Donnerstag, 11. November 2010
Das Diktat der Effizienz
Es ist schön, wenn man seine Vorurteile hegen und pflegen kann. Noch schöner jedoch ist es, seine Vorurteile zum Besseren revidieren zu können. So geschehen vor kurzem, in einer Debatte mit Kollegen über Wissenschaftsphilosophie. Entgegen landläufiger Annahmen gibt es durchaus manchen im Wissenschaftsbetrieb, der nach Sinn und Grenzen von forscherischer Erkenntnis fragt. Während wir in fröhlicher Runde bei einem Glas Wein über die Vor- und Nachteile rationaler Menschenbilder diskutierten und wie gültig diese international in verschiedenen Kulturen seien, streiften wir auch die Frage nach dem allesbestimmenden Konzept der Effizienz als Kernbestandteil westlicher Ideologie, moderner Marktkonzepte und unseres Alltags.

Ich bin manchmal ein bißchen langsam im Kopf und mußte über die Frage länger nachdenken, vor allem ob solche Orientierung anerzogen sei, Zeitgeist, allgemeine Übereinkunft – und als ich fertig gedacht hatte, waren die anderen längst zum nächsten Thema weitergezogen.
Und so nahm ich die Frage mit nach Hause, mit ins Bett und jetzt mit hierher. Ich persönlich gestehe, daß ich gerne effizient arbeite und darüber zumeist nicht einmal nachdenke. Ich schreibe dringende Mails sofort, arbeite kleine Aufgaben zuerst ab, um den Kopf für große frei zu haben, ich mache morgens im Büro zuerst das Fenster auf (frische Luft!), dann den Rechner an, dann lege ich die Jacke ab, logge mich ein, hole als nächstes Kaffee und wenn ich wieder da bin, ist der Rechner startklar. Das ist effizient, weil ich keine Zeit mit warten vergeude. Und ich mag das.
Ich habe als Berufseinsteiger nie den Sinn darin gesehen, drei Stunden für eine Frage zu recherchieren, die der Vorgesetzte am Schreibtisch gegenüber in fünf Minuten beantworten kann – das wäre ineffizient. Ich habe auch kein Verständnis für den ältlichen Kollegen, dem ich beim mühseligen Zusammenbasteln seiner Präsentation zusehen muß, nur falls er Fragen hat – während ich lieber eigenen Aufgaben nachginge. Das ist Zeitverschwendung und die mag ich nicht.

Immerhin kann ich mich damit entschuldigen, daß mein Effizienzwahn zielgerichtet ist: je optimaler ich die Arbeitszeit nutze, desto mehr bleibt frei für die privaten Vergnügen. Bücher ohne Formeln zum Beispiel, Weinabende mit Shiraz und Kollegen bis nachts um halb zwei, auch wenn der Wecker am nächsten morgen um halb sieben klingelt. Muß man halt am nächsten Tag etwas effizienter arbeiten, damit man den verlorenen Nachtschlaf aufholen kann.

Schaue ich mich in meiner Generation um, befinde ich mich mit meiner Einstellung in weitläufiger Gesellschaft. Viele ehemalige Studienkollegen arbeiten, um zu leben, sie arbeiten sogar viel, mehr oder weniger effizient, schielen aber aus dem Augenwinkel zumeist aufs Privatleben. Möglicherweise haben sie das Effizienzprinzip in ihrem Alltag nicht ganz so in kleinen Handlungen veräußerlicht wie ich, aber verinnerlicht ist es allemal. All die Investmentbanker glauben selbstverständlich, daß Kapitalmärkte effizient sind. Derivate und Kreditverbriefungen auch, die sind ja gut für Marktliquidität. Überhaupt sind arbeitsteilige Märkte das Mantra unserer Zeit – es ist ja so effizient, wenn die billigen Analphabeten in China unsere Hosen nähen und wir ihnen dafür deutsche Ingenieurskunst auf vier Rädern liefern. Trotz Transportkosten. Wegen ebenjener Transportkosten ist es sogar wirtschaftliche effizient, Nordseekrabben zum schälen ans Mittelmeer zu verfrachten und wieder zurück ins Fischgeschäft in St.-Peter-Ording – ist ja effizient. Effizienter, als teure Deutsche pulen zu lassen.

In den meisten Paarbeziehungen hört die weibliche Hälfte der Kinder wegen auf zu arbeiten, denn er hat das höhere Gehalt – umgekehrt wäre nicht effizient. Einkaufen bei Aldi ist effizient, wenn man dafür Zeit hat – einkaufen in der Feinkostabteilung vom Kaufh*f aber auch, wenn man wenig Zeit hat und das Geld egal ist. Ins Ausland gehen Schüler während der elften Klasse, denn da verpasst man nichts, und ein paar Jahre später hat der Erstsemester nur eine Frage: welches Buch müssen man auswendig können, um die Klausur zu bestehen? Die Bahn taktet ihre Anschlüsse – oft zum Leidwesen der Kunden – sehr knapp, denn Zeit ist Geld und wer möchte schon auf Bahnhöfen Zeit vertrödeln. Wer zum Arzt geht und einen Termin hat, wird nach zwanzig Minuten unruhig und putzt nach vierzig die unschuldige Praxishelferin runter, in Ämtern (und sogar bei der Bahn) muß man inzwischen kleine Nummern ziehen, damit effizient und geordnet gewartet wird. Meine Postfiliale hat es auf die Spitze getrieben und zeigt die Wartezeit in Minuten an.

Einzig meine überromantische beste Freundin erwägt eine internationale Eheschließung trotz finanzieller Nachteile – obwohl das ineffizient ist. Die ist aber auch anders, mir scheint oft, daß ein wesentlicher Teil westlicher Indoktrination an ihr vorbeigegangen ist.

Als in unserer lustigen Weinrunde ein Kollege fragte, ob wohl dieser Effizienzwahn anerzogen sei, hätte ich natürlich laut zustimmen sollen, wäre meine Leitung nicht so lang gewesen. Denn anderswo sieht die Welt ganz anders aus. Damit meine ich nicht die Söhne aus besserem Hause, die sich dank familiärer Absicherung aus dem Hamsterrad der beruflichen Effizienz und Karriereplanung verabschieden dürfen, die höheren Töchter, deren Ausbildungszeit lediglich Überbrückung ist, bis irgendein anständiger junger Mann ihr Vermögen heiratet.

Vor allem sieht die Welt in Afrika ganz anders aus. Selbstverständlich wägt der deutsche oder amerikanische Taxifahrer bei Beginn einer Fahrt ab, ob die kürzeste Strecke auch die schnellste ist. In Kinshasa waren lediglich die über Jahre gedrillten geschulten Fahrer meines Arbeitgebers so vorausschauend – die Chauffeure der Mietwagenfirma stellten sich jeden Tag unverdrossen in denselben, vorhersehbaren Stau. Warum auch nicht – wartet man doch auf Busse überland schon mal ein paar Stunden oder hofft einfach auf die nächste Mitfahrgelegenheit. Konferenzen gehen grundsätzlich eine Stunde später los als vorgesehen, weil bei den Teilnehmern Wichtigkeit und Verspätung in einem proportionalen Verhältnis stehen und sich alle gegenseitig überbieten.

Ich hatte gemeinsam mit einem lokalen Kollegen einige Termine mit kongolesischen Geschäftsleuten vereinbart. Selbstverständlich hatte ich meine Auswahl nach räumlicher Nähe und Fahrtzeit geplant und rechtzeitig zum Aufbruch gemahnt. Der Kollege hingegen schleppte mich tatsächlich zu einem Termin mit über zwei Stunden Anfahrtszeit und kaum jemals waren wir bei seiner Hälfte pünktlich – aber das machte gar nichts. Die Gesprächspartner schienen unverdrossen, wir kamen eben, wenn wir kamen, dann wurde die Arbeit unterbrochen, wir saßen zusammen, redeten, und dann fuhren wir wieder. Nach einiger Frustration thematisierte ich die Angelegenheit mit dem Kollegen, und mußte tatsächlich – zu meinem eigenen Unglauben – erklären, warum zwei Stunden im Auto nicht gut seien. Das Konzept „Zeit ist Geld“ war ihm völlig fremd, der Gedankengang, was man in den vier Stunden Fahrzeit alternativ hätte machen können, so fern wie der Mond.

Ich kann nur mutmaßen, warum das so ist. Ausbildung, Erziehung, sicherlich. Vielleicht auch, aus wirtschaftlicher Perspektive: mangelnder Anreiz. Die afrikanische Wirtschaft ist nicht so vernetzt und in die Globalisierung eingebunden wie die Industrieländer – hier beschwert sich niemand, wenn Termine platzen, zu spät kommen, Prozesse dauern. Die Handvoll Europäer hat nicht genug Einfluß und arrangiert sich mit den Gegebenheiten. Von außen also gibt es keinen Einfluß. Und von innen tickt die Welt ohnehin anders. Angesichts der frappierenden Arbeitslosigkeit ist für sehr viele Menschen Zeit kein Geld – sie haben sogar viel zu viel Zeit. Und selbst jene, die Arbeit haben, schicken eben für die lästigen Amtsangelegenheiten, bei denen man natürlich ewig wartet, einen der unzähligen arbeitslosen Verwandten – Zeit ist in Afrika für die meisten Menschen kein knappes Gut, scheint mir. Im Gegenteil: Zeit ist so reichlich vorhanden, daß damit gespielt wird. Machtspiele um Verspätungen und Wichtigkeit. Machtspiele mit der Polizei auf der Straße um Bestechungsgelder – in der Hoffnung, der stets eilende Europäer möge weniger Verhandlungszeit mit Geld erkaufen. Der Polizist hingegen hat ja Zeit und kann es sich leisten, zu diskutieren.

Korruption und Vetternwirtschaft hebeln die Marktwirtschaft weiter aus. Wozu sollten sich junge Menschen effizient um eine rasche Ausbildung bemühen – eine Stelle bekommen die einen ohnehin wegen ihrer Beziehungen und die anderen ohnehin ganz sicher nicht. Wozu alle Unterlagen für einen Amtsbesuch ordnungsgemäß vorbereiten, oder sammeln und abheften? Am Ende regiert die beamtliche Willkür, beklagen über Mißwirtschaft kann man sich nirgends, also wandern Belege für bezahlte Gebühren im Zweifel in irgendeine Schublade, um nie wieder verwendet zu werden.

Es ist ein Klischee, aber im Kongo liefen die Uhren anders. Als Europäer, gefangen zwischen dem Effizienzdruck von zu Hause, der Erwartungshaltung an Ergebnisse und Erfolge und andererseits den Hürden und Einschränkungen in Afrika, möchte man manchmal schier wahnsinnig werden. Zwei Welten reiben sich aneinander und man selbst steckt dazwischen und wird zermürbt zwischen Steinen, die beide gleichermaßen unnachgiebig sind. Das europäische Leistungsdenken, fixiert in Vorgaben, Zielvereinbarungen und Abgabefristen – die afrikanische Trägheit, bei der man durch jede Verrichtung, die Afrikaner miteinbezieht, aufgehalten wird, weil die Abläufe unberechenbar sind.

Manchmal jedoch ertappt man sich bei neidischen Blicken auf die Frau, die mit ihrem Brotkorb die Straße entlangwandert, ohne Hast, ohne Eile. Ich selbst galoppiere nach getaner Arbeit stets nach Hause, bestrebt, möglichst viel vom Abend zu haben. Sie hingegen lebt für den Moment, nicht für die Zukunft.

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Montag, 8. November 2010
Checkliste
Für Wochenendeausflüge in die benachbarte Heimat, inklusive Grenzüberquerung zum oder aus dem EU-Ausland, respektive Inland, gibt es viel zu bedenken.

Ganz grundsätzlich:
Personalausweis oder Reisepass. Mit Restgültigkeitsdauer.
Deutsche Handykarte. Für Familie anrufen und Durchgabe verspäteter Züge.

Für Bahnreisen mit dem Nachtzug:
Zahnbürste und Wasserflasche. Griffbereit im Handgepäck.
Hose. Röcke sind gänzlich ungeeignet für Klettereien auf Hochbetten.
Warme Socken, Schal und Ohropax. Um die Nacht erträglich zu gestalten.

Für die Rückreise im Flugzeug:
Plastiktütchen. Für Lippenstifte durch Sicherheitskontrolle mitnehmen dürfen.
Zigaretten. Zollfrei kaufen, keinesfalls vergessen!

Und beim nächsten Mal:
Flugzeugtaugliches Gepäckstück auswählen. Nicht die sperrige, klapprige Ledertasche aus Marokko, deren Verschluß schon beim Anfassen aufgeht.

Ich besitze einen 75-l-Koffer von Rimowa, der mich seit über zehn Jahren begleitet (inklusive einer Generalüberholung kurz vor Ablauf der Garantiefrist) und den ich heiß liebe. Ich besitze außerdem zwei Reisetaschen in verschiedenen Größen – sehr praktisch für Bahnreisen, denn mit Trolleykoffern galoppiert es sich schlecht über Bahnsteige, Treppen und Rampen. Ich besitze auch – für eben solche Wochenend-Reisen mit Flugzeug angeschafft – einen Mini-Trolley. Warum ich den nicht genommen habe dieses Wochenende – fragen Sie mich etwas leichteres. Dafür besitze ich jetzt einen neuen Koffergurt.

Der alte, nein: die alten gehen nämlich auf Flügen nach Afrika immer verloren. Das Gepäck kam bisher immer mit mir zusammen an der Destination an, und dafür ist man – besonders unter solchen Umständen ja auch dankbar, gewiß, aber die Koffergurte, die ich in meinem Vorsichtswahn regelmäßig um den Rimowa binde (ich traue ihm nach 12 Jahren nicht mehr so recht, und schwanke zwischen Trennungsangst (vom Koffer) und Verlustangst (des Inhalts)), jedenfalls: Koffergurte verschwinden regelmäßig, wenn ich nach Afrika reise. Jetzt, wo ich einen neuen habe, wird es dringend Zeit für einen Ausflug ins Herz der Finsternis. Das war ein Wunsch an den Weihnachtsmann, verstanden? Danke.

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Donnerstag, 1. Juli 2010
Heimweh
DRC feiert dieser Tage 50 Jahre Unabhängigkeit von Belgien. Die Chinesen bauen fleißig Straßen und Anderes, der ein oder andere Baum mußte weichen - ebenso die Straßenkinder (alle verscheucht), die Straßenhändler (alle vertrieben bzw. Stände abgebrannt), dafür mußten richtige Läden ihre Fronten hübsch streichen, höre ich.

Und ein neues Springbrunnen-Denkmal gibt es nun, sagt die Gerüchteküche. Ach ja, und die UN wollen wir auch bald loswerden. Souveränität und so.

Weite Teile der Stadt dürften aber von den Veränderungen nach wie vor unberührt sein. Und das sieht dann eher so aus:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/fs-guy-tillim

Wunderbare Bilder mit großer Aussage. Haben wollen.

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Mittwoch, 16. Juni 2010
Eines Landes Herz
Ich habe heute gelesen, dieser Mai sei der wärmste seit Jahrzehnten gewesen. Kann ich nicht nachvollziehen, ich habe die meisten Tage gefroren, mir nasse Füsse geholt in dünnen Ledersohlen und allenfalls gefühlte sechs Tage waren wirklich trocken und sonnig. Im Kongo wäre es jetzt auch nicht so viel schöner, in der Trockenzeit. Trockenzeit heißt ewiggleiches grau den ganzen Tag, milde 25 Grad zwar, aber die Sonne versteckt sich stets hinter den Wolken, solange, bis man meint, depressiv zu werden vom ewigen Grau.
Und ausgerechnet da finde ich bei Arte einen wunderbaren Film über Flusschiffahrt auf dem Kongo. Vor einem Jahr, als ich mein zweites Wochenende in Kinshasa mit Fieber, Schüttelfrost und marternden Kopfschmerzen im Bett verbrachte, habe ich ihn auf DVD gesehen, lesen war nicht möglich weil jede Bewegung, sogar Umblättern, neue Schmerzen bedeutete. Damals war ich gerade erst angekommen und ich erinnere mich noch, wie ich dachte: pffff. Fernsehen. Ist sowieso zur Hälfte erfunden, geschönt, dramatisiert, getürkt. Heute sehe ich den Film mit anderen Augen und bin beeindruckt von der warmherzigen Authentizität.

Hätte ich einen Wunsch frei, ich würde nach Kisangani fliegen, ans obere Ende der Schiffsverbindung und mich eine Woche auf einer Barge einmieten. Tagaus tagein säße ich zwischen lauter Kongolesen, würde zuhören und fragen und lernen und dieses wunderbare Land sehen, und es wäre gut. Vielleicht würde ich auch bloggen, in Echtzeit, mit UMTS, damit Sie auch was davon haben.

Auch wenn ich diese Chance wohl nie bekommen werde, und auch nie mehr als 80 km flußaufwärts gekommen bin, sind viele Details aus dem Film vertraut. Straßen und Eisenbahnnetz sind für ein bettelarmes Land von der Größe Westeuropas, davon weite Teile Dschungel, keine ernsthafte Option, der Kongo auf der Strecke zwischen Kisangani und Kinshasa (unterhalb von Kinshasa verhindern unschiffbare Stromschnellen die Weiterfahrt) fast 1.800 km lang, und das ist gerade mal die Hälfte der Gesamtlänge. Diese Hälfte ist so lang wie Rhein und Main zusammen, der gesamte Kongo ist vier mal so lang wie der Rhein. Und natürlich viel, viel breiter, und tiefer, vermutlich mit 220 m der tiefste Fluß der Welt. Ach ja, und über 250 m Wasserfall gibt es auch noch.

Unzählige Seitenarme führen ins Landesinnere, und da der Fluß eine unvorstellbar große Kurve nach Norden durchs Land schlägt und sich dann in den Süden hinunter windet, deckt er die Oberfläche tatsächlich erstaunlich gut ab. Die Biegung führt ausserdem dazu, daß der Fluß halb über und halb unterm Äquator liegt, auf einer Seite ist immer Regenzeit und folglich führt er immer großzügig Wasser, in Kinshasa – kurz vorm Mündungsdelta – sah man über sechs Monate kaum einen Unterschied. Und er fließt schnell. Angeblich verbrauchen Boote aufwärts 3000l Sprit und sind drei Wochen unterwegs, abwärts hingegen braucht es nur 1/3 von beidem, Sprit wie auch Zeit. Wenn alles gut geht, wenn man nicht steckenbleibt, von Sandbänken aufgehalten wird, in Seitenarmen Nebengeschäfte tätigt, mit Papierkrieg und Kontrollen entlang der Strecke Zeit verbringt und keine technischen Probleme hat.

Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, ich hätte nie geglaubt, wie hoffnungslos überladen die Bargen sind. Es gibt zu wenige Schubelemente, zu wenige Ladekähne, zu wenige Kapitäne. Theoretisch ausgebildete Kapitäne sind ohnehin Mangelware, wer so ein Schiff steuert hat es nur in der Praxis gelernt und kennt den Fluß aus Erfahrung, nicht von Karten. Vernünftige Karten gibt es kaum, Sandbänke ändern sich allzu oft, Baggerschiffe sind unendlich teuer, viel zu teuer für den armen Staat, und so wurschtelt man sich irgendwie durch. Der Kapitän im Film präsentiert stolz seine handgemalte Karte, mit sämtlichen Dörfern und Seitenarmen sorgsam eingezeichnet - genauso ist das. Angeblich mit Hilfe Ihrer Steuergelder wurde die Flußschiffahrtsschule vor kurzem renoviert, aber bis die ersten ausgebildeten Schiffer in die Praxis entlassen werden, können noch Jahre vergehen, auch Lehrer und Unterrichtsmaterial kosten Geld. Dann die Instandhaltung: es gibt nur wenige Werften, davon angeblich nur eine nennenswert große, privatwirtschaftlich betriebene Werft, auf die man sich verlassen kann – die entsprechend ebenso hoffnungslos überlastet ist wie so viele andere infrastrukturelle Einrichtungen.

Auf den wenigen Bargen, die folglich die ganze Versorgungslast fürs Landesinnere tragen müssen und außerdem das einzige Transportmittel für die Bevölkerung darstellen – wer kann sich schon Flüge leisten? - reisen also tatsächlich ganze Familien. Männer, Frauen, Kinder, viele Kinder, Ziegen, Hühner, Gepäck. Zur Ergänzung werden auch die für den Export zu Floßen zusammengeschnürten Tropenhölzer herangezogen, per Gesetz zur „Sicherung des Transports für die lokale Bevölkerung“ verpflichtet. Der Fischfang hingegen wird tatsächlich fast ausschließlich – genau wie im Film – mit Holzkanus und handgeknüpften Netzen betrieben, Affen werden tatsächlich über offenen Kohlefeuerchen geröstet und gehäutet (was bestialisch stinkt, wenn ich das anmerken darf), und ja, Affen werden auch gegessen. Was dazu geführt hat, daß die nur im Kongo lebenden Bonobo Affen inzwischen von der Ausrettung gefährdet sind. Das nennt man dann Buschfleisch, zusammen mit Elefantenfleisch, Antilopenfleisch, Krokodilfleisch und überhaupt allem, was der Kongolese so in der Natur jagt. Krokodile gibt es übrigens nur noch flußaufwärts, mir ist in Kinshasa keines begegnet. Bei Kongo denkt man natürlich an Heart of Darkness und bei mir rief das Bilder von Dunkelheit, von den Fluß überschattendem Urwalddickicht, von unbenennbarer Angst hervor, aber so ist es nicht. Der Kongo ist so weit, so breit, rechts und links mag der Urwald eine undurchdringliche Wand bilden, aber über dem Fluß ist Licht und die Sonne glitzert auf dem Wasser und es ist einfach nur schön.





Und so schwelge ich in den Bildern des Films, die Weite des Flusses, das Licht über dem Wasser, das grau-grün des Urwalds. Die dunklen Gesichter, ein bißchen alle gleich und dann doch unterschiedlich, die Musik und der Klang von Lingala, der ganz eigene französische Akzent im Film, die bunten Gewänder der Frauen, die sorgsam sapé gekleideten Männer – das alles ist Kongo, genauso wie ich es kenne. Heimweh.

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Donnerstag, 3. Juni 2010
Krieg und Frieden
Ich bin natürlich nicht unparteiisch. Sondern indoktriniert. Durch mein Elternhaus, meine Studienwahl, meine Ausbildung, meine Arbeitgeber. Ich glaube an Märkte, freien Kapitalverkehr und die Segnungen von Welthandel, Liberalisierung und Globalisierung. Irgendwie jedenfalls.

Hätte man mich vor einer Woche gefragt, ich hätte selbstverständlich gesagt, daß Welthandel und Frieden in Deutschland untrennbar miteinander verbunden sind. Unser Frieden hat nämlich viel mit Konsum zu tun, Konsum für alle, und möglichst viel. Bananen aus Lateinamerika und Kaffee aus Afrika für jedermann, T-Shirts für die H&M Teenager aus Bangladesh, wenn ich meine Computer-Hotline anrufe melden sich Damen, die irgendwo in Osteuropa sitzen und riefe ich von Amerika aus an, säßen sie in Indien. Wollte man all die Einzelteile zurückverfolgen, würde es richtig kompliziert, das Öl für meinen Joghurtbecher und meine Plastiktüten kommt vielleicht vom kaspischen Meer, oder aus Iran, die Metalle fürs Deckelchen aus Afrika oder Lateinamerika, die Milch kommt von subventionierten Landwirten in Deutschland, die künstlichen Aromen und Zusatzstoffe aus der Rest-EU und die Arbeitskräfte, die alles zusammensetzen, die sind natürlich deutsch. Oder haben zumindest ihren Wohnsitz in Deutschland, vielleicht irgendwo in der baden-württembergischen oder bayerischen Provinz. Ich weiß das, Sie wissen das, und die meisten Deutschen wissen es auch irgendwie. Eine andere Sache ist natürlich, darüber nachzudenken jenseits des eigenen Konsumhorizonts. Zum Glück für uns – und für die Weltwirtschaft – müssen wir darüber meistens nicht nachdenken, das tun hunderttausende Volkswirte, unter anderem beim IMF in Washington.

Die Frage, ob Wohlstand und Frieden zusammenhängen, muß man dort aber nicht mehr stellen, das ist längst beantwortet. Die Frage lautet viel mehr: wie sehr beeinflussen Konflikte das Wirtschaftswachstum? Besonders interessant ist das im Zusammenhang mit dem ewigen Sorgenkind Afrika, das neben vielen traurigen Rekorden auch mehr ethnische Gruppen und bürgerkriegsähnliche Konflikte verzeichnen kann, als die meisten anderen Regionen dieser Welt. Da für die koloniale und postkoloniale Grenzziehung Fragen der Stammes- oder Volkszugehörigkeit nicht übermäßig relevant waren, springen ethnische Konflikte in Afrika schnell auf Nachbarländer über. Der Bürgerkrieg im Kongo, in Rwanda, Uganda und in Burundi hat über die Jahre geschätzte 5 Millionen Opfer gefordert, und wird völlig zurecht manchmal als „afrikanischer Weltkrieg“ bezeichnet. Unter solchen Bedingungen kann Wirtschaft natürlich nicht wachsen.
Bürgerkriege untergraben die Fundamente von Recht und Gesetz, mindern Produktionskapazitäten, sowohl menschliche wie auch maschinelle, und blockieren Handelswege. Ohne Lieferung und ohne Verkauf keine Wirtschaft. Nicht zu reden von den Auswirkungen auf den Staatshaushalt, Militärausgaben und den materiellen Kosten zerstörter Infrastruktur.
Wissenschaftler haben versucht, die Kosten für Konflikte zu schätzen und haben festgestellt, daß ein Bürgerkrieg – basierend auf einem größeren cross-country sample – geschätzte 2 % Wachstum pro Jahr kostet. Dies nur für das bürgerkriegsführende Land, ohne Berücksichtigung von indirekt betroffenen Nachbarstaaten oder regionalen Auswirkungen.
Ein anderes Beispiel: eine empirisch basierte Schätzung der Transitionskonflikte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in verschiedenen osteuropäischen Ländern kam zu dem Ergebnis, daß die Konflikte das Wachstum der Region zwischen 1984 und 1994 um etwa 9% gemindert haben. Wenn man bedenkt, daß wir heute schon über 2 % Wachstum froh wären, sind 9 % wirklich eine ganze Menge – für vergleichsweise harmlose Konflikte.

Etwas detaillierter und in Richtung soziologische Voraussetzungen für Bürgerkriege, kann man auch schauen, wozu ethnische Fragmentation innerhalb von Ländern führt. Ohne die verschiedenen verwendeten Maße für ethnische Diversität zu erläutern, kann man zusammenfassend sagen:

The data indicate that high levels of ethnic diversity are strongly linked to high black market premiums, poor financial development, low provision of infrastructure, and low levels of education. Although ethnic diversity is not significantly correlated with every economic indicator, the evidence is consistent with the hypothesis that ethnic diversity adversely affects many public policies associated with economic growth.

Nun kann man als hartherziger Kapitalist natürlich sagen: was scheren mich die Konflikte in Afrika, das bißchen Kobalt aus dem Kongo und Kaffee aus den Nachbarländern ist nicht von weltmarktbestimmender Bedeutung, aber man kann diese Zahlen als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen nehmen.

Man kann sich auch die Konsequenzen der Piraten vor Somalia anschauen, um ein Gefühl für die endlose Ketten von Verbindungen im Welthandel zu bekommen. In 2008 wurden im Golf von Aden 115 Schiffe gekapert, für etwa die Hälfte wurden Lösegelder von 1 bis 1,5 Mio. USD gezahlt. Das kann man wirklich verschmerzen, das können wir uns locker leisten, und die paar philippinischen Matrosen, die einige ungemütliche Monate verbringen müssen, haben eben Pech gehabt. Zumal umgelegt auf die 20.000 Schiffe, die jedes Jahr durch den Golf von Aden fahren, ist die Piraterie kein Drama. Damit hört das Problem aber nicht auf: die Versicherungen für Schiffe auf dieser Passage vervielfachten sich, von 500 USD in 2008 auf 20.000 USD in 2009. (Daten von hier). Angesichts dieser Kosten – und des bleibenden Risikos – erwägt man als Reeder andere Routen, aber 3.500 Meilen Umweg sind nicht zu verachten. Das dürfte ungefähr zehn Tage Zeit kosten, pro Passage, macht 200.000 Schiffstage mehr im Jahr, wenn alle Schiffe umgeleitet würden. Das ist auch eine Menge. Schiffe liegen nicht einfach untätig auf Reserve in Häfen, Schiffe fallen auch nicht einfach vom Himmel, und wollte man so etwas stringent durchziehen, müssten die 200.000 Tage eingespart werden – bei steigenden Frachtpreisen, denn gestiegene Nachfrage wirkt auf den Preis. Nicht zu reden von dem Kraftstoff, der durch den Umweg verbraucht würde, den Personalkosten, den Umweltfolgen. Mit Sicherheit würden die I-Phones aus China und T-Shirts aus Bangladesh teurer werden, vielleicht müssten wir auch auf ein paar Kisten Bananen aus Lateinamerika verzichten bzw. uns zwischen Bananen oder I-Phones entscheiden. Oder uns würden Container für den Abtransport unserer Exportautos und Exportmaschinen fehlen – auch das wäre weniger gut. Was genau passieren würde, höhere Preise, Containerknappheit, Güterknappheit oder Güterabwägung, kann niemand sagen – aber es würde nicht ohne Konsequenzen bleiben. Weniger vielleicht für Menschen, die ihr Obst nach Saison kaufen, Fleisch vom Bauern ihres Vertrauens und mehr Geld für Bücher als für Technikspielereien ausgeben. Mehr für jene Menschen, denen das I-Phone als Statussymbol wichtig ist, der Fernseher die beste Form der Unterhaltung, und der Einkauf von unverarbeiteten Lebensmitteln ein Abenteuer. Weniger für Ärzte und Buchhändler, mehr für Industriearbeiter und Autofirmen-Manager. Das wäre wirklich nicht schön, und da kann man doch froh sein, daß die internationale Staatengemeinschaft sich entschlossen hat, dieser Piraten-Bedrohung des Welthandels durch militärische Mittel zu begegnen. Es gibt übrigens auch eine Schätzung, was ein Pirat so verdient, dafür daß er seinen Kopf so weit aus dem Fenster streckt: Der Chef Pirat am Schreibtisch mit der Finanzierung im Hintergrund verdient etwa 120.000 USD pro Jahr, die verzweifelten armen Schweine an Bord 15.000 USD pro Jahr. Wobei das in Afrika natürlich viel Geld ist. Trotzdem: für einen reichlich riskanten Job, ohne Sozialversicherung.

Die zwei Prozent Wachstum, die die Wirtschaftskrise gerade gefressen hat, sind ja schon hart und das spüren wir allenthalben, Zeitarbeit, Kurzarbeit, defizitärer Staatshaushalt und so. Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, daß wir bei der nächsten Anfrage der NATO um ein paar Überwachungsflugzeuge „nein“ sagen, wir sagen überhaupt „nein“ zu allem, was die Amerikaner von uns wollen, weil wir ein souveräner Staat sind. Der Rest der Welt sieht das anders und betreibt weiterhin strategische, pragmatische Außenpolitik, zieht sogar im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an einem Strang, aber wir sagen „nein“. Moralisch wäre das vermutlich in vielen Fällen durchaus richtig, aber wenn die Amerikaner eine Angelegenheit zum nationalen Heiligtum erküren und sich nicht darauf beschränken, Volkswagen in Peoplecar umzubenennen (wie seinerzeit die Freedom Fries), sondern Millionen US-Bürger statt Audi, BMW und Volkswagen nun Toyota und Chevrolet kaufen, dann ist es mit der Gemütlichkeit und den Opernhäusern in dummen, kleinen Provinzstädten möglicherweise schnell vorbei.

Niemand weiß, ob, wann und wo die nächste große Krise stattfinden wird. Bestenfalls gar nicht oder wenigstens weit weg von Ölpipelines und Handelswegen, aber selbst dann ist es in einer komplexen Wirtschaftswelt nicht leicht, die Konsequenzen einzuschätzen. Einer unserer großen Politiker würden sagen: We are all sitting in one boat. Meines Wissens hat sich noch niemand die Mühe gemacht, in einem Modell zu simulieren, welche Auswirkungen ein größerer regionaler Konflikt auf den Welthandel und auf einzelne Länder hätte. Aus gutem Grund: die Weltwirtschaft würde in ihrer Komplexität jedes noch so raffinierte Modell und jede noch so umfangreiche Rechnerkapazität sprengen. Und deswegen weiß niemand, was passiert, sollte es unwahrscheinlicherweise irgendwo richtig krachen.
Rationalerweise kann es in niemandes Interesse sein, der Weltwirtschaft zu schaden, aber niemand garantiert, daß nicht irgendein fehlgeleiteter Politiker oder irrer Militärputschist noch rational handeln wird, wenn er am Drücker sitzt.

Ich bin nicht für Wirtschaftskriege. Die amerikanische Strategie, wichtige und unterlegene Ölländer zu besetzen, andere Staaten als Erfüllungsgehilfen ihrer Interessen zu mißbrauchen und dabei gleichzeitig ihrer Souveränität zu berauben ist verachtenswert und schändlich. Umso mehr, wenn sie mit dem Mäntelchen der Demokratisierung behängt wird. Unsere Autos und unser Wohlstand sind auch keine Menschenleben wert, nicht Soldatenleben und nicht Opferleben an irgendeinem gottverlassenen Fleck dieser Erde. Aber zu behaupten, daß internationale Wirtschafts- und Handelspolitik nicht ein Kernbestandteil der deutschen Außenpolitik sind, halte ich für naiv. Das kann nur sagen, wer die Konsequenzen nicht bis zum Schluß durchdacht hat. Denn sollte es irgendwann irgendwo zu einem gravierenden Konflikt kommen, was passiert mit uns in Deutschland, wenn das Öl unbezahlbar wird, wenn wir keine Rohstoffe für all die technischen Spielzeuge mehr bekommen, die wir so schätzen, keine Materialien für die Autos, die wir bauen und in alle Welt verkaufen, und im Winter über jede Vierteldrehung am Heizkörper fünf Mal nachdenken müssen? Wenn sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland verdoppelt, gleichzeitig die Staatseinnahmen einbrechen (ohne Unternehmensgewinne keine Staatseinnahmen), und wir ganz nebenbei, sozusagen als Collateral Damage, mehr Asylanträge als jemals zuvor erhalten von alle den verzweifelten Flüchtlingen aus einer zusammenbrechenden Region?
Das ist hoffentlich natürlich ein völlig unrealisitsches Alptraumszenario, aber nach reiflicher Überlegung und Abwägung, scheint es durchaus in unserem Interesse, internationale Krisenherde im Auge zu behalten und uns notfalls auch um Stabilität in entlegenen Regionen zu kümmern. Oder aber wir werden wirklich konsequent, ändern unser Konsumverhalten, hören auf, Billiggüter aus aller Welt über die Meere zu schiffen, reduzieren den Ölverbrauch und werden ein weitgehend export- und importunabhängiges Land. Dann könnte uns die internationale Weltwirtschaft vielleicht egal sein und wir können die Pazifisten werden, die wir gerne wären. Aber beides: den Kuchen essen und gleichzeitig behalten, wird möglicherweise schwierig.

Es gibt aber noch eine andere Perspektive, die ich noch wichtiger finde: nicht nur im eigenen Interesse sollten wir an anderen Regionen in der Welt Anteil nehmen. Sondern vor allem aus Humanismus und Gerechtigkeit und menschlichem Mitleid mit den Schwächeren dieser Welt. Wir schicken deutsche Polizisten und Soldaten zur Stabilisierung in den Kongo, um weitere Kriege zu verhindern – nur kommt da niemand auf die Idee, von Wirtschaftskrieg zu sprechen, weil es keine offensichtlichen wirtschaftlichen Interessen und keine Toten gibt. Davon abgesehen bekommt allein die Demokratische Republik Kongo von uns 12-14 m Euro jährlich. Und Afghanistan 80 m Euro pro Jahr (zwischen 2005 und 2008). Man kann aber nicht alles mit Geld kaufen. Frieden zum Beispiel.

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Sonntag, 23. Mai 2010
Reisebekanntschaften
Eine der guten Seiten an infernalischen Reisebegebenheiten wie meinem Heimflug ist die engere Bekanntschaft mit Menschen, mit denen man sonst niemals ein Wort gewechselt hätte. Zum Beispiel die kongolesische Maman, die mir erst den Platz wegnahm ( free seating, today) und danach die endlosen Wartezeiten Spitzendeckchen-häkelnderweise rumbrachte. Oder die Französin in meinem Alter, mit dem sicherlich fünfzehn Jahre älteren afrikanischen Ehemann und den beiden entzückenden kleinen Jungs, die ich sogar dann noch reizend fand, als sie längst schon ohne Unterlaß brüllten vor Müdigkeit und Irritation. Der Papa so liebevoll, die Mama so geduldig und die Jungs so niedlich, daß ich sie am liebsten geklaut hätte.
Die beiden afrikanischen Mitreisenden, mit denen ich im Frühstücksraum ins Gespräch kam, alle Sorgen eines langen Wartetages und ein Auto zum Flughafen teilte, um den Rest des Tages wie die Spatzen auf der Stromelitung aufgereiht auf dem stillstehenden Gepäckband wartenderweise hockte. Wir jammerten ohne Unterlaß, lachten ungläubig über die Unfähigkeit von Ethiopian und bewachten bei Besorgungen gelegentlich gegenseitig unser Gepäck. Der eine kam vom Einkauf beim Kiosk wieder und brachte jedem eine Packung Kekse und eine Dose Cola mit – kleine Freundlichkeiten unter Leidensgenossen, die ich sicher nicht vergessen werde.

Am bemerkenswertesten jedoch waren die beiden jungen Männer, die auch nach Frankfurt wollten. Der eine von Geburt Kongolese und mit dem Aussehen einer kleineren Ausgabe des Mr. T aus dem A-Team. Der andere ein braver deutscher Bengel, blond, Anfang dreißig, in schreiend-buntem Hawaihemd, Jeans und Turnschuhen. Höherer Angestellter bei der allseits geliebten Deutschen Bahn. Schon im Flugzeug, während der ersten Warteetappe kamen wir ins Gespräch, während wir uns beide im Galley-Bereich die Beine vertraten, aber erst sechs Stunden später bei einer Zigarette vor der Immigrationskontrolle machten wir uns näher bekannt. Wir plauderten über meine Arbeit, er fragte sehr interessiert nach meinen Erfahrungen und als ich dann freundlich das Interesse erwiderte und mich nach seiner Reise erkundigte, verkündete er, er habe geheiratet. Im Kongo. Er sei also zum ersten Mal für drei Wochen im Land gewesen. Das Abziehbild von Mr. T und er seien nämlich alte Fußballkumpels und irgendwann habe er sich - aus unerwähnt gebliebenen Gründen - von seiner damaligen Freundin getrennt und dann übers Internet und Telefon die Schwester von Mr. T kennengelernt. Auf diesem Kommunikationsweg sei man füreinander entflammt, und nun habe man geheiratet, in Kinshasa. Mit einer Ministerperson als Trauzeuge, und im Beisein der gesamten kongolesischen Familie und großem Aufwand. Er zeigte ein Din A 3 großes, kitschiges Fotoalbum her, daß er die ganze Zeit unterm Arm trug und ich konnte Fotos der durchaus feudal ausstaffierten Feierlichkeiten, eines glücklichen Bräutigams und einer ausnehmend schönen, aparten junge Frau besichtigen. Dunkle Anzüge, pastellfarbene Kostüme, zarte Hutkunstwerke, Sektgläser und alles. Wo denn aber die Braut sei, wollte ich gerne wissen? Die müsse nun leider als Ausländerin auf ihr Visum warten, seine Aufgabe sei es, zu Hause den Papierkrieg und die Nachholung der Glücklichen einzuleiten. Deutsch lerne sie allerdings schon, in Erwartung der Übersiedlung, mit der man in ungefähr sechs Monaten rechne. Mr. T stand daneben, nickte zustimmend und immer noch sehr angetan von der ganzen Angelegenheit. Ich drückte ausreichendes Bedauern für die anstehenden Schwierigkeiten aus, wie auch für das unrühmliche Ende dieser ansonsten so freudigen Reise. Konnte aber nicht umhin, mich zu wundern.

Ich meine: das machte alles wirklich nicht den Eindruck einer um der Staatsbürgerschaft arrangierten Heirat, aber zum Teufel: wie kann man jemanden heiraten, den man noch nie gesehen hat? Ich verstehe durchaus, daß man sich auch übers Internet verlieben kann (Kandidaten, die sich in meine grandiosen Blogbeiträge verliebt haben, dürfen sich gerne melden, bmB), aber dann trifft man sich doch vielleicht erst mal? Verbringt möglicherweise wenigstens ein oder zwei Urlaube miteinander, wenn denn die Entfernung dem probeweisen Zusammenleben unüberwindbare Hindernisse entgegenstellt? Es will mir schlicht nicht eingehen, wie jemand mit Universitätsabschluß und scheinbar völlig normalem Leben ohne sofort offensichtliche Absonderlichkeiten im Verhalten sich über die moderne Telekommunikation in eine Frau verlieben und schwuppdiwupp in den Kongo zur Heirat fliegen kann. Echt nicht.

Aber eine Bereicherung meiner Reiseerfahrungen war es auf jeden Fall, wir haben uns nett die Wartezeiten vertrieben (und davon hatten wir ja reichlich). Ich bereue inzwischen, daß ich das Fotoalbum nicht ausführlicher in Augenschein genommen habe, aber dafür war ich zu unruhig und gedanklich nicht frei genug, in dem Moment. In Addis haben wir uns am Transferschalter aus den Augen verloren, die beiden haben vermutlich vom Hotelangebot Gebrauch gemacht und sind erst später weiter nach Europa geflogen. Und ich sitze in der Schweiz und frage mich zuweilen, was wohl auch den vielen lieben Mitreisenden geworden ist.

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Dienstag, 18. Mai 2010
60 Stunden
Das hier,



ist die Aussicht, die ich am Tag meiner Abreise acht lange Stunden genießen durfte, von gleißender Mittagssonne bis nächtlicher Dunkelheit. Das war, nachdem ich morgens eingedenk der Anmerkung auf meinem Flugplan no meal service im Hotel Sandwiches geschmiert, und schon beim Flughafentransport die ersten Schwierigkeiten zu bewältigen hatte. Um zehn Uhr morgens nämlich, zur vereinbarten Zeit, saß ich gepackt und gestriegelt in der Lobby, wer nicht kam, war der Fahrer des Flughafen-transportunternehmens. Telefonisch war selbstverständlich auch niemand zu erreichen, das wäre ja beinahe Kundenservice gewesen. Um viertel nach zehn wurde ich panisch, um zwanzig nach zehn bot mir ein Kollege seinen Fahrer an, um halb elf waren wir auf dem Boulevard und – sahen den Flughafenzubringerbus vor uns zum Hotel abbiegen. Wir hinterher, ich Fahrer klein gemacht für dreißig Minuten Verspätung, dann umgestiegen. Immerhin, wir waren rechtzeitig am Flughafen, ich bin mit den Transportheinis mit zum Check-in gegangen, unwillig, meine Kofferkombination herauszurücken, wo ich dreißig lange Minuten vom klimatiiserten Check-in Büro von Air France geträumt habe. Die Prozeduren sind natürlich immer dieselben, vorläufige Passkontrolle, Gepäckkontrolle (ich hasse es, wenn die dreckigen Pfoten meinen Koffer als einen von hunderten durchwühlen, alles unordentlich machen und am Ende nichts mehr so liegt wie gepackt), aber da muß man durch, bevor man nach der Koffer-Gewichtskontrolle endlich einchecken darf. Immerhin, nach eindringlicher Anweisung, ich wolle unbedingt einen Fensterplatz, beschaffte mir der Transportheini tatsächlich selbigen und sogar in der Reihe mit großer Beinfreiheit. Die Vorfreude hielt gerade eben bis zum leicht verspäteten Boarding – dreißig Minuten sind beinahe noch pünktlich zu nennen – auf meinem Platz saß nämlich schon eine opulent, volkstümlich mit vielen Glitzerstreifen und riesigem Ausschnitt gewandete Madame, die im weiteren Verlauf der kommenden 48 Stunden immer wieder zu silber-weißem Häkelgarn griff und Deckchen häkelte.
Jedenfalls, die Madame wollte keineswegs meinen lottogewinnmäßigen Platz aufgeben und die Stewardess belehrte mich: Free seating, today. Ich nahm den Fensterplatz in der Reihe dahinter, auch in Ordnung, neben einem massigen Afrikaner auf dem Weg nach Rwanda (ja, natürlich, gleich um die Ecke und Addis ein echter Umweg, aber die schnellste offizielle Verbindung). Um drei rollte das Flugzeug los, die Turbinen heulten auf, neben mir vibrierte das Triebwerk voller Erwartungsfreude, dann der Captain: Ladies and Gentlemen, this is your Captain speaking from the flight deck, we have some minor problems with the left engine and are returning to the gate for checking. Sorry for this but we have your security in mind. Nun ja. Nebenbei bemerkt: Gates gibt e shier natürlich keine, sondern nur eine Abflughalle, wenn ein Flug bereit ist, läuft jemand in gelber Weste einmal durch und brüllt: SA, SA! oder: Air France!, für die Maschinen gibt es verschiedene Parkpositionen, mittlerweile muß man aber immerhin nicht mehr übers Rollfeld laufen sondern wird von Bussen gefahren. Nach dieser Ansage rollte die Maschine zurück zur Parkposition, Arbeiten am linken Triebwerk wurden aufgenommen und das Kabinenpersonal hielt uns mit Futter bei Laune. Die Qualität des Essens ist dafür zwar nicht unbedingt geeignet, dennoch vergingen knappe zwei Stunden einigermaßen kurzweilig, bis zum nächsten Versuch. Zwischendurch fragte eine Stewardess mich, ob die Raumtemperatur angenehm sei, die Klimaanlage liefe auf voller Stärke, mehr könne man nicht machen. Meine Antwort, daß die Raumtemperatur mein geringstes Problem sei – mein Anschlußflug in Addis wurde mit jeder Minute unerreichbarer – begriff sie nicht so ganz. Um kurz vor sechs standen wir erneut auf der Startbahn, Triebwerke heulten auf, beruhigten sich wieder, die Minuten vergingen, bis der Pilot erklärte, es sei nun ein neues Problem aufgetreten, man wolle noch einmal die Techniker rufen. Die Passagiere wurden unruhig, fingen an zu murren, dann zu schimpfen, die Stewardessen glänzten durch wenig Auskunftsfreude, hinten standen die ersten auf, fuchtelten wild herum, begannen von hinten zu drängen und zu schubsen, innerhalb von Sekunden kippte die Stimmung und mir wurde vor soviel Wut ganz Angst und Bange. Das Auftauchen eines Ethiopian Airlines Vertreters befeuerte weitere Gefühle, jeder wollte mit ihm reden, Fragen stellen, ihn packen und eine konkrete Antwort aus ihm herausschütteln. Angesichts der angespannten Stimmung auf den billigen Plätzen im hinteren Teil des Flugzeugs wurden irgendwann die Türen geöffnet und so standen wir dann neben der Maschine am Rande des Rollfelds, um uns herum die tiefschwarze, drückend-schwüle, afrikanische Nacht, ein paar Techniker, eine Menge Sicherheits-Hilfspersonal, aber niemand von Ethiopian, niemand, der uns die weitere Planung erklärt hätte. Einige indische Passagiere wurden von einem Sicherheitsmann angefahren, als sie mit ihren Handys Fotos von sich und der Maschine machen wollten und mußten die Bilder – nach meiner Übersetzung – unter den Augen des Beamten löschen. Nach und nach fielen die Mücken über uns her, auf dem Hinflug hatte ich – unter Berücksichtigung aller Eventualitäten – noch Repellent dabei, diesmal nicht, die Mücken aber hatten ein Festmahl an uns. Zwischen den Mücken flogen die Gerüchte um mich herum, ein Triebwerkproblem, oder doch nur ein Instrumentenproblem der Anzeige, ein Licht kaputt, Freigabe vom Bodenpersonal, aber der Pilot verweigere den Start, Verhandlungen mit Autoritäten, bald ein Wartesaal, oder gleich ein Hotel, man sei noch mit Reparaturen beschäftigt, ein Ersatzteil fehle, nur Hewa Bora könne eventuell helfen. Um mich herum Passagiere in immer neuen Gruppierungen, wann immer jemand offiziell aussehendes auftauchte, bildeten sich Menschentrauben um die Person herum, die schnell laut und aufgebracht wurden, wütende Afrikaner haben eine ungemein laute, etwas vulgäre Tonlage, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, bei der einem selbst die Vokale wie abgeschossene Kugeln um die Ohren fliegen und mir Kopfschmerzen machen. Trotz meiner Neugier hielt ich mich von den Gruppen entfernt, wollte ich doch lieber nicht in der Nähe drohenden Ärgers sein, wehrte etliche Flirtversuche von kongolesischen Mitreisenden ab, übersetzte französische Auskünfte für mitreisende Inder und fand die ganze Angelegenheit noch reichlich amüsant – mein Anschlußflug definitiv verpasst, konnte ich für den Moment ohnehin nichts ändern.
Gegen acht zog endlich einer der wartenden Busse vor bis zu unserer Maschine, wer wollte, wurde in einen Wartesaal am anderen Ende des Terminals verfrachtet. Es gab – endlich! - Klimaanlage, wir konnten Getränke kaufen, und reichlich großzügige Sitzgelegenheiten, außerdem eine Zigarette plus Plausch mit den Sicherheitskräften für Raucher wie mich. Die Verhandlungen von Ethiopian mit der Flughafenaufsicht über die Verfügbarkeit eines geeigneten und separaten Wartesaals, so erfuhr ich, hätten sich leider etwas hingezogen, aber hier könnten wir nun bleiben. Für eine Stunde nur, wie sich herausstellte, denn inzwischen war die Maschine – ganz sicher, selbstverständlich! - repariert worden. Beim Verladen der Passagiere in den Bus entspannen sich erneut wilde Diskussionen, einige wollten in dieses Flugzeug ganz sicher nicht mehr einsteigen, die Sicherheit, die Gefahr, keinen Fuß mehr würden sie, ... . Bis alle Passagiere wieder an ihren Plätzen saßen, der Müll ein letztes Mal ausgeladen worden war (auf keinen Fall durch die Business Class hindurch – mittlere Tür öffnen zum Abtransport, beharrte ein Ethiopian Mitarbeiter), Verpflegung und Getränke wieder verladen waren, wurde es neun, ein drittes Mal an diesem Tag erklärten uns die Kunstfiguren im Sicherheitsvideo, wie mit dem Anschnallgurt und den Sauerstoffmasken zu verfahren sei - ein zunehmend glaubwürdiges Szenario -, während wir Richtung Startbahn fuhren. Schneller als die vorigen Male verkündete der Kapitän dieses Mal: die Maschine sei immer noch defekt, man werde nun ans Gate zurückkehren. Erneut Schimpfen, Streiten, wütender Aufruhr unter den Passagieren, die nach acht Stunden eingepfercht in der Maschine jegliche Geduld verloren hatten. Kurz darauf fanden wir uns im Ankunftsbereich vor der Immigrationskontrolle, wie schon den ganzen Tag verkündete ein Ethiopian Mitarbeiter inmitten einer Traub aufgebrachter Passagiere Ansagen, die außer den direkt Umstehenden niemand verstand und verschwand dann, wir blieben zurück. Die Passagiere mit gültigem Kongo Visum durften gleich raus auf den Parkplatz, jene aus Brazzaville mußten sich ein – wie üblich umständlich und mit Zeitaufwand zu vergebendes – Stempelchen holen, dann der Parkplatz vorm Gebäude, ruhig wie ich ihn noch nie erlebt hatte, voller müder, abgeschlagener und ratloser Passagiere. Man würde uns nun, so sickerte nach und nach durch, mit Bussen in Hotels verbringen für die Nacht, und morgen Mittag ausfliegen. Selbstverständlich trage Ethiopian alle Kosten und würde sich kümmern, angesichts der schmalen Auswahl an Hotels und der fortgeschrittenen Stunde – inzwischen Mitternacht – sei man jedoch dankbar, wenn sich wer könne ins eigene Heim begeben würde. Schneller als erwartet kam ein Bus, unter erheblichem Drängen und Schieben quetschten wir uns hinein, nur keine Rücksicht auf Kranke oder Eltern mit kleinen Kindern, auch hier der Kongolese sich selbst der nächste, drei pro Bank auf der einen Seite, zwei auf der anderen. Sechs Monate im Kongo haben für manche abenteuerliche Fahrt in halsbrecherischem Tempo über die desolaten Straßen gereicht, aber an diesem Abend wurde ein neuer Höhepunkt erreicht. Viel zu schnell krachte der Bus die Abbruchkanten der Schlaglöcher hinunter, die Passagiere wurden hin- und hergeworfen, kreischten bei besonders heftigen Erschütterungen, der Bus krachte und ächzte, dazwischen Vollbremsungen – mehr als einmal sah ich mich nach gescheitertem Flug in einer defekten Maschine in einem überfüllten Bus zu Tode kommen und dankte dem Schicksal für einen Sitzplatz – auf dem Mittelgang nämlich standen eine Handvoll bedauernswerter Mitleidender und krallte sich an den quietschenden Stangen fest. Das erste Hotel nicht gerade eine Zierde seines Metiers. Trist, heruntergekommen, schon der Eingangsbereich dreckig, wieder Gerüchte über die Zimmerzahl und den Zimmerzustand, in verstörend langsamen Tempo wurden Namen und Passnummern notiert, Schlüssel verteilt, ich landete in der Schlange ganz hinten, konnte aber auch daran etwas Gutes finden, als eine Familie mit Kindern zurückkam vom Zimmer, und empört erklärte, sie würden sich jetzt selber etwas Angemessenes für die Kinder suchen. Der Bus nahm ein kleines Grüppchen von elf unterkunftslosen Passagieren auf, dazu einen kongolesischen Ethiopian Mitarbeiter, der mich aufgrund seiner Tätigkeit – vor Jahrzehnten, wohl – für die Lufthansa, zu seiner besonderen Freundin und Protégée auserkoren hatte und wir fuhren weiter nach Gombe, wo alle angenehm überrascht vor einem sehr sauberen, durchaus akzeptablen Hotel ausstiegen. Der ET Mitarbeiter war sichtlich mit sich zufrieden wie auch mit unserer Zufriedenheit, bis zum ersten Gespräch mit dem Rezeptionisten: Ethiopian? Nein, von denen habe niemand angerufen. Der Chef würde aber gleich.... vorerst aber lag der Chef noch mollig zugedeckt im Gebläse der Klimaanlage ausgestreckt auf einem Sofa, ein Telefon auf dem Bauch, und plauderte. Als er sich endlich bequemte, seine Aufmerksamkeit uns zuzuwenden, wurde schnell klar: ohne umgehende Bezahlung in Bar oder einen offiziellen Schrieb der Airline – beides um diese Zeit gänzlich unmöglich zu beschaffen – würde hier keiner von uns seinen Kopf zur Ruhe betten können. Aus unerfindlichen Gründen verhandelte mein Freund der Airline-Vertreter den aussichtslosen Fall weiter, stur bettelte er immer wieder, für alle ganz offensichtlich ohne Erfolg, bis wir ihn irgendwann energisch zur Tür rauszwangen. Es folgten Diskussionen mit dem Fahrer, welches Hotel die nächste Option sei, übermütige Passagiere brachten das Memling ins Gespräch, am Ende ging es zu einem weiteren Unterklasse-Schuppen in Flughafen-Nähe. Noch immer herrschte ganz offensichtlich völliges Chaos, wir wurden informiert, es gebe zu wenige Zimmer hier für alle Verbliebenen Reisenden, ein Teil wurde wieder in den Bus verbracht, mein Freund und Beschützter verkündete Du hierbleiben, Zimmer sind gut, schüttelte mir enthusiastisch die Hand und verschwand, während gerade ein weiterer Schwung gestrandeter Passagiere aus einem anderen Bus durch die Tür kam. Diesmal gab es korrekte Formulare auszufüllen, auch hier jedoch keine Schlüssel, wir wurden vertröstet, ich hatte einen völlig wirkungslosen Wutausbruch, der weitere Aggressionen von anderen Reisenden befeuerte, irgendwann um drei Uhr nachts saßen wir alle im schäbigen Restaurant des Hotels. Keine Schlüssel, keine Informationen, keine konkrete Aussicht auf ein Bett, dafür dreckige Tischdecken, zusammengeknüllte Wäscheberge, und eine auf fettige Fritten und öltriefendes Omelette beschränkte Speisekarte. Keine Zigaretten, nebenbei bemerkt - meine Packung hatte ich im Laufe des Tages großzügig und brüderlich mit zunehmend verzweifelten Passagieren geteilt. Ein paar von uns, offenbar schon vor einer Weile hier eingetroffen, hatten noch Zimmer bekommen, genossen ihr Essen und verschwanden wieder. Um halb vier stellte ich in meiner Verzweiflung einige Stühle aneinander, packte das in weiser Voraussicht im Flugzeug eingepackte Kissen aus und streckte mich lang aus. Während ich mich auf eine Nacht in dieser Position mental einzustellen versuchte, dann doch noch eine Flasche Wasser bestellte und innerlich aufgegeben hatte, sprach mich eine kongolesische Mitreisende jüngeren Alters an: sie hätten zu dritt zwei Doppelzimmer bekommen, ob sie mir einen Platz anbieten könnten? Ich war unendlich dankbar, hätte zu diesem Zeitpunkt auch eine Fußmatte vor der Tür akzeptiert, und konnte mein Glück kaum fassen, als sie zu ihren Freundinnen umzog und mir ihren Schlüssel abtrat. Das Zimmer sei, allerdings, in der Dependance die Straße runter, ich müsse das Hotel um Begleitung dorthin bitten. Was ich tat, was mir zugesichert wurde, dann stand ich auf der Straße zwischen drei Autos, etlichen Kongolesen, einem Polizisten in Kugelschutzweste (ein seltener Anblick, nicht gerade beruhigend) und ein oder zwei anderen Passagieren. Ich solle in dieses Auto einsteigen, dann doch in jenes, dieser Herr hier, oder doch jener, werde sich um mich kümmern, ich solle ruhig dem Polizisten vertrauen... nach zehn Minuten hin und her verpflichtete ich den Hotelangestellten, mich persönlich zu begleiten, zu sonderbar war das alles, aber dann stand ich wenig später tatsächlich in einer kleinen Butze. Nicht sauber, aber auch nicht völlig eklig, das Bett mit Staub etwas vollgekrümelt, aber frisch gemacht (durchaus, möglicherweise, sogar frisch gewaschen), die Dusche und Toilette hinter einer plastikenen Stellwand, kein fließend Wasser, keine Seife, eine nur schwächliche Klimaanlage. Mir war alles egal, ich zog die volle Wassertonne zur Dusche rüber, hockte mich hin, schöpfte mir das Wasser mit den hohlen Händen über die Schultern und fühlte mich immerhin sauberer als seit vielen Stunden. Haarewaschen fiel mangels Shampoo aus, obwohl dringend nötig, bevor ich mich in der Einflugschneise der Klimaanlage zur Ruhe bettete - ohne wäre unerträglich gewesen. Vier Stunden später wurde ich von der großzügigen Eigentümerin des Zimmers geweckt, die ihre Tasche holen wollte, nein, die vor der Badkabine stehenden Flipflops seien nicht ihre (wessen denn dann?), nach dreißig Minuten ratlosen Austauschs mit anderen Passagieren im Frühstücksraum brachte man uns Omelette und Kaffee, wir zogen Erkundigungen ein. Wann würde der Bus uns am Hotel abholen und zum Flughafen bringen? Würde die Maschine wie am Vorabend angekündigt um Mittag starten? Von verschiedenen Quellen wurde uns mitgeteilt, Ersatzteile seien mit der täglichen Maschine aus Addis unterwegs, mitsamt Technikern, man würde uns dann mit der reparierten Maschine auf die Reise schicken, aber auch, die Maschine aus Addis sei größer als sonst, und wir prioritär vor den heutigen Passagieren für den Flug nach Addis vorgesehen, es wurde geraten, so schnell wie möglich am Flughafen aufzutauchen, der Bus würde erst später kommen. Die anderen schlugen ein Taxi vor, ich riet ab, konferierte mit Kollegen, dann wurde jemand von Bekannten abgeholt und ich mitgenommen. Am Flughafen stellte sich die Situation kein bißchen rosiger dar: der Manager noch beim Frühstück mit der Familie – hätte man den Auskünften der Mitarbeiter geglaubt, hätte er allerdings am Ende fünf Stunden „auf dem Weg zum Flughafen“ verbracht – eher unwahrscheinlich. Das anwesende Personal nicht entscheidungsberechtigt, Addis telefonisch nicht erreichbar, am Check-in Schalter auf der anderen Seite das ganz normal Chaos der Passagiere für den neuen Flug zuzüglich der immer noch aufgebrachten und in ihrer Übermüdung verzweifelten Passagiere des Vortags, und ich verbrachte den Tag, von der Ankunft am Flughafen um halb elf bis zum Abflug viele Stunden später mit der Jagd nach Ethiopian Mitarbeitern und telefonischen Konferenzen mit den Kollegen im Büro. Alle Optionen habe ich vielfach erwogen und je nach Situation wieder verworfen, den Versuch, auf die heutige Maschine umzubuchen (die allerdings ausnahmsweise erst nach der Landung in Kinshasa nach Brazzaville zum Zwischenstopp fliegen würde und damit für meinen Anschluß in Addis zu spät wäre), die Umbuchung auf einer andere Airline, bei der ich am nächsten Morgen um zehn in Frankfurt gewesen wäre, habe über Umbuchungen, Zeitpläne und Kofferausladung verhandelt, nach Managern verlangt und geweint, mit unfähigem Personal diskutiert und doch am Ende nichts erreicht. Ich habe auf Gepäckbändern gestanden, um mich zu den Verantwortlichen durchgzukämpfen, habe Informationen erhalten, die nie bestägt und Zusagen erhalten, die später gebrochen wurden. Man tritt zum Schalter, am Spätnachmittag inzwischen leer, immer noch ohne Bordkarte für den einen oder anderen Flug in Händen, auch aus Unschlüssigkeit. Hinter dem Schalter, ein Stück entfernt, auf dem Rand des Gepäckbands drei Mitarbeiter des Flughafens, verantwortlich auch für Ethiopian. Ich lege meinen Pass auf den Counter und gucke fragend. Meine Gegenüber gucken ebenfalls fragend, machen aber keine Anstalten aufzustehen. Ich mache eine auffrodernde Kopfbewegung, einer winkte mich am Schalter vorbei heran. Ich informiere ihn über die Distanz, daß ich als Kundin erwarte, daß er zu mir kommt, nicht umgekehrt. Er steht langsam auf, Schritte wie in Zeitlupe. Ich erkläre mein Anliegen, verlange einen Ethiopian Mitarbeiter zu sehen. Da könne er mir nicht helfen. Ich erbitte eine Auskunft über die aktuelle, geplante Abflugzeit. Das wisse er nicht. Was er denn sonst für mich tun könne? Mir eine Bordkarte ausstellen, mehr nicht. Am Ende sammelt er gegen meinen Widerstand beide alten Bordkarten ein, gibt mir eine neue, handgeschriebene, und läßt mich ziehen. Es ist unmöglich herauszufinden, ob es in Addis außer dem – längst verflossenen – Anschluß noch andere Flüge nach Europa gibt. Jemand schaut nach, will sich nicht recht festlegen. Eine Ermessensfrage zu stellen, soviel habe ich längst begriffen, ist aussichtslos – die Antwort lautet nämlich immer positiv, entspricht aber nie der Wahrheit. Besser ist, ganz konkret nach Fakten im Ja-Nein Stil zu fragen, aber auch damit laufe ich vor unsichtbare Wände. Erst gegen vier, als ich wirklich unter Zeitdruck stehe, mich ihm geradezu körperlich in den Weg werfe, versichert er mir, in Addis – im Hauptquartier! - könne man mir ganz sicher den Weiterflug nach Frankfurt noch am Montag sichern, man könne auf andere Airlines umbuchen, auf andere Zielflughäfen, man würde jetzt gleich auch das Boarding beginnen, ich möge nicht umbuchen.
Unsicher, was der Chef zu den Mehrkosten eines One-Way-Tickets über Brüssel sagen würde, auch unsicher, ob ich überhaupt Chancen hätte, in diesem Chaos mein Gepäck aus der Maschine herauszubekommen und welche Kämpfe dies erfordern würde, bleibe ich bei Ethiopian. Am Vorabend hieß es, die Maschine würde gegen Mittag starten. Mittags heißt es, die Maschine würde noch repariert und getestet, doch spätestens, allerspätestens um 15h30 befinde man sich in der Luft, ganz sicher. Um 15h30 hängen wir zwischen der Paßkontrolle und der Sicherheitskontrolle auf einem 3x8 Metern breiten Zwischenraum fest, lauter Passagiere mit ordentlicher Ausreise am Vortag, aber unordentlicher Einreise nach gescheitertem Abflug. Wir haben Stunden in der Check-in-Halle auf Gepäckbändern gesessen, im Dreck auf dem Fußboden, irgendwann auch im Restaurant auf der Terrasse, jetzt sitzen wir wieder fest. Auf den gedruckten Bordkarten (die wir später zum Austausch für die handgeschriebenen erhalten werden) wird später als Abflugzeit 17h30 stehen, tatsächlich sitzen wir um 20h00 endlich alle wieder auf den Plätzen im Flugzeug. Vorher galt es noch, 200 Passagieren ihre Kompensationsgutscheine auszuhändigen, 200 Passagieren gedruckte Bordkarten auszuteilen, 200 Passagiere durch zwei Sicherheitskontrollen zu schleusen. Ich schmeiße beim Boarding alle Rücksicht über den Haufen, lasse gerade noch Kranke und Kinder vor, aber strebe ansonsten an, die Maschine als eine der ersten zu betreten, ich will, unter allen Umständen, einen vernünftigen Platz, nach diesem Alptraum, um in Addis schnell zum Transferschalter zu kommen. Bei der Kontrolle packt plötzlich mein Freund und Beschützer vom Vorabend (der nach der erfolglosen Hotelsuche in meiner Achtung keinen großen Platz mehr hat) meinen Arm, will sich ausführlich verabschieden, aber ich will nur schnell, schnell zur Kontrolle, zum Bus, zum Flugzeug, mache mich los, winke und verschwinde. Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich tatsächlich auf einem Fensterplatz, direkt hinter der Absperrwand, mit reichlich Beinfreiheit lande. Der Chinese in der Mittelreihe nebenan spricht zwar so laut, daß man ihn beinahe auch in seiner Heimat hören kann, aber dem läßt sich mit Kopfhörern abhelfen und unglaublicherweise, um halb neun, starten wir tatsächlich. Ich gebe zu: bis zu dem Moment, in dem die Maschine beschleunigt, habe ich es nicht geglaubt. Das Abschiedsgeschenk meiner liebsten Katastrophen-Metropole war übrigens der schönste Sonnenuntergang seit langem:



Der Flug nach Addis dauert etwa vier Stunden zuzüglich des Zeitunterschieds, ich gucke den Film – um den Chinesen aus meiner Wahrnehmung auszublenden –, schlafe ein bißchen und um zwei Uhr Ortszeit sind wir in Addis. Gleich hinter dem Gate eine Treppe hinunter ist der Transferschalter und schnell sammeln sich dort 200 müde Passagiere. Ethiopian scheint vorbereitet, jedenfalls vorbereiteter als sie es in Kinshasa waren. Drei Mitarbeiter sammeln Pässe und Reisepläne ein, stellen neue Tickets für den nächsten Anschluß aus und legen gegebenfalls Hotelgutscheine bei. Auch wenn ich als eine der ersten meinen Pass abgebe, dauert es eine Stunde bevor man mir meine Verbindung aushändigt: 22 Stunden später, um 23h00 nach Paris. Weiterreise ungewiss. Ich erkläre dem nächststehenden Mitarbeiter, daß ich dienstlich unterwegs bin, schon die bisherigen 36 Stunden Verspätung inakzeptabel finde und keinesfalls noch mehr draufsetzen werde, sondern vielmehr erwarte, im Laufe des Montags in Deutschland einzutreffen, wie es mir in Kinshasa zugesichert worden war. Unter Verweis auf erstens Anschlüsse von Addis nach Rom im Laufe des Vormittags und zweitens auf meine ungenutzte Option, in Kinshasa so umzubuchen, daß Deutschland am Montagmorgen kein Problem gewesen wäre – wenn man mich nur korrekt informiert hätte. Er nimmt die Unterlagen wieder an sich, zieht von dannen und ich gehe eine rauchen. Eine Stunde später taucht er wieder auf: Weiterflug nach Rom um 23h00, Ankunft in Frankfurt am Dienstag Mittag. Ich sage erneut mein Sprüchlein auf, er sagt, er könne nichts anderes tun, alles ausgebucht, ich bitte, den Manager sprechen zu dürfen. Mittlerweile ist es vier Uhr nachts, ich warte erneut, inzwischen sind die meisten Mitleidenden aus Kinshasa in ihren Hotels untergekommen, allerdings zugegebenermaßen viele, für die es ganz zweifelsfrei nur einen einzigen Anschlußflug nach Dubai, Pekin oder Mumbai gibt. Ich hingegen weiß, daß es morgens mindestens zwei Flüge nach Rom gibt und bei einem davon möchte ich dabei sein. Als ich endlich den Manager zu fassen bekomme, setze ich ihm erneut meine Situation auseinander und mache deutlich, daß ich – hätte man mir in Kinshasa nicht versichert, der Weiterflug von Addis sei kein Problem – umgebucht hätte und mich mittlerweile im Landeanflug auf Brüssel befände. Daß ich als Kunde wirklich genug Unannehmlichkeiten ausgestanden habe und darauf bestehe, daß Ethiopian dieses Problem jetzt sofort in meinem Sinne zu lösen hat, mir ganz egal wie. Er versucht mir zu erklären, daß leider, leider, die von mir angestrebten Flüge alle überbucht sind, hoffnungslos überbucht sogar, woraufhin ich aber entgegne, daß die Flüge nach Kinshasa auch beide überbucht waren, ich das ohnehin generell für eine Unverschämtheit halte, allerdings keinesfalls für mein Problem und er dann bitte jemand anderen, der nicht seit 40 Stunden unterwegs ist, von dem überbuchten Flug runterschmeißen muß. Neben mir verhandelt eine Dame mit ähnlicher Situation, gleichermaßen entnervt, gleichermaßen sachlich und beharrlich im Ton, und am Ende erstreiten wir uns tatsächlich beide Tickets für den 10h00 Flug nach Rom. Den Hotelgutschein, zum Duschen und Frühstücken, bekommen wir trotzdem und so komme ich noch in den Genuß einer Busfahrt durch Addis. Die Luft außerhalb des Flughafens ist erstaunlich kalt und meine Leidensgefährtin erzählt, daß Addis, obwohl kaum weiter entfernt vom Äquator als Kinshasa, auf über 2.000 Metern Höhe liegt. Und das merkt man. Die Luft ist unglaublich klar und frisch, Nebelschwaden hängen über den umgebenden Gipfeln, auch hier: weniger Zerstörung und Elend als in Kinshasa, aber immer noch sehr Afrika. Ohnehin sehen natürlich Äthiopier völlig anders aus, tragen andere Kleidung, und sind überhaupt völlig anders. Das Hotel ist gar nicht übel, das Zimmer in Ordnung, die Dusche göttlich – auch wenn ich mangels Shampoo die Haare mit aufgeschäumter Seife waschen muß, über solche Petitessen will ich nach 45 Stunden nicht meckern. Das Frühstück ist, nun ja, anders. Es gibt Toast in Eierhülle, Bohnen und allerlei sonderbares Zeug aus Rechauds, außerdem frisches Obst, Cornflakes und Marmelade. Normales Brot, Milch und Kaffee hingegen suche ich vergeblich. Wasser in Flaschen ist – für mich – ebenfalls nicht erhältlich, weil man meinen 20-Dollar Schein nicht wechseln kann. Trotzdem werde ich satt, fühle mich geradezu als neuer Mensch und nutze die verbleibende halbe Stunde für einen Ausflug ins Internet – würde ich mich jetzt zum Schlafen hinlegen, ich stände vermutlich für 24 Stunden nicht wieder auf.

Um acht sitzen die andere Kinshasa-Reisende und ich wieder mit unseren Taschen in der Lobby und warten auf die Abholung durch den Ethiopian Bus – vorerst vergeblich. Um halb neun werden wir unruhig, immerhin dauert die Fahrt mindestens fünfzehn Minuten und das Boarding (!) ist für 9h15 angesetzt. Ich muß sogar zwischendurch noch zusehen, daß mein Gepäck neue Anhänger bekommt und mir – so es überhaupt in Addis eingetroffen ist – weiter folgt nach den vielen Planungsänderungen. Als wir zwei gerade den Hotelmanager bitten, uns ein Taxi zu besorgen, trifft endlich der Bus ein und zugegebenermaßen ist der Flughafen von Addis Abeba (immerhin die Homebase von Ethiopian Airlines) doch so übersichtlich, daß wir pünktlich um 9h15 am Gate eintreffen, wo die Sicherheitskontrolle vorgenommen wird. Das dauert, natürlich, wie immer, und bedauerlicherweise kann mir niemand bei meinem Gepäck so richtig helfen. Ich werde immer wieder verwiesen und vertröstet, erst beim Boarding Schalter nimmt man meine Sorge ernst. Das ist, nachdem ich zum ersten Mal im Leben mit einem Upgrade in die Business Class beglückt wurde. Nie habe ich mir dieses Gunst des Schicksals mehr gewünscht, und nie war sie willkommener. Und nun, endlich, schaut die Stewardess fragend: Ihr Koffer? Noch nicht umgeroutet? Ich werde mich erkundigen und falls wir hin noch finden, gebe ich ihnen später den Gepäckschein, vielleicht möchten sie hier warten? Ja, ähem. Falls sie meinen Koffer finden, das klingt leider wenig zuversichtlich, aber ich warte brav und freue mich über mein Upgrade. Im Gespräch mit anderen Passagieren stellt sich heraus, daß sich Ethiopian von der Kombination aus Überbuchung im Vorfeld und zusätzlicher Passagiere durch andere Flüge genötigt sah, eine größere Maschine einzusetzen, was wiederum mir und den vier anderen Kinshasa-geschädigten Passagieren die Freuden der Business Class beschert. Ich gehöre zu den allerletzen, die die Maschine betreten, aber immerhin glücklich mit meinem neuen Gepäckschein in der Hand, doch, man sei ganz sicher, daß der Koffer sich unter mir im Bauch der Maschine befände, und lasse mich auf meinen Platz fallen. Seit nunmehr 40 Stunden schleppe ich ein schmuddeliges, kleines Kissen und die Ethiopian Decke aus dem allerersten Flugzeug mit mir herum, bestmöglich vorbereitet für die Wartezeiten, aber hier erwarten mich ganz neue Dimensionen: das Kissen ist schicker, der Sitz ist riesig, Stoffservietten, eine Menukarte mit Speiseauswahl und darunter: äthiopisches Essen. In Washington war ich einige Male mit Freunden äthiopisch essen und bin seither ein großer Freund dieser Küche, bei der auf einem feuchten, crêpe-ähnlichen Teigfladen verschiedene Saucen mit Fleisch und Gemüse verteilt und mit zusätzlichem Brot aufgenommen werden. Ich liebe die Mischung, die Abwechslung, die scharfen, fremdartigen Gewürze – und hier äthiopisches Essen auf der Speisekarte zu sehen, erfreut mich sehr. Normalerweise bin ich auf Flügen damit beschäftigt, Wasser wie ein Kamel in der Wüste in mich hineinzukippen und frage das Bordpersonal lieber um das dritte und vierte Glas Wasser, sogar noch eines der kleinen Fläschchen, statt mich mit Alkohol aufzuhalten, aber hier und jetzt, mit etlichen Stewardessen, die Galley gleich vor mir und reichlich Wasser aus Glasgläsern (!) verfügbar, erbitte ich ausnahmsweise ein Glas Weisswein. Ansonsten untersuche ich mit kindlicher Neugier das Necessaire mit ET Logo, plaudere mit meinem Sitznachbarn (britischer Mitarbeiter einer NGO in Malawi auf Heimaturlaub) und genieße die Aussicht auf die endlose sudanesische Wüste (auch so ein Land, wo ich unbedingt, unbedingt! irgendwann hinmöchte). Und ich schlafe. Das ist das Beste überhaupt. Wohlwissend, daß bei der Landung in Frankfurt sämtliche Züge gen Heimat schon weg sein werden, habe ich die Wahl zwischen noch einer Nacht im Hotel (niemals!) oder einem Mietwagen, und von den sieben Stunden Flug verschlafe ich fast alle fünf, die ich nicht mit Essen beschäftigt bin. Und zwar ganz ohne eingeschlafene Gliedmaßen, schmerzenden Rücken oder blauen Flecken.

Der Aufenthalt in Rom ist nur ein Zwischenstopp, aber gerade lang genug für zwei wesentliche Feststellungen. Erstens finde ich auch nach langem Suchen und Irren keine Lufthansa Mitarbeiter und sonst mag mir niemand helfen, eine Bordkarte zu bekommen – LH, so wird mir beschieden, tauche eine Stunde vor Abflug auf, bis dahin müsse ich mich gedulden. Inzwischen bin ich so müde und abgekämpft, daß ich es tatsächlich aufgebe, einfach hoffe, daß es sich später schon regeln wird und lieber einen Kaffee trinken gehe. Wobei ich, zweitens, Gelegenheit habe, festzustellen, daß Italiener rasend unfreundlich sind. Der Barista, die Bedienung, das Reinigungspersonal, das Bodenpersonal – einer kotziger als der nächste. Und ohnehin ist Fiumicino wirklich keine Zierde und ich bin froh, als ich in der Maschine nach Frankfurt sitze. Nach der Landung warte ich gespannt auf meinen Koffer und kann es kaum glauben, als er als einer der ersten aus der Luke ausgespuckt wird. Dem Arbeitgeber zuliebe vergleiche ich noch schnell die Mietwagenpreise, entscheide mich für einen günstigen kleinen Peugeot, brauche dann aber noch mal zehn Minuten, das Auto auch zu finden. Die ersten Meter, muß ich zugeben, bin ich unsicher. Ich habe kein eigenes Auto, ich fahre selten und dann meist innerkleinstädtisch oder Landstraße und die Frankfurter Flughafenperipherie strengt mich an, aber so nach und nach finde ich mich wieder zurecht. Immerhin habe ich hier zwei Jahre gewohnt und die Strecke heim erinnere ich auch wieder zunehmend – die Notizen in der Mietwagenagentur wären überflüssig gewesen.

Als ich um kurz nach Mitternacht, also eigentlich doch schon Dienstag Morgen, bei meinen Eltern ankomme, rechne ich aus, bin ich mehr als sechzig Stunden unterwegs gewesen, habe in zwei verschiedenen Hotels geduscht, aber bin kein bißchen sauberer, bin sechs Mal zur Startbahn gerollt, aber nur drei Mal wirklich gestartet, habe das erste Upgrade meines Lebens bekommen, aber bin dennoch wild entschlossen, nie, nie wieder mit Ethiopian zu fliegen. Eher laufe ich das nächste Mal nach Kinshasa oder reite auf Kamelen.

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Freitag, 14. Mai 2010
Zimmerservice
Mit dem Zimmerservice im Hotel war das so eine Sache. Anfangs war er prima. Dann wurde er schlecht. Dann informierten mich die Kollegen, ich müsse täglich Trinkgeld geben, oder am Anfang richtig viel - dann wurde er wieder besser.

Im Laufe meines Aufenthalts bekam ich zwei Nachrichten. Als ich einmal drei Tage hintereinander mein Zimmer nicht bezahlt hatte (im Voraus fällig) kam die eine.

Die andere, völlig unvermittelt, war diese hier:

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Mittwoch, 12. Mai 2010
Lubumbashi
Lubumbashi ist ganz anders als Kinshasa. Man merkt den Sprung nach Süden bei Einbruch der Dunkelheit: es wird nämlich kühl. Und morgens, man glaubt es kaum, ist es frisch, wenn man nur im Shirt im Innenhof sitzt. Bislang habe ich mit Kongo eine im Tagesverlauf absolut stetige Temperatur verbunden – hier nicht mehr. Die Luft ist klarer und frischer, die Straßen und Gebäude sind besser instand gehalten – hier nämlich ist der Bürgerkrieg nie hingekommen. Es ist immer noch Afrika, keine Frage, es gibt Schlaglöcher und Schlammpisten, schäbige Hütten und das Hotel würde in Deutschland keine drei Sterne bekommen, aber insgesamt ist Lubumbashi viel weniger Trümmerstadt als die Kapitale.

Überhaupt das Hotel: wir melden uns an der Rezeption und die hübsche, junge Frau teilt uns umgehend mit: ja, die Reservierung, also, leider, gerade alles ein wenig überbucht, aber man könne uns in einem angeschlossenen Hotel, also der Dependance.... . Wir lehnen entschieden ab, verweisen auf die Reservierung, diskutieren, verlangen den Manager und siehe da: als Hauptproblem scheinen die Zimmer noch nicht gereinigt zu sein, und dann, entsetzlich!, gibt es nur ein Deluxe Zimmer – einer von uns müßte also mit einem Semi-Deluxe Zimmer vorlieb nehmen. Was ich, als Junior natürlich tue.
Wie allerdings jemand mein Zimmer (oder auch das des Kollegen) mit dem Begriff Deluxe, egal ob semi oder wie auch immer, in Verbindung bringen kann, ist mir rätselhaft.
Das wäre zuerst das Wasser: im Abfluß unter dem Waschbecken gluckert es immer bedrohlich. Wasser, heiß, in der Dusche, kommt erst nach zehn Minuten Wartezeit. Dafür steht das Wasser in der Toilette in pissgelb – auch nach wiederholtem Spülen.
Das Zimmer selbst riecht nicht nach Wasser, sondern nach Chlor, Plastikmöbel in Weichholzoptik, die Matratze steinhart, die Klimaanlage schwächlich, vor allem aber: der Inneneinrichter dieser Räume gehört verklagt. Für die augenkrebserregende Scheußlichkeit dieses Zimmers. Für den mit systematischen Lücken gepflasterten Innenhof, bei dem man dauernd in den begrasten Spalten zwischen den Steinen hängenbleibt: hübsch anzuschauen, aus der Ferne, aber völlig unfunktional. Für den Speiseraum, der so gemütlich ist wie ein Krankenhaus und die Akustik einer Kathedrale hat – bei mehr als drei Gästen versteht man sein eigenes Wort kaum noch. Kaum zu glauben, dies hier sei eine der ersten Adressen vor Ort, aber gut, es sind ja nur zwei Tage.

Der erste jedenfalls, der mir im Innenhof begegnet, ist ein alter Verehrer aus Kinshasa. Seines Zeichens Behördenmitarbeiter, bin ich dem privaten Umgang immer weiträumig ausgewichen, um Konflikte zu vermeiden. Diese Strategie verfolge ich auch unter den veränderten Umständen weiter, zu groß sind die Verstrickungen, mich von so jemandem zum Essen einladen zu lassen (obwohl ich den jungen Mann weniger gutaussehend in Erinnerung hatte). Beinahe allerdings bedauere ich meine Ausflüchte am zweiten Abend, denn vor lauter Arbeit habe ich außer dem Hotel, der Hotelbar und dem Tagungshotel nicht viel von Lubumbashi gesehen. Was gibt es sonst noch zu sagen? Die Europäer in diesem Hotel sind anders. In Kinshasa trifft man vor allem auf UN und Development Personal, hier hingegen sind es rustikale, schwer gebaute, bärtige Herren die, auch wenn sie keine karierten Hemden tragen, doch so aussehen als täten sie es öfter. Bergbau Leute, kurz gesagt. Meine ich jedenfalls, aber vielleicht bin ich voreingenommen. Die Afrikaner bzw. Kongolesen hier sehen logischerweise auch anders aus, sind ja auch andere Volksstämme und natürlich sprechen sie nicht Lingala sondern Swahili. Auch wenn ich, nach sechs Monaten, beschämenderweise zugeben muß, daß es mir immer noch schwer fällt, afrikanische Gesichter auseinanderzuhalten: grundlegende Unterschiede fallen hier sogar mir auf. Insgesamt muß ich dem Kollegen zustimmen: das hier ist viel mehr Südafrika als Zentralafrika. Und Südafrika gefällt mir nicht schlecht. Vielleicht nehme ich bei nächster Gelegenheit die Einladung eines Kollegen nach Johannesburg ja an?

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Sonntag, 9. Mai 2010
Monuc Airlines
Im Kongo zu reisen ist nicht einfach. In den Nordosten des Landes gibt es den Fluß, für den Rest Flugzeuge. Straßen kann man jenseits von 400 km Umland von Kinshasa vergessen. Um nach Lubumbashi im äußersten Südostzipfel des Landes zu gelangen, könnte man über Nairobi oder Johannesburg fliegen. Die lokalen Airlines, Hewa Bora oder Kin Avia könnte ich als Privatperson durchaus nutzen, aber die Tatsache, daß sie bei meinem Arbeitgeber und bei der europäischen Union fast alle auf der schwarzen Liste stehen, macht diese Option eher weniger attraktiv. Bleiben als letzte Möglichkeit die Flüge, die von der Monuc Mission für ihre Mitarbeiter angeboten werden. Nachdem der größere Teil meines Bekanntenkreises hier sehr regelmäßig Monuc fliegt für dienstliche Angelegenheiten, stand ein solcher Ausflug schon länger auf meiner persönlichen Wunschliste, jetzt endlich hatte ich die Möglichkeit. Streng genommen sind Monuc Flüge nur für UN Mitarbeiter in offizieller Mission vorgesehen, aufgrund diverser Umstände waren diesmal mein Kollege und ich erfolgreich auf die Verbindung nach Lubumbashi gebucht und alle schrecklichen Geschichten von Freunden über Unbequemlichkeiten und Unzuverlässigkeit konnten meine Vorfreude nicht dämpfen. Morgens früh um sechs sollten wir am Monuc Terminal, gleich um die Ecke des offiziellen Flughafens N'Djili sein, um fünf erwartete uns der Fahrer im Hotel. Das, zugegebenermaßen, war dann doch ein Dämpfer, aber was tut man nicht alles. Ich habe meinen Koffer im Zimmer des Kollegen deponiert, mein Täschchen, meine unförmige Arbeitstasche voller essentieller Unterlagen und dem Beamer gepackt und pünktlich um sechs passierten wir die Schranke zum Terminal. Nachdem, wohlgemerkt, mein Kollege den Wachen am Tor erklärt hatte, daß bei seinem letzten Flug keine Eintrittsgebühren zu zahlen gewesen seien, und er folglich auch dieses Mal nichts zahlen würde für den Zutritt zum Monuc Gelände. Wir passierten ein Gittertor zu einer Containerbaracke und verbrachten zunächst ein Stündchen ich einem tristen Wartesaal. Kaputtes Linoleum auf dem Fußboden, ein paar Holzbänke (in UN hellblau) an den Wänden und viele Wartende. Mir war gar nicht bewußt, wie viele Arten von Flecktarn es gibt, der jordanische UN Soldat hatte Wüstentarn, der aus Benin Dschungeltarn, der aus Bangladesh war noch grüner, und die aus Südafrika hatten wiederum anderen. Zwei Soldaten aus Tchad waren offenbar in Ausgehuniform mit hellblauen Hemden und Tressen und Litzen, sehr hübsch, und eine runde Matrone war offenbar in Diensten der UN für Ghana. Alle aber trugen sie hellblaue Baseball-Caps und einen runden Aufnäher am Oberarm. Diese Diversität unter – buchstäblich – einem Hut berührte mich – an solchen Tagen bekommen die Vereinten Nationen plötzlich ein Gesicht. Nach einer Stunde wurden alle erst zur Registrierung geschickt, wobei sich für die Hälfte der Passagiere, darunter auch uns, herausstellte, daß wir nur auf Standby waren – Warteliste also. Die nächste Stunde verbrachten wir nach dem kurzen Ausflug in die Schlange draußen vor der Tür wieder im Wartesaal, parallel damit beschäftigt, unser Anliegen nachdrücklich allen möglichen Mitarbeitern von MovementControls nahezubringen und alternative Pläne mit unserem Büro auszuarbeiten. Nachmittags eine Maschine von Hewa Bora? Buchen bitte, und Tickets direkt mit Fahrer zu uns schicken. So ähnlich.
Irgendwann konnten wir uns wundersamer Weise doch noch beim usprünglich geplanten Reisemittel durchsetzen, zu Recht wie ich finde, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß die in zivil reisenden Kongolesen mit Unmengen Gepäck, darunter koffergroßen Kühlboxen, und in Begleitung von Kindern, tatsächlich alle in offizieller Mission unterwegs waren. Das Gepäck wurde eher nachlässig gescannt, Flaschen im Handgepäck? Kein Problem. Feuerzeuge? Aber bitte. Die Bordkarte? Ein laminierter Plastikstreifen, wiederverwendbar.
Die nächste Stunde – Überraschung – warteten wir wieder, diesmal vor der Cafeteria im ersten Obergeschoß. Kaum hatten wir uns ein Käsebrötchen und einen Tee zum Frühstück gekauft, mittlerweile immerhin seit fünf Stunden wach, wurde der Flug aufgerufen. Ein klappriger Bus übers Rollfeld zu einer hübschen kleinen Jetmaschine.



Alle Maschinen weiß mit schwarzen Lettern, UN, United Nations, eine fröhliche blonde, kanadische Stewardess, kaum saßen wir, rollten die Maschine auch schon. In Kinshasa wimmelt es von UN Geländewagen (Dienstautos der Monuc Mitarbeiter), aber erst auf dieser Reise, auf der ich massenhaft UN Flugzeuge, UN Tankwagen, UN Busse, und noch mehr UN Dienstwagen gesehen habe, wurde mir klar, was für ein enormer logistischer Aufwand so eine Mission ist. Die UN betreiben im Kongo über die Friedensmission tatsächlich ein komplettes Airlinenetz, alle wesentlichen Städte werden mindestens einmal die Woche, oft auch mehrfach angeflogen, und alles ist ein sich geschlossenes System. Eigene Terminals, eigenes Personal, eigene Kontrollen, aber eben auch: eigene Infrastruktur, vom Zubringer bis zur Tankstelle. Die Vorstellung, diesen Aufwand innerhalb weniger Monate abzubauen und aus dem Land abzuziehen ist – von den politischen Konsequenzen gar nicht zu reden – vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Eine Stunde später landeten wir in Kananga, ungefähr die Hälfte der Strecke, ein paar aussteigende Passagiere, ein paar einsteigende, weitere dreißig Minuten später dann Kamina Base. Beim Weg über den Taxiway passierten wir Gebäude, die einem vernünftigen Terminal mit Tower recht ähnlich sahen, und offenbar ist Kamina Base mit relativ langer Piste durchaus strategisch wichtig, aber unser Aufenthalt beschränkte sich wie üblich auf eine Baracke. Ein weiterer auf minimale Funktionalität beschränkter Wartesaal in UN-hellblau, Sitzbänke, ein Fernseher, eine Bar mit Cola, Wasser und Sandwich im Angebot, sonst nicht viel. In einem von Stacheldraht umzäunten Hühnerkäfig Soldaten aus Bangladesh und Indien im vertrauten Gespräch, hier sind sie plötzlich Nachbarn und haben Gemeinsamkeiten, außerdem gesichtet: einen Rumänen, einen Peruaner, einen Griechen, einen Russen, auch alle – versteht sich – in eigenem Flecktarn. Und immer mit blauer Müsse. Außerdem im Hühnerkäfig: ein Bekannter aus Kinshasa, auf der Suche nach einer Zigarette. Auf einem Whiteboard standen die Flugzeiten für die sechs oder so täglichen Verbindungen angeschlagen, darüber zwei Uhren für Kinshasa Zeit und Kamina Zeit, damit die vielen Weltreisenden nicht durcheinanderkommen. Früher als erwartet ging es weiter, es gibt de facto keinen Flugplan (man muß halt morgens früh da sein), aber das kann auch Vorteile haben. Wie es wohl ist, einen Flughafen oder eine Airline zu managen, die an keine Flugpläne gebunden ist? Bei der sich niemand beschweren kann? Das, so stelle ich mir vor, muß ein recht angenehmer Job sein.

Die Maschine für den zweiten Teil der Strecke war ein Abenteuer für sich: eine alte Antonov, geschätzt aus den siebzigern. Eine wackelige Treppe zum Heck (immer nur ein Passagier, bitte), Sitze mit richtigen Tischen in der Mitte wie in der Bahn, das Interieur liebevoll mit braunem Karostoff bezogen, die runden Bullaugenfenster mit weißen Vorhängen dekoriert. Das Personal hatte man ebenfalls aus dem russischen Raum übernommen, Stewardess Marina begrüßte mit mütterlichem Lächeln die Passagiere, fackelte nicht lange mit Sicherheitsvorkehrungen 'rum: Oxygen masks are on the shelves above your heads, have a pleasant flight and bonne chance, allerdings waren die Gummibeutel braun vergammelt und optisch so unappetitlich, daß man vermutlich selbst im Notfall zwei Mal über die Nutzung reflektieren würde, und schon waren wir wieder in der Luft. Eine Stunde Flug ließ mir genug Zeit, das Schild zu meiner Rechten zu studieren:



und festzustellen, daß die nach hinten fallende Rückenlehne zum Schlafen ideal gewesen wäre, nicht jedoch zum Arbeiten. In der freien Sitzreihe nebenan hingegen war der Fensterplatzsitz so durchgesessen, daß ich gewissermaßen auf einem Hubbel hockte – offenbar eine Eigenschaft aller öfter frequentierten Fensterplätze, wie ich auf dem Rückweg feststellen konnte. Mit Propellern fliegt es sich langsamer, aber immerhin war die Ankunft in Lubumbashi sehr viel geordneter und angenehmer, als ich erwartet hätte. Nicht nur in Kinshasa gibt es Jeffery Travels, und im Wirtschaftszentrum Lubumbashi verfügt die Agentur nicht nur über einen klimatisierten Wartesaal, sondern sogar noch über ein kleines Restaurant, wo der Kollege und ich heißhungrig Samosas verspeisten, nachdem mein Vorrat an Haferkeksen längst aufgebraucht war. UN Airlines schenkt nämlich lediglich Wasser aus, und das ist – dem Geschmack nach – weniger purified als chlorified. Wir waren also in großer Not bei der Ankunft um sechzehn Uhr und selten haben Samosas und Cola so köstlich geschmeckt. Insgesamt allerdings bleibt zu sagen: so sehr ich seit Monate einen Monuc Flug herbeigesehnt habe, so wenig brauche ich jetzt eine Wiederholung - dafür war es dann doch zu viel Warterei und Anstrengung. Fürs erste reicht es mir.

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