Donnerstag, 1. Oktober 2009
Chaos à nouveau
Der Kongo hat mich wieder, mit allen seinen kleinen Malaisen. Unser homme de ménage war gestern morgen grummelig, vermutlich habe ich etwas falsch gemacht und weiß nicht was. War eine Tüte Weingummi ein zu kleines Geschenk für Fernreisende, die aus fremden Landen zurückkehren? Chaos auch bei der Arbeit, mehr als mir lieb war. Bisher war ich in der komfortablen Situation, weitgehend für mich alleine arbeiten zu können, damit hat es jetzt ein Ende. Ich bin eingebunden in die Arbeit einiger Kollegen aus Washington, welche mich schon letzte Woche per Mail darüber informierten und Mittwoch morgen neun Uhr zur Lagebesprechung vorschlugen. Ich wartete also brav um halb neun vor der Tür auf Abholung, mein Lieblingswächter strahlte vor Freude bei meinem Anblick und brüllte unmißverständlich über den gesamten – morgendlich belebten – Hof: La rose!.... la belle fleur! und überschüttete mich mit Komplimenten. Vermutlich immer noch auf der Suche nach einer europäischen Brieffreundin, der Gute. Ich war kaum ins Auto eingestiegen, als man mir eröffnete: statt Lagebesprechung habe man heute Gesprächstermine mit diversen Organisationen und Unternehmen vereinbart, nämlich um neun, zehn, elf, halb zwei, drei und fünf Uhr. Bei der Gelegenheit könne ich dann auch gleich meine Fragen zu den relevanten Themen anbringen. Mir war zu dem Zeitpunkt nicht einmal klar, welcher Beitrag von mir erwartet wurde und auch am Ende des Tages bin ich nicht viel schlauer. Dafür waren die Meetings höchst interessant.
Unser erster Gesprächspartner, Abteilungsleiter eines Unternehmens, saß in einem schäbigen Büro, war technisch allerdings auf dem neuesten Stand der Dinge. Während der Putz von den Wänden bröckelt, die Türen fast aus dem Rahmen fallen und die Möbel eine so eklektische Mischung sind, wie in deutschen Studentenzimmern, zu denen sämtliche Großtanten und Onkeln jeweils ein Stück beigetragen haben, ließ die technische Ausstattung nichts zu wünschen: auf dem Schreibtisch standen Laptop, Druck und Scanner. Die Ordnerbeschriftung hingegen hätte einem Wirtschaftsprüfer die Tränen in die Augen getrieben. Am beeindruckendsten war jedoch die Ansammlung kommunikativer Spielzeuge: zwei Blackberries und drei Handies. Das wiederum hätte vermutlich jeden geltungssüchtigen Wirtschaftsprüfer vor Neid erblassen lassen.
Der nächste Termin führte uns in den sagenhaft scheußlichen Besprechungsraum eines Ministeriums. Der Raum wurde dominiert von einem ovalen Tisch, der an jedem Sitzplatz ein metall-ausgekleidetes Loch enthielt. Fast hätte ich das für Aschenbecher halten können, hätte an der Wand neben dem allgegenwärtigem Foto des geschätzten Staatsoberhaupts nicht ein monströses Fumer interdit Poster geprangt. Der besonders formhäßliche Sessel am Kopfende des Tisches blieb symbolisch frei für den abwesenden Monsieur le Ministre, die Teilnehmer saßen sich an den Längsseiten in zwei nicht nur bildlichen Fronten gegenüber. Die Bürostühle knarrten so laut bei jeder Bewegung, daß ich vom Gespräch noch weniger verstand, als ohnehin der Fall gewesen wäre, darüber hinaus stand mir nur die rechte Armlehne zur Verfügung. Die Stühle wiesen zwar gewissermaßen doppelte Armlehnen auf – über der ersten waren auf metallenen Halterungen jeweils schmalere zweite Armlehen angebracht –, diese obere Armlehne löste sich jedoch an meinem Stuhl schon als ich mich setzen wollte, und ich konnte sie nur in letzter Sekunde auffangen und den sicherlich laut scheppernden Aufprall auf dem Fußboden verhindern. Danach verbrachte ich den größten Teil des Meetings damit, mich nicht auf die linke Armlehne zu stützen, hatte allerdings Gelegenheit, die Hinterlassenschaften früherer Meetingteilnehmer in der unteren Etage des Tisches (Dokumentenablage) zu begutachten. Neben verknüllten Taschentüchern und Kaugummipapier hatte sich offenbar einer meiner Vorgänge auf diesem schönen Platz die Zeit damit vertrieben, seine Handykarte aufzuladen – davon zeugten die Vodacom Rubbellose.
Erst Mittags kamen wir zum ersten Mal ins Büro, gerade noch rechzeitig, um mich vor dem sicheren Verdursten zu retten (Meetings ohne Getränke – hat man so was schon mal gehört? Ist das der Entwicklungsland-Faktor?), ich war kein bißchen schlauer bezüglich meiner konkreten Aufgaben jenseits der Funktion dekorativen Beiwerks und das Mittagessen fiel dem nächsten Meeting zum Opfer. Danach war der Kollege so erschlagen, daß er im Auto besinnungslos in sich zusammensackte, offenbar ist er auch als Brite großer Anhänger des amerikanischen Power Nap. Immerhin freuten sich alle Kollegen, Fahrer und sonstigen dienstbaren Geister ungemein, mich wiederzusehen, was mein Herz wahrhaftig erwärmt hat. Wie gut, daß ich auf Anraten des schönen Franzosen (der übrigens nächste Woche wiederkommt, laut Plan) Gummibärchen und deutsche Schokoladen mitgebracht habe; wie gut allerdings auch, daß ich die Austeilung für den morgigen Tag aufgespart habe – von der Schokolade wäre nach vier Stunden bei über dreißig Grad Außentemperatur nur noch Fondue übrig geblieben, vermute ich. Zu fortgeschrittener Stunde bat mich dann ein neuer Kollege, ihm beim Abfassen einer französischen Mail behilflich zu sein – ausgerechnet mich! Herr Stubenzweig vermutet zwar freundlicherweise, ich spreche inzwischen nicht mehr Französisch wie une vache espagnole, aber das ist eindeutig zuviel der Ehre. Immerhin konnte ich mit praktischen Tips aufwarten: für Geschäfts-Mails empfiehlt es sich, einfach Phrasen aus der Korrespondenz muttersprachlicher Kollege zu übernehmen, und ist man bei bestimmten Formulierungen unsicher, kann man beide Versionen googlen: jene mit mehr Treffern ist im Zweifel die richtige. Das meinte meine Universität wohl, als sie sich die Vermittlung von Transferwissen auf die Fahnen schrieb. Davon hätte ich gestern noch mehr brauchen können, um allen Überraschungen gewachsen zu sein.

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