Mittwoch, 13. Mai 2009
Warten
Vor einem Jahr habe ich jemanden getroffen, der zu einem Bewerbungsgespräch aus den USA nach Berlin geflogen war. Das sprengte damals den Rahmen meiner Realität, mein Umfeld war Frankfurt, meine Arbeit, meine Kollegen und Freunde dort. Ich war schwer beeindruckt und hatte das Gefühl, Einblick in eine fremde Welt zu erhalten. Und jetzt plötzlich bin ich selber so weit gereist, nur um an einem Auswahlverfahren teilnehmen zu können. Kaum zu glauben... Jetzt liegt das Gespräch jedenfalls hinter mir und ich warte auf Rückmeldung. Meine Nervosität hält sich in Grenzen. Der Ausgang solcher Gespräche hängt so sehr von Sympathie und Antipathie jenseits aller rationalen Erklärungen und Qualifikationen ab, daß mein Appetit beim Frühstück im Hotel inzwischen kaum noch leidet. Ich bereite mich vor, gebe mein Bestes und kann dann auch in Ruhe schlafen, wenn ich mein Möglichstes für den Erfolg getan habe. So auch in diesem Fall. Ich habe den Rückflug über meine Unterlagen durchgearbeitet, auch am Donnerstagnachmittag noch im Internet recherchiert und bin abends um zehn noch mal losgetrabt, als ich feststellte, daß ich Lebenslauf und Anschreiben nicht wie gefordert in Papierform dabeihatte. Internet Cafés sind erfreulicherweise inzwischen bis in die tiefste Provinz vorgedrungen, so daß ich mein Versäumnis nachholen konnte. Am nächsten Morgen war ich allerdings so völlig verunsichert von der Zeitumstellung, daß ich mit dem Zählen der Schläge der Kirchturmuhr nicht mithalten konnte, eine Passantin nach der Zeit fragen mußte und einen reichlich befremdeten Blick kassierte.
Das Gespräch selbst war ziemlich unspektakulär, ich werde nie verstehen, welchen Informationswert Fragen wie: „Wie würden ihre Kollegen ihre Herangehensweise an schwierige Aufgaben beschreiben?“ oder „Wie gehen sie mit Kritik um?“ Gibt es Menschen, die dann tatsächlich ausführlich emotionale Ausraster beschreiben oder das Chaos auf ihrem Schreibtisch? Wenn andererseits jeder durchdachte und vernünftige Antworten gibt, was ist die Frage dann noch wert? Trotzdem bin ich natürlich Turnierpferd genug, um im Parcours die Ohren aufzustellen und die Beine anzuziehen und habe mein Bestes gegeben. Immerhin ist es gut zu wissen, daß ich bei einer Absage nicht in mein Kissen weinen muß, weil die Stelle eben doch ihre Nachteile hat. Und bis dahin werde ich heute den Strand von Ipanema genießen, eimerweise frischen Fruchtsaft trinken und gleich noch einige Postkarten in die Heimat schreiben, die vermutlich lange nach mir eintreffen werden.

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Montag, 11. Mai 2009
Zwischenstopp
Eine Stunde Layover im gelobten Land des Don Alphonso. Beim Landeanflug schöner Ausblick auf die Schweizer Alpen, nette Paßbeamte und dann mit dem Zug zum Extra-EU-Abflüge Terminal. Auf der Fahrt hört man Vogelzwitschern, muhende Kühe, Kuhglocken und Alphörner vom Band und auf halber Strecke ist die Tunnelwand (!) mit Bildschirmen ausgestattet, auf denen man verschneite Gipfel bewundern kann. Allerdings verstehe ich nicht, was am SFR so großartig sein soll, ich finde alles einfach nur teuer, vor allem, wenn man in Euro bezahlen will. Andererseits habe ich derzeit schon drei Währungen im Portemonnaie, da werde ich mir nicht noch eine vierte dazuholen.

In der Raucherlounge leistete mir ein unsäglicher Idiot (sicher Deutscher) Gesellschaft, der seinem Kumpel am anderen Ende des Handys verkündet: „Die Mädels haben mich so abgefüllt.... ja, ey, die Mädels auf dem Flug von Hannover nach Zürich... mann, ey, die Saftschubsen, mann ey. Jaaaa, voll abgefüllt. In der Business Class saß nur einer, und das war ich – und die haben mich voll abgefüllt. Ich bin sooo stramm, ey, mann, die mußten mich aufwecken beim aussteigen, ey.“
Der Flug kann doch kaum länger als eine Stunde gedauert haben, Servicezeit dabei also maximal vierzig Minuten. Wie kann man sich da so vollaufen lassen? Und: ist das ohne sein Zutun geschehen? Haben „die Mädels“ ihm vielleicht einen Trichter an den Hals gezwungen? Mich schaudert es und ich habe einen akuten Anfall von Fremdschämen. Noch schnell eine Muttertags-SMS an meine Mama geschickt und jetzt bete ich, daß der Idiot nicht neben sitzt, wenn es gleich weitergeht. Falls der es nicht wird, habe ich schon in Düsseldorf Bekanntschaft mit einem anderen Prachtexemplar des anderen Geschlechts gemacht, der im Boardingbereich schwerfällig seine Tasche auf die Bank mit dem Rücken zu mir plumpsen ließ und dann befreit und ungehemmt laut rülpste. Bei meinem Glück stehen die Chancen gut, daß einer von beiden mein Sitznachbar wird.

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Samstag, 9. Mai 2009
Ein aufrechter Mensch
Am Montag habe ich mich mit einer jungen Frau getroffen, die ein Alphabetisierungsprojekt in einer Favela betreibt. Sie hat dort ein Haus gekauft und bietet mit ehrenamtlichen und bezahlten Mitarbeitern Unterricht für Kinder wie auch Weiterbildungskurse für junge Erwachsene an. Sie hat mir sehr ausführlich von dem Projekt erzählt und danach eine Runde durch die Favela gedreht („Hier keine Fotos machen, das sind Drogenhändler“) – das beeindruckendste jedoch war sie selbst. Sie entwickelt ständig neue Angebote, betreibt die Zertifizierung ihrer Kurse als offizielle Ausbildung, kümmert sich ums Alltagsgeschäft und arbeitet außerdem auf wissenschaftlichem Niveau daran, Indikatoren zur Evaluierung von NGO Projekten und Controllingtechniken zu entwickeln. Ich habe davon ja nicht sehr viel Ahnung, aber doch sehr den Eindruck, daß ihre Ideen wirklich ausgereift sind. Eine perfekte Mischung aus praktischer Erfahrung und akademisch-theoretischem Anspruch. Vor allem aber bewundere ich das Engagement und die Konsequenz, mit der sie ihr Anliegen betreibt. Sie lebt seit fünf Jahren in Sao Paulo, mittlerweile in der Favela in einem Hinterzimmer, kennt ihre Nachbarn und die lokalen Machthaber und widmet sich hauptsächlich dem Projekt, nebenbei bleibt kaum Zeit für ihre wissenschaftlichen Ambitionen. Und verzichtet dabei auf so vieles. Die meisten Expats führen in Sao Paulo ein durchaus angenehmes Leben, schöne Wohnungen oder Häuser in „gated communities“, Hauspersonal, Ausgehen und Freizeitvergnügen auf europäischem Niveau. Das Leben in Schwellen- oder Entwicklungsländern ist immer anstrengend und erfordert Verzicht auf bestimmte Annehmlichkeiten, bietet aber eben auch manchmal einen Luxus, der in Europa nur den Superreichen vorbehalten ist. Eine Dame der höheren Gesellschaft erzählte abends auf einem Empfang, seit ihr Mann in Rente und keine so exponierte Person mehr sei, hätte sie deutlich mehr Bewegungsfreiheit als vorher und ohnehin sei ihr Wagen ja gepanzert, da müsse man nicht an jeder roten Ampel Angst haben. Die junge Deutsche in der Favela wiederum fand, sie habe aufgrund ihres Lebensstils und der nachbarschaftlichen Verhältnisse und Bindungen deutlich mehr Freiheiten als die meisten übrigen Expats. Kann ich nachvollziehen, trotzdem finde ich, daß sie auf vieles verzichtet. Es beschämt mich, aber ich könnte so nicht leben. Es gibt keine Sache auf der Welt, für die mein Herz so brennt, daß ich diese Härten in Kauf nehmen würde – vielleicht bin ich auch einfach zu verwöhnt und bequem. Ich bewundere ihren Weg ungemein, weil sie mit aller Konsequenz tut, was sie als richtig erkannt hat. Diese Meinung teile ich durchaus, könnte es aber nicht tun. Ich finde es paradox, wenn Mitarbeiter der großen Entwicklungs-Organisationen mit wehender Fahne die Armut anprangern und gleichzeitig in luxuriösen Villen residieren und ohne SUV keinen Fuß vor die Tür setzen. Andererseits sind die wenigsten Menschen so integer und anständig wie die junge Frau in der Favela – mich selbst eingeschlossen. Ohne die Annehmlichkeiten des Expat Lebens, auch wenn sie grotesk wirken im Verhältnis zur Umgebung, gäbe es keine Entwicklungshelfer mehr, fürchte ich. Wäre das dann besser? Weiß nicht, vielleicht ja. Ganz sicher wäre die Welt ein besserer Ort, wenn mehr Menschen so konsequent und aufrecht wären, wie meine neue Bekannte.

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