Donnerstag, 18. Februar 2010
Jetzt also Schweiz
Die Fahrt mit der Deutschen Bahn war, wie zu erwarten, ätzend. Der ICE hatte Verspätung, die Angst um den Anschlußzug in Basel trieb mich im Schweinsgalopp die Rampe in Kassel hoch zum Infopoint. Anliegen vorgetragen.
Infotante fragt: Sie möchten also andere Anschlüsse in Basel?
Ich: Ja. Mit zwanzig Minuten Verspätung werde ich wohl den Anschluß nach fünfzehn Minuten nicht schaffen. Schließlich ist die Schweizer Bahn im Gegensatz zur Deutschen pünktlich.
Tante: Ja. Das habe ich gehört.
Ich: Ich kann Ihnen bestätigen: es ist so.
Tante: Ach? Bitte, hier Ihre Verbindungen, da geht 'ne halbe Stunde noch ein Zug.
Ich: Danke.
Reservierung mit Tisch, Gangplatz, im Ruheabteil, leider keine Ruhe. Neben mir zwei alte Schachteln, die sich zwischen Ihren Thermoskannen, Kreuzworträtseln in der Senioren-Bravo und feministischer Literatur häuslich eingerichtet hatten und ohne Unterlaß ihren gesamten Bekanntenkreis durchhechelten. Zur linken ein Großelternpaar mit Enkel bei Butterbrotdosen und Skat. Zu allem Überfluß eine Zugbegleiterin, die jeden Bummelzug an jeder Hundehütte der Strecke nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch ausplärrte – also ununterbrochen sprach -, nur den Satz „Wir entschuldigen uns für die Ihnen entstandenen Unannehmlichkeiten und wünschen Ihnen trotzdem noch einen schönen Tag und gute Weiterreise“, den brachte Sie auf Englisch nicht zustande, war wohl zu kompliziert. In Basel war ein Teil der Verspätung wieder aufgeholt, ich galoppierte mit meinen drei Gepäckstücken über den Bahnsteig, warf mich in den nächsten Zug. Fragte andere Passagiere: Nach Zürich? Ja, nach Zürich. Erst nach kurzer Kontemplation des für einen IC zu schäbigen Interieurs dämmerte mir, daß es doch der falsche Zug war, rausgestürzt, mit dem Hintern schmerzhaft Bekanntschaft mit den Treppenstufen gemacht, keine Zeit zu verschnaufen, endlich doch noch der richtige Zug, gerade rechtzeitig. Pünktlich, natürlich. Außerdem abendlicher Sonnenschein, freundliche Schaffner und viele hilfsbereite Hände für mein Gepäck. Ich verstehe die Schweizer vielleicht nicht, aber ich mag sie trotzdem.

Am Zielort reichte mein Vorrat an Franken so gerade fürs Taxi, der fürsorgliche Mitbewohner hatte den Schlüssel bei den Nachbarn deponiert, die mir erstens eine kurze Einweisung gaben, zweitens eine Wohnung im Anschluß ab April anboten und drittens mich in die Stadt mitnahmen: verkaufsoffener Donnerstagabend, Stromkabel für Rechner erstanden. Hat sich in Washington bewährt, für ein so essentielles Arbeitsgerät wie den Rechner nicht mit Adaptern zu hantieren, sondern einfach ein passendes Kabel an den Trafo zu hängen und funktioniert wunderbar. Zur Feier des Tages habe ich mich selbst auf ein köstliches Focaccia und ein Glas Rotwein eingeladen, meinen Eichendorffer Taugenichts ausgelesen und habe auf dem Heimweg, nun ja, sagen wir: eine Abkürzung über die Treppen genommen. Dauerte kaum länger als mit Nachbar auf dem Hinweg.
Koffer ausgepackt, Bett bezogen, Fotos aufgestellt, festgestellt: das Zeug, das meine grauen Haare unsichtbar macht, ist ausgelaufen. Fragen Sie mich nicht, wie das in einem Hartschalenkoffer passieren kann, jedenfalls konnte ich es ja nicht einfach wieder wegstellen, also abends noch Haare geschönt. Und gezittert, ob das Zeug vielleicht schon im Koffer reagiert hat und ich morgen mit grünen Haaren bei den neuen Kollegen vorstellig werde. Alles gut gegangen (das Glück ist mit den Dummen). Hoffe, daß es immerhin meinem Ansehen als Studentin dienlich sein wird.

Ab morgen berichte ich also aus einer universitären Elitessenhochburg. Von einigen mopsigen Pfunden zuviel auf den Rippen füge ich mich hier optisch wunderbar ein und kann, derart getarnt, gewissermaßen incognito recherchieren. Wir werden ja sehen, ob das Volk hier genauso unterhaltsam ist wie die Kongolesen.

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