

Kongo hat nach Brasilien die größten Regenwaldflächen der Welt und Holz ist folglich eines der wichtigsten Exportgüter und vergleichsweise streng reguliert. Die alten Konzessionsgebiete wurden vor einigen Jahren unter internationaler Aufsicht geprüft, teilweise erneuert, teilweise entzogen und ein neues Waldgesetz regelt den Sektor. Theoretisch. Praktisch fehlen dem Waldgesetz auch nach mehreren Jahren noch die zugehörigen Exekutivdekrete und Detailregelungen.
Eine typische Konzession liegt irgendwo in den östlichen Provinzen, ungefähr 1.000 km flußaufwärts und ist ziemlich groß, eine Million Hektar ist wie eine Briefmarke auf der riesigen Postkarte dieses Landes – glücklicherweise kann man die Stämme (soweit sie schwimmen) zu Flößen gebunden den Fluß heruntertreiben lassen. Gemäß Waldgesetz haben die Unternehmen den Transport der lokalen Bevölkerung zu unterstützen, und so überholt der leere Frachter auf der Reise flußabwärts Floße aus verbundenen Baumstämmen, mit afrikanischen Großfamilien, mit Hab und Gut, mit Viehherden und Hühnern. Diese gelebte Entwicklungshilfe kostet Zeit und Geld – ist aber Voraussetzung für die wirtschaftliche Tätigkeit im Land. Sie möchten hier Geschäfte machen? Nur wenn sie, sagen wir, eine Schule bauen, jedes Jahr 150 km Straße im Umland anlegen und außerdem Abgaben bezahlen. Oder die lokale Bevölkerung umsonst auf Floßen mitnehmen. Solche Petitessen werden zur Erleichterung des schwächlichen Staates kurzerhand ins Minengesetz, ins Waldgesetz oder in obskure Dekrete und Verträge geschrieben. Der unfähige Staat nimmt die Privatwirtschaft in die Pflicht und so errichten Holzfirmen im Kongo nebenbei Grundschulen für die ländliche Bevölkerung. Leider spezifiziert das Gesetz nicht, wer für die Gehälter von Lehrern und Ärzten verantwortlich ist, und so stehen die Schulen schlimmstenfalls leer, bis Greenpeace zur Besichtigung kommt und in hysterischen Anfällen die Zustände in der Privatwirtschaft anprangert. Sozialstandards! Arbeitsrecht! Ausbeutung der Bevölkerung! Ökologische Nachhaltigkeit!

Die Wachsamkeit der internationalen NGO-Gemeinschaft kann aber ebenso gut andere Unternehmen oder Wirtschaftszweige treffen. Die unterirdischen Reichtümer des Kongo rufen nicht nur bei großen Industrieunternehmen Begehrlichkeiten hervor, sondern eignen sich auch zur Finanzierung lokaler Bürgerkriege. In überaus investigativen Nachforschungen der NGO-Szene stellt sich heraus, daß im Handel mit irgendeinem Mineral nichts nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Der abwesende Staat hat kaum Mittel, um den Handel effektiv und maßvoll zu kontrollieren und so bleibt auf internationalen Druck nur die administrative Keule: die Grenze zum Nachbarland wird geschlossen für den offiziellen Export des fraglichen Minerals. Das treibt den einzigen Arbeitgeber der Region mangels Absatzmarkt seit dem Grenzschluß zur Untätigkeit verdammt in den Bankrott, mit ihm die von ihm unterhaltenen Schulen und Krankenhäuser, hungrige Familien widmen sich mit neuer – von der Not erzwungener – Leidenschaft dem informellen artisanal mining, und exportieren im Schutz der Nacht den mineralischen Urheber allen Übels weiter über die Grenze, aber das taucht in der nationalen Exportstatistik nicht mehr auf und ist den Scheinwerfern der internationalen Aufmerksamkeit entzogen. Der Staat und die Provinz haben einen Steuerzahler weniger und erhöhen deswegen die Abgaben auf die verbliebenen Unternehmen noch weiter. Selbst wer offiziellen Beschäftigungen nachgehen könnte, wird dies tunlichst vermeiden, denn jeder Gang zum Amt kostet Geld – dumm, wer sich eine staatliche Lizenz zum Holzfällen oder zur Bewirtschaftung seines Landes oder dem Betrieb seines kleinen Geschäfts holt und danach von den staatlichen Behörden regelmäßig geschröpft wird. Infolge der Flucht in die informelle Wirtschaft zahlen weniger Bürger und Unternehmen Steuern, so daß der Staat – immer noch notorisch unterfinanziert –die Abgaben erhöht. Jetzt wird jeder mit einem Minimum an Geschäftssinn begabt Mensch erst recht nicht die Registrierung suchen, sondern sich tunlichst ducken.
Möchte man aber der Wirtschaft Luft verschaffen, indem man die ganzen Abgabenlast abschafft, geht der Staat pleite und die Beamten halten sich an anderer Stelle schadlos. Gleichzeitig kann ein bankrotter Staat erst recht keine Straßen bauen, keine Flüsse ausbaggern, keine Schulen erhalten.

In der Zwischenzeit sind die Tropenhölzer – schwimmend oder auf Schiffen – und die paar Sack Kaffee, die das Land noch zu bieten hat, in Kinshasa angekommen. Weiter geht es nicht zu Wasser, denn zwischen der Hauptstadt und dem Hafen liegen unschiffbare Stromschnellen, die seinerzeit schon Leopold II vor erhebliche Hindernisse stellten und dem Kongo den traurigen Ruf als grausamste Kolonialherrschaft in Afrika eintrugen. Auf dem Weg zum Hafen ist der LKW möglicherweise noch derselbe, der Fahrer hat vermutlich gewechselt, nachdem der exorbitante Spritverbrauch auffällig wurde und nach verschärften Kontrollen die privaten Entnahmen aus dem Tank aufgeflogen sind. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist es leicht, neue Fahrer zu finden, zwei Runden probeparken im Hof reichen als Empfehlung völlig aus. Verläßliche und ehrliche Fahrer zu finden ist hingegen beinahe unmöglich, sobald ein Fahrer in Lohn und Brot steht, meldet die erweiterte Verwandtschaft immer neue Bedürfnisse an, die mit dem regulären Lohn nicht zu decken sind. Angesichts der sozialen Strukturen, Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten kann sich der Verdiener den Ansprüchen aber auch nicht entziehen, wird früher oder später schwach, nutzt die sich ihm bietenden Möglichkeiten und wird dann – eher früher als später – gefeuert. Wieder einmal die Wahl zwischen Pest und Cholera für den Unternehmer: die hohe Fluktuation im Personal kostet Geld, Diebstähle allerdings eben so. Auch beim Export machen sich die Waren noch einmal nützlich und verschaffen dem Staat Einnahmen. Oder alimentieren zumindest die Bürokratie. Ob die Einnahmen den administrativen Aufwand rechtfertigen, weiß – wie so viele Dinge – niemand genau. Nicht weniger als fünf Behörden in zwei Städten sind beim Export zu konsultieren, manchmal mehrfach, etliche Unterschriften auf noch mehr Formularen sind zu sammeln, in Abwesenheit der Post werden die Dokumente von Kurieren von einer Behörde zur nächsten spediert, bis der Container wieder im Hafen von Matadi steht. Ein letztes Mal straft der Kongo jede Wirtschaftsweisheit lügen: Liege- und Ruhezeiten kosten Geld, aber obwohl Geld knapp ist und Zeit Geld, können Tage vergehen, bevor der Container tatsächlich verladen wird.

Immerhin, wenn alles gut geht machen sich neben den Unmengen Containern, die das Land leer verlassen, auch einige gefüllte auf den Weg in die Welt und verschwinden irgendwann im Netz der internationalen Logistik.

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Montag, 9. November 2009
Meine Perle
Ich habe eine Perle. Die Perle ist männlich, heißt Jean Paul und ist für kongolesische Verhältnisse die Zuverlässigkeit in Person. Jean Paul kommt drei Mal die Woche vormittags, putzt, wäscht, bügelt und kauft auf Wunsch auch für uns ein. Diesen Wunsch haben wir vor allem dann, wenn Wasser und Toilettenpapier benötigt werden – sperrige Gegenstände also, mit denen wir uns nicht abschleppen wollen. Für seine Dienste erhält Jean Paul 130 USD im Monat, außerdem bezahlen wir gelegentliche Arztrechnungen und schulden ihm Geschenke bei Geburtstagen und sonstigen familiären Großereignissen. Damit ist er schon sehr großzügig bezahlt, ein Kollege hat einen homme de ménage der jeden Tag kommt und außerdem noch kocht, der erhält aber nur 200 USD im Monat.
Jean Paul hat natürlich seinen eigenen Schlüssel zur Wohnung – wir hingegen wissen nicht einmal, wo er wohnt. Er zieht sich immer zuallererst alte Kleidung an, bevor er ans Werk geht. Ich gebe zu: an diesen Luxus habe ich mich schnell gewöhnt.
An meinem ersten Tag habe ich noch einen engagierten Versuch unternommen, die Waschmaschine selbst zu bedienen, um Kontrolle über meinen Wäsche zu behalten – leider war ich der Waschmaschine nicht gewachsen. Nach vier Stunden erfolglosen Drehens an diversen Knöpfen hatte ich bergeweise tropfnasse, seifige Wäsche, die außerdem nach dem Trocknen unangenehm roch – danach habe ich aufgegeben. Ich geniere mich zwar immer noch ein bißchen, wenn ich abends nach Hause komme und meine Unterwäsche ordentlich aufgereiht in meinem – privaten – Badezimmer auf der Wäscheleine hängt, aber es ist ohne Zweifel fein, Blusen und Röcke immer perfekt gebügelt im Schrank vorzufinden.

Jean Paul macht auch immer ordentlich die Betten:


Er ordnet die Fläschchen im Badezimmer hübsch an (alle ganz dicht an den Spiegel):


Und spült nicht nur ab, sondern räumt auch alles ordentlich ein, bevor er geht.


Als ich zur Taufe eingeladen war, hatte ich ihn relativ kurzfristig gebeten, meinen weißen Rock noch zu waschen und am selben Tag zu bügeln und er fragte tatsächlich zwei Tage später nach, ob alles recht gewesen sei, er habe den Rock ganz besonders gründlich gebügelt. Andererseits hat er am Tag vor meiner Abreise nicht waschen können, weil die Maschine kaputt war und unglückseligerweise die halbfeuchte Wäsche wieder in den Wäschekorb zurückgelegt – das war weniger klug, weil abends alles klamm war und ich folglich morgens um sechs Koffer packen mußte.
Gibt es Besonderes zu berichten, schreibt Jean Paul uns auch nette Briefchen. Zum Beispiel auf der Rückseite des Kassenbelegs vom Einkaufen: Madame Damenwahl, c’est le rapport pour aujourd’hui. L’électricién n’est pas venu, il faut l’appeler encore une fois pour demain. J’ai acheté de l’eau et du savon. Votre serviteur, Jean Paul. Noch nie hat er einen einzigen Franc Wechselgeld unterschlagen, aber es bedarf regelmäßiger Geschenke und Primes, um ihn bei Laune zu behalten. Bevor unser ehemaliger dritter Mitbewohner und ich im September abgereist sind, hat er über Wochen jeden Morgen darauf hingewiesen, wie überaus üblich es im Kongo sei, Abschiedsgeschenke zu machen. Und wenn auch Ehrlichkeit eine seiner schönsten Eigenschaften ist, Bescheidenheit gehört ganz sicher nicht dazu. Ich beteilige mich selbstverständlich seit meinem Einzug mit der Hälfte an seinem Gehalt, er hat aber sehr nachdrücklich versucht, mir angelegentlich des Abschiedsgeschenks begreiflich zu machen, daß ich nicht die Hälfte vom bestehenden Gehalt bezahlen solle, sondern eigentlich noch einmal soviel wie das bestehende Gehalt schuldig sei, weil er doch doppelte Arbeit habe. Ungeachtet der Tatsache und in der Hoffnung, mir sei unbekannt, daß die Wohnung in der Vergangenheit fast immer von zwei Personen bewohnt wurde, die sich sein Gehalt geteilt haben. Man kann es ja mal versuchen. Ich kann auf rationaler Ebene seine Wünsche nachvollziehen: als Kongolese in Kinshasa zu leben ist unendlich viel schwieriger und anstrengender, denn als Expatriate – trotzdem habe ich inzwischen begriffen, daß unbegrenztes Vertrauen nicht angebracht ist. Wer hier seine Koffer packt, um das Land zu verlassen, informiert sein Hauspersonal als allerletztes. Sobald mit der Anstellung kein festes Einkommen mehr in der Waagschale zugunsten der Ehrlichkeit liegt, steigt die Versuchung, auf den letzten Lohn zu verzichten und den Hausschlüssel zur – für kongolesische Verhältnisse – luxuriös eingerichteten Wohnung anderen Zwecken zuzuführen. Als ich solche Warnungen zum ersten Mal von Kollegen zu hören bekam, mochte ich es nicht glauben, wurde aber auf der Abschiedsparty zweier Kollegen eines Besseren belehrt: bei einem hatte man am Vorabend eingebrochen und die gesamte Wohnung ausgeräumt, inklusive Pass und Bargeld. Der Schuldige ist unbekannt, aber Fenster und Türen waren sämtlich intakt – da ist der Kreis der möglichen Verdächtigen eher begrenzt. Das ist – bei allem Verständnis für existenzielle Not – traurig, aber man gewöhnt sich daran und verhält sich entsprechend. Und auch wenn ich Jean Paul keineswegs unbegrenzt vertraue, mag ich ihn irgendwie doch gerne. Solange ich irgendwann dieses Land verlassen werde, ohne meiner Wertsachen verlustig zu gehen. Sonst überdenke ich meinen Standpunkt noch mal.

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Sonntag, 8. November 2009
Wochenende
Freitagabend: Abschiedsparty für den scheidenden Mitbewohner. Um vier Uhr verwandelte ein Regensturm unsere Terrasse in einen Swimmingpool, das Wasser stand am Rand zentimeterhoch, die Sitzmöbel (gepolstert) alle durchweicht wie ein Spülschwamm, die Straßen Schlammpisten und vom Himmel strömte es weiter ohne Unterlaß. Immerhin hörte es rechtzeitig auf, um zumindest die Terrasse halbwegs trockenlegen und die Möbel wechseln zu können. Die Party war ein großer Erfolg, davon abgesehen, daß nach elf Uhr im Haus das Wasser ausgestellt wird und folglich auch Toilettenspülkästen nicht mehr gefüllt werden – die weiteren Konsequenzen können Sie sich denken. Immerhin haben wir derer zwei, wobei die zweite im hinteren Teil der Wohnung an diesem Abend für Wohnungsbewohner und enge Freunde reserviert war.
Als wir am nächsten Morgen um elf Uhr aufstanden, hatte unser Hausmann schon aufgeräumt und geputzt – lediglich der Flur zur privilegierten Toilette bei den Schlafzimmern zeugte von nächtlichen Aktivitäten.
Sonntagmorgen: Totalausfall. Kein Wasser, kein Strom. Der Mitbewohner – auf gepackten Koffern sitzend: das kann Tage dauern. Kein Kaffee zum Frühstück, keine Rühreier, kein Licht, keine Klimaanlage. Keine Dusche, natürlich. Auch kein Brot (altes Brot toasten ging nicht, neues kaufen auch nicht, weil Treppenhaus nachtschwarz). Im Geiste plante ich schon einen Abend ohne Strom. Mit Handylicht sah ich mich den Weg durchs Treppenhaus ertasten, Abendessen gegenüber im Restaurant, noch eine Stunde dort lesen, zu Hause zwei Stunden Akkuzeit am Rechner arbeiten und um neun ins Bett. Erfreulicherweise ging der Strom um drei wieder an. Man wird dankbar, auch für Kleinigkeiten. Ich bin gerade ganz zittrig vor Vorfreude auf den ersten richtigen Kaffee des Tages – trotz über 30 Grad Außentemperatur und Sonnenbrand. Immerhin, Totalausfälle sind der Arbeitsmoral zuträglich, weil außer Arbeiten nichts andere geht.

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Freitag, 6. November 2009
Geschäftsessen
Heute morgen bin ich in der Hölle aufgewacht – gefühlt jedenfalls. Viel zu heiß im Zimmer, Luft zum schneiden dick, Knoblauchwolken bei jeder Umdrehung, zu wenig Schlaf und eingebildete Knieschmerzen. Ganze dreißig Minuten habe ich mit mir gekämpft, bevor ich schwimmen gegangen bin. Seit wann bin ich so alt, daß drei Flaschen Bier, Berge von Shrimps und ein bißchen zu wenig Schlaf mich so mitnehmen?*
Ein Bekannter arbeitet hier im Familienunternehmen und in der vergangenen Woche mit eher tristem Sozialleben habe ich das geschäftliche Interesse als Vorwand genutzt, ihn um ein Feierabend Bier zwecks Informationsaustausch zu bitten. Es klappte erst diese Woche und beinahe dachte ich: wie unbequem, diese Woche habe ich genug abendliche Unterhaltung und so rasend wichtig ist das Thema eigentlich nicht, aber gut, er hatte den Compound von Utex Africa vorgeschlagen und den wollte ich ohnehin besichtigen.
Wie bereits berichtet, wohnen die besseren Expats gerne in ummauerten Concessions und die feudalste Concession in Kinshasa ist ohne Frage Utex Africa (dem Unternehmen zugehörig, aber offen für alle solventen Mieter). Das Areal ist riesig, zieht sich vom Boulevard bis zum Fluß hinunter, zwei diskrete Toreinfahrten mit Schildern, die non-residents ausdrücklich das Betreten verbieten. Neben besonders schönen Villen und Apartmenthäusern hat der Compound nicht nur eigene Tennisplätze und einen Swimming Pool sondern auch eine Poolbar mit Restaurant.
Mein Bekannter war etwas zu spät – ich bin hier pünktlicher denn je, das muß das Abgrenzungsbedürfnis sein – aber an die Poolbar durfte ich nicht, weil ich weder den Nachnamen noch die Hausnummer meiner Verabredung nennen konnte. Also wartete ich im Auto und nutze die Zeit zum Plausch mit meinem Fahrer (sieben Kinder zwischen neun und 24 Jahren, Frau vor zehn Jahren verstorben, arme Socke). Mein Bekannter traf ein, die Wache ließ uns durch die Pforte zum Pool hinunter, milder Tadel, daß ich aufgehalten wurde (dabei tat der Wächter doch nur seine Pflicht). Wir setzten uns an einen der freien Tische mit Blick auf den Pool. Alles sehr hübsch, sehr schick, geradezu mondän. Hätte auch Nizza sein können. Gleichzeitig mit dem Bier kam der Chef des Restaurants und verwies uns an einen fein gedeckten Tisch am Rand: mein Bekannter hatte reserviert – per SMS mit Hausnummer – und auch gleichzeitig 20 Shrimps mit Frites bestellt. Für jeden von uns. Hübsch im Kreis aufgereiht, Seite an Seite, ein riesiger Teller Shrimps in Unmengen Knoblauchöl. Der Bekannte legte sich eine Lätzchen Serviette um den Hals - ich vertraute auf meine Erziehung, unter allen Umständen manierlich essen zu können. Innerhalb von Minuten lief uns beiden das rötliche Knoblauchöl über die Finger und ich gebe zu, da die Pfoten ohnehin schon hinüber waren, habe ich die Knoblauchstückchen von den Fingerspitzen geleckt. Die Marinade war unbestreitbar köstlich und ich mußte zumindest ein bißchen am Ende mit Brot aufnehmen. Den Proteinschock hingegen habe ich immer noch nicht verwunden. Rechnung aufs Haus, so wie im Hotel aufs Zimmer. Ein Zettel, eine Unterschrift. Madame war eingeladen.
Schon das Ambiente war es wert, den Termin wahrgenommen zu haben – die Informationen aber noch viel mehr. Ich liebe diese Gespräche mit Personen, die das Land wirklich gut kennen, kein Blatt vor den Mund nehmen und obendrein noch – als Nichteuropäer und Nicht-Ex-Kolonialisten – keinerlei Scheu haben, ihre Gedanken offen auszusprechen. Seine Meinung: dem Land den Geldhahn zudrehen, bis Regierung und Bevölkerung gelernt haben, kollektiv verantwortungsvoller zu handeln und nicht immer nur an den eigenen Vorteil zu denken. Davon abgesehen: Steuer auf importierte Produkte? Über 30 %. Wartezeit, bis eine Frachtladung vom Zoll freigegeben wird? Im schlimmsten Fall ein Jahr. Schwund bei einer Ladung attraktiver Güter Technologikrams? Leicht 10 %, wobei die diversen Behörden ein erstaunlich gutes Auge für neue und teure Modelle haben. Nach meinem ersten Gespräch dieser Art mit einer Exportfirma vor einigen Wochen war ich sprachlos vor Entsetzen und informierte meine Kollegen if I ever voice the idea of doing business in DRC, slap me in the face and keep me from doing it, please. Nach jedem Termin denke ich: es kann nicht schlimmer werden, aber ganz sicher: es kommt schlimmer. Jedes einzelne Mal treten neue Informationen zutage, die einem die Tränen in die Augen treiben. Und manchmal möchte man schier verzweifeln.

*Bier und Shrimps - hätte ich mir so nicht ausgesucht, aber als das Bier kam, wußte ich noch nicht, daß Shrimps folgen würden. Aber es zeigt schön, was mir am Kongo fehlt und was ich mag: einerseits die bedenkenlose Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft - andererseits die Abwesenheit von... na, Sie wissen schon was ich meine, Bier und Shrimps halt.

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Mittwoch, 4. November 2009
Eine Frage der Perspektive
Hätte mir jemand vor zehn Jahren prophezeit, ich würde heute in Afrika leben, ich hätte ungläubig den Kopf geschüttelt, laut gelacht, oder beides. Ich bin immer gerne gereist und war neugierig genug für mein Alter, aber Afrika war jenseits meiner Vorstellungskraft. In dem Provinznest, in welchem ich die ersten fünfzehn Jahre meines Lebens verbracht habe, stand am Eingang ein Schild: Partnerstadt von Kalemie, Zaire. Darunter eine Landkarte und Werbung für ein Waisenhaus. Damals war ich zehn Jahre alt und hatte keinerlei Vorstellung von Zaire, außer einer gewissen Faszination für dieses klangvolle Wort. Heute horche ich immer auf, wenn jemand hier in Kalemie war und würde gerne selbst hinfahren, aus purer Nostalgie. Leider liegt Kalemie am anderen Ende des Landes und Städtetrips sind bei den örtlichen Reiseagenturen nicht im Angebot.
Wenn ich mich in meinem Umfeld zu Hause anschaue, bin ich leider ein Verlierer. Eine Bekannte reicht gerade ihre zweite Dissertation ein. Eine ehemalige Freundin schmückt ihre Visitenkarten inzwischen mit dem Titel Vice President Global Derivates Junk - oder so ähnlich – bei einer großen Pleitierbank, die kurz vor der Zerschlagung steht. Für ein Paar Stiefel gibt sie mehr Geld aus, als ich zuletzt in Deutschland für die monatliche Miete. Meine ehemaligen Kollegen dürfen sich inzwischen immerhin alle Assistant Manager nennen. Einer der letzten verbliebenen Freunde in der Provinz ist seit kurzem stolzer Besitzer eines Eigenheims. Eine andere Freundin hat alle ihre Karriereziele bereits jetzt erreicht und einen von-und-zu-mit-Schlößchen geheiratet. Ich hingegen bin Consultant und auf meiner Visitenkarte steht nur mein Name, weil ich im vergangenen Jahr sechs verschiedene Telefonnummern in fünf verschiedenen Ländern hatte. Ich teile das Wohnzimmer mit einem bindungsunfähigen Briten Ende Dreißig, die Küche mit einer Familie Kakerlaken und im Schlafzimmer leistet mir allenfalls ein Gecko Gesellschaft. Mein Vertrag wird heute für eine Woche verlängert und morgen für zwei Wochen verkürzt, das weiß ich immer erst genau, wenn es soweit ist. Gemessen an den Maßstäben meines heimatlichen Umfelds habe ich allenfalls in Entfernungskilometern weit gebracht.
Allerdings erlebe ich jeden Abend den schönsten Sonnenuntergang der Welt und kein Tag ist wie der vorherige. Das ist immerhin etwas.

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Montag, 2. November 2009
Malaisen
Man kann viele Schubladen für Expatriates finden – eine davon ist der Umgang mit Malaria. Die hiesige Variante kann theoretisch tödlich enden, wenn die Erreger auf das Gehirn übergreifen und natürlich ist mit diesem Risiko nicht zu spaßen. Andererseits sind Expats ja in der glücklichen Situation, jederzeit Zugang zu Medikamenten zu haben und wenn man um das Risiko weiß und entsprechend rasch reagiert, ist das Risiko überschaubar. Jeder, der zwei oder drei Jahre hier war kennt einen Kollegen, der daran gestorben ist – allerdings meist Männer, die aus Dickfälligkeit und wahre Männer leiden schweigend Attitüde den Gang zum Arzt zu spät angetreten haben. Am Umgang mit Malaria scheiden sich hier die Geister, vor allem bei Aufenthalten im Zeitfenster zwischen sechs und zehn Wochen, wo es keine eindeutige Empfehlung für oder gegen Prophylaxe gibt. Ich habe drei Wochen vor dem Ende meines letzten Aufenthalts aufgehört, mein in Tunis unter unglaublichen Umständen erworbenes Medikament zu nehmen und viele Kollegen sehen es ähnlich: man kann das Zeug nicht über Monate wie Smarties essen, das Risiko ist überschaubar, kein Grund zur Panik. Die andere Hälfte der Kollegen verspeist schon zum Frühstück die tägliche Tablette zuzüglich Vitamin C, Mineralien und meist unzähliger anderer Pillen, ich vermute beinahe, die Amerikaner haben neben Hand Sanitizer und einer Batterie antibakterieller Toiletten- und Reinigungsartikel auch antibakterielle Tabletten erfunden. Diese Kollegen schauen einen mit großen, ungläubigen Blicken an und sagen: Are you crazy?! wenn sie hören, daß man die Prophylaxe aufgegeben hat. Die Reaktion könnte nicht heftiger ausfallen, würde man eröffnen, jeden Abend mit geladenen Ebola-Injektionen Russisch Roulette zu spielen.

Davon abgesehen gibt es natürlich noch andere Unannehmlichkeiten. Eine Freundin hat erhöhte Bilharziose Werte, seit sie im Umland in einem Teich planschen war. Sie sagt aber, sie kann die Viecher nicht unter der Haut krabbeln sehen, so daß auch solche Bedrohungen ihren Schrecken verlieren. Der Gang zum Tropenarzt nach der Rückkehr zwecks vollständiger Entwurmung wurde mir schon mehrfach empfohlen (dabei verbinde ich mit Wurmkur eher die in eine Scheibe Wurst eingerollten Pillen für unsere Hunde). Neulich habe ich zum ersten Mal von acid ants gehört – kleinen Insekten, die brennendes Sekret abgeben, wenn man sie plattmacht und häßlichen Ausschlag verursachen. Wunden verheilen schlechter. Alle paar Tage sticht mich eine besonders fiese Mücke und wenn ich dann irgendwann gedankenverloren zu heftig scheuere, weil der Juckreiz unerträglich ist, sieht es einen Tag später aus, als hätte ich mir übel das Schienbein aufgeschlagen, zwei verschorfte rote Streifen, ohne daß es jemals geblutet hätte. Die Freude hält sich dann auch in der Regel über mehrere Tage.
Weniger dramatisch, aber optisch ein echtes Hindernis beim Männerfang ist der Zustand meiner Haare. Selbst mit Spülung könnte man mit meinem Schopf nach vier Wochen hier auch eine Pferdebox auslegen und das Ergebnis meines Friseurs zu Hause, den Schaden zu begrenzen, ist inzwischen wieder perdu. Parfum kann man, nebenbei bemerkt, auch gleich daheim lassen, denn angesichts des großzügigen Gebrauchs von Anti-Mücken Spray (mein Haushalt weist derzeit fünf verschiedene Sorten auf und die Flaschen werden so freizügig herumgereicht bei gemeinsamen Abendessen wie das Bier auf Binge-Drinking-Parties) riechen ohnehin alle wie ein Krankenhaus. Von derlei Petitessen abgesehen habe ich aber glücklicherweise die Konstitution eines Ackergauls und so hoffe ich, daß mir Besuche im Krankenhaus weiterhin erspart bleiben werden.

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Samstag, 31. Oktober 2009
I was amused
Über dreißig Grad im Schatten, blauer Himmel, leichte Brise – Hochsommer. Surreal die Vorstellung, in Deutschland wäre Winter. Stiefel und Schals? Komischer Gedanke.
Am Donnerstag Abend bin ich im Supermarkt mit J., der ehemaligen Flamme meines beinahe schon ehemaligen Mitbewohners zusammengestoßen, ein kurzer Plausch zwischen Weinregal und Gefriertruhe, eine Verabredung für Freitag Abend.
Um acht wartete ich vorm Haus, ein Passant, mager und schlaksig, eiene weiße Sonnenbrille verkehrt herum im Nacken hängend, sprach mich an: er habe mich noch nie gesehen, strahlend schön wie eine Sonne, das könne er kaum glauben, für eine Schönheit wie mich müsse er ein Gedicht schreiben, ob ich hier wohne... er verfolgte mich bis ans Autofenster, J. guckte schräg und neugierig. Vor der britischen Botschaft warteten andere Freunde von ihr, alle Development Set. Einlaßkontrolle, Taschenkontrolle, Scanner wie am Flughafen, wir tauschten unsere Pässe gegen ein Einlaßkärtchen. Die Botschaften hier sind riesige Concessions, ummauert, stacheldrahtbewehrt, innen die Botschaft, manchmal die Residenz, oft einige Häuser für Mitarbeiter. Ganz sicher ein Swimming Pool und ein üppig beflanzter Garten, so daß man die häßliche Realität mitsamt der Mauern ausblenden kann. Das Wasser plätscherte, auf dem Rasen Tische und Stühle, eine runde Hütte mit Bar, Musik und Buffet: der Brit Club. Jeden Freitag Abend Buffet, Getränke und Musik und natürlich die übliche Gesellschaft. Man kennt sich. Für zehn Dollar eine Stempelkarte für Getränke gekauft, für zwanzig Dollar das drittklassige Buffet inspiziert, nett geplaudert. Spielende Kinder, ein gepflegter Hund strich zwischen den Tischen umher, Familien und Besucher jeden Alters.
Um zehn ging es weiter in die amerikanische Botschaft, Halloween-Party im Marines House. Mir war bislang gar nicht bewußt, daß in Kinshasa Marines stationiert sind und ich hatte mich schon gewundert, daß in Anwesenheit der weltweit größten UN Mission der einzige Soldat meiner Bekanntschaft ein Blauhelm-Pakistani mit ausgesprochener Cricket-Leidenschaft war. Jetzt also Marines. Und ein haunted tunnel. Vorm Eingang ein Warnplakat, daß der Eintritt für Schwangere und gesundheitlich Indisponierte nicht ratsam sei und man keine Verantwortung für derlei Gäste übernehme. Unter Zeltdächern hatten die Jungs liebevoll Teelichter, Rauch und gruselige Asseccoires arrangiert, zwei waren stationiert zum Gäste erschrecken, ich kreischte einmal angemessen laut, auf der anderen Seite dann, wie es sich für wahre Männer gehört, ein trister, betonierter Innenhof, ein Basketballkorb und ein Clubhaus. Auf der Wand ein Logo: Adler auf Weltkugel, Sitzgruppen unter einem Vordach arrangiert mit gezuckerten bunten Halloween-Keksen und Plastik-Gehirnen dazwischen, innen ein Billiard-Tisch, Kicker, Darts und eine Bar. Weitere Dekoration: im Eingang ein Poster: „If everyone could get in, it wouldn’t be the Marines”. Über dar Bar: “When we are in YOUR house, we will play by YOUR rules”. Und: “Lost dog: one-eyed, limping, lost one ear, tail cupped and recently castrated. Listens to the name of LUCKY”. Inmitten der übrigen Gäste waren die Marines leicht zu erkennen an ihrer beeindruckenden Statur und dem typischen Haarschnitt: and den Seiten sehr kurzgeschoren, oben auf dem Kopf eine Spur länger. Sofern sie nicht gerade in feuerroten, hochhackigen Lack-Plateau-Pumps, kleinem Schwarzen und blonder Kunsthaarperücke auftraten und damit beschäftigt waren, an der Stange zu tanzen. Dies also der Stolz der Vereinigten Staaten von Amerika. Im Flüsterton wurde ich von J. informiert, die Marines seien naughty boys und empfingen des öfteren Ladies aller Art, oder was man so Ladies nennt, wenn man ein anständiges amerikanisches Mädel ist. Die Auswahl der Kostüme spiegelte die amerikanische Leidenschaft für Halloween wider, vielleicht aber auch nur die Tatsache, daß in Kinshasa jede Ablenkung willkommen ist und man reichlich Zeit für fantasie- und kostenintensive Bemühungen hat.
Ich habe mit allerlei Leuten geplaudert, die üblichen Themen, wie lange man hier ist, wie lange man bleibt, was man beruflich macht, wen man kennt und wo die nächste Party ist. Gerne hätte ich mich mit einem der Soldaten unterhalten, um herauszufinden, ob sie wirklich so beschränkt sind, wie man allgemein sagt (ich habe noch nie jemanden getroffen, der von einem intelligenten oder übermäßig gebildeten Soldaten berichtete), aber es ergab sich leider nicht. Immerhin gab es reichlich zu gucken. Solche Abende entschädigen mich für viele Unannehmlichkeiten, denn bitte, wie viele Menschen bekommen in ihrem Leben die Gelegenheit, an einem einzigen Abend in zwei Botschaften zu feiern, davon einmal in Gegenwart skurril kostümierter Militärs? Davon kann ich meinen Enkeln irgendwann erzählen, sollte ich jemals welche haben.
Eigentlich hätte wir gegen Mitternacht noch eine dritte Veranstaltung besuchen sollen, die Geburtstagsparty eines meiner Landsmänner, aber die Damen waren müde und haben für den heutigen Samstag Abend große Pläne, daher endete der gestrige Abend vorzeitig und ich war um Mitternacht im Bett.

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Donnerstag, 29. Oktober 2009
Eine Freundin ist tot. Einfach so. Ich kannte sie nicht sehr gut, wir waren zwei Mal zusammen auf Parties , haben uns nett unterhalten, zwischendurch einige Male telefoniert. Jünger als ich, aus Zimbabwe, etwas Hippie Flair.
Vor einer Woche habe ich sie Samstags gesehen, da hatte sie ihre Rastazöpfe alle rausgemacht und trug statt dessen eine wuscheligen Afro - sah toll aus. Lange Röcke, viele Armbänder.... immer fröhlich, gut gelaunt, unterhaltsam, unkompliziert. Ich mochte sie gerne.

Am Wochenende diagnostizierte ein Arzt Bronichitis. Am Montag war sie tot. Nicht zu fassen.

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