Montag, 14. Juli 2014
Stippvisite
Ich bin endlich wieder unterwegs, zum ersten Mal in Asien – und merke erst jetzt, wie mir das Reisen außerhalb der europäischen Komfortzone gefehlt hat. Mein einziger Referenzpunkt ist ja der Kongo und hier ist vieles ähnlich: eines der ärmsten Länder der Welt, nur eine Handvoll Bankautomaten und nur unwesentliche mehr Bankkonten, überhaupt die Dimension von wirtschaftlicher Unterentwicklung -- und gleichzeitig ist doch alles ganz anders. Informationen über das Land sind mühsam zu beschaffen. Mangels statistischer Kapazitäten sind wesentliche Teile der offiziellen Nationalstatistiken rein fiktiv. Die Bevölkerungszahl liegt irgendwo zwischen 50 und 65 Millionen, beim Bruttosozialprodukt gibt die Weltbank eine leere Tabelle aus, und der IMF gib Schätzungen ab.

Der Flug, via Bangkok, ist unspektakulär und der Thailand nur Transitstation, die erste Überraschung am Gate ist die erstaunliche Anzahl an Passagieren, die an einem gewöhnlichen Werktag morgens nach Yangon fliegen möchte. Irgnedwo habe ich gelesen, Myanmar sei „the last development frontier“ und wohl auch “last business frontier” in Asien, wie es aussieht. Der Flughafen in Yangon ist dann die nächste Überraschung – kein Vergleich mit der lauten, dreckigen, chaotischen Baracke N’Djili in Kinshasa, hier ist alles neu und schick. Glänzende Fliesen, saubere Glasscheiben, geordnete Gänge, beschriftete Schalter für die Pass- und Einreisekontrolle. Skurril ist allenfalls, daß das Gepäck vor Verlassen des Terminals noch einmal geröntgt wird, dann wartet auch schon der Fahrer für den direkten Transfer nach Nay Pyi Taw.

Es geht 300km auf einer ziemlich guten Straße durchs Niemandsland, denn im Niemandsland wurde die nominelle Hauptstadt vor einigen Jahren – offenbar in aller Heimlichkeit – gebaut. Hin und wieder kann man Hütten sehen, manchmal auf Stöckern, ein paar komisch aussehende Kühe (die eigentlich Wasserbüffel sind), das aufregendste sind Wasserbüffel vor Karren auf dem Weg zum Reisfeld. Und, ach ja, hin und wieder die bunten Schirmchen, die ich schon aus Afrika kenne – aber so vereinzelt und verloren, daß sie in dem vielen Grün rechts und links der Straße komplett untergehen. Die Straße ist geradezu geisterhaft leer, alle paar Minuten überholen wir ein Auto oder einen Bus, und jedes Mal hupt der Fahrer. Das gehört offenbar so, weil der Rückspiegelblick sich hier noch nicht etabliert hat. Sollte sich die Straße irgendwann mal mit nennenswertem Verkehr füllen, wäre das Hupkonzert sicher grauenvoll, denn schon so ist es ein bißchen nervig.

Die Geisterautobahn führt zu einer Geisterstadt. Auf dem Reißbrett entstanden, gibt es in Nay Pyi Taw Zonen für alles, Zonen für Hotels, Zonen für Wohnhäuser, Zonen für Ministerien. Die Straßen sind mindestens zweispurig, perfekt ausgebaut, immer (wirklich immer!) mit rot-weiß bemalten Bordsteinkanten, dazwischen zahllose blumenbepflanzte Grünflächen, die von gleichermaßen zahllosen Gärtnern und Gärtnerinnen gepflegt werden. Bei soviel ähnlich aussehender Leer kann man schon mal durcheinanderkommen, und der Fahrer vertut sich oft genug, daß ich einiges von der Stadt zu sehen bekomme, inklusive der Prachtparadestraße am Parlament, die in in ihrer monumentalen Leere vielleicht das eindrücklichste Sinnbild dieses Landes ist.

Bei den offiziellen Terminen geht es noch formeller zu als in Afrika – aber auch sehr viel effizienter. Wir fangen ziemlich pünktlich an, es gibt Kaffee und Tee in putzigen kleinen Bechern mit Deckel, wobei der Kaffee bereits so grauenvoll übersüßt ist, daß ich ihn kaum noch trinkbar finde, aber die Höflichkeit zwingt das Gebräu irgendwie herunter. Es gibt pompöse Empfangsräume für offizielle Besprechungen, bei denen regelmäßig mehrere junge Mitarbeiter den Chef begleiten und in Habacht-Stellung Protokoll führen, sehr seniore Mitarbeiter behalten dabei ihre FlipFlops an, während jüngere Mitarbeiter sie ausziehen müssen. Modisch sind alle noch im Junta-Einheitslook, in manchen Ministerien tragen alle Mitarbeiter ausnahmslos die gleichen Longyis (wobei es ein Damen- und ein Herrenmodell zu geben scheint), und darüber die gleichen asiatisch geschnittenen Jacken, und manche auch noch eine Brosche mit Ministeriumslogo.

Die Hotels sind auch ganz anders als Kinshasa – hier wird offenbar das Modell Ferienressort bevorzugt. Ich bekomme einen kleinen Bungalow, der etwa doppelt so groß wie meine Puppenstube daheim ist, und Ausblick auf einen See hat. Auf der kleinen Terrasse kann man aber nachmittags noch nicht sitzen, denn die feucht-schwüle Hitze trifft mich jedes Mal mit geradezu physischer Gewalt, als würde man mir ein nasses, heißes Handtuch ins Gesicht hauen, sobald ich einen klimatisierten Raum verlasse. Alles andere ist top: die Dusche im Bad hat Holzböden, neben dem Waschbecken kann ich endlich ein neues Nähset einpacken, neben dem Waschbecken Wasserflaschen „with compliments“. Die Klimaanlage funktioniert, das Internet ebenfalls, und das Essen abends ist das beste Curry, das ich seit langem gegessen habe.

Daß der Spaß trotzdem nur hundert Euro pro Nacht kostet, liegt daran, daß Nay Pyi Taw erhebliche Überkapazitäten an Hotels aufgebaut hat: vor einem Jahr fanden hier die SEA Games statt – keinesfalls im Zusammenhang mit maritiem Sportarten, sondern kurz für Southeast Asian Games, und in diesem Jahr findet hier ein ASEAN-Gipfeltreffen statt. Ein bis zwei Mal im Jahr sind also alle Hotels ausgebucht, wie sie sich den Rest des Jahres behelfen, bleibt unklar.

Die Menschen sind alle sehr freundlich und sehr bemüht, abends kommen zwei Mitarbeiter des Hotels vorbei, um Insektenspray zu versprühen und fragen sehr schüchtern an der Tür, ob sie hereinkommen dürfen – sollen – können. Bei Tisch geht jede Handreichung mit Verbeugungen einher, jeder Rückzug vom Tisch mit noch mehr Verbeugungen über zusammengelegten Handflächen, das ist alles genauso, wie ich es mir aus meinen Büchern immer vorgestellt habe, aber es bleibt mir trotzdem fremd. Das mag an der Sprache liegen, oder an der gähnenden Leere, oder an daran, daß der Aufenthalt zu kurz ist. Kann sich aber noch ändern.

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Freitag, 14. September 2012
Uni
Alle sagen, das Studium in den USA sei anstrengender und anspruchsvoller. Vermutlich kommt es auf die Kurse an, aber die Belastung ist auf jeden Fall hoch. Jeder Kurs findet zwei bis drei Mal wöchentlich statt, und zu jeder Sitzung umfasst die Lektüreliste fünf bis zehn Titel, von denen drei bis vier verpflichtend zu lesen sind. Macht etwa 300-500 Seiten pro Woche. Dazu wöchentliche Essays oder alle paar Wochen ein „Problem Set“, das vermehrten Arbeitseinsatz erfordert. Es ist mir rätselhaft, wie andere Studenten vier Kurse und mehr belegen – ich bin mit einem ausgelastet. Allerdings treibe ich mich auch in allerlei Seminaren herum, wo Präsentationen nur zum Zuhören gehalten werden (=muß nichts vorbereiten, aber kostet trotzdem Zeit), und staune jeden Tag aufs Neue.

Auch in Europa gibt es an vielen Universitäten Brown Bag Lunches, aber das heißt einfach nur, daß es akzeptabel ist, sein Mittagessen in einer (braunen) Papiertüte mitzubringen und während der Präsentation eines Wissenschaftskollegen zu essen. In Washington haben wir damals manchen Brown Bag Lunch besucht, weil es dort meistens Kekse und Kaffee umsonst gab, ganz selten auch mal ein Sandwich. Hier jedoch wird dem Titel Ehre gemacht: es gibt ein richtiges Mittagessen, bereitgestellt vom veranstaltenden Institut. Ich habe diese Woche Sandwiches und Kuchen gegessen, Salate und Pitabrot und Kekse gegessen, dazu gab es Cola, „Lemonade“, Wasser und Kaffee.

Gleichzeitig bin völlig abgelenkt von den spannenden Vorträgen – und angesehenen Vortragenden. „Celebrity Sighting“, meinte eine Kollegin und das trifft es in der Tat.

Dabei habe ich noch lange nicht die diversen, zur Verfügung stehenden Kantinen in den anderen Instituten ausprobiert, mich dafür aber mit der Infrastruktur befasst und einen ganz außergewöhnlichen Scanner benutzt. Ich legte in europäischer Unschuld das Papier, Text nach unten, auf die schwarze Fläche, hielt es dort – und konnte Sekunden später am Bildschirm nebenan ein Foto meiner Hände bestaunen. Die Maschine nämlich scannt von oben, ganz ohne Abdeckplatte oder so, wie ein Fotoapparat. Und speichert dann direkt auf den eingestöpselten USB-Stick. Hätte ich nicht etliche Anläufe mit der neuen Technologie gebraucht, es wäre der schnellste Scan meines Lebens gewesen.

Die Gerüchte von der einmaligen Infrastruktur stimmen also durchaus – außer für Doktoranden. Wo wir in der Schweiz jeder einen eigenen Schreibtisch in hübschen Büros hatten, sitzen die Doktoranden hier im Keller in klaustrophobischen „Carrel Spaces“ - einen zu haben gilt allerdings schon als Privileg für die Fortgeschrittenen, und ich hätte auch gerne einen. Werde dann aber vermutlich mein lauschiges Plätzchen in der Schweiz vermissen. Aber es kann ja auch nicht alles besser sein hier.

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Donnerstag, 6. September 2012
Social Hours
An amerikanischen Universitäten zahlt man bekanntlich Studiengebühren, und im Zweifel nicht zu wenig. Dafür bekommt man aber auch einiges geboten. Meine neue Emailadresse läßt sich nicht aktivieren? - ich schicke eine Email und erhalte eine Stunde später Antwort, mit Lösung des Problems von der IT-Abteilung. Ich habe eine administrative Frage? - der für mich zuständige Mitarbeiter im Zulassungsbüro hat selbstverständlich Zeit für meine komplizierten Ausführungen, und beantwortet über Wochen jede neue Frage immer gleichbleibend konstruktiv und freundlich.

Nach der Einreise in die Staaten muß mein Visum bestätigt werden – die Universität ist bestens organisiert. Für jeden internationalen Studenten wurde eine Akte mit den relevanten Unterlagen vorbereitet, die Studenten arbeiten sich durch drei Mitarbeiter durch: Nummer 1 sucht die Akte hervor. Nummer 2 macht die Stempel rein. Nummer 3 gibt uns Hefte und Blätter mit Informationsmaterial. Gegebenenfalls kann man mit Nummer 4 noch vertiefende Fragen klären. Nach zwanzig Minuten bin ich wieder draußen.

Es gibt auch reichlich Orientierungsevents, Mentoringprogramme, Einführungsveranstaltungen, Führungen über das Gelände und Begrüßungsempfänge. Es ist ein wenig verwirrend, die Termine alle auseinanderzuhalten,am Ende reden wir einfach immer von Social Hour. Social Hour on Monday, Social Hour on Friday, Social Hour on Wednesday. Jedes Mal gibt es warme Worte und kalte Getränke , Snacks, manchmal musikalische Darbietungen. Die verantwortlichen Respektspersonen der Universität sind stets dabei, überall ist man sehr um unser Wohl besorgt.

Mit der Entscheidung für ein Zimmer der Universität „on campus“ ist sogar, so höre ich von anderen, ein Rundum-Sorglos-Paket verbunden, bei dem man noch mehr an die Hand genommen wird – inklusive Einkaufstrips zu den einschlägigen Märkten und Supermärkten der Umgebung.

Die vielen Einführungsveranstaltungen haben große Vorteile, man kann nämlich hervorragend Leute kennenlernen. Zwar vorwiegend solche, die nicht unbedingt Lösungen für Probleme zu bieten haben, weil sie mit denselben kämpfen, aber auch geteiltes Leid ist schon ein großer Fortschritt, wenn man verzweifelt auf der Suche nach Wohnungen, Möbeln, Fahrrädern oder Kursen ist.

Bei meinem ersten sozialen Ereignis treffe ich gleich drei weitere Studenten, die in ähnlicher Funktion am gleichen Institut sein werden – und natürlich haben wir gemeinsame Bekannte, im weitesten Sinne. Bei der Wohnungssuche lerne ich eine andere Deutsche kennen, die wiederum bei einer Freundin übernachtet – welche ich vor zwei Jahren flüchtig kennengelernt habe. Das ist schon ein ziemlicher Zufall, auch wenn man bedenkt, daß es statistisch gesehen bei ähnlichen Interessen und Karriereplänen auch wiederum nicht völlig unwahrscheinlich ist, am gleichen Ort zu landen.

Das nächste soziale Ereignis bringt mich ins Gespräch mit einer Österreicherin, die in Musiktheorie promovieren wird. Zufällig hat mir eine Wiener Freundin mit musikwissenschaftlichem Hintergrund bereits im Vorfeld den Kontakt zu einer ihrer Freundinnen vermittelt, die auch hier ist – und die beiden wiederum kennen sich natürlich auch. Wir verabreden uns fleißig für Kaffees, tauschen Wohnungssuchnöte aus, und planen, die nächsten Veranstaltungen gemeinsam anzugehen. Überhaupt ist die Vielfalt unglaublich: Franzosen kommen hierher, um französische Literatur zu studieren. Ein Südafrikaner befasst sich mit afrikanischer Soziologie und Diskriminierung, ein Engländer mit Anthropologie, und eine Israelin mit Computerwissenschaften.

Manche dieser Gespräche fallen eher oberflächlich aus, bei anderen nehme ich meinen Mut zusammen und rege an, Kontaktdaten für zukünftiges Kaffetrinken auszutauschen. Schräge Vögel sind natürlich auch dabei: eine junge Frau ist gestern erst angekommen und hat ihre Eltern im Schlepptau. Eine Asiatin ist schon länger hier und auch nach sechs Monaten in diesem Umfeld kaum zu verstehen – die Hälfte des Gesprächs muß ich raten, was sie mir gerade erzählt. Eine Griechin mischt sich ziemlich demonstrativ ein Gespräch ein und erklärt uns umgehend, daß es die Krise eigentlich gar nicht gibt: erst seit so ein Rummel darum gemacht wird, seien Probleme entstanden – ich schweige dazu diplomatisch.

Das skurrilste Ereignis geht an mir leider völlig vorbei und ich erfahre Details erst später aus zweiter Hand: die Orientierungsveranstaltung für mitreisende Partner. Die dort anwesenden jungen Damen und (in kleinerer Anzahl) Herren wurden eingehend darüber informiert, wie sie ihren Partner im anstehenden Jahr optimal unterstützten können: Kochen, Putzen, Kinderbetreuung, administrative Pflichten übernehmen, inklusive nützlicher Hinweise, welche Supermärkte für welche Güter empfehlenswert sind und wie mit Behörden umzugehen ist. Die solcherart Belehrten haben es offenbar mit Humor genommen, jedenfalls lachen wir auf der abendlichen Social Hour herzlich darüber.

Insgesamt bin ich auf jeden Fall sehr froh, zum Semesteranfang hier gelandet zu sein – später fällt es, nach allem was ich höre, viel schwerer, Kontakte zu knüpfen und Anschluß zu finden. Ich hingegen finde es bis jetzt alles recht vielversprechend.

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