Donnerstag, 29. Oktober 2009
Plus Ausverkauf der Dinge, die mir lieb und teuer sind. Das alte Zuhause: schon seit Mai weg. Der Flügel: verkauft. Besser gesagt: gegen ein kleineres Instrument getauscht. Es sind nur Oberflächlichkeiten und ich verstehe meine Eltern - trotzdem.

Was für ein beschissener Tag.

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Mittwoch, 5. August 2009
Sommerloch
Ich glaube, hier ist auch Sommerloch. Im Moment passiert nichts wirklich aufregendes. Ich scheue mich nach wie vor, hier allzu persönliche Details preiszugeben, sonst würde ich vielleicht von meinem angestauchten Herzen berichten – Monsieur Tunis hat sich auf sehr unelegante Art aus meinem Leben verabschiedet und benötigte selbst dafür noch meine souveräne Starthilfe.

Zum Trost Zur Ablenkung richte ich vorübergehend möglichst diskret begehrliche Blicke auf den französischen Kollegen, der auf Dienstreise hier ist: ein Bild von Mann. Ich schmelze normalerweise nicht bei Äußerlichkeiten dahin, sondern fühle mich von Innerlichkeiten angezogen – aber diesen Mann: möchte ich dauernd nur anschauen. Weil er so unverschämt gut aussieht. Damit spielt er ganz klar außerhalb meiner Liga, ich bin allenfalls durchschnittlich nett anzuschauen und keinesfalls eine Trophäe, die Männer sich ins Regal würden stellen wollen, und so mache ich mir keine ernsthaften Hoffnungen. Aber ein klein bißchen Träumen, das muß erlaubt sein. Gerade im Sommerloch.

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Mittwoch, 8. Juli 2009
Zuviel der Ehre!
Hier sitze ich in meinem Büro (heute kein Kampf um die Einstellung der Klimaanlage mit Bürogenossin, weil selbige aushäusig ist), versuche mich zur Arbeit zu motivieren, und wartewartewarte. Ich hasse warten. Brave BWL-Studenten lernen früh, auf die Frage nach den persönlichen Schwächen so was wie „Ungeduld“ zu antworten – das kann nämlich auch gute Seiten haben. Ich bin aber wirklich entsetzlich ungeduldig. Ein „ich-jetzt-alles-sofort“ Mensch. Wenn ich entschlossen bin, dann mache ich, und zwar zackig. Das hier hingegen, auf geistig gepackten Koffern sitzend, mit kribbeligen Füßen wegen der bevorstehenden Abreise – ist meine Sache so überhaupt nicht.
Und während ich so die Zeit rumbringe, abwechselnd ein paar Infos über Centrafrique sammele, e-Mails abrufe, und ziellos in diesem und jenem Blog nach Artikeln suche, die mich dem Feierabend fünf Minuten näher bringen:

Große Freude! Zuviel der Ehre!

Ich bin auf Blogrolls. Ich fasse es nicht. Bin sprachlos und glücklich und fühle mich geehrt. Sehr sogar. In aller Bescheidenheit habe ich im Januar hier angefangen, weil das schöne rindslederne Tagebuch zu schwer für den Koffer war und ich die vielen großen und kleinen Erlebnisse nicht dem Vergessen anheim fallen lassen wollte. Ich habe mich seither über jeden, wirklich jeden einzelnen Kommentar gefreut, kann man manchmal kaum glauben, daß es Menschen da draußen gibt, die bei mir gerne mitlesen. Und vor allem: kluge Menschen, die ich zu schätzen gelernt habe im Laufe des letzten halben Jahres, deren Interesse mir zur Ehre gereicht.

Damit habe ich seinerzeit wahrhaftig nicht gerechnet. Bei dem ein oder anderen Bekannten hatte ich vorher mal in Reiseblogs aus studentischen Zeiten mitgelesen, meist im Stil: „erst war ich hier, dann war ich da, dann habe ich das gemacht, dann kam einer, der sagte....“. Ich bitte um Verzeihung, das fand ich entsetzlich öde und habe nur aus Loyalität und Freundschaft gelegentlich vorbeigeschaut.
Daß es auch anders geht, wurde mir erst im Frühjahr klar. Spätes Mädchen, sozusagen. Ich habe ganze Abende lang meine Bücher kaum in die Hand genommen, hier festgelesen, da geblättert, dort mitgelacht und nachgedacht. Manches Mal habe ich mich gefragt: wo verstecken sich diese vielen klugen, nachdenklichen, witzigen, vielseitig interessierten Menschen im richtigen Leben? Mal finde ich mich selbst in Einträgen wieder – bei anderen wiederum kann ich mich über die Fremdheit nicht genug wundern. Aber eine große Bereicherung meines Alltags ist es geworden. Lesen wie auch selber schreiben. An manchen Tagen, wenn ich heimwehgequält vorm Rechner saß und von aller Welt verlassen fühlte, haben mich Zuspruch und Interesse völlig fremder Menschen tatsächlich getröstet. Ich habe Zugang zu Themen erhalten, die sich mir nie erschlossen hätten, Einblicke in Welten erhalten, die in Deutschland so nah und doch von meinem Umfeld so fern waren oder sind. Habe den Kopf geschüttelt über schwachsinnige Meinungen, gedanklich genickt bei anderen, und mich fast immer prächtig amüsiert.

Ein afrikanischer Freund beschwerte sich einmal, emanzipierte deutsche Damen seien erstaunlich unfähig, Komplimente und Geschenke mit Grazie zu akzeptieren. In diesem Fall aber ein sehr damenhaftes, aufrichtig erfreutes, herzliches Danke: für Anwesenheit, Interesse, Kommentare. Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen!

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Mittwoch, 27. Mai 2009
Tastenspiele
Jedes Mal nutze ich die kurzen Aufenthalte daheim und bearbeite die Tasten unseres Klaviers. Nachdem ich inzwischen nur noch aus reiner Freude am Spiel für mich selbst klimpere, habe ich vor über einem Jahr schon Bachs Goldberg Variationen erworben und beiße mir daran die Zähne aus – oder besser: verknote mir die Finger. Schon klar, das ist nicht nur ambitioniert sondern definitiv weit jenseits meiner pianistischen Möglichkeiten, aber es macht Spaß. Diesmal habe ich immerhin ganze zwei Variationen zumindest so halbwegs erarbeitet, nicht im Tempo, musikalisch eine Katastrophe, Stimmführung entsetzlich, und überhaupt alles nicht präsentabel, aber Noten gelernt. Damit habe ich nun das Thema und insgesamt vier Variationen. Beim Thema haken die Verzierungen, die erste Variation ist noch lange nicht im Tempo und die dritte noch viel weniger, aber ich habe große Freude und darauf kommt es an.

Nun kam also meine post-examinös depressive Schwester, um sich im elterlichen Heim pflegen zu lassen. In unserer Kindheit unbestreitbar das pianistische Wunderkind, der Stern am Musikhimmel unserer Familie, spielt sie inzwischen eigentlich gar nicht mehr Klavier und hat auch sonst kein besonderes Interesse an Musik (und nie gehabt, ganz nebenbei). Voller Begeisterung stürzte sie sich am ersten Abend auf den Stapel sortierter Noten, förderte von Dvorak die Slawischen Tänze für vier Hände zu Tage und wollte mit mir spielen. Schön, wir quetschten uns nebeneinander auf die Bank, und haben losgelegt. Sie hat die Tänze seinerzeit für einen Wettbewerb geübt und beherrscht die Oberstimme immer noch sehr gut. Ich habe mich so gut es geht durch die Unterstimme gefingert, die meist in Akkorden und Harmonien läuft, und überhaupt recht überschaubar ist. Außerdem darf ich in aller Bescheidenheit sagen, daß ich im Vergleich zu meiner Schwester ein gewisses Talent fürs Vom-Blatt-Spiel habe und eben seit Jahren regelmäßig übe, wenn ich zu Hause bin. Unser vierhändiger Versuch der Hausmusik funktionierte daher wider Erwarten gut. Die gesamte Familie kommentierte in wohlwollend-überraschter Weise mein ordentliches Spiel, aber ich bin ja inzwischen erwachsen genug, daß ich mir sage: es ist keine Kränkung, nimm's nicht so schwer. Meine Schwester – immer noch im Überschwang – bat mich dringend, in den kommenden Tagen doch den Dvorak zu üben, so daß wir vielleicht noch einmal ernsthafter musizieren könnten. Was ich selbstverständlich mit Vergnügen getan habe, ist mir doch Kammermusik eine echte Freude. Nun habe ich also die ganzen letzten Tage die wenigen freien Minuten genutzt, die gerunzelte Stirn meiner Schwester ob der Lärmbelästigung durch mich ignoriert – aber gespielt haben wir nicht. Dafür hatte sie dann doch keine Zeit oder keine Lust oder ich weiß nicht was. Und ist heute Abend im Streit abgereist.

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Mittwoch, 20. Mai 2009
Abschied auf Raten
Ich löse meine Kindheit auf. Meine Eltern sind der Sorgen um Haus und Garten in Familiengröße überdrüssig und werden in naher Zukunft in eine Wohnung in der Stadt ziehen, und so befaßt sich die gesamte Familie seit Wochen mit Generalentrümpelung. Als meine Eltern hier eingezogen sind, war ich schon aus dem Haus, wurde vor vollendete Tatsachen gestellt und habe entsprechend lange gebraucht, um hier heimisch zu werden. Daher finde ich es umso seltsamer, daß dieser Abschied mir so viel schwerer fällt als der letzte.



Das neue Zuhause meiner Eltern hat nur noch ein Kinderzimmer, reserviert fürs Nesthäkchen, und so muß ich schon dankbar sein, daß meine Möbel und restlichen Habseligkeiten im winzkleinen Keller auf meine Rückkehr warten dürfen. Im Gegenzug habe ich mich verpflichtet, gnadenlos auszusortieren. Am Wochenende habe ich mich in vorbildlich aufschiebender Weise erst mal mit den Noten und CDs meiner Eltern befaßt und dort Müll entsorgt (wobei mein sparsamer Papa die Hälfte der Müll-CDs aus meiner Aussortierung wieder aussortiert hat), gestern gab es jedoch keine Ausreden mehr. Eine ganze Schrankwand voller Bücher, Ordner, Fotoalben, Kisten, Tüten, Kästen wartete auf beherzte Taten. Es fühlte sich an, als würde ich meine Vergangenheit entsorgen. Ich komme zweifellos nach meinem Vater und habe das von ihm begonnene Werk, wirklich ALLES akribisch abzuheften, getreulich fortgesetzt und so kann man mit den fünf Ordnern fast alle Ereignisse der vergangenen zehn Jahre nachvollziehen. Unterlagen von meinem Amerika-Aufenthalt mit sechzehn, Briefe zwischen meinen Eltern und Gasteltern, Briefe von mir an die Familie daheim, Schulunterlagen, Verträge für Ferienjobs, die ersten Schritte ins Studentenleben, Mietverträge, Stadtwerke-Rechnungen, Telefonrechnungen, streitsüchtiger Briefwechsel mit Nachbarin, Behördenanträge – alles, alles, alles ist da! Außerdem habe ich billigen Modeschmuck von Karnevalspartys gefunden, gemischt mit altem Silberschmuck den ich schon vor Jahren als untragbar eingestuft habe. Ein Deckchen in Kreuzstich, handegearbeitetes Geschenk an meine Mutter und irgendwie wieder bei mir gelandet. Plastiktüten mit Wechselgeld in Fremdwährung, Liebesbriefe von Ex-Freunden, Weihnachts- und Geburtstagskarten, Schlüsselanhänger. Zwischen dem Nippes mein Poesiealbum aus der fünften Klasse, ein scheußliches Tagebuch in lindgrün mit Hundewelpen drauf (Geschenk meines ersten Verehrers in der vierten Klasse und die Einträge sind einen eigenen Beitrag in meinem digitalen Tagebuch wert), dazwischen immer wieder vereinzelte Fotos und sonstige Memorabilia. Unter der Decke meines Schreibtischs mit Tesafilm festgeklebt habe ich ein Pferdchen aus Pappkarton gefunden, auf der Rückseite: „Gutschein für zwei Reitstunden bei Petra Z.“ – von meiner Mama, natürlich, mehr als fünfzehn Jahre alt.

Wenn ich im September zurückkomme, werden meine Eltern schon umgezogen sein. Es sind die letzten Tage in diesem wunderbaren, eigenwilligen alten Haus. Die letzten Abende im Wohnzimmer mit dem fantastischen Ausblick übers Land, die letzten Zigaretten auf der alten Bank vor der Küche, die letzten Laufrunden im Feld, die letzten Atemzüge mit dem betörenden Blumen- und Gräserduft. Das letzte Mal werde ich abends mit meinem Papa auf der Terrasse sitzen und auf den Moment warten, da die Vögel plötzlich alle zur Ruhe gehen. Das letzte Mal für mein unsagbar häßliches vierbeiniges Patenkind den Ball über den Rasen schmeißen und lachen, wenn es vor Überschwang eine Rolle schlägt. Viele letzte Male und das bedrückende Gefühl, bei meiner Rückkehr kein richtiges Zuhause mehr zu haben!

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Dienstag, 19. Mai 2009
Der Aufsitzrasenmäher
Meine Eltern ziehen um, von einem Haus mit großem Garten in eine Wohnung in der Stadt mit Balkon, ohne Garten. Heute mit Papa im im Baumarkt Umzugskartons gekauft, sagt er mit ganz sehnsüchtig-hungrigem Blick: Guck mal da, der Aufsitzrasenmäher... kostet nur 500 Euro.

Männer.

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Montag, 18. Mai 2009
Schaulaufen
Mein Leben in den heimischen vier Wänden ist so unspektakulär, daß ich nichts Rechtes zu schreiben weiß. Ich war beim Zahnarzt, habe meine Großtanten im Altenheim besucht, Koffer ausgepackt, Reisekostenabrechnungen zusammengesucht, derlei Zeugs. Allerdings war ich gestern Abend mit meinen Eltern in der Hochschule im Konzert. Mehrere Sonaten für Cello und Klavier, fantastische Musiker und viele Bekannte aus meiner Kindheit und Jugend. Meine alte Klavierlehrerin mit ihrem Mann, die sich immer so herzlich freuen, mich zu sehen. Natürlich werde ich in den nächsten Tagen noch anrufen und mich mit ihr zum Kaffee treffen. Bei der Gelegenheit auch die Dozentin Frau T. getroffen, bei der ich vor Jahren ein Seminar über Bach gehört habe. Ich habe sich nicht wiedererkannt (so lange her), sie konnte mich hingegen sehr wohl zuordnen - entweder hat meine Klavierlehrerin so oft von mir erzählt oder ich habe damals Eindruck hinterlassen? Mein alter Mathelehrer Herr L. war auch da, der mir seinerzeit regelmäßig völlig unzureichende mathematische Fähigkeiten bescheinigte und sich immer so frech in private familiäre Angelegenheit einmischte. Die Architektin meiner Eltern samt Ehemann, welche die Blumendekoration zu Recht mit Adventskränzen verglich. Die Ehefrau von Prof. B. gesehen, der – ganz nebenbei bemerkt – ein ziemliches Schnitzel ist. Dazu korrespondierend eilt ihm der Ruf voraus, ein rechter Charmeur zu sein, was wiederum gut zu der flaschenblonden Schreckschraube von Ehefrau passen würde. Etliche Dozenten der Hochschule, die ich flüchtig oder vom sehen kenne, Eltern von ehemaligen Mitschülern (Schulbank oder Klavierbank) und natürlich die lokale Prominenz.

Und so wunderbare Musik! Ich liebe Kammermusik. Es ist so lange her, daß ich selbst das letzte Mal Duo gespielt habe – 2003 mit einer Flötistin, wenn ich mich recht erinnere. Meine geigende Schwester ist leider nie zu motivieren, wenn wir mal gleichzeitig zu Hause sind. Würde meine Ruhelosigkeit mich nicht immerfort weitertreiben, von einem Land ins nächste, dann hätte ich gerne ein schönes Zuhause mit einem netten kleinen Flügel drin, einen Beruf, der mir Zeit zum Üben läßt, und den passenden Freundeskreis für Kammermusik. Das wäre fein.

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Freitag, 1. Mai 2009
Fliegen
Ich habe ja schon verschiedentlich meine Leidenschaft fürs Reisen mitgeteilt – ich kann es nicht erklären, ich finde reisen einfach aufregend. Busbahnhöfe, Bahnbahnhöfe, Flugbahnhöfe Flughäfen – alle üben auf mich eine ganz besondere Faszination aus. Ich liebe es auch, Reisende zu beobachten. Die Dame, die offenbar von München nach Köln reist, aber nur ein kleines Handtäschchen bei sich trägt. Der in Nationaltracht gewandete Saudi, der in Frankfurt Messe in den Zug nach Freiburg steigt – und mir abends auf der Rückfahrt wieder begegnet. Was er wohl gemacht hat? In Warteschlangen am Flughafen versuche ich, die Leute einer Nationalität zuzuordnen und einen Blick auf die Pässe zu erhaschen, rot, grün, blau – woher sie wohl stammen mögen?
Bin ich in milder Stimmung – und mein Zug ist pünktlich –, hege ich aufrichtige Bewunderung für die Koordinationsleistung der Bahn, die Hunderte von Zügen über Millionen von Trassenkilometern leitet. Vor allem aber liebe ich die Atmosphäre am Flughafen, den Moment, wenn das Rollband meinen Koffer von mir wegträgt und ich meinen Kontrollimpuls niederkämpfe (Schloß zu? Koffergurt gesichert? Schlafanzug eingepackt?). Ich kann mir stundenlang die Nase am Fenster zum Rollfeld plattdrücken, die Flugzeuge beobachten, mich fragen, ob in jenem Container mein Koffer gerade auf dem Weg in den Flugzeugbauch ist – oder doch in dem dahinten. Mein liebster Moment jedoch ist der, wenn einen die Fliehkraft in den Sitz drückt und ich mich einmal mehr mit kleinmädchenhafter Freude wundere, wie wir es fertig bringen, mit dreihundert Tonnen Gewicht die Schwerkraft unserer Erde zu überwinden.

Ausgangspunkt meiner Leidenschaft fürs Fliegen war vermutlich jener Sommer, in dem meine Eltern mich zu Freunden auf eine beliebte Mittelmeerinsel verschickten (zwecks Animation und Bespaßung der Tochter des Hauses meiner Gastgeber) und ich zum ersten Mal alleine geflogen bin – bzw. mit dem Stewardessen-Kinder-Service der Fluglinie. Als ich im darauffolgenden Herbst gefragt wurde, was ich später werden wolle, stand meine Antwort fest: Stewardeß! Die waren alle so hübsch und freundlich und trugen adrette Uniformen. Die Stewardeß war auch meine liebste Mix-Max Figur. Meine Antwort fand jedoch keinen Anklang in der Familie und irgend jemand (vermutlich mein Vater) intervenierte: „Stewardeß ist nix für Dich, Du bist so ein kluges Kind, Du mußt was intellektuell anspruchsvolles machen“. Woraufhin ich entgegnete: „Dann werde ich Pilotin“. Damals war ich noch nicht von Mathe-und Physiklehrern in die naturwissenschaftliche Unfähigkeit traumatisiert worden und traute mir das durchaus zu. Ich habe sämtliche verfügbaren Unterlagen übers Fliegen gesammelt, konnte detailliert die Lufthansa Flotte beschreiben und war überhaupt völlig überzeugt von meinen Absichten. Bis zum Abitur war ich immer noch nicht kuriert, aber nach einigen Anrufen bestätigten sich meine Befürchtungen: mit meinen kurzsichtigen Augen würde mich die Lufthansa nicht einmal einen Simulator besteigen, viel weniger einen Airbus transatlantik verantworten lassen. Geblieben ist die Erinnerung an meinen ersten leidenschaftlichen Berufswunsch.

Jetzt jedenfalls werde ich dem Lebensgefühl zumindest ziemlich nahe kommen: in vierzehn Tagen werde ich sechs Langstreckenflüge aussitzen, dreizehn Starts und Landungen erleben und sieben Flughäfen besichtigen.
Herr Cabman meinte aus dem vorigen Post herauslesen zu können, dass ich bei der Wahl zwischen Brasilienreise und Auswahlverfahren der Reise den Vorzug geben könne - aber das war eher mein Bauchgefühl als der Verstand. Ich bin leider derart preussisch-protestantisch indoktriniert und von Pflichtgefühl erfüllt, dass ich vermutlich nie im Leben so ein Bewerbungsgespräch ausfallen lassen würde zugunsten meines Privatvergnügens*. Insofern war die Entscheidung tatsächlich von Anfang an klar. Während ich also die halbe Nacht damit verbracht habe, nach einer Lösung meines Problems zu suchen und irgendwie beides zu arrangieren, lösten sich alle Probleme von ganz alleine nach einem Anruf beim potentiellen Arbeitgeber. Der meine Anreisekosten übernimmt. Ich habe schon angefangen, mich auf das Gespräch vorzubereiten (nix schlafen und ausruhen in den nächsten Tagen) und werde vermutlich am Ende ein Heiligenscheinchen von radioaktiver Höhenstrahlung mitbringen. Und einen CO2-Fußabdruck in der Größenordnung von King Kongs Pranken haben. Falls es hier hingegen überraschend still wird, liege ich vielleicht mit Thrombose im Krankenhaus.


*Um Missverständnisse zu vermeiden: Brasilien ist keine reine Vergnügungsreise, sondern hat eher Seminarcharakter - andernfalls wäre ich kaum auf die Idee gekommen, das mit dem potentiellen Arbeitgeber zu besprechen.

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Donnerstag, 2. April 2009
Notwendigkeit
Es gibt genau zwei Dinge, die in Washington deutlich günstiger sind als daheim: Taxi fahren und "shoppen". Schuhe, Handtaschen, Jeans… was könnte ich für einen Spass haben, wenn nicht leider jeglicher Luxus aufgrund akuter Budgetprobleme im Moment verboten wäre. Bücher hingegen, Bücher sind kein Luxus, sondern Lebensnotwendigkeit. Zur Illustration: ich bin mit zwei Büchern - akute Platzprobleme im Koffer - eingereist, besitze jetzt schon vier weitere und habe arge Zweifel, dass das in den kommenden vier Wochen nicht noch mehr werden wird. Eines davon war ein echter Glücksgriff, und um den geht es mir hier: ich wollte eigentlich Updike kaufen, aber den gab es leider in dem hässlichen Laden mit dem Ambiente einer Legebatterie-Fabrik nicht mehr (die Bücher sind hier weitenteils sogar gleich gross, absolut scheusslich). Ich vermisse meine Frankfurter Antiquariate. Während also mein hungriger Blick die Regale rechts und links von Updike absuchte fand ich dies: Barry Unsworth, Sacred Hunger. Die Sprache ist so wunderbar, dass ich tatsächlich mit laufendem Laptop lese, um einzelne Vokabeln nachzuschlagen - seit sehr langer Zeit zum ersten Mal wieder. Und manchmal innehalte, um einzelne Sätze zu wiederholen, weil sie so schön und bildhaft sind. Bin begeistert.

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Sieben Leben...
1. Im ersten wäre ich nicht hoffnungslos kurzsichtig und Pilotin, für Transatlantik Flüge, versteht sich.
2. Dann würde ich mit zwanzig erben oder reich heiraten und könnte ein ganzes Leben lang sorglos Philosphie, Geschichte, Literaturwissenschaften und sonderbare Exotenfächer studieren.
3. Im dritten bekäme ich einen blauen Reisepaß und würde auf der ganzen Welt leben und mich überall unter Freunden fühlen.
4. Würde ich Förster und dem Waldsterben Einhalt gebieten – zumindest auf ein paar Hektar.
5. Im fünften wäre ich Ärztin und riskierte Kopf und Kragen in den Krisengebieten dieser Welt .
6. In einem wäre ich Dirigentin und könnte Orgel, Oboe und Cello spielen.
7. Im siebten wäre ich ein Mann – nur mal um zu wissen, wie das ist, und alle die Dinge tun zu können, die mir immer verwehrt waren.

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