Montag, 8. Februar 2010
Maxi
Ich war noch keine zehn Jahre alt, als ich irgendwas mit Pferden machen wollte. Voltigieren vielleicht, fragte ich meine Mutter. Da man von Pferden runterfallen konnte, fand dieser Gedanke anfangs gar keine Zustimmung und als letzte Rettung wurde ich vor die Wahl zwischen DLRG Schwimmen und Voltigieren gestellt. Voltigieren, beharrte ich, meine Eltern gaben nach und fuhren mit mir zum Reitverein. In lezter Minute überzeugte meine Mutter mich, doch lieber richtig zu reiten, vermutlich in der strategischen Absicht, von kleinen Ponys stürze man weniger tief. Ich erhielt meine erste Reithose und ein paar schwarze Gummistiefelchen, und verbrachte fortan jede freie Minute damit, einschlägige Pferdemädchen-Magazine zu studieren, im Reitsportladen Putzzeug, Decken und Reitkleidung sehnsüchtig zu bewundern und alles, wirklich alles über Pferde zu lernen. Mit mehr Begeisterung als Können arbeitete ich mich die Ponyhierarchie hoch, von den ganz kleinen zu den mittelgroßen und verbrachte zunehmend mehr Tage im Stall. Wie Ställe so sind war es kalt, zugig und immer irgendwie dreckig, meine Mutter – nicht willens, gute Kleidung ruinieren zu lassen – schickte mich stets in den ältesten Pullovern und abgerissensten Schuhen los, aber mir fiel das gar nicht auf. Mit mehr Ernsthaftigkeit als ich je in der Schule an den Tag gelegt hatte, lernte ich für das kleine Reitabzeichen, tapfer ertrug ich Stürze und Mißerfolge, das Mädchengezicke im Reitstall und brachte es sogar fertig, mich über einen vierten Platz bei einer Turnier Prüfung zu freuen, an der nur vier Reiter teilnahmen. Ich war vierzehn, als Maxi in mein Leben trabte. Maxi gehörte Freunden, die für ihre ambitionierten Töchter anständige Pferde suchten und er eroberte mein Herz sofort: er hieß nicht nur so wie mein geliebtes Stoffpferde, er sah auch so aus. Gerade richtig groß mit etwa 1,40 Stockmaß, dunkelbraun, Mähne und Schweif von etwas hellerer Farbe, mit hohen weißen Stiefeln und einer langen Blesse auf der Stirn.
Seit dem Tag, an dem meine Großeltern mir mein braunes Stoffpferdchen geschenkt hatten (ich weiß nicht: erinnere ich mich tatsächlcih noch an den Moment, als ich zu Füßen meiner Oma mit ihr mögliche Namen diskutierte, Pfanni oder Maxi, oder ist die Erinnerung geliehen, weil sie in späteren Jahren so oft davon erzählte), hatte ich keine Nacht mehr ohne Maxi verbracht, kein Urlaub, keine Reise, keine Übernachtung bei Freunden ohne meinen besten Freund. Und nun hatte ein gütiger Gott mir meinen liebsten Begleiter in lebendig geschickt. Zwischen mir und dem Glück standen jedoch etliche Hindernisse. Maxi – der echte – war ein charakterlich schwieriges Tier, er schnappte beim Putzen und beim Satteln, mochte nicht Stillstehen beim Aufsitzen und obendrein bewegte er sich lieber auf zwei als auf vier Beinen fort, sobald er einen Reiter trug. Seinen Einstand in der Reithalle gab er buckelnderweise quer durch die Länge der Bahn und ziemlich schnell wollte niemand mehr auf ihm reiten. Außer mir. Ich war beileibe keine glänzende Reiterin, aber in dieses Pferd war ich verliebt, in Gedanken war es mein Pferd vom ersten Tag an, und an Unerschrockenheit fehlte es mir nicht: bei erster Gelegenheit meldete ich Bedarf an. Und kam irgendwie mit ihm zurecht. Lammfromm war er nie, aber immerhin fiel ich deutlich seltener herunter als alle anderen und wir brachten jede Reitstunde mit einigem Anstand hinter uns. Mehr denn je investierte ich mein gesamtes Taschengeld in Pferdezeug und Leckerlis und begann, meine Eltern zu bearbeiten.
Sie hatten nie die Absicht gehabt, das Pferdevergnügen überhand nehmen zu lassen, aber meine grenzenlose Begeisterung für gerade dieses eine Pferd muß rührend gewesen sein. Gleichzeitig hatte ich auch begonnen, meinem Großvater zuzusetzen, auch wenn ich nicht ernsthaft erwartete, irgendjemanden weichklopfen zu können – der Reitsport gehörte definitiv nicht zu familiären Prioritäten.
Ohne mein Wissen nahmen meine Eltern in der Vorweihnachtszeit Verhandlungen mit Maxis Besitzern auf. Man einigte sich auf einen Vertrag, man einigte sich mit dem Reitstall auf Boxenmiete und allerlei technische Details und mein Vater und Großvater trafen finanzielle Vorbereitungen. Meine Mutter kaufte zwei Meter rotes Schleifenband und verabredete mit ihrer Freundin die Weihnachtsüberraschung. An Heiligabend würden wir wie immer in die Kirche zum Gottesdienst gehen, meine Großeltern würden da sein, wir würden gemeinsam essen und Weihnachtslieder singen. Die Schwester an der Geige, ich am Klavier, danach Bescherung. Wie stets würde mein Opa den schönsten aller Bäume für uns gefunden haben, deckenhoch und so voll und regelmäßig gewachsen, daß niemand – wie noch zu Vaters Kinderzeiten – Äste würde absägen und woanders einstecken müssen. Die golden schimmernden Kerzenhalter würden sich wie immer von den sattgrünen Zweigen abheben und die Schwester 2 würde wie immer die kleinen Holzfiguren von den Zweigen zum spielen stibitzen. Die Schwestern würden Lego und Puppenspielzeug auspacken, Bücher und Märchencassetten und in jenem Moment, da meine Enttäuschung, dieses Jahr zu kurz gekommen zu sein in der Anzahl der Päckchen am größten wäre, würde meine Mutter sagen: Hach! ein Geschenk für Dich haben wir ja noch, das wartet aber draußen. Nichtsahnend würde ich den Eltern vor die Tür folgen, in der Straße der alte Geländwagen von Mamas Freundin mit Hänger und in der Einfahrt Maxi, in seinem dicken, flauschigen braunen Winterfell mit einer großen, roten Schleife um den Hals. Ich hätte ungläubig geguckt, zweifelnd, mein Glück nicht fassen könnend und hätte mein Pferd – mein eigenes Pferd! – umarmt und meine Nase in die Mulde zwischen Kopf und Ohren vergraben und den einzigartigen Duft nach Pferd, Stall und Mist eingeatmet und sicherlich geweint vor Freude. Maxi, der Spielverderber, hätte bei solchen Zärtlichkeiten vermutlich unwillig den Kopf hochgeworfen und mich dabei von den Füßen gefegt, aber mir wäre alles gleich gewesen: ein Mädchentraum wahr geworden.
So wäre es vielleicht gekommen, hätte Maxi nicht eine Woche vor Weihnachten die Tochter ebenjener Freundin in der Halle vor aller Augen abgeworfen und offensichtlich gezielt über den Haufen gerannt, etliche Knochenbrüche bei seiner Reiterin hinterlassend. Von da an war Maxi im Stall equus non gratus, alle Verträge und Vereinbarungen wurden rückgängig gemacht, kurz nach Heiligabend war Maxi weg. Ich bekam zu Weihnachten Bücher, sicherlich, CDs, irgendwas zum Basteln. Aber kein eigenes Pferd.

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