Samstag, 20. Februar 2010
Alles Elite
Ich bin ja nun an einer Elite-Uni und das, muß ich sagen, hat seine Vorteile. Die Gebäude sind alle sehr neu und sehr sauber, sicherlich geschuldet den niedlichen laminierten Zetteln an allen Türen „Wir halten unsere Umwelt sauber und entsorgen unseren Müll sachgerecht“ - oder so ähnlich, auf Deutsch und auf Englisch. Über die Ästhetik von nackten Betonwänden allerorten mit kalten Glasflächen dazwischen mag man sich streiten (ich fand die verzogenen, hohen Flügeltüren meiner Alma Mater durchaus charmant), aber ich will nicht undankbar sein und sehe jedenfalls die Vorteile gegenüber den andernorts auf Studenten herabstürzenden Gemäuern. Um das Auge zu erfreuen, sind die Hörsäle immerhin mit, nun ja, funktionaler Kunst dekoriert, hübsch angepasst an die langen Betonflächen. Da wären zum Beispiel rechts und links graphisch identische, aber farblich unterschiedliche Bilder von abstrakten geometrischen Figuren. Oder Wandbemalungen von verschwommenen, ineinander verkeilten Körpern, rechter Hand in rot, linker Hand in blau. Wem's gefällt. Die Möbel sind alle nagelneu, ich kann nun jeden Tag Röcke tragen und muß nicht fürchten, die Strumpfhose an scharfen Holzkanten aufzureißen und mein Institut verfügt selbstverständlich über eine eigene Nespresso Maschine. Überhaupt scheint an Cafeterien kein Mangel zu sein, selbst in provisorischen Gebäuden muß der Elite Student nicht auf seinen Kaffee verzichten.

Ambitioniert sind wir natürlich auch in allen anderen Bereichen, wenn es auch an den Details manchmal noch hapert. Das System der Raumbenennung zum Beispiel ist nicht gerade intuitiv ausgeschildert und widerstand auch hartnäckigen Recherchen im allwissenden Internet. Ich bin also morgens auf gut Glück losgelaufen, in der Hoffnung, Horden von ehrgeizigen, braven Lemmingstudenten einfach folgen zu können. Der einzige, den ich traf, war noch unwissender als ich, leider. Wir waren am Ende trotzdem die ersten vor Ort und hatten genug Zeit, uns bei Kaffee und Croissants bekannt zu machen. Die standen am Empfang bereit und wurden - alles Elite - im Laufe des Vormittags sogar nachgeliefert. Als braver Student möchte ich auch durchaus Montag die erste Vorlesung besuchen, allein: ich habe keine Raumangabe. Und konnte selbige auch im Internet, im Campusplan, im Serviceportal, im Studynet und was sonst noch so online verfügbar ist, nicht finden. Ich hoffe, das sind nur die üblichen Eingewöhnungsprobleme von Leuten, die eigentlich in meinem Alter nicht mehr an der Uni sein sollten und die der Zeit inzwischen etwas hinterher sind. Von den anderen neuen Doktoranden sind übrigens ganze zwei älter als ich. Der eine könnte gut und gerne mein Vater sein. Nach Croissants und Kaffee holten wir unsere Namensschildchen ab, und die Internet Passwörter wurden vor Ort sogleich ausgeteilt und funktionierten umgehend. Auch das Elite.
Der für die Begrüßungsworte zuständige Studiensekretär hielt seine Rede sehr hübsch auf Englisch, wenn auch seine Bemühungen etwas aufgesetzt wirkten, als auf die Frage nach außereuropäischen Studenten nur eine klägliche Anzahl Hände gehoben wurden. Noch schlimmer kam es, als der Vertreter der Studentenschaft seine Rede auf Deutsch hielt und sich auch nach der Steilvorlage des Universitätspersonals keineswegs in der Lage sah, auf Englisch zu improvisieren. Wenig überraschend sein Plädoyer für Engagement in der Studentenschaft: dies sei sehr nützlich, auch für den Lebenslauf, man lerne Teamfähigkeit und Projektmanagement, und Sozialkompetenz. Da mußte ich kurz an die Theorie von den Ölprinzen denken. Immerhin, der gute Wille zählt. Auch mit der Internationalität ist es ja tatsächlich nicht einfach, da die Anzahl ausländischer Studenten tatsächlich von der Kantonalobrigkeit auf 25 % beschränkt wurde. Da stößt die internationale Elite eben doch an ihre Grenzen. Wobei man sagen muß: die internationale Elite hat hier mehrheitlich deutsche Pässe. Deutsche Professoren, deutsche Studenten, gelegentlich ein paar Österreicher.

In der Bibliothek habe ich heute einen ersten Erkundungsgang unternommen, es gibt wunderbare Schließfächer (natürlich auch neu), an denen noch niemand mit Filzstift rumgeschmiert hat, an der Garderobe hängen die Mäntel ordentlich aufgereiht und mein – zu Test- und Alibizwecken unternommener – Versuch, Literatur auszuleihen, gestaltete sich sehr angenehm: einfach mit Studentenausweis. Leihfrist 14 Tagen bei automatischer Verlängerung, bis jemand anderes das Buch anfragt, in welchem Fall mir der Rückgabewunsch per Mail mitgeteilt werden wird. Erfreulicherweise leisten wir uns nicht nur die – angeblich – größte Sammlung wirtschaftswissenschaftlicher Literatur in der Schweiz, sondern auch Belletristik. Ein ganzes Regal davon steht unter dem Schild "Neuanschaffungen/Bestseller" mit dem Kürzel "Best". Muß rauskriegen, wo die andere Belletristik steht, unbedingt. Unter anderem unter den Bestsellern: David Foster Wallace. Gleich drei Mal. Auf Englisch. Gerüchte besagen, auch alle Harry Potters seien auf Englisch verfügbar, aber ich wollte mein Nutzerprofil nicht am ersten Tag mit der Suche nach fachfremder Literatur ruinieren. Vielleicht allerdings nehme ich mir dann doch mal Infinite Jest vor, wenn man schon solche Möglichkeiten hat.

Ich habe mit meinen Timberland-Stiefeln definitiv die richtigen Schuhe eingepackt, weniger des turmhoch am Straßenrand gesammelten Schnees wegen, sondern weil die hier zur Grundausstattung gehören. Die Herren tragen überwiegend Hemden und Jeans (die zwei Kommilitonen ohne Hemd waren VWLer, bezeichnenderweise), die Damen entweder Elitessen-Chic oder zumindest Germany's Next Top Model Chic. Heute kam mir ein großes Auto Stuttgarter Provenienz am Berg entgegen, die umgeklappte Rückbank vollbepackt – sicher wohlmeinende Eltern, die ihrem Elitestudenten den Hausstand lieferten. Sprösslingen wie dem jungen Mann, der mir am ersten Tag den Schlüssel übergab: Timberlands, Jeans, blaues Hemd, roter Pulli. Eineinhalb Zimmer Wohnung in der Altstadt. Berufsziel: Berater. Aber bitte nicht bei den ganz Großen, er wolle schließlich auch noch ein Privatleben haben. Und wenn man die Überstunden einrechne, sei ja auch das Gehalt so toll nicht mehr. Worauf ich erwiderte, man könne doch inzwischen sogar Socken online kaufen. Ja, gute Sache das, von hiesigen Studenten gegründet, das Unternehmen. Wir kamen dann auf Heimfahrten und Mitfahrgelegenheiten: auch von hiesigen Studenten gegründet, die Mitfahrplattform, wurde ich belehrt.

Ich denke, ich muß mich mal kundig machen, wer hier Wallace liest, das kann das Sozialleben nur beleben.

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