Samstag, 28. März 2009
Fernweh

Zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen und dass man sich durch keine widrigen Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen lasse.
Adolf Freiherr von Knigge

Ich habe gerade Flüge gebucht! Langes ringen, schieben und planen, 48 Stunden ohne Pause schienen mir doch sehr lange zu sein. Jetzt ist alles fix. Und ich hoffe sehr, daß die Piloten etwas klüger sind als diese Herrschaften;

Tower: ´Sind sie ein Airbus 320 oder 340?´
Pilot: ´Ein A 340 natürlich!´
Tower: ´Würden Sie dann bitte vor dem Start auch die anderen beiden Triebwerke starten?´
... ein Flug wird nämlich auch mit einem Airbus 320 durchgeführt. Weiterhin hoffe ich, von den Stewardessen nur nette Ansagen zu hören zu bekommen und erst nach der Ankunft baden zu gehen.

Man könnte sagen, Fernweh sei die innigste Beziehung meines Lebens. Mit dreizehn wollte ich das erste Mal von zu Hause weg – je weiter desto lieber. Es wurde dann aber doch nur Poole in England. Meine Mutter wirft mir heute noch vor, daß ich bei meinem ersten längeren Auslandsaufenthalt einige Jahre später schnurstracks am Flughafen durch die Paßkontrolle marschiert bin, ohne mich ein einziges Mal umzudrehen. Das ist heute noch genau so, ich liebe Bahnhöfe, ICEs, Flughäfen – sogar großen Busbahnhöfen kann ich etwas abgewinnen.

Wenn ich von reisen spreche, meine ich nicht zwei Wochen Vollpension im Riu Palace auf des Deutschen liebster Mittelmeerinsel. Ich habe jene Kollegen nie verstanden, die das ganze Jahr sparen, um sich im Herbst drei Wochen Tauchurlaub auf Bali zu leisten, oder zwei Wochen Golfen in Tunesien – und nach der Heimkehr über die ganzen aufdringlichen arabischen Männer klagen, die inzwischen mit ihren Ehefrauen ebenfalls solche Lokalitäten frequentieren. Unverschämtheit, das.
Derlei Reisen betrachte ich als traurigen Kredit auf Landeskenntnis, ähnlich inhaltsleer und flüchtig wie Leerverkäufe am Aktienmarkt. Rucksack-Tourismus – immerhin schon aufregender, vielleicht vergleichbar mit einem soliden Bausparvertrag. Aber die eigentliche harte Währung, auszahlbar in kleinen Scheinen, ist das Leben in fremden Ländern. Ich will Zeit haben, Freunde zu finden und mich einzuleben. Einen Alltag mit normaler Beschäftigung haben und einen Ort, an dem ich mich ein bißchen einrichten kann. Ich will lokale Märkte und Supermärkte durchstöbern, mich durch Speisekarten in Fremdsprachen hindurchbuchstabieren und die ganze Planlosigkeit des großen Abenteuers auskosten. Ich bin ein anderer Mensch: rege mich nicht über Kakerlaken im Bad auf. Freue mich, wenn man mir auf der Straße hinterherpfeift (meistens, jedenfalls). Esse Innereien und andere komische Sachen (in Maßen). Gehe jeden Abend aus, wenn sich die Möglichkeit bietet. Nehme Unpünktlichkeit und Staus mit stoischer Ruhe hin. Plaudere mit Taxifahrern, lasse mich von sonderbaren Leuten aufgabeln und bin überhaupt für alles zu haben. Und erlebe mindestens einmal am Tag einen dieser Momente, wo ich mich umschaue und die Realität kaum fassen kann – ich alleine hier – was für ein Privileg! Dafür brauche ich keinen Sonnenuntergang, keinen Meersblick und keine großartigen Panoramen – der Aussicht von einer verdreckten Dachterrasse auf das Verkehrschaos unter mir reicht dafür völlig aus. In jenen seltenen Momenten bin ich mit meinem Leben ganz und gar aussöhnt, bereue nichts, würde nichts ändern wollen – weil alles perfekt ist.

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Sonntag, 15. März 2009
Unaussprechliche Sehnsucht

Die Musik schliesst dem Menschen ein unbekanntes Reich auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der äussern Sinnenwelt, die ihn umgibt und in der er alle bestimmten Gefühle zurücklässt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben.
E.T.A. Hoffmann


An manchen Tagen habe ich doch ein bißchen Heimweh, nach irgendeinem Zuhause. Habe ja im Moment und in absehbarer Zukunft keines. An sentimentalen Tagen wie diesem wäre ich gerne seßhaft, um alle meine Habseligkeiten, Bücher, CDs, Möbel endlich wieder auspacken und um mich herum versammeln zu können. In Wien – ja, ausgerechnet da! – habe ich nichts mehr vermißt als meine Musik. Mein bestes Weihnachtsgeschenk letztes Jahr habe ich mir selber verehrt, eine kleine aber großartige externe Festplatte. Da paßt alles drauf, was mir lieb und teuer ist – leider waren die Weihnachtsfeiertage zu kurz, um alles zu überspielen, obwohl ich die gesamte Familie zur Mithilfe zwangsverpflichtet hatte. Immerhin, die dreihundert wichtigsten Aufnahmen sind mit mir in die Staaten ausgereist. Nun leide ich zwar unter der unsäglichen Tonqualität meins Notebooks (meine geschätzten ALR Jordan Boxen lagern ebenfalls im elterlichen Haushalt), aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Ich bin völlig närrisch nach Musik, schon immer gewesen. Als junges Mädchen schwärmte ich vor allem für Baßstimmen. Mit fünfzehn war ich entsetzlich verliebt in den Baßbariton am lokalen Opernhaus. Meine Schulfreundinnen trugen Fotos von Robbie Williams oder den Ärzten im Portemonnaie mit sich herum – ich wollte auch mittun und hatte ein Foto meines Lieblingssängers aus dem Jahresprospekt ausgeschnitten. Das Highlight jener Jahre war mein Schulpraktikum in der Oper – neben vielen ereignislosen Tagen im Kostümfundus über diversen Sortiertätigkeiten durfte ich einen Abend den Tontechniker begleiten – in die Zauberflöte und ins Zauberland der Technikkabine. In der Pause nahm der Techniker mich brav mit in die Kantine, wo ich mich verlegen und schüchtern im Türrahmen herumdrückte und die Objekte meiner Bewunderung aus nächster Nähe anstaunen durfte – bis fraglicher Baß eintrat und mich anlächelte. MICH anlächelte! Ich ging eine Woche lang auf Wolken... mindestens.*
Mittlerweile habe ich mich in meiner Narretei auf Tenöre verlegt. Heldentenöre, bevorzugt. Ich wäre vermutlich wahnsinnig genug, einen Tenor mit schöner Stimme vom Fleck weg zu heiraten, bei Musik verliere ich jegliche Kontrolle über meinen Verstand. Leider habe ich noch nie einen Antrag von einem Sänger erhalten – der Realitätstest steht also noch aus.

Mein Musikgeschmack ist wenig wählerisch: ich mag immer das am liebsten, was ich gerade höre. Lieblingsmusik gibt es nicht. Ungeliebte Musik auch nicht wirklich, wobei ich zugeben muß, daß mein Horizont bei Zwölftonmusik an seine Grenzen stößt.
Ich habe auch kein schlechtes Gewissen, Werke zwei- und dreifach zu erwerben. Meine erste Opern-Gesamtaufnahme war die Zauberflöte, mit sechzehn Jahren innigster Geburtstagswunsch, zusammen mit der passenden Partitur (NMA, natürlich). Aber dann erschien vor einigen Jahren die Aufnahme mit William Chr*stie und Les Arts Fl*rissants– leider in Preisklassen die sich bei studentischem Budget verbieten. Glücklicherweise kamen irgendwann bessere Zeiten und Gelegenheiten – in Form eines Saturn-Marktes zwischen meiner Wohnung und dem Fitneßstudio meiner Wahl. Immer wenn es an der rechten Motivation zum Sport mangelte (also oft) blieb ich im Saturn hängen, der eine erstaunlich große Auswahl an klassischer Musik bot. Ich kann stundenlang stöbern, in Aufnahmen reinhören, die Verkäufer mit immer neuen Wünschen in den Wahnsinn treiben, finde mich irgendwann mit vollgeladenen Armen in der Kassenschlange und begreife: ich kann nicht einfach einen dreistelligen Betrag für Musik auf den Kopf hauen, nicht mal als berufstätiger Steuerzahler. Also gehe ich zurück, ringe mit mir, überlege hin und her, und entscheide mich am Ende für zwei Aufnahmen, die nach utilitaristischen Kriterien den größten Nutzen stiften: eine ganz neue, teure Aufnahme von Werken, die ich schon lange begehre und ein oder zwei interessante Schnäppchen. Nach einem solchen Ausflug hatte ich natürlich erst Recht keine Lust mehr auf Sport, weil ich ja meine Neuerwerbungen hören wollte. Inzwischen sucht mich die Versuchung nicht mehr ganz so oft heim, weil es keinen Saturn mehr auf dem Weg zum Fitneßstudio gibt.
Neben der zweiten Zauberflöte konnte ich in fraglichem Saturn auch endlich eine Aufnahme von Verdis Don Carlos in französischer Sprache erstehen. Auf der Wunschliste seit 2003, und seit 2007 in meinem Besitz. Ha! Ich möchte nicht den Oberlehrer geben, aber: Die Oper wurde von Verdi ursprünglich für ein französisches Libretto als Grand Opéra für Paris komponiert, auch wenn sich historisch vor allem die gekürzte italienische Fassung durchgesetzt hat. Berechtigt insofern, als Verdi höchstselbst die Musik an das italienische Libretto anpaßte - aber ich mag die französische Fassung lieber.

Überhaupt Noten und Musik, da brennen bei mir regelmäßig die Sicherungen durch. Ein völlig irrationaler Haben-Wollen Reflex übernimmt die Steuerung und eine halbe Stunde später bin ich arm an Bargeld, aber reich an Neuerwerbungen. Bei antiquarischen Notenhandlungen muß man mich an die Hand nehmen und mit sanfter Gewalt weiterziehen, ansonsten versacke ich und ruiniere mich hoffnungslos. Ich liebe Noten, diese kleinen schwarzen Kullerchen, die für mich den Schlüssel zu tieferem Verständnis der Musik darstellen, jenseits der Grenzen meines unzureichenden Gehörs. Und ich will immer beides haben: die Partitur fürs Verständnis zum Hören und den Klavierauszug zum ausprobieren – bei Mozart komme ich zur Not auch mit der Partitur am Klavier noch zurecht, aber bei Verdi, nein, da mangelt es mir an den notwendigen Fertigkeiten.

Wenn ich könnte wie ich wollte, würde ich auch alle meine Noten und Sekundärliteratur (ganz besonders diese dicke Sammlung) mitnehmen bei meinen Ausflügen nach Übersee – leider wurden solche absurden Nöte von den Fluglinien nicht berücksichtigt bei Festlegung der Gepäckobergrenzen, und so begnüge ich mich vorübergehend mit Hören – und hänge an diesem tristen Sonntag meinem Heimweh nach.

http://scriptorium.lib.duke.edu/mazzoni/exhibit/librettos/D468.html
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Don_Carlo_poster.jpg


*Stelle gerade mit Hilfe von Google fest, daß der Mann immer noch sehr adrett ausschaut und leidlich Karriere gemacht hat - an meinem damaligen Geschmack ist also nichts auszusetzen, außer einer leichten Weltfremdheit.

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Schwarzes Schätzchen
An manchen Tagen überfällt mich das Heimweh; nach überhaupt irgendeinem Zuhause. Habe ja im Moment und in absehbarer Zukunft keines. An sentimentalen Tagen wie diesem wäre ich gerne seßhaft, um alle meine Habseligkeiten, Bücher, CDs, Möbel endlich wieder auspacken zu können. Meine erste Anschaffung, wenn ich irgendwann wieder ein Zuhause habe, wird ein Klavier sein.
Wir – ich sollte wohl sagen: meine Eltern – hatten im Laufe der Jahre viele Tasteninstrumente. Zeitweise sogar zwei. Das erste war ein häßliches braunes Klavier, mit einer noch scheußlicheren braunen Bank davor und einem mattgoldenen Lämpchen auf dem Deckel. Marke unbekannt, habe ich verdrängt.
Nach vier Jahren Unterricht bei einer Klavierstudentin der nahen Hochschule wechselte ich die Lehrerin. Ausführliche Erkundigungen in der Region führten zu zwei Namen von empfehlenswerten Damen der Zunft. Die erste wohnte zu weit weg, der zweiten wurde ich vorgestellt. Zehn Jahre alt, saß ich auf dem Sofa in einem kleinen Wohnzimmer, das ganz von einem großen Steinway Flügel und vielen, vielen Bildern von Musiker und Komponisten dominiert wurde. Ich weiß noch, daß ich mich bei einer Fleischbeschau wähnte, während meine Finger untersucht, verbogen und gezogen wurden. Dann mußte ich vorspielen – und wurde als Schülerin akzeptiert. Ein Jahr später wechselte auch meine Schwester und mit dem gestiegenen musikalischen Engagement wurde der erste Flügel angeschafft. Grotrian-Steinweg. Gebraucht gekauft, fürchterlich abgewrackt, mühsam aufgearbeitet und in mattschwarzer Lackierung hielt er Einzug in unserem Wohnzimmer. Und dominierte sofort die Szene wie auch unser aller Leben. Die Mechanik flüssig, der Widerstand beim Anschlag angenehm, die Pedale gerade richtig gängig. Im Klang war er ungewöhnlich warm und weich, eher ein bißchen wie Steinway, aber doch eigenwillig. Wieviele Stunden ich daran verbracht habe? Da muß ich rechnen... dreitausend, vielleicht auch mehr? Irgendwann wurde – mit nunmehr drei musikalisch aktiven Damen im Haus – noch ein weiteres Klavier angeschafft. Yamaha. Weiß. In meinem Zimmer. Bei aller Kulturbeflissenheit wollten meine Eltern doch abends irgendwann ihre Ruhe haben, ich jedoch üben. Das japanische Prunkstück wurde einige Jahre später ganz unsentimental abgestoßen, als kein Bedarf mehr bestand. Schon vorher jedoch mußte der Grotrian-Steinweg dem Spielerglück meiner Eltern weichen. Mehr aus Spaß hatten sie an der Hochschule auf einen alten Steinway Flügel aus einem der Überäume in einer Auktion mitgeboten – und den Zuschlag erhalten. Das neues Herzstück des Wohnzimmers war nicht mehr dezent-matt lackiert, sondern glänzte herrisch. Die Elfenbeintasten waren zugegebenermaßen ein Vergnügen, Mechanik und Klang einwandfrei – aber so richtig warm geworden sind wir nie. Wohl auch, weil ich damals schon ausgezogen war und sich nie die vertraute Nähe ungezählter miteinander verbrachter Übestunden einstellte. Angeschafft zu Gunsten meiner hochtalentierten Schwester, bin ich heute – nachdem wir alle nur noch sporadische Pensionsgäste im Hotel Mama sind – die einzige, die Klavierüben und Heimaturlaub nicht für einen Widerspruch hält. Und obwohl der Steinway fraglos ein fantastisches Instrument ist, vermisse ich immer noch das alte mattschwarze Schätzchen aus Braunschweig. So einen will ich wieder haben, das weiß ich bestimmt.



JM http://www.logodesignweb.com/stockphoto

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Sonntag, 8. März 2009
Eltern
Ich bin völlig erstaunt, mit welcher Verve in Blogs über Kinder diskutiert wird. Gepflegte Plaudereien schlagen auch schon mal in, sagen wir, Diskussionen um, bei denen die Teilnehmer mehr als nur emotional involviert sind und die gelegentliche Philippika ist das Salz in der Suppe. Über mangelnde Meinungsvielfalt kann man da nicht klagen, über mangelnde Höflichkeit gelegentlich schon, wenn man dem Gastgeber glauben kann. Anderswo ging es sehr viel ernsthafter zu. Mit der Sichtweise eines Elternteils zu all diesen Fragen kann ich aus formalen Gründen nicht dienlich sein, aber zumindest die Tochterperspektive ist mir vertraut. Sind Kinder ihren Eltern dankbar? Ich schon. Die Einsicht ist erst einige Jahre alt, daß ich mir wahrhaftig keine besseren Eltern hätte wünschen können. Sie haben für mich auf größere Häuser, teurere Autos und schönere Kleidung verzichtet, auf lange Urlaube und einen umfangreichen Weinkeller. Meine Ausbildung und ich sind ein Porsche auf zwei Beinen, mindestens. Studienwechsel, Umzüge, Möbelkartons schleppen. Mit einem Anhänger in einer Düsseldorfer Hauptstraße rangieren, nächtens zum Frankfurter Flughafen fahren, Panikanrufe aus dem Ausland und Lehrerkonflikte - ich haben ihnen nichts erspart. Und erst mit zunehmendem Alter begriffen, worauf sie für mich verzichtet haben, welche Einschnitte klaglos in Kauf genommen, welche Verrücktheiten milde lächelnd geduldet.
„Wenn ihre Kinder es am wenigsten verdienen, brauchen sie ihre Liebe am dringendsten“
Meine Eltern haben das geschafft. Ich habe getobt, geschimpft und geschrien, ich habe habe geflucht und mein Tagebuch mit Haßtiraden vollgekleistert, mit meinen Schwestern intrigiert und mich mit ihnen geprügelt. Aber selbst in meinen schwärzesten Phasen wußte ich: auf meine Eltern kann ich mich verlassen. Sie lieben mich, ganz gleich wie verrückt ich mich gebärde. Ob erfolgreich und vorzeigbar oder orientierungs- und arbeitslos: sie lieben mich, genauso wie ich bin. Und das ist die schönste Gewißheit, die man haben kann - ein Leben lang.

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Samstag, 28. Februar 2009
Traumauto
Hier in Washington gibt es erstaunlich viele Saabs. Vor kurzem stand in meiner Straße einer in hellblau. Rot steht meist um die Ecke. Und auch sonst, auf dem morgendlichen Weg zu Arbeit, sehe ich – gefühlt zumindest – mehr Saab als zum Beispiel in Frankfurt. Was immer das heißen mag. Das wird sich vielleicht bald ändern, den bekanntlich ist ja GM in großen Schwierigkeiten. Und Saab schon vor einigen Jahren über den Tisch, nein, über den Atlantik gegangen, und seither fahren Saab-Fahrer irgendwie und recht eigentlich Opel.

Dennoch wird Saab immer das Auto meiner Kindheit bleiben, mit dem sich die bleibenden Erinnerungen auf vier Rädern verbinden (vielleicht mit Ausnahme meines Bollerwagens). Ich muß etwa sechs Jahre alt gewesen sein, als wir mit dem weißen Saab 900 Turbo meiner Eltern in den Spanien-Urlaub gefahren sind. San Sebastián in Nordspanien. Was meine Eltern sich dabei gedacht haben, im Frühling nach Nordspanien zu fahren, verstehe ich bis heute nicht.

Am Anfang jeder Reise mußte mein Vater das Auto packen, und er tat es mit Leidenschaft. Sein Faible für kleine Autos erreichte mit einem Golf GTI – schwarz mit rotem Rallye Streifen – seinen Höhepunkt zu Zeiten, als er damit drei Töchter samt Ehefrau verfrachten mußte. Die Ehefrau hat ihm den Golf dann ziemlich schnell ausgetrieben.

Jedenfalls war es meinem Vater anläßlich größerer Reisen stets ein Bedürfnis, noch eine Stunde früher als alle anderen aufzustehen, um dann um acht Uhr morgens, wenn die Familie reisefertig in der Tür stand, stolz seine Leistung vorzuführen: Paßt alles rein! Phh, machte meine Mutter nur, Kosmetikkoffer und Handtasche in Händen, und wo soll das noch hin? – und hob die zwei Stücke anklagend in die Höhe. Irgendwie ging es aber doch immer rein und irgendwann ging es auch los. Damals wie heute liebe ich den Moment des Aufbruchs, den letzten Blick auf das Haus, das Prickeln kommender Abenteuer wie auch auf die Sehnsucht der Rückkehr. Vielleicht mag ich deswegen Reisen so gerne, weil im Abschied schon die Vorfreude der Heimkehr begriffen ist.

Wir Mädchen bekamen für lange Autoreisen immer eine Märchenkassette für unseren Walkman. Diesbezüglich waren wir stets auf der Höhe der Zeit, und die Märchenkassette war schon Tage vorher Anlaß für frohe Erwartungen und Vorfreude. Vielleicht habe ich bei dieser Spanienreise meine Lieblingskassette „Tausendschön“ bekommen vielleicht aber auch erst einige Jahre später. Die schwarzen Kassetten mit den tristen, rostbraunen Aufklebern stehen mir immer noch lebhaft vor Augen. Mich beschäftigt noch heute die Frage, wie meine Eltern diese Autofahrten ausgehalten haben, denn trotz der Kassetten haben wir gerne und viel gesungen. Man hat mir Jahre später aus berufener Quelle bescheinigt, ich könne überhaupt nicht singen, schief, unsauber und einfach schlimm – meine Schwester und ich haben aber im Auto stundenlang gesungen. Halleluja, am liebsten zweistimmig, oder auch „Marmor, Stein und Eisen bricht“. Man muß seine Kinder schon sehr lieben, um das über Stunden zu ertragen. Ansonsten waren wir aber doch artig und brav.

San Sebastián war kein Erfolg. Meine wesentliche Erinnerung ist Kälte, Kälte, Kälte. Wir haben eigentlich nur gefroren – Nordspanien im Frühling halt. Meine Mutter berichtet, daß wir viel geweint haben, weil es so kalt war, Strand war keine Option, das Freizeitangebot wenig einladend. Die Ferienwohnung war muffig und ranzig, die Wände schienen aus Pappe zu sein, die Fenster zugig, an der Heizung hatte man auch gespart. Nach vier Tagen brachten die Vermieter immerhin einige Extra-Decken vorbei, aber der Urlaub muß eine veritable Katastrophe gewesen sein. Und auf der Rückfahrt wieder Kindergesang für meine armen Eltern. Aber nur bis Karlsruhe, nach fast 3000 km in einer Woche verabschiedete sich der Turbolader unseres heißgeliebten Gefährts aus unserer Reisegruppe. In der Werkstatt dauerte es, bis die freundlichen Herren in Blau feststellten, daß ein neuer Turbolader frühestens am nächsten Morgen verfügbar sei, und ohne Turbolader keine Weiterreise. Es war spät, wir Kinder vermutlich quengelig, meine Eltern orientierungslos und genervt. Eine Pension fand sich noch recht schnell, die Abfütterung der Kinder war jedoch zu fortgeschrittener Stunde ein Problem. Zumal unsere Mutter uns nie aus den Augen ließ und eine Trennung der Fraktionen daher nicht in Frage kam. Also landeten wir alle irgendwie in einem sehr, sehr noblen Restaurant, das eigentlich dem bescheidenen und durch die Reise schon strapaziertem Budget meiner Eltern keineswegs angemessen war. Ich erinnere mich noch an das feudale Ambiente, dezente Beleuchtung, einen großen runden Tisch und unbequeme Stühle mit hohen Lehnen. Mit Polstern wurden wir zwei Mädchen auf die richtige Sitzhöhe gebracht. Die nachhaltigste Erinnerung war jedoch ein sensationelles Schnitzel mit Pommes. Hauchdünn, fast zu groß für den Teller, der in meiner Erinnerung die Größe eines Wagenrads hat, und berückend lecker. Noch beeindruckender für mich unerfahrene Sechsjährige war allenfalls der Kellner, der mir den Stuhl zurechtrückte und das Fleisch schnitt und vorlegte. Ebenso wie meiner vierjährigen Schwester. Sicher, es war spät und das Restaurant fast leer, aber die fast durchgängige Präsenz der befrackten Herren hinter meinem Stuhl hat einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Am nächsten Morgen kam der neue Turbolader und irgendwann konnten wir unsere Reise fortsetzen, obwohl ich persönlich ja gerne noch länger geblieben wäre und mir noch mehr Schnitzel gewünscht hätte. In Karlsruhe bin ich seither nie wieder gewesen. Der Saab 900 wurde irgendwann gegen einen familientauglichen Saab 9000 ausgetauscht.
Eine Zeitlang fand ich in jugendlicher Verirrung die alten Modelle ganz scheußlich anzuschauen, aber heute werde ich bei ihrem Anblick wehmütig, und kann die Sehnsucht und den weichen Tonfall meiner Eltern, wenn sie von diesem Auto reden, nachempfinden.

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