Freitag, 23. April 2010
Abschied
An meinem letzten Tag hier beschert mir das Schicksal kübelweise unerfreuliche Aussichten für die Rückkehr, alles, worauf ich mich gefreut hatte, fällt gerade auseinander. Alles, bis aufs letzte.

Immerhin, das Schicksal beschert mir auch den schönsten Anblick der Welt, ein letztes Mal. Der Fluß ist so glatt und glitzert in der Sonne, reflektiert das pastellige Zartblau des Himmels, die Bäume auf der Insel spiegeln sich am Ufer, das grün der Wiese darunter leuchtet so frisch und in der Ferne, im Dunst, liegt Sonnenlicht auf den westlichen Hängen der zartgrünen Berge um Brazzaville, während auf den Osthängen schon der Schatten des Spätnachmittags liegt und die Nacht ankündigt. Nie, scheint mir, war die Aussicht so spektakulär - dabei war sie das sicherlich, sogar oft - und nie war mir mehr bewußt: dieses Land ist zu schön, um es jemals in Fotos einfangen zu können. Daher werde ich das Unmögliche gar nicht erst versuchen, sondern den Anblick genießen und in Gedanken heimnehmen, als Trost im heimatlichen Elend.

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Sonntag, 18. April 2010
Jeder für sich
Gestern Mittag, auf dem Weg zur Standard-Mittagessens-Bäckerei. Gleich vor dem Supermarkt auf der einen und der Patisserie auf der anderen Seite kreuzen sich zwei Straßen. Jene zur Bäckerei, und eine Querstraße. Die Querstraße ist noch einmal geteilt durch einen Grünstreifen, auf der Mitte der Kreuzung steht ein Baum, um den sich der Verkehr herumwindet, Fahrspuren gibt es keine, alles fährt wie es will, ohnehin gibt es dauernd Schlaglöcher und – nach dem flutartigen Regen des Vormittags – teichgroße Pfützen zu umkurven. Folglich knäulen sich die Autos rund um den Baum zusammen, weder stehen sie in Linie hintereinander, noch parallel oder in rechten Winkeln zueinander, sondern einfach nur durcheinander. Das ist hier immer so und nichts Besonderes.
Besonders ist jedoch, daß die Straße zur Bäckerei völlig zugestaut ist – immer mal ein paar Zentimeter, dann wieder anhalten, wir brauchen fast zwanzig Minuten für eine Strecke, die man zu Fuß in zehn bewältigen könnte. Etwa auf Höhe des Baumes steht links neben uns ein Auto, mit gutem Willen könnte man sagen: in diesem Chaos fährt es auf der Querstraße, die relativ frei ist. Oder genauer, es könnte fahren, ständen wir und unser Vordermann nicht im Weg. Im langsamen stop-and-go bewegt sich der Vordermann ein wenig und jetzt könnte sich theoretisch eine Lücke in der Wand von Autos öffnen, die dem Fahrer zur Linken die freie Weiterfahrt verwehrt. Nur rückt unser Fahrer direkt auf. Der Vordermann rückt noch weiter vor, erneut könnte, könnte vielleicht unser Fahrer den Kollegen durchlassen, aber das scheint er gar nicht wahrzunehmen, entschlossen hält er fünf Zentimeter Abstand zwischen den Stoßstangen. Während der Herr zur Linken in seinem Auto sicher flucht.

Eine kleine Episode, aber typisch für dieses Land und ursächlich für die Hälfte der Staus, mindestens. Über den eigenen Horizont (oder in diesem Fall die eigene Windschutzscheibe) hinaus zu denken ist völlig unüblich. Es ist nicht mal böse Absicht, Rücksichtslosigkeit oder Aggressivität (wie so oft in Europa), sondern einfach mangelnde Erfahrung darin, für andere mitzudenken. Das Leben ist so hart, jeder so an totalen Egoismus gegenüber Fremden gewöhnt, daß eine andere Perspektive einfach nicht denkbar ist. Für niemanden.

Nachmittags dann im Büro meines Arbeitgebers, wo ich sei einer Woche sitze. Mit aktuell etwa acht Kollegen zusammen. Bei derartiger Überbelegung sind alle sehr um Rücksichtnahme bemüht. Meistens jedenfalls. Wer telefonieren will, geht raus. Alle Laptops sind lautlos. Wer sich mit Kollegen besprechen will, sucht sich einen anderen Raum oder fragt wenigstens um Erlaubnis. Mal abgesehen von dem einen, dessen Rechner nicht nur im 10-Minuten-Takt verkündet: „Boss, you have new mail“, sondern dessen auf dem Tisch vergessenes Telefon auch über eine halbe Stunde lang beharrlich klingelt, der Kollege scheint gefragt zu sein. Und dann gibt es da noch den jungen Mann von der Putzkolonne, der gegen drei Uhr mit einem Stapel Papier aufläuft, sich vor der Phalanx von Schneide- und Bindemaschinen niederläßt und an die Arbeit macht. Zuerst werden die Stapel von Unterlagen unter lautem Rascheln sortiert. Dann kracht im Minutentakt die Schneidemaschine herunter. Dann hämmert die Bindemaschine die Papiere zusammen. Und das nicht ein oder zwei Mal, nein, als ich mich irgendwann verzweifelt umdrehe, sehe ich dreißig ordentlich gestapelte, noch ungebundene Büchlein. Ich möchte toben, möchte ihn packen und schütteln, möchte schreien und schimpfen. Irgendwann dann hat auch einer der senioreren Kollegen genug vom Lärm und fragt, ob der junge Mann nicht woanders tackern, hämmern und binden könne? Nein, dies seien ja die einzigen Maschinen. Und die könne man nirgendwo anders hinstellen? Nein, die ständen ja hier im Büro. Aber könne man sie nicht vorübergehend woanders aufstellen, um die acht Kollegen in Ruhe arbeiten zu lassen? Hm. Langes Nachdenken. Dann irgendwann Ruhe.

Ich möchte keines der arroganten Arschlöcher sein, die irgendwann allen Afrikanern kollektiv mindere intellektuelle Kapazität oder generelle Rücksichtslosigkeit unterstellen, aber an solchen Tagen kann ich nicht umhin, mich zu fragen, woher das kommt. Sicher, beides kann einem auch zu Hause passieren, aber hier passiert es öfter. Das „um-die-Ecke“, „für-andere-mit“ denken ist ist auf augenfällige Art und Weise abwesend, unüblich und ausgesprochen selten. Ich kann nur vermuten, daß es mit den harten Lebensumständen zusammenhängt, mit der Not jedes Einzelnen im täglichen Überlebenskampf, vielleicht auch mit der immer wieder angeführten Mobutu Mentalität, nach der jeder ein Recht hatte, sich soviel für sich selbst zu nehmen, wie er konnte. Und das sagen mir Kongolesen, nicht die Expats.

Und nachdem ich ohnehin schon begonnen habe, Fragen ohne Antworten zu stellen, ist hier natürlich die spannende Frage: wie erzieht man ein ganzes Land um? Auf daß der Verkehr irgendwann wieder fließen möge, die Wirtschaft nicht mehr über Korruption stolpert und die Menschen der Not entkommen können?

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Samstag, 17. April 2010
Journalismus so und so
Wer Kongo hört, denkt an Völkermord, Massaker, manche auch an den dritten Weltkrieg, weil so viele zentralafrikanische Lände involviert waren. Fünf bis sechs Millionen Tote, laute manche Schätzungen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen als systematischer Terror. Von mir, sicher aufgehoben in Kinshasa-la-Belle, ist das über tausend Kilometer weit entfernt.

Im Kongo leben hunderte von Ethnien, es gibt vier Amtssprachen plus Französisch und auch wenn ich mir afrikanischen Gesichter immer noch schlecht merken kann - die Unterschiede sehe ich manchmal durchaus. Provinzpolitik, Verteilungskämpfe und regionale Machtverhältnisse spielen eine große Rolle, welche Eliten ursprünglich aus welcher Provinz stammen, wer welches Stück vom Kuchen bekommt, auch spricht der Präsident nicht die in seiner Kapitale am gebräuchlichsten Sprache und umgekehrt die Chefs der großen Unternehmen im Osten, gebürtige Kinois, nicht die Sprache an den Produktionsstätten - aber von ethnischen Spannungen merke ich hier wenig. Nicht in Kinshasa jedenfalls.

Das will aber nichts heißen, im Osten gab es vor kurzem neue Massaker, und in dieser Woche wurden mehrere ICRC Mitarbeiter von Mai-Mai Rebellen entführt. Meistens reichen solche Meldungen nur für eine Spalte auf Seite 10. Oder für eine tränenrührige Reportage. Es geht aber auch sehr viel schonungsloser. Lesenswert, notfalls mit Hilfe von Gugl Translate.

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Donnerstag, 15. April 2010
Franzosendinner
Gestern Abend mit zwei Kollegen Essen gewesen. Oder besser: gekocht. Nämlich mit dem schönen Franzosen, den gibt es natürlich immer noch, schön wie eh und je. Er und ein anderer Kollege (wir drei sind ein eingespieltes Dinner-Team, bisher aber immer auswärts) haben offenbar nachmittags ausführlich diskutiert, was man für mich kochen würde und sich zielsicher für das einzige von mir gehaßte Gemüse: Salatgurke entschieden. Aber der gute Wille zählt, und diesen Fall hätte auch Kant ganz sicher anerkannt, zumal ich mit Risotto und Merguez danach durchaus einverstanden war. Und es schmeckte tatsächlich gar nicht schlecht, zumal verglichen mit meinen Kochbemühungen vor einigen Monaten (auch wenn die natürlich durch meine klammen Finanzen eingeschränkt waren).
Ich habe also als guter Gast einen Abstecher zu Kinshasas zweiter (und erster richtiger) Eisdiele gemacht N'Ice Cream, die dort abhängende Jeunesse Dorée bewundert, zehn Dollar für einen wirklich sehr, sehr kleinen Halbliterkasten ausgegeben und war franzosenpünktlich um kurz nach acht vor der Tür (er ist immer zu spät und mit Eiscreme in Händen wollte ich nicht warten).
Der schöne Franzose wohnt in einem sehr großen, sehr neuen, sehr feudalen Appartement Haus, wo die Mieten deutlich höher als das deutsche Durchschnittseinkommen sind. Dafür ist die Wohnung von der Art, daß man alles drumherum vergessen kann. Wenn man möchte. Die Anlage hat einen eigenen Fitneßraum, ein Schwimmbecken mit Terrasse, eine Poolbar. Die Wohnung hat eine Küche, wie ich sie hier noch nicht gesehen habe, alles neu, alles sauber, alles funktioniert. Mit Eiswürfelautomat. Überraschend geschmackvoll eingerichtet, dunkles Holz für die Eßzimmermöbel, helleres Korbgeflecht fürs Wohnzimmer, durchaus liebevoll dekoriert. Blumen. Zwei Bücher. (Ähem.) Die aber kein Schund.
Überhaupt war es ein netter Abend, wir haben uns wie immer wunderbar unterhalten, auch wenn wir in manchen Punkten völlig unterschiedlicher Meinung sind. Ich würde nie und nimmer in einer Seifenblasenwohnung wie seiner wohnen. Er würde nie und nimmer in einer Bruchbude wohnen, nur der Aussicht halber. Ich finde Economy Class zu fliegen völlig in Ordnung. Er steigt unter Business Class nicht mal in den Flughafenzubringer. Ich finde Rolex scheußlich. Er hat mindestens zwei.
Am nettesten aber war: Du fehlst uns hier. Wir müssen wirklich sehen, wie wir Dich dauerhaft herbekommen. Das wäre schön, denn auch wenn ich heute Vorhänge für meine Schweizer Wohnung in Auftrag gegeben habe, wird mir das Abenteuer fehlen.

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Montag, 12. April 2010
Das Elend dieser Welt
Früh morgens. Heute.



Wenn ich in meinem Hotelzimmer am Fenster stehe, schaue ich auf die Straßen vor dem Hotelportal. Gegenüber ist ein anderes, aber sehr schäbiges Hotel, in dem selbst die ärmste NGO ihre internationalen Mitarbeiter nicht unterzubringen wagen würde. Daneben ein heruntergekommenes Gebäude mit Appartements und kleinen Büros, unten einige Läden, gegenüber die Hauptfiliale eines Telekom-Anbieters. Tagsüber tobt in der Straße das pralle Leben. Vor dem Hotel stehen einige Wachkräfte und rufen gelegentlich die vielen kleinen Straßenhändler zur Ordnung. John, mein treuer Telefonkartenversorger, ein anderer bietet Geldwechsel, daneben Zigarettenverkäufer und Landkartenverkäufer und die an touristischen Orten unausweichlichen Anbieter von Tim und Struppi Bildern. Der Verkehr fließt unaufhaltsam, dauernd halten schöne Autos vor dem Portal und entlassen ihre Insassen in die glänzende, saubere Lobby, bevor die Fahrer sich auf den Parkplatz um die Ecke zurückziehen. Gegenüber auf der anderen Straßenseite weitere Verkäufer, gelegentlich passieren fliegende Händler die Straße, verkaufen billige Sandwiches und allerlei Krempel an die vor Ort auf der Straße stationierten Händler und Chauffeure. Dazwischen Frauen in ihren farbenfrohen Kleidern, die vom Schnitt immer wie europäisches Abendkleider aussehen, bettelnde Kinder und aller menschliches Strandgut, das irgendwie auf Ausbeute hofft angesichts der reichen Hotelklientel.

Sonntags nachts hingegen ist die Straße wie leergefegt. In der Ferne blinken einige Lichter am Mont Ngaliema, dem Edelviertel, unter mir leuchtet die Hotelreklame, ansonsten ist die Nacht hier dunkler als irgendwo in Europa. Die kleinen Läden gegenüber sind verrammelt, die Fenster im Appartementhaus fast alle dunkel. In der Gosse liegt Unrat, dadrüber thronen zwei Männer auf der Bürgersteigkante und unterhalten sich. Hinter ihnen sitzt eine junge, knappe gekleidete Frau auf einem Plastikstuhl und wartet – ich weiß nicht, worauf. In einer Nische vor einem der geschlossenen Läden liegt ein Mann. Er trägt eine dunkle Hose und ein helles Hemd, hat Pappen untergelegt. Ich kann im Abglanz der Hotelbeleuchtung nicht viel erkennen, aber er liegt wie ein Kind zusammengekauert in der Nische und schläft. Ohne daß ich es sehe, weiß ich, daß auf der anderen Straßenseite, auf der anderen Seite des Hotels weitere Menschen in den Nischen der Hotelmauern liegen, ich habe sie neulich beim heimkommen gesehen. Flüchtig, während mein Auto vorfuhr, habe ich den Anblick wohl wahrgenommen, aber über der Verabschiedung von den Kollegen und dem Treppensteigen zu meinem Zimmer, und der Planung des kommenden Tages den Eindruck schnell beiseite gewischt.
Jetzt aber stehe ich an meinem Fenster, hinter mir ein blitzend sauberes Bad und nicht minder sauberes Bett. Zwei mal zwei Meter, viel zu groß für mich alleine, zwei Kissen, eine riesige Bettdecke. Der dunkelrote Überwurf passt zu den dunkelroten Vorhängen und überhaupt ist alles recht hübsch. Neben mir, unter mir, über mir, weitere Zimmer von derselben Art, viele Betten und sicherlich manche davon leer. Gegenüber aber liegt der Mann und um die Ecke liegen Kinder auf der Straße. Kein Zuhause, kein Dach über dem Kopf, vermutlich höchstens eine Mahlzeit am Tag. Keine Bildung, kein Beruf, keine Zukunft. In einem Land, in dem man bei der Hochzeit noch Mitgift zahlen muß, vermutlich auch niemals Heirat und niemals Familie. Werden sie krank, wird sie kein Arzt behandeln. Werden sie alt, wird sich niemand kümmern. Werden sie sterben, bekommen sie ein Armengrab – falls es hier sowas gibt.

So gerne ich dem Gedanken ausweichen würde, ich kann nicht umhin, mich nach der Sinnhaftigkeit dessen zu fragen, was ich hier tue. Trägt meine Arbeit irgendwie dazu bei, diesem Mann zu helfen? Vermutlich nicht. Ich frage mich, ob ich irgend etwas anders machen könnte in meinem Leben, aber mir fällt nichts ein. Jetzt hinunter zu gehen und ihm hundert Dollar zu geben, würde wenig helfen. Könnte ich ihm eine Ausbildung bezahlen? Sagen wir mal, drei Jahre à 100 USD Lebenshaltungskosten im Monat, also 3.600 Dollar plus sechs mal 500 USD für Ausbildungskosten, macht insgesamt 6.600 Dollar insgesamt. Ich könnte also, vermutlich. Aber würde es was bringen? Und würde er das Geld nicht möglicherweise ganz anders anwenden? Würde er dann, mit Ausbildung, tatsächlich eine Stelle finden in diesem Land, wo ohne Kontakte und Beziehungen selbst der beste Universitätsabsolvent keine Chancen hat? Es ist leicht, festzustellen, sich selbst zu trösten, daß nichts, was ich persönlich ausrichten könnte mit meinen beschränkten Mitteln, mehr als ein Mini-Tropfen auf einem kochend-heißen Stein wäre und es daher von vorneherein sinnlos ist. Daß ich immerhin nicht meinen Hintern in einer Beratunsgesellschaft plattsitze und mein Geld damit verdiene, anderen den Job wegzurationalisieren. Obwohl mir das in jenem Moment lieber wäre, denn dann wäre ich nicht mit diesem Bild konfrontiert. Ich stehe immer noch am Fenster, länger als sonst, wenn die Zigarette schon aus ist. In so einem Moment kommt mir mein Leben sinnlos vor. Ich möchte nach Hause, ich möchte das nicht sehen, ich möchte dieses Bild nicht mein Leben lang mit mir herumtragen und wissen: es gibt Milliarden von Menschen, denen es auch an meinem Todestag, viele Jahre von heute, noch so elend gehen wird wie diesem Mann, gegenüber, in seiner Nische.
Ein Teil von mir möchte in solchen Momenten auf mehr verzichten. Weniger Gehalt, weniger Hotel, weniger Auto – damit mehr Geld bleibt, solchen Menschen zu helfen. Gleichzeitig habe ich Angst. Ich möchte nicht in fünfzig Jahren auf Hartz 4 angewiesen sein, ich möchte Rücklagen bilden, ich möchte ein angenehmes Leben haben, einkaufen, gut essen, in Konzerte gehen. Ich möchte nicht den letzten Pfennig meines Einkommens für gute Werke opfern, sondern auch Spaß an meinem eigenen Leben haben, aber wie kann ich das tun, wenn andere Menschen hungern? Zu Hunderttausenden? Wie kann ich, nachdem ich das gesehen habe, mich in meine weichen Federn kuscheln und vom nächsten Abenteuer träumen, während um mich herum 10 Millionen schlafen, für dieses Land kein Abenteuer ist, sondern bittere Realität?

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Sonntag, 11. April 2010
Déja Vu: Kinshasa Leben
Nach einer Woche voller Arbeit, Kollegen und Hotel hatte ich gestern endlich wieder ein Häppchen vom eigentlichen Kinshasa-Kuchen. Da die liebe C. nach über einem Jahr hier ihren Abschied von diesem wunderbaren Land feiert, war ich sicher, massenhaft alte Freunde zu treffen, und habe mich gleich vorher noch mit einer Freundin und deren Freunden zum Abendessen verabredet. Auf dem Weg dorthin hatte ich mit unserem Fahrer eine lustige Diskussion: ich stellte ihm frei, ob er Sonntag arbeiten wolle oder nicht. Für den Kollegen und mich war das relativ gleich, unsere Arbeiten lassen sich zumindest für einen Tag im Hotel genauso gut erledigen wie im Büro – eine Fahrt zum Büro hingegen und Abendessen auswärts wären auch nicht schlecht gewesen. Ich habe dem Fahrer also die Lage erklärt und gefragt, ob er arbeiten möchte oder nicht. Verlegenes Lachen: das sei doch meine Entscheidung. Ich erklärte erneut, uns sei es egal, ich wolle nun seine Meinung hören. Es ging endlos hin und her, ich habe nachgehakt, ob der Arbeitstag für ihn mehr Bezahlung bedeute oder nicht, er erkundigte sich schüchtern, wie lange wir denn gegebenenfalls würden arbeiten wollen, dann wieder verlegenes Lachen und keine richtige Antwort. Irgendwann hatte ich zunehmend das Gefühl, daß ein Tag se reposer ihm ganz recht wäre und habe ihm für heute freigegeben.
Im Restaurant La Piscine war das piscine kläglich leer, in dem Becken voller Sprünge und abgeplatzter Farbe stand nur noch ein dreckiger Tümpel Brackwasser, aber das Essen war prima und die Gesellschaft tröstete ohnehin über alles hinweg. Eine Kanadierin, zwei Britinnen (davon eine Halbspanierin), eine Französin, ein Amerikaner und ich. Anders ausgedrückt: ein Hahn im Korb (der Amerikaner) und fünf Damen. Der Ami und ich waren neu in der Runde (wobei ich immerhin meine Freundin I. und die Französin schon kannte), die anderen hingegen alte Freunde. Trotzdem – und das macht den Charme des Soziallebens hier an guten Tagen aus – wurden der Ami und ich sofort und völlig unkompliziert in die Runde integriert. Als ich kam, war meine Freundin I. noch nicht da und ich schlenderte unsicher in Richtung des einzigen besetzten Tisches und wurde, noch bevor ich fragen konnte, ob sie eventuell die Freunde von I. seien, angesprochen: ich sei bestimmt die Damenwahl, ach wie schön! Sieht man davon ab, daß der Ami – nur auf Dienstreise und zum ersten Mal hier – mit den Gegebenheiten von Kinshasa naturgemäß weniger vertraut war als wir, wurde keinen einzigen Moment über Themen gesprochen, bei denen nicht jeder hätte folgen können. So oft, wenn man zu einer etablierten Clique stößt, wird über gemeinsame Freunde, die letzte Party und allerlei Interna geplaudert und der Neuankömmling sitzt daneben und schweigt – nicht jedoch hier.

Auch auf der anschließenden Party kamen wir sechs immer wieder in kleinen Gruppen zusammen, ich hatte Gelegenheit, mit der Kanadierin länger über ein spannendes Thema zu reden und als sie gegen eins aufbrechen wollte und ich vorsichtig, ganz vorsichtig nach einer Mitfahrgelegenheit fragte: aber selbstverständlich könne sie mich heimbringen. Gar kein Problem (obwohl der Boulevard so weiträumig gesperrt ist und das ein echter Umweg war) und auch im Auto haben wir uns noch wunderbar verstanden und ruckzuck verabredet, daß wir uns unbedingt noch einmal vor meiner Abreise sehen müssen, vielleicht nächsten Sonntag.

Es sind solche Abende, an denen plötzlich das wunderbare Gefühl der sechs Monate im Vorjahr wieder da ist, die Freude, so unverhofft auf Gleichgesinnte zu treffen und mit wildfremden Menschen einen Abend zu verbringen, der schöner nicht hätte sein können. Sieht man vom traurigen Anlaß einer Abschiesparty ab.

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Donnerstag, 8. April 2010
Neuigkeiten
Ich könnte von den ganzen unerfreulichen Neuigkeiten berichten, die das Schicksal in den letzten vierundzwanzig Stunden über mir ausgekippt hat, aber das wäre wenig unterhaltsam. Also reden wir lieber über die Neuigkeiten in meiner Lieblingskatastrophenmetropole.
Ich bin ja nun zum ersten Mal in einem der zwei besten Hotels am Platze und auch das ist eine interessante Erfahrung. Die Aussicht ist weniger malerisch und ich vermisse den Blick auf den Fluß enorm, aber das Zimmer ist nicht schlecht und der Service geradezu rührend bemüht – im Gegensatz zur Kaltschnäuzigkeit des Rezeptionspersonals. Komme ich abends in mein Zimmer, so hat jemand die Vorhänge zugezogen, den Fernseher angemacht (!?) und zwei kleine Schokobonbons mit dem Zimmerfrühstücksbestellformular dekorativ auf dem Bett platziert. Da ich die nie esse, sondern auf den Nachttisch beiseite lege, werden es immer mehr. Bis ich hier fertig bin, habe ich vermutlich eine ganze Tüte beisammen. Bedauerlicherweise wurde im Übereifer der Putzaktion (täglich neue Handtücher, täglich neue Bettwäsche) auch meine halbvolle Saftdose heute entsorgt bei der Zimmerreinigung und da die Minibar aus unerfindlichen Gründen abgeschlossen ist, kann ich nicht mal mehr eine Zigarette mit Getränk genießen. Sehr ärgerlich, das.
Das Frühstück hingegen ist ganz nach meinen Wünschen und ich begreife kaum die Beschwerden der Kollegen. Schön, für Obstsalat, Joghurt, verschiedene Müslis, Toast & Brot mit Aufschnitt plus Marmelade und Kleingebäck (Eierspeisen aller Art extra zu bezahlen) sind die 25 USD, die man dafür früher zusätzlich zur Übernachtung investieren mußte, recht viel, aber frische Ananas und Papaya plus ein Schokocroissant am Morgen machen mich zu einem glücklichen Menschen. Zumal inzwischen das Frühstück im Preis inbegriffen ist. Dafür ist der Zimmerpreis um 30 USD gestiegen. Ungeachtet solcher Petitessen ist dieses Hotel immer noch eine der angenehmsten Adressen vor Ort, bald allerdings könnte sich das ändern.
Eine große Baufirma hat nämlich inzwischen den wunderbaren Marché des Voleurs Valeurs dem Erdboden gleichgemacht, die dahinterliegende Baustelle für eines der zwei oder drei neuen Nobelhotelprojekte hat sich dafür geschwürartig ausgebreitet, und zwar in alle Richtungen. Der Souvenir-Markt (wo man sogar Leopardenfelle kaufen konnte) ist weg, der Rondpoint davor ebenfalls, der alte Busbahnhof Gare Centrale gleichermaßen, alles ist jetzt Baustelle und Wellblechzäune. Auch nach oben ist das Projekt gewachsen, seit Dezember sind fünf Etagen in die Höhe geschossen, der Anbau im Bungalowstil hingegen, der eines schönen Tages ein Helikopterlandeplatz werden soll, ist noch unsichtbar. Unter dem Fortschritt dieses Megaprojektes gelitten haben weiterhin die Straßen drumherum – das kann aber auch der Regen gewesen sein. Die Schlaglöcher sind so tief, daß man kaum noch vorwärts kommt, kleine Autos hoppeln geradezu über Schotterstrecken mit tennisballgroßen Steinen und selbst der geduldigste Kollege findet keine Worte, seiner Frustration Ausdruck zu verleihen. Eine Strecke von kaum fünf Minuten dauert inzwischen mindestens fünfzehn – nur wegen der Straßenqualität. Und auf der schlimmsten Straße, die ich überhaupt kenne, ist der Asphalt an einigen Stellen tunnelartig über einen Meter tief eingebrochen.

Wenn ich schon bei Straßen bin: die Chinesen im Flugzeug waren vielleicht dafür da, damit es beim Boulevard endlich vorwärts geht. Hoffe ich wenigstens. Der Boulevard ist ja als Hauptverkehrsstraße des Business-Stadtteils ziemlich breit, und am Tag meiner Ankunft wurde die Hälfte der Fahrbahn – Breite wie etwa dreispurig – neu geteert. Den gaffenden Menschenaufläufen am Straßenrand nach hätte man meinen sollen, hier würde ein Volksfest gefeiert, es war aber wirklich nur die Walzmaschine. Jetzt muß die neue Asphaltierung natürlich härten, oder so, und deswegen wurden sämtliche Einfahrten und die Mittelspur mit Felsbrocken in der Größe eines kleinen Fernsehers abgesperrt. Alle Meter liegt einer, man kann nirgendwo mehr abbiegen, alle Fahrzeuge drängen sich auf der verbliebenen Fahrbahnbreite und die Staus sind schlimmer denn je. Immerhin: praktisch ist es, daß Fahrbahnmarkierungen nie vorhanden waren, so muß man jetzt auch nichts ändern (die gelben Markierungen auf deutschen Straßen werden ganz sicher völlig überschätzt – die weißen auch, wenn ich so überlege). Trotzdem äußerten alle drei Fahrer der letzten zwei Tage die schönsten Hoffnungen, daß es nun bald sehr viel besser würde mit dem Verkehr und Kinshasas Straßen überhaupt auf einem guten Weg seien. Das wiederum halte ich für eine maßlose Fehleinschätzung, aber bitte.

Überhaupt, der Regen. Nicht nur hat er viele neue Schlaglöcher in die Straßen gespült, er macht auch das Klima ungewohnt unangenehm. Es ist heißer als zuvor, schlimmer noch: es ist feuchter. Meine Haare ringeln sich leicht von der Luftfeuchtigkeit und schon nach zwei Minuten im klimatisierten Auto beschlagen meine Brillengläser bis zur Undurchsichtigkeit, wenn ich nach draußen komme. In Deutschland hat man das im Winter, wenn man sehr feuchte Räume betritt (Turnhallen, Schwimmbäder) – hier habe ich das tagtäglich, nur umgekehrt und dadurch immer wieder Anlaß zur Verwunderung über die Fremdartigkeit dieses Landes, die mir in solchen Details manchmal am meisten bewußt wird.

Nicht fremd hingegen war mir der Fahrer D., dem ich gleich am ersten Tag vorm Hotel begegnete und der meine Hand mit der Leidenschaft eines werbenden Politikers schüttelte und über das ganze Gesicht strahlte. Nicht fremd war mir auch der andere Fahrer, der mir auf dem Hotelparkplatz aus dem Auto heraus zuwinkte, ebenfalls sichtlich erfreut. Das immerhin sind die kleinen Lichtblicke und die Gründe, warum ich dieses Land und vor allem seine Menschen so mag.

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Dienstag, 6. April 2010
Tapetenwechsel
Die Bahnfahrt ist deutsch. Sehr deutsch sogar: fest hatte ich damit gerechnet, daß es der Bahn gelingen würde, das Sicherheitsfenster von vier Stunden auf der Fahrt nach Frankfurt Flughafen auszuschöpfen. Im InterCity sitzen vor mir zwei kleine Mädchen in Begleitung ihrer Großeltern, die einen Vertrag in ordentlicher Mädchenschrift aufgemalt haben: „Hiermit bestätigen Katharina und ich, daß wir uns nicht mehr um alles streiten wollen und dem anderen auch was gönnen. Wenn es doch zum Streit kommt... .“ ausgestattet mit Gültigkeitsdauer (befristet, natürlich) und Herzchen und rosa Unterstreichungen.
Als ich fast pünktlich am Flughafen stehe, saubere, ordentliche, neue und heile Dollarscheine eingetauscht habe und zum Check-in trabe, kann ich es kaum glauben. Es ist wichtig, ich hatte mit wenig Sicherheitspuffer geplant und bin mehr als rechtzeitig. Trotz Bahnfahrt.
Afrika beginnt umgehend, am Flughafen. Das äthiopische Bodenpersonal freut sich aufrichtig, daß ich tatsächlich nach Afrika fliege und nicht nur zum Vorabend-Check-in von Condor möchte. Den Hinweis auf die richtige Schlange zum Anstellen hätte ich allerdings nicht gebraucht: es gibt nur eine, und die vielen schwarzen Gesichter der Mitreisenden sprechen für sich. Hinter mir zwei sehr junge Äthiopierinnen mit kleinem Kind und fünf Gepäckstücken. Während wir uns langsam, etappenweise vorwärts bewegen, spricht mich die eine an: Ob ich nach Addis reise? Ich bejahe, aber nur als Layover. Sie denkt nach, fragt weiter: Ob ich nur das eine Gepäckstück habe? Ich ahne, worauf die Konversation hinausläuft und bejahe erneut, füge aber hinzu, daß mein Gepäck wohl bis Kinshasa durchgecheckt wird und ich folglich nicht zu Diensten sein kann. Enttäuscht wendet sie sich ab, diskutiert mit ihrer Begleiterin, beginnt dann, die für dieses zierliche Persönchen viel zu schweren Koffer von der Karre zu heben und einzeln nacheinander zu den Waagen gegenüber zu zerren.
An den Schaltern vor mir geht es ebenfalls kurios zu: vor allem afrikanische Passagiere stellen sich mit ihren unzähligen Koffern vor, heben sie auf das Gepäckband und treten dann unverrichteter Dinge den Rückzug an, um abseits der Schalter in großem Stil aus- und umzupacken. Strategisches Management von Stückzahl- und Gewichtsgrenzen. Das scheint die jungen Damen hinter mir zu inspirieren: während die Schlange weiter vorrückt, beginnen die beiden, Babywäsche von dem kleinsten (kabinentauglichen, aber mutmaßlich zu schweren) Trolley umzuladen in einen großen Koffer, der sich beim Schließen kugelförmig zu wölben beginnt.
Anstandslos bekomme ich meinen Sitzplatz, Maschine komplett ausgebucht, noch ein Kaffee, dann auf zum Gate. Afrika scheint inzwischen auch in meinem Kopf zu sein, jedenfalls verwechsele ich Platznummer und Gatenummer und werde von der Dame im A-Bereich zurück in den C-Bereich verwiesen. Immerhin läßt mir der längere Spaziergang hin und zurück Zeit für eine letzte geistige Gepäck-Kontrolle und mir fällt mit Entsetzen ein: ich habe die Schokolade für die Kollegen vergessen. Irgendwann in der letzten Woche streifte mich zum unpassenden Zeitpunkt (im Bett? Im Auto unterwegs?) der Gedanke an diese unabdingbare kollegiale Pflicht, jetzt erst fällt es mir wieder ein. Im nächsten Duty Free Shop kaufe ich ein Kilogramm Schokolade; Weingummi wäre besser (wegen der Temperaturen), aber da kann ich jetzt nicht mehr wählerisch sein. Die Wartehalle ist am Ende der Welt, möglicherweise schon außerhalb der Stadtgrenzen Frankfurts. Als Beinahe-Vielflieger habe ich inzwischen fast nie Probleme bei der Sicherheitskontrolle (außer mit den Christmas Crackers in Heathrow, vor Weihnachten), aber hinter mir sorgt jemand für Lacher:
Typ am Monitor: Da ist eine Weinflasche im Handgepäck. (wendet den Bildschirm)
Kontrollkollegin: Und was soll ich jetzt machen? Austrinken?
Typ am Monitor: Schön wär's..

Es gibt keine Läden, der Kiosk ist geschlossen und der Getränkeautomat zeigt angeberisch fünf Reihen mit Wasserflaschen, will aber keine herausgeben: ausverkauft. Nebenan am Gate von El Al werde ich fündig, Not macht erfinderisch und ich komme mental schon in Afrika Stimmung.
Beim Boarding scheint die Maschine jedenfalls vorerst – im Gegensatz zur Auskunft beim Check-in – keineswegs ausgebucht, aber vielleicht steigen ja noch hunderte Italiener in Rom zu. Neben mir jedenfalls sitzt ein junger Mann, Afrikaner und während ich mich noch frage, wie man es fertigbringt, bei mildem Frühlingswetter und bekleidet nur mit einem Kurzarmhemd trotzdem leicht verschwitzt zu riechen, erzählt er mir, daß sein Vater gestorben ist und er deshalb am Vortag schon in Montréal losgeflogen ist, den ganzen Tag am Frankfurter Flughafen verbracht hat, jetzt also weiter nach Addis reist und von dort nach Bujumbura. Jetzt bringe ich mehr Verständnis für den unangenehmen Geruch auf, setze mich aber trotzdem weg, als in Rom tatsächlich die Maschine halb leer bleibt. Ausgestreckt über drei Sitze gelingt es mir sogar, drei Stunden zu schlafen ohne vor Schmerzen aufzuwachen, bis morgens um fünf eine junge Frau im Gang neben mir kollabiert und ich den Platz für sie frei mache.

Das Umsteigen in Addis ist auch typisch Afrika. In Paris ist Umsteigen jedes Mal ein Drama. Schon die Passkontrolle beim Verlassen des Ankunftsbereichs kann dauern, und ohnehin ist man komplett auf sich gestellt. Alles ist automatisiert und ausgeschildert: beim Check-in wird in dem kleinen Heftchen für die Bordkarten angekreuzt, welches Terminal für den Weiterflug aufzusuchen ist, Flughafenplan liegt bei und wer sich verirrt, ist selber schuld. Personal bleibt unsichtbar oder kann nicht weiterhelfen, kilometerweit marschiert man Flure hinunter, Rolltreppen rauf, Gänge hinunter, immer den Schildern nach. Ein zweites Mal die Sicherheitsschleusen und Passkontrollen zu passieren kostet noch mehr Zeit und die Erfahrung hat gezeigt, daß weniger als eineinhalb Stunden definitiv zu kurz sind. In Addis hingegen gibt es ein Schild „Transfer Passengers“ aber noch bevor man daran vorbei ist, wird man schon vom Bodenpersonal mit Funkgeräten abgefangen, in Gruppen für die anstehenden Weiterflüge sortiert und dann wird gewartet. Anzeigetafeln gibt es keine, Gate-Schilder gibt es keine und das Sortiersystem der Mitarbeiter ist undurchsichtig. Erst bin ich alleine, dann bekomme ich Gesellschaft von zwei Kongolesen, dann eine vielköpfige Gruppe Chinesen, die intensiv nach Plastik riecht (aber vielleicht bilde ich mir das auch ein). Als ich es schon lange leid bin, hilflos im Gang zu warten, tut sich etwas, ein Stewardess bringt uns den Gang runter zum Gate (auch ohne Nummer) und schon dürfen wir einsteigen. Meine Gebete werden erhört, von den plastikduftumwehten Chinesen sitzt keiner neben mir und irgendwann sind wir dann auch endlich angekommen. Wenn man die Immigrationskontrolle in Kinshasa passiert hat, ist es jedes Mal ein Segen, den Herrschaften der Reiseagentur den Kofferschnipsel in die Hand drücken zu können und die Wartezeit aufs Gepäck in der klimatisierten Lounge zu verbringen. Ich bin, wie bisher immer, die einzige im Bus, die Fahrt dauert kaum eine Stunde und im Hotel erwartet mich schon die nächste Herausforderung: eine Reservierung für mich gibt es nicht. Die ist, wie ich bei genauem Hinschauen feststelle, nämlich für Mai gebucht. Während ich schon im Geiste alle meine Bekannten durchtelefoniere auf der Suche nach einem Nachtlager kommt eine Kollegin in die Lobby, der Empfangschef findet doch noch ein Zimmer und ich muß glücklicherweise nur die ersten sechs Nächte im Voraus bezahlen (bis auf weiteres), mehr hätte meine Kreditkarte auf einmal auch kaum hergegeben. Das Zimmer ist mittelmäßig (für soviel Geld hätte man an jedem anderem Ort der Welt einen anderen Standard erwartet), aber Wasser und Strom funktionieren, auf die abgeschlossene Minibar kann ich verzichten und das Bett ist schön groß. Angekommen, endlich.

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Donnerstag, 4. März 2010
Programmwechsel
... das hier reflektiert nicht uneingeschränkt meine persönliche Meinung (ich kenne Menschen mit tadellos links-orientierter Ausbildung und Prägung, die ihn nett und sympathisch finden), aber lustig ist es allemal.

En passant: vielen Dank, Herr L. für den Input - vielleicht habe ich am Wochenende Zeit, darauf zurückzukommen.

In jedem Fall vergesse ich vor lauter Elitessenherrlichkeit nicht die Angelegenheiten, die mir am Herzen liegen und mit etwas Glück mache ich demnächst Urlaub von der Uni in jenem wunderbaren Katastrophenland, das für Urlaub ungeeigneter scheint, als jedes andere. Arbeitsurlaub, sozusagen.

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Mittwoch, 3. Februar 2010
Katastrophenzirkus
Jetzt wissen alle, wo Haiti liegt. Das war vermutlich vor drei Wochen noch anders. Kongo? Zentralafrikanische Republik? Port-au-Prince? Kennt man nicht. Noch weniger könnte man auf einer Landkarte den Finger drauflegen. In manchen Kreise gilt die Insel – ähnlich wie der Kongo – als einer jener hoffnungslosen Fälle, an denen sich die Weltgemeinschaft seit Jahrzehnten irgendwie abmüht wie unser Staat an einem unwilligen Langzeitarbeitslosen, der aus allen sozialen Netzen längst herausgefallen ist, ohne daß diese Bemühungen jemals ernsthafte Erfolge zeitigen würden. Sehr schön nachzulesen bei drei aufmüpfigen UN-Mitarbeitern, die in den neunziger Jahren an den großen Krisenherden der Welt tätig waren. Wie ein schwarzes Loch saugen manche Länder alle Hilfsgelder, alle Bemühungen, alle UN-Missionen auf und verharren doch irgendwie im Status eines unlösbaren Problems. Hin und wieder passierte irgendwas, Unruhen oder gewalttätige Regierungswechsel ziehen zwei Tage Berichterstattung in den gängigen Tageszeitungen nach sich und dann verschwindet das Land wieder vom Bildschirm internationaler Medien, wie ein Flugzeug, das meistens unterhalb des Radars fliegt.

Ich bin betroffen. Freunde von mir in den USA trauern um Freunde in Haiti, Mitglieder der UN-Mission, bei denen die Hoffnung auf Überleben von Tag zu Tag schwand in den letzten Wochen. Ein anderer Freund hat fluchtartig seinen aktuellen Posten verlassen und ist nach Haiti geflogen, wo er jetzt die Arbeit einer kleinen NGO als Chief of Mission koordiniert, unter Einsatz seines eigenen Lebens. Ich weiß nicht, was sein Vater dazu sagt, den ich in Kinshasa flüchtig kennengelernt habe, ich weiß nicht, was seine Freundin dazu sagt, die ich gut kenne, aber in solchen Zeiten bin ich dankbar für F*cebook und schaue mehrmals täglich nach Statusmeldungen. Jenseits von Web 2.0 Häme, wirtschaftlichen Nutzerzahlen und Internetexhibitionismus hat es eben doch ungeahnte Vorteile, die man nie erwartet hätte. Davon abgesehen schaue ich mich um und wundere mich. Viele Medienberichte, erstaunlich, wer alles zu diesem Thema eine Meinung hat, und so unterschiedlich. Zwei Wochen später hingegen sieht alles ganz anders aus, von ehrenwerten Aktionen wie diesen abgesehen: hallende Stille auf den Frontseiten der großen Zeitungen.

Ich vermute, ähnlich wie beim Tsunami in der Südsee vor fünf Jahren werden von unzähligen wohlmeinenden Geistern Gelder auflaufen, gespendet aus einem Betroffenheits-Affekt heraus per SMS, wunderbar einfach, kann ja nicht schaden. Diese Gelder tragen unabänderlich ein elektronisches Schildchen „Haiti Erdbeben“– und sind damit für genau diesen Zweck gebunden und für nichts anderes verwendbar.* Ähnlich wie beim Tsunami werden am Ende auf diversen Konten Millionenbeträge liegen, die niemand ausgeben kann, weil ein so kleines Land bei allem Elend beschränkte Aufnahmekapazitäten hat. So absurd es sich anhört: es gibt Grenzen für sinnvolle Investitionen, Nothilfe ist eine Sache – und auch die krankt an noch immer den beschränkten infrastrukturellen Verteilungskapazitäten auf der Insel – und langfristiger Aufbau eine andere. Und sogar da ist der Erfolg in manchen Fällen fragwürdig. So geschehen in Indonesien. Ohne Zweifel ist ein Motorboot für Fischer eine feine Sache und macht so unendlich viel weniger Arbeit als ein Segelboot. Andererseits hält so ein Segelboot eine ganz Familie auf Trab, jeder muß sich beteiligen und helfen und niemand ist überflüssig. Ein Motorboot hingegen stürzt die halbe Familie in Arbeitslosigkeit und ist, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, andere sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, ein teuflisches Geschenk. Gut gemeint, und doch falsch, wie so vieles, was wir tun. Das aber ist ein anderes weites Feld.

Darüber hinaus finde ich den Medienzirkus einfach nur widerlich. Sensationsgeil, fehlgeleitet, volksverdummend und widerlich. „Hilfsmaßnahmen, die freilich verspätet einsetzen“?. ”Im zerstörten Haiti regiert der Tod”? So gelesen am Freitag der fraglichen Woche. Das Erdbeben war am Dienstag, wie schnell bitte schön soll die Hilfe denn eintreffen? Angeblich gilt für Mitarbeiter des Roten Kreuzes für Kriseneinsätze die 24/20 Regel: sie müssen innerhalb von 24 Stunden mit 20 kg Gepäck ausreisebereit sein. Dann ist es Mittwoch, eher Donnerstag. Es braucht Flugzeuge; Material und Hilfsgüter müssen gesammelt, zusammengestellt und koordiniert werden und auch die Reise über den Atlantik dauert nun mal einige Stunden. Nicht davon zu reden, daß auf der Insel Chaos herrscht. Landebahnen und Straßen sind kaputt, Botschaften und ausländisches Personal wurden evakuiert und gerade die Organisation, die natürlicherweise die Koordination vor Ort hätte übernehmen können, ist selber bitter betroffen. Das Leitungspersonal von MINUSTAH ist tot, Gebäude liegen in Trümmern und die UN wissen noch nicht einmal sicher, wieviele weitere Mitarbeiter verschüttet oder tot sind. Für die UN ist Haiti nicht nur ein seit Jahren schwelender Katastrophenherd, und aktuell eine der größten humanitären Katastrophen überhaupt, sondern auch die intern größte Katastrophe aller Zeiten. Davon abgesehen halte ich es für sinnvoller, wenn deutsche Mannschaften einen Tag später mit wirklich relevanten Gütern eintreffen, als einen Tag früher, aber die Hälfte vergessen haben. Reißerische und latent anklagende Titelzeilen hingegen von Leuten, die bequem in ihrem Büro auf dem Hintern sitzen oder für drei Tage Katastrophenzirkus einfliegen, finde ich gar nicht sinnvoll. Aber vielleicht bin ich ungerecht und das war alles nicht so gemeint.

An Heiligabend kam in einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenprogramm eine Strecke über die Tsunami-Katastrophe, es wurden viele herzzerreißende Bilder zerstörter Familien gezeigt. Deutscher Urlauber nämlich. Da ist ausnahmsweise mal eine der unzähligen Dritte-Welt-Katastrophen ganz nah an Deutschland herangerückt und plötzlich sind wir betroffen. Nicht um der Millionen Menschen willen, die jedes Jahr mit Fluten und Not umgehen müssen, wie in Bangladesh, mit Hunger und Krankheiten wie in Zentralafrika, betroffen sind wir nur um unserer selbst willen. Der Mensch ist sich selbst eben doch immer noch der Nächste. 112.000 Tote beim Erdbeben sind schrecklich. Aber was zum Teufel ist mit den 24.000 Menschen – vor allem Kindern – die jeden Tag an Hunger und dessen Folgen sterben? 24.000 Menschen, das ist jeden Tag eine deutsche Kleindstadt. Das macht 8 Millionen Menschen jedes Jahr – und welche Zeitung würde darüber in gleicher Weise berichten? 100.000 Tote bei Naturkatastrophen sind Auflage, Millionen Tote auf weit weniger spektaktuläre Weise ohne Bilder bei denen man sich gemütlich mit einem Becher Kaffee am Frühstückstisch gruseln kann, hingegen nicht. Hunger ist ja so alltäglich, so schäbig, so gewöhnlich. Viel weniger fotogen, viel weniger eindrücklich zu beschreiben als Blut, Schweiß und Tränen.
So löblich, vorbildlich und wünschenswert auch die enorme Spendenbereitschaft in solchen Fällen ist – noch schöner wäre, wenn es auch ohne den großen Medienaufriß ginge.

* Durchaus vermeidbar, wenn man um das Problem weiß.

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