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Katastrophenzirkus
Jetzt wissen alle, wo Haiti liegt. Das war vermutlich vor drei Wochen noch anders. Kongo? Zentralafrikanische Republik? Port-au-Prince? Kennt man nicht. Noch weniger könnte man auf einer Landkarte den Finger drauflegen. In manchen Kreise gilt die Insel – ähnlich wie der Kongo – als einer jener hoffnungslosen Fälle, an denen sich die Weltgemeinschaft seit Jahrzehnten irgendwie abmüht wie unser Staat an einem unwilligen Langzeitarbeitslosen, der aus allen sozialen Netzen längst herausgefallen ist, ohne daß diese Bemühungen jemals ernsthafte Erfolge zeitigen würden. Sehr schön nachzulesen bei drei aufmüpfigen UN-Mitarbeitern, die in den neunziger Jahren an den großen Krisenherden der Welt tätig waren. Wie ein schwarzes Loch saugen manche Länder alle Hilfsgelder, alle Bemühungen, alle UN-Missionen auf und verharren doch irgendwie im Status eines unlösbaren Problems. Hin und wieder passierte irgendwas, Unruhen oder gewalttätige Regierungswechsel ziehen zwei Tage Berichterstattung in den gängigen Tageszeitungen nach sich und dann verschwindet das Land wieder vom Bildschirm internationaler Medien, wie ein Flugzeug, das meistens unterhalb des Radars fliegt.
Ich bin betroffen. Freunde von mir in den USA trauern um Freunde in Haiti, Mitglieder der UN-Mission, bei denen die Hoffnung auf Überleben von Tag zu Tag schwand in den letzten Wochen. Ein anderer Freund hat fluchtartig seinen aktuellen Posten verlassen und ist nach Haiti geflogen, wo er jetzt die Arbeit einer kleinen NGO als Chief of Mission koordiniert, unter Einsatz seines eigenen Lebens. Ich weiß nicht, was sein Vater dazu sagt, den ich in Kinshasa flüchtig kennengelernt habe, ich weiß nicht, was seine Freundin dazu sagt, die ich gut kenne, aber in solchen Zeiten bin ich dankbar für F*cebook und schaue mehrmals täglich nach Statusmeldungen. Jenseits von Web 2.0 Häme, wirtschaftlichen Nutzerzahlen und Internetexhibitionismus hat es eben doch ungeahnte Vorteile, die man nie erwartet hätte. Davon abgesehen schaue ich mich um und wundere mich. Viele Medienberichte, erstaunlich, wer alles zu diesem Thema eine Meinung hat, und so unterschiedlich. Zwei Wochen später hingegen sieht alles ganz anders aus, von ehrenwerten Aktionen wie diesen abgesehen: hallende Stille auf den Frontseiten der großen Zeitungen.
Ich vermute, ähnlich wie beim Tsunami in der Südsee vor fünf Jahren werden von unzähligen wohlmeinenden Geistern Gelder auflaufen, gespendet aus einem Betroffenheits-Affekt heraus per SMS, wunderbar einfach, kann ja nicht schaden. Diese Gelder tragen unabänderlich ein elektronisches Schildchen „Haiti Erdbeben“– und sind damit für genau diesen Zweck gebunden und für nichts anderes verwendbar.* Ähnlich wie beim Tsunami werden am Ende auf diversen Konten Millionenbeträge liegen, die niemand ausgeben kann, weil ein so kleines Land bei allem Elend beschränkte Aufnahmekapazitäten hat. So absurd es sich anhört: es gibt Grenzen für sinnvolle Investitionen, Nothilfe ist eine Sache – und auch die krankt an noch immer den beschränkten infrastrukturellen Verteilungskapazitäten auf der Insel – und langfristiger Aufbau eine andere. Und sogar da ist der Erfolg in manchen Fällen fragwürdig. So geschehen in Indonesien. Ohne Zweifel ist ein Motorboot für Fischer eine feine Sache und macht so unendlich viel weniger Arbeit als ein Segelboot. Andererseits hält so ein Segelboot eine ganz Familie auf Trab, jeder muß sich beteiligen und helfen und niemand ist überflüssig. Ein Motorboot hingegen stürzt die halbe Familie in Arbeitslosigkeit und ist, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, andere sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, ein teuflisches Geschenk. Gut gemeint, und doch falsch, wie so vieles, was wir tun. Das aber ist ein anderes weites Feld.
Darüber hinaus finde ich den Medienzirkus einfach nur widerlich. Sensationsgeil, fehlgeleitet, volksverdummend und widerlich. „Hilfsmaßnahmen, die freilich verspätet einsetzen“?. ”Im zerstörten Haiti regiert der Tod”? So gelesen am Freitag der fraglichen Woche. Das Erdbeben war am Dienstag, wie schnell bitte schön soll die Hilfe denn eintreffen? Angeblich gilt für Mitarbeiter des Roten Kreuzes für Kriseneinsätze die 24/20 Regel: sie müssen innerhalb von 24 Stunden mit 20 kg Gepäck ausreisebereit sein. Dann ist es Mittwoch, eher Donnerstag. Es braucht Flugzeuge; Material und Hilfsgüter müssen gesammelt, zusammengestellt und koordiniert werden und auch die Reise über den Atlantik dauert nun mal einige Stunden. Nicht davon zu reden, daß auf der Insel Chaos herrscht. Landebahnen und Straßen sind kaputt, Botschaften und ausländisches Personal wurden evakuiert und gerade die Organisation, die natürlicherweise die Koordination vor Ort hätte übernehmen können, ist selber bitter betroffen. Das Leitungspersonal von MINUSTAH ist tot, Gebäude liegen in Trümmern und die UN wissen noch nicht einmal sicher, wieviele weitere Mitarbeiter verschüttet oder tot sind. Für die UN ist Haiti nicht nur ein seit Jahren schwelender Katastrophenherd, und aktuell eine der größten humanitären Katastrophen überhaupt, sondern auch die intern größte Katastrophe aller Zeiten. Davon abgesehen halte ich es für sinnvoller, wenn deutsche Mannschaften einen Tag später mit wirklich relevanten Gütern eintreffen, als einen Tag früher, aber die Hälfte vergessen haben. Reißerische und latent anklagende Titelzeilen hingegen von Leuten, die bequem in ihrem Büro auf dem Hintern sitzen oder für drei Tage Katastrophenzirkus einfliegen, finde ich gar nicht sinnvoll. Aber vielleicht bin ich ungerecht und das war alles nicht so gemeint.
An Heiligabend kam in einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenprogramm eine Strecke über die Tsunami-Katastrophe, es wurden viele herzzerreißende Bilder zerstörter Familien gezeigt. Deutscher Urlauber nämlich. Da ist ausnahmsweise mal eine der unzähligen Dritte-Welt-Katastrophen ganz nah an Deutschland herangerückt und plötzlich sind wir betroffen. Nicht um der Millionen Menschen willen, die jedes Jahr mit Fluten und Not umgehen müssen, wie in Bangladesh, mit Hunger und Krankheiten wie in Zentralafrika, betroffen sind wir nur um unserer selbst willen. Der Mensch ist sich selbst eben doch immer noch der Nächste. 112.000 Tote beim Erdbeben sind schrecklich. Aber was zum Teufel ist mit den 24.000 Menschen – vor allem Kindern – die jeden Tag an Hunger und dessen Folgen sterben? 24.000 Menschen, das ist jeden Tag eine deutsche Kleindstadt. Das macht 8 Millionen Menschen jedes Jahr – und welche Zeitung würde darüber in gleicher Weise berichten? 100.000 Tote bei Naturkatastrophen sind Auflage, Millionen Tote auf weit weniger spektaktuläre Weise ohne Bilder bei denen man sich gemütlich mit einem Becher Kaffee am Frühstückstisch gruseln kann, hingegen nicht. Hunger ist ja so alltäglich, so schäbig, so gewöhnlich. Viel weniger fotogen, viel weniger eindrücklich zu beschreiben als Blut, Schweiß und Tränen.
So löblich, vorbildlich und wünschenswert auch die enorme Spendenbereitschaft in solchen Fällen ist – noch schöner wäre, wenn es auch ohne den großen Medienaufriß ginge.
* Durchaus vermeidbar, wenn man um das Problem weiß.
Ich bin betroffen. Freunde von mir in den USA trauern um Freunde in Haiti, Mitglieder der UN-Mission, bei denen die Hoffnung auf Überleben von Tag zu Tag schwand in den letzten Wochen. Ein anderer Freund hat fluchtartig seinen aktuellen Posten verlassen und ist nach Haiti geflogen, wo er jetzt die Arbeit einer kleinen NGO als Chief of Mission koordiniert, unter Einsatz seines eigenen Lebens. Ich weiß nicht, was sein Vater dazu sagt, den ich in Kinshasa flüchtig kennengelernt habe, ich weiß nicht, was seine Freundin dazu sagt, die ich gut kenne, aber in solchen Zeiten bin ich dankbar für F*cebook und schaue mehrmals täglich nach Statusmeldungen. Jenseits von Web 2.0 Häme, wirtschaftlichen Nutzerzahlen und Internetexhibitionismus hat es eben doch ungeahnte Vorteile, die man nie erwartet hätte. Davon abgesehen schaue ich mich um und wundere mich. Viele Medienberichte, erstaunlich, wer alles zu diesem Thema eine Meinung hat, und so unterschiedlich. Zwei Wochen später hingegen sieht alles ganz anders aus, von ehrenwerten Aktionen wie diesen abgesehen: hallende Stille auf den Frontseiten der großen Zeitungen.
Ich vermute, ähnlich wie beim Tsunami in der Südsee vor fünf Jahren werden von unzähligen wohlmeinenden Geistern Gelder auflaufen, gespendet aus einem Betroffenheits-Affekt heraus per SMS, wunderbar einfach, kann ja nicht schaden. Diese Gelder tragen unabänderlich ein elektronisches Schildchen „Haiti Erdbeben“– und sind damit für genau diesen Zweck gebunden und für nichts anderes verwendbar.* Ähnlich wie beim Tsunami werden am Ende auf diversen Konten Millionenbeträge liegen, die niemand ausgeben kann, weil ein so kleines Land bei allem Elend beschränkte Aufnahmekapazitäten hat. So absurd es sich anhört: es gibt Grenzen für sinnvolle Investitionen, Nothilfe ist eine Sache – und auch die krankt an noch immer den beschränkten infrastrukturellen Verteilungskapazitäten auf der Insel – und langfristiger Aufbau eine andere. Und sogar da ist der Erfolg in manchen Fällen fragwürdig. So geschehen in Indonesien. Ohne Zweifel ist ein Motorboot für Fischer eine feine Sache und macht so unendlich viel weniger Arbeit als ein Segelboot. Andererseits hält so ein Segelboot eine ganz Familie auf Trab, jeder muß sich beteiligen und helfen und niemand ist überflüssig. Ein Motorboot hingegen stürzt die halbe Familie in Arbeitslosigkeit und ist, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, andere sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, ein teuflisches Geschenk. Gut gemeint, und doch falsch, wie so vieles, was wir tun. Das aber ist ein anderes weites Feld.
Darüber hinaus finde ich den Medienzirkus einfach nur widerlich. Sensationsgeil, fehlgeleitet, volksverdummend und widerlich. „Hilfsmaßnahmen, die freilich verspätet einsetzen“?. ”Im zerstörten Haiti regiert der Tod”? So gelesen am Freitag der fraglichen Woche. Das Erdbeben war am Dienstag, wie schnell bitte schön soll die Hilfe denn eintreffen? Angeblich gilt für Mitarbeiter des Roten Kreuzes für Kriseneinsätze die 24/20 Regel: sie müssen innerhalb von 24 Stunden mit 20 kg Gepäck ausreisebereit sein. Dann ist es Mittwoch, eher Donnerstag. Es braucht Flugzeuge; Material und Hilfsgüter müssen gesammelt, zusammengestellt und koordiniert werden und auch die Reise über den Atlantik dauert nun mal einige Stunden. Nicht davon zu reden, daß auf der Insel Chaos herrscht. Landebahnen und Straßen sind kaputt, Botschaften und ausländisches Personal wurden evakuiert und gerade die Organisation, die natürlicherweise die Koordination vor Ort hätte übernehmen können, ist selber bitter betroffen. Das Leitungspersonal von MINUSTAH ist tot, Gebäude liegen in Trümmern und die UN wissen noch nicht einmal sicher, wieviele weitere Mitarbeiter verschüttet oder tot sind. Für die UN ist Haiti nicht nur ein seit Jahren schwelender Katastrophenherd, und aktuell eine der größten humanitären Katastrophen überhaupt, sondern auch die intern größte Katastrophe aller Zeiten. Davon abgesehen halte ich es für sinnvoller, wenn deutsche Mannschaften einen Tag später mit wirklich relevanten Gütern eintreffen, als einen Tag früher, aber die Hälfte vergessen haben. Reißerische und latent anklagende Titelzeilen hingegen von Leuten, die bequem in ihrem Büro auf dem Hintern sitzen oder für drei Tage Katastrophenzirkus einfliegen, finde ich gar nicht sinnvoll. Aber vielleicht bin ich ungerecht und das war alles nicht so gemeint.
An Heiligabend kam in einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenprogramm eine Strecke über die Tsunami-Katastrophe, es wurden viele herzzerreißende Bilder zerstörter Familien gezeigt. Deutscher Urlauber nämlich. Da ist ausnahmsweise mal eine der unzähligen Dritte-Welt-Katastrophen ganz nah an Deutschland herangerückt und plötzlich sind wir betroffen. Nicht um der Millionen Menschen willen, die jedes Jahr mit Fluten und Not umgehen müssen, wie in Bangladesh, mit Hunger und Krankheiten wie in Zentralafrika, betroffen sind wir nur um unserer selbst willen. Der Mensch ist sich selbst eben doch immer noch der Nächste. 112.000 Tote beim Erdbeben sind schrecklich. Aber was zum Teufel ist mit den 24.000 Menschen – vor allem Kindern – die jeden Tag an Hunger und dessen Folgen sterben? 24.000 Menschen, das ist jeden Tag eine deutsche Kleindstadt. Das macht 8 Millionen Menschen jedes Jahr – und welche Zeitung würde darüber in gleicher Weise berichten? 100.000 Tote bei Naturkatastrophen sind Auflage, Millionen Tote auf weit weniger spektaktuläre Weise ohne Bilder bei denen man sich gemütlich mit einem Becher Kaffee am Frühstückstisch gruseln kann, hingegen nicht. Hunger ist ja so alltäglich, so schäbig, so gewöhnlich. Viel weniger fotogen, viel weniger eindrücklich zu beschreiben als Blut, Schweiß und Tränen.
So löblich, vorbildlich und wünschenswert auch die enorme Spendenbereitschaft in solchen Fällen ist – noch schöner wäre, wenn es auch ohne den großen Medienaufriß ginge.
* Durchaus vermeidbar, wenn man um das Problem weiß.
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