Schwarzes Schätzchen
An manchen Tagen überfällt mich das Heimweh; nach überhaupt irgendeinem Zuhause. Habe ja im Moment und in absehbarer Zukunft keines. An sentimentalen Tagen wie diesem wäre ich gerne seßhaft, um alle meine Habseligkeiten, Bücher, CDs, Möbel endlich wieder auspacken zu können. Meine erste Anschaffung, wenn ich irgendwann wieder ein Zuhause habe, wird ein Klavier sein.
Wir – ich sollte wohl sagen: meine Eltern – hatten im Laufe der Jahre viele Tasteninstrumente. Zeitweise sogar zwei. Das erste war ein häßliches braunes Klavier, mit einer noch scheußlicheren braunen Bank davor und einem mattgoldenen Lämpchen auf dem Deckel. Marke unbekannt, habe ich verdrängt.
Nach vier Jahren Unterricht bei einer Klavierstudentin der nahen Hochschule wechselte ich die Lehrerin. Ausführliche Erkundigungen in der Region führten zu zwei Namen von empfehlenswerten Damen der Zunft. Die erste wohnte zu weit weg, der zweiten wurde ich vorgestellt. Zehn Jahre alt, saß ich auf dem Sofa in einem kleinen Wohnzimmer, das ganz von einem großen Steinway Flügel und vielen, vielen Bildern von Musiker und Komponisten dominiert wurde. Ich weiß noch, daß ich mich bei einer Fleischbeschau wähnte, während meine Finger untersucht, verbogen und gezogen wurden. Dann mußte ich vorspielen – und wurde als Schülerin akzeptiert. Ein Jahr später wechselte auch meine Schwester und mit dem gestiegenen musikalischen Engagement wurde der erste Flügel angeschafft. Grotrian-Steinweg. Gebraucht gekauft, fürchterlich abgewrackt, mühsam aufgearbeitet und in mattschwarzer Lackierung hielt er Einzug in unserem Wohnzimmer. Und dominierte sofort die Szene wie auch unser aller Leben. Die Mechanik flüssig, der Widerstand beim Anschlag angenehm, die Pedale gerade richtig gängig. Im Klang war er ungewöhnlich warm und weich, eher ein bißchen wie Steinway, aber doch eigenwillig. Wieviele Stunden ich daran verbracht habe? Da muß ich rechnen... dreitausend, vielleicht auch mehr? Irgendwann wurde – mit nunmehr drei musikalisch aktiven Damen im Haus – noch ein weiteres Klavier angeschafft. Yamaha. Weiß. In meinem Zimmer. Bei aller Kulturbeflissenheit wollten meine Eltern doch abends irgendwann ihre Ruhe haben, ich jedoch üben. Das japanische Prunkstück wurde einige Jahre später ganz unsentimental abgestoßen, als kein Bedarf mehr bestand. Schon vorher jedoch mußte der Grotrian-Steinweg dem Spielerglück meiner Eltern weichen. Mehr aus Spaß hatten sie an der Hochschule auf einen alten Steinway Flügel aus einem der Überäume in einer Auktion mitgeboten – und den Zuschlag erhalten. Das neues Herzstück des Wohnzimmers war nicht mehr dezent-matt lackiert, sondern glänzte herrisch. Die Elfenbeintasten waren zugegebenermaßen ein Vergnügen, Mechanik und Klang einwandfrei – aber so richtig warm geworden sind wir nie. Wohl auch, weil ich damals schon ausgezogen war und sich nie die vertraute Nähe ungezählter miteinander verbrachter Übestunden einstellte. Angeschafft zu Gunsten meiner hochtalentierten Schwester, bin ich heute – nachdem wir alle nur noch sporadische Pensionsgäste im Hotel Mama sind – die einzige, die Klavierüben und Heimaturlaub nicht für einen Widerspruch hält. Und obwohl der Steinway fraglos ein fantastisches Instrument ist, vermisse ich immer noch das alte mattschwarze Schätzchen aus Braunschweig. So einen will ich wieder haben, das weiß ich bestimmt.



JM http://www.logodesignweb.com/stockphoto

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