Geschäftswelt
Das erste Wochenende im Kongo. Die halbe Woche Arbeit war anstrengend, vor allem weil ich mit meinen Kollegen kämpfe. Die Aufgaben in meinem Vertrag sind entsetzlich unklar formuliert und es ist schwer für mich, festzustellen, bei welchen Meetings ich mitgehen sollte und wo es sich nicht lohnt. Nachdem ich deutlich gemacht habe, daß nicht alle Treffen für mich relevant sind, bin ich leider auch nicht mehr so eingebunden wie anfangs und werde noch weniger über Pläne informiert. Ich bin gerade halb so alt wie die Kollegen und ganz sicher nicht in jeder Hinsicht gleichberechtigter Partner, und das Informationsdefizit macht es mir doppelt schwer, mich auf Gespräche vernünftig vorzubreiten. Gleichzeitig geben die vielen Termine in Unternehmen und Behörden unglaublich spannende Einblicke in die kongolesische Wirtschaftswelt. Die runden kleinen Metalldinger im Konferenztisch von Mittwoch sind vermutlich Aussparungen für Mikrofone und Kabel, nur ohne Mikrofone und Kabel – so technisch fortgeschritten sind wir hier dann doch nicht. Dies eine Erkenntnis von Freitag Morgen und einer weiteren Begegnung mit dem gleichen Modell von Konferenztisch. Vielleicht gab es Mengenrabatt für einen Großeinkauf mehrerer Behörden. Das Treffen mit dem Chef einer Behörde fand im siebten Obergeschoß des Gebäudes statt, Aufzug defekt. Sport am Morgen. Die oberste Etage war sehr hübsch mit rotem Plüschteppich dekoriert, im Büro selbst standen scheußliche, bunt-marmorierte Vasen mit Metallic-Glitzerapplikationen herum, wie ich sie selbst als fünzehnjähriger Teenager in meiner Rosa-Phase nicht aufgestellt hätte. Nach über einer Stunde wurden Erfrischungen serviert, vorwiegend kleine Tetra-Paks mit Strohhalm, an denen wir dann die folgende Stunde nuckelten. Während der Generaldirektor in seinem Büro-Fauteuil mehr hing als saß, eröffnete sein Assistent jede Aussage mit der Phrase Avec la permission de l’ADG.... (Administrateur Directeur Général). Falls Sie dachten, die Wiener wären titelgeil, kommen Sie in den Kongo, hier sind Titel das Alpha und Omega der wirtschaftsgesellschaftlichen Etikette.
Der nächste Termin führte uns zum – mutmaßlich belgischen – Chef eines französischen Unternehmens und in das bislang eleganteste Büro meines hiesigen Erfahrungshorizonts. Der Boden war ausnahmsweise nicht gefliest sonder mit wunderschönem, dunklem Echtholzparkett ausgelegt, die geschmackvollen Möbel schön arrangiert in einem Büro von der Größe einer geräumigen Zweizimmerwohnung in Frankfurt. Ein langer Konferenztisch, bequeme Sofas, ein monströser Schreibtisch, dahinter die kongolesische Flagge und auf einem riesigen Sideboard zwei kleine französische Flaggen. Auf den Fensterbrettern standen afrikanische Holzstatuetten, ein ziemlich großes Modell einer Windjammer, ein Elfenbeinelefant, während die gegenüberliegenden Wand mit Fotos von auftauchenden U-Booten dekoriert war. Es gab Kaffee aus einer richtigen Espressomaschine, Wasser aus Pappbechern und für den Hausherrn nach gut einer Stunde Zigaretten. Gerne hätte ich mich angeschlossen, habe es allerdings nicht gewagt. Das gesamte Büro strahlte üppigen, kolonialen Charme aus und der Hausherr paßte perfekt dazu. Professionell, dabei sehr entspannt und zu Hause in seiner Rolle. Durchaus kompetent, aber für die technischen Einzelheiten war ganz offensichtlich sein kongolesischer Stellvertreter verantwortlich.

Bei den kongolesischen Geschäftsleuten gibt es – soweit ich das beurteilen kann – drei Typen: die Oberchefs stehen in Kleidung und Auftreten ihren europäischen Pendants in nichts nach: teure, gutsitzende Anzüge, gepflegtes, klassisches Schuhwerk, allenfalls die Uhr fällt häufig etwas rolexiger, klotziger und goldener aus als beim Gentleman in der City. Aufstrebende, zukünftige Verantwortungsträger haben sich diesem Status oft schon weitgehend angenähert, allerdings sind häufig die Schuhe spitzer und extravaganter als notwendig (gestern zum Beispiel im Budapester-Stil, in schwarz mit dunkelgrauem Blatt und einer Spitze, die waffentauglich gewesen wäre) und die Zurückhaltung beim Schmuck ist weniger ausgeprägt. Daran sieht man sofort, ob jemand sich an der traditionellen afrikanischen Elite orientiert oder der europäischen Geschäftswelt: ganz besonders viele Behördenmitarbeiter mit guten Verbindungen und vermutlich langjähriger Karriere erfüllen oftmals jedes vorstellbare Klischee und sind mit Goldschmuck üppiger behängt als die russische Oligarchengattin. Herren der jüngeren Generation haben oft ein ausgeprägte Faible für buntgestreifte Hemden, Typ Investmentbanker in smart casual mit dunklem Jackett und Jeans. Dumm nur, wenn von den silber-blinkenden Knöpfen der mittlere fehlt. Unteres Management wiederum sieht genauso aus wie unteres Management zu Hause: schlecht sitzende Anzüge, lachsfarbene Kurzarmhemden und zu sportliche Schuhe. Geht gar nicht. Eine Besonderheit sind die weitverbreiteten Herrenanzüge mit Kurzarm, die mir zuerst in Tunis begegnet sind. Ja, Sie lesen richtig, man sieht hier oft Herren in Anzügen, bei denen das Jackett nur halbe oder sogar kurze Ärmel hat, dann allerdings nur mit einem dünnen T-Shirt oder Unterhemd drunter. Ich nehme an hoffe, daß diese besondere Scheußlichkeit dem Klima zuzuschreiben ist. Und um mich von diskriminatorischen Vorwürfen reinzuwaschen: Kurzarmhemden in deutschen Büros finde ich gleichermaßen unmöglich. Wenn schon, diskriminiere ich alle.

Die guten Neuigkeiten: ich habe jetzt dank UMTS Internet auch zu Hause. Unglaublich aber wahr, beide großen Telefongesellschaften – mobil, versteht sich, Festnetz gibt es nicht, soweit ich weiß – bieten Daten-Sim-Karten an und die funktionieren sogar. Ich war am Donnerstag Nachmittag in der Hauptniederlassung des Anbieters meiner Wahl, pinkes Logo aber sonst ganz anders als der heimische Telekommunikations-Platzhirsch. Die Filiale hatte die Ausmaße und den dekorativen Charme einer Lagerhalle. Links hinter einer Glaswand zehn Schreibtische zur individuellen Kundenbetreuung, in der Mitte ein Informationsschalter, dahinter mit einem Drehkreuz abgetrennt ein weiterer Schalter, zur rechten dann eine Wartehalle und dahinter ein unverhältnismäßig kleiner Teil, in dem Telefone verkauft wurden. Lohnt sich vermutlich nicht, da man an jeder Straßenecke bei fliegenden Händlern billige Telefone der Freunde aus Fernost günstig erwerben kann. Ich stand einen Moment verloren in der Mitte, um mich herum viel Gewusel und wartenden Kunden, eine lange Schlange am zentralen Schalter. Dort reihte ich mich ein, als auch schon ein junger Mann in Zivil – ohne corporate-identity-pinke Kleidung oder Hundemarke – mir zur Hilfe eilte. Ich trug meinen Wunsch vor, er lotste mich umgehend in den Glaskasten nebenan – ein Schelm wer Böses dabei denkt, daß etliche kongolesische Kunden vor mir weiter in der Schlange warteten. Erneut erklärte ich mein Anliegen, der junge Mann half mir, Sim-Karte und Aufladung zu erwerben, freute sich ungemein, mit mir Deutsch sprechen zu können – Schulkenntnisse, aber gute! – und tauschte auch gleich Telefonnummern mit mir aus. Ich nehme an, ich habe schon wieder ein Blind Date in der Warteschleife. Ich bin jedenfalls geradezu begeistert, daß UMTS hier tatsächlich funktioniert, wieder ein Stück Freiheit gewonnen, weil ich nun wochenends nicht mehr um jeden Preis ins Büro muß, um Internetzugang zu haben.

Jetzt sitze ich auf meiner Terrasse, warte wie ein braves Hausmütterchen auf meinen Mitbewohner, der heute wiederkommt, allerdings leider Schlüssel und Telefon verloren hat und genieße die Sonne. Die Sicht bis Brazzaville war noch nie so klar, zum ersten Mal erkenne ich, daß gegenüber gleich zwei Inseln im Fluß liegen. Es ist so warm, daß jede Bewegung zu Anstrengung wird – und das sei erst der Anfang, so sagt man mir – aber das Sonnenlicht ist mild und nicht so gleißend wie in Tunis. Die Blätter der Topfpflanzen rascheln leise im Wind (die achte Etage ist ein Segen, auch wenn ich vorhin wegen Aufzugausfall zu Fuß hochlaufen mußte), gegenüber auf der Baustelle kreischt eine Säge. Ich hoffe, daß sie es bei sechs Etagen Neubau belassen, sonst leidet unsere Aussicht ernsthaft. Unten auf den Tennisplätzen fliegt der Ball mit einem leisen Plopp hin und her und manchmal hört man auf der Straße einen Sandwichverkäufer. Die tragen auf ihren Köpfe Bottiche herum mit Baguettes ordentlich strahlenförmig rundherum angeordnet, in der Mitte Wurst und Käse oder Erdnußpaste. In der Hand tragen sie ein Messer und mit dem klopfen sie rhythmisch gegen den Bottich, so daß alle wissen: hier kommt ein Brotverkäufer. Wenn es irgendein Geräusch gibt, das für mich typisch Kongo ist, dann dieses. Allgegenwärtig, von früh morgens bis spät abends, verschwindend leise in der Kakophonie von Straßenlärm, Baustellen und afrikanischem Alltag Samstag, aber doch ganz eigen.

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nnier, Samstag, 3. Oktober 2009, 18:25
Das klingt ja wirklich fast nach Heimatgefühlen (inkl. des vorangegangenen Beitrags)! Und was das Internet angeht, sind Sie derzeit offenbar besser dran als ich: Nach einer Woche, in der ich täglich nur sehr kurz und unter Beobachtung einen Zugang hatte, zeigt sich heute zu Hause die Technik so widerspenstig, dass mir der Spaß vergeht: Man muss die wenigen Minuten erwischen, in denen die Verbindung ausnahmsweise funktioniert. (N***com ist der Kongo Norddeutschlands).

dergeschichtenerzaehler, Samstag, 3. Oktober 2009, 20:30
Ich hatte jetzt 2 Wochen kein Internet. War aber nicht so tragisch...

Nur konnte ich eben ihre Erzählungen nicht lesen...

Gibt es im Kongo auch Touristen oder ist das überhaupt möglich dort hinzureisen?

damenwahl, Montag, 5. Oktober 2009, 11:37
Lieber Herr Geschichtenerzähler, möchten Sie mich besuchen kommen? Natürlich kann man als Tourist in den Kongo reisen, Visa stellt die Botschaft in Bonn relativ unkompliziert und gerne aus – auch wenn sie sich dafür gut bezahlen läßt. Ich habe noch nie von richtigen Touristen gehört und das Land bietet auch keine typisch touristischen Attraktionen, allerdings haben einige Kollegen durchaus Besuch von Freunden oder Familie bekommen. Wie es sich mit Reisen im Land verhält, weiß ich nicht, sicherlich schwierig, aber es gibt ein oder zwei Reiseführer neueren Datums, zum Beispiel den Bradt Travel Guide. Und sollte es Sie vor Ende November hierher verschlagen, sind Sie natürlich in unserem Gästezimmer herzlich willkommen.

dergeschichtenerzaehler, Montag, 5. Oktober 2009, 13:14
He he ich glaube nicht, dass ich Sie besuchen will... Es mangelt da an drei Dingen. Zeit, Geld und Risikobereitschaft. Aber wenn Sie mal in einer ruhigeren Gegend sind, dann komme ich mal vorbei... Rentnerparadies oder am Tegernsee. Sie haben ja bestimmt viele interessante Geschichten zu erzählen... und so was zieht mich ja magisch an. :-)

damenwahl, Montag, 5. Oktober 2009, 14:30
Ich hatte bisher nicht den Eindruck, es mangele ihnen an Risikobereitschaft... und so gefährlich ist es hier ja nicht. Sofern man nicht zu Fuß nach Kivu und von da nach Rwanda wandern möchte.
Zeit und Geld, das ist natürlich was anderes... trotzdem schade!

dergeschichtenerzaehler, Montag, 5. Oktober 2009, 15:04
Sie überschätzen mich da anscheinend. Na gut ich war in Syrien...aber dort trifft man ja sogar deutsche Rentner...Vor Afrika habe ich aber wirklich großen Respekt. Ägypten ist schon sehr riskant gewesen...

energist, Sonntag, 4. Oktober 2009, 16:56
Die von Ihnen dargestellte Situation kenne ich nur zu gut – das Problem ist, daß man natürlich immer an den Besprechungen nicht teilnimmt, die relevant für die eigene Aufgabe wären.

Ich habe damals zu einem Trick gegriffen – ob er auf Ihre Verhältnisse übertragbar ist, weiß ich leider nicht. Da Nichtanwesenheit aus dem o.g. Grund keine Alternative war, besuchte ich alle Meetings, sondierte in den ersten Minuten ob ich einen sinnvollen Beitrag leisten oder eine wichtige Information aufnehmen kann und verabschiedete mich im anderen Fall nach einer kurzen Wortmeldung mit einem Hinweis ebendarauf.

Natürlich kann man das nicht in jedem Umfeld machen. Allerdings, wenn man sowieso schon die Aura des jungen Wilden hat, werden einem solche Späße auch weniger schwer genommen.

Ich bedauere übrigens außerordentlich, erst jetzt auf dieses Blog gestoßen zu sein. Es liest sich angenehm und erweitert doch den Horizont für alle, die wenn dann nur in das verwestlichte Ausland kommen. Danke dafür.

damenwahl, Montag, 5. Oktober 2009, 11:40
Dem stehen einige Probleme entgegen: erstens bin ich bei sämtlichen Terminen mit Abstand die jüngste. Zweitens teilen wir uns einen Fahrer. Drittens kenne ich die Gepflogenheiten hier nicht gut genug, um die Auswirkungen abschätzen zu können. Also sitze ich das aus und versuche, mich vorher kundig zu machen.
Trotzdem Danke!

schusch, Montag, 5. Oktober 2009, 22:27
Spitze Schuhe, sehr spitze Schuhe bei den jung-dynamischen dort. Die mit dem Unterhemd unter dem Sakko fand ich aber die lässigsten. Die sind jemand.

Internet ist da auch etwas anders, halt alles Satellite-Uplink. Broadband Highspeed-Internet: 128k für $675 im Monat. *hustkeuch*. 1052 dann für $4.400

Dadurch haben sich die Akzente meines Projekts auch etwas verschoben. Das weiß man vorher in Deutschland nicht, wenn man Mal auf die Schnelle für ein Budget pitcht und es dann auch noch gewinnt, jetzt weiß ich es und der Trip vorab außerhalb des Budgets war somit sehr hilfreich.

Mer kann da was machen, man muss nur wissen, was. Wird auch gemacht.

Ich freu mich irgendwie auch wieder.

damenwahl, Dienstag, 6. Oktober 2009, 11:33
Ja, meine fünf Dollar auf der Sim Karte waren schneller weg, als ich einen Eintrag schreiben kann. Meine Dankbarkeit gegenüber dem bestens versorgten Arbeitgeber kennt keine Grenzen, nach dieser Erfahrung am Wochenende.
Sie tun auf jeden Fall ein gutes Werk in diesem Bereich!

schusch, Dienstag, 6. Oktober 2009, 21:57
Nu ja,

die Bandbreite muss ich ja einkaufen. Dadurch wird es nicht billiger und schneller. Und das Import-Dingens habe ich auch noch vor mir. Dass das so seine Tücken haben wird, darauf wurde ich ausführlich vorbereitet.

Aber am Ende wird natürlich ein gutes Werk stehen. Drunter mach ich's nicht.