Warten
Vor einem Jahr habe ich jemanden getroffen, der zu einem Bewerbungsgespräch aus den USA nach Berlin geflogen war. Das sprengte damals den Rahmen meiner Realität, mein Umfeld war Frankfurt, meine Arbeit, meine Kollegen und Freunde dort. Ich war schwer beeindruckt und hatte das Gefühl, Einblick in eine fremde Welt zu erhalten. Und jetzt plötzlich bin ich selber so weit gereist, nur um an einem Auswahlverfahren teilnehmen zu können. Kaum zu glauben... Jetzt liegt das Gespräch jedenfalls hinter mir und ich warte auf Rückmeldung. Meine Nervosität hält sich in Grenzen. Der Ausgang solcher Gespräche hängt so sehr von Sympathie und Antipathie jenseits aller rationalen Erklärungen und Qualifikationen ab, daß mein Appetit beim Frühstück im Hotel inzwischen kaum noch leidet. Ich bereite mich vor, gebe mein Bestes und kann dann auch in Ruhe schlafen, wenn ich mein Möglichstes für den Erfolg getan habe. So auch in diesem Fall. Ich habe den Rückflug über meine Unterlagen durchgearbeitet, auch am Donnerstagnachmittag noch im Internet recherchiert und bin abends um zehn noch mal losgetrabt, als ich feststellte, daß ich Lebenslauf und Anschreiben nicht wie gefordert in Papierform dabeihatte. Internet Cafés sind erfreulicherweise inzwischen bis in die tiefste Provinz vorgedrungen, so daß ich mein Versäumnis nachholen konnte. Am nächsten Morgen war ich allerdings so völlig verunsichert von der Zeitumstellung, daß ich mit dem Zählen der Schläge der Kirchturmuhr nicht mithalten konnte, eine Passantin nach der Zeit fragen mußte und einen reichlich befremdeten Blick kassierte.
Das Gespräch selbst war ziemlich unspektakulär, ich werde nie verstehen, welchen Informationswert Fragen wie: „Wie würden ihre Kollegen ihre Herangehensweise an schwierige Aufgaben beschreiben?“ oder „Wie gehen sie mit Kritik um?“ Gibt es Menschen, die dann tatsächlich ausführlich emotionale Ausraster beschreiben oder das Chaos auf ihrem Schreibtisch? Wenn andererseits jeder durchdachte und vernünftige Antworten gibt, was ist die Frage dann noch wert? Trotzdem bin ich natürlich Turnierpferd genug, um im Parcours die Ohren aufzustellen und die Beine anzuziehen und habe mein Bestes gegeben. Immerhin ist es gut zu wissen, daß ich bei einer Absage nicht in mein Kissen weinen muß, weil die Stelle eben doch ihre Nachteile hat. Und bis dahin werde ich heute den Strand von Ipanema genießen, eimerweise frischen Fruchtsaft trinken und gleich noch einige Postkarten in die Heimat schreiben, die vermutlich lange nach mir eintreffen werden.

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