Mittwoch, 27. Mai 2009
Tastenspiele
Jedes Mal nutze ich die kurzen Aufenthalte daheim und bearbeite die Tasten unseres Klaviers. Nachdem ich inzwischen nur noch aus reiner Freude am Spiel für mich selbst klimpere, habe ich vor über einem Jahr schon Bachs Goldberg Variationen erworben und beiße mir daran die Zähne aus – oder besser: verknote mir die Finger. Schon klar, das ist nicht nur ambitioniert sondern definitiv weit jenseits meiner pianistischen Möglichkeiten, aber es macht Spaß. Diesmal habe ich immerhin ganze zwei Variationen zumindest so halbwegs erarbeitet, nicht im Tempo, musikalisch eine Katastrophe, Stimmführung entsetzlich, und überhaupt alles nicht präsentabel, aber Noten gelernt. Damit habe ich nun das Thema und insgesamt vier Variationen. Beim Thema haken die Verzierungen, die erste Variation ist noch lange nicht im Tempo und die dritte noch viel weniger, aber ich habe große Freude und darauf kommt es an.

Nun kam also meine post-examinös depressive Schwester, um sich im elterlichen Heim pflegen zu lassen. In unserer Kindheit unbestreitbar das pianistische Wunderkind, der Stern am Musikhimmel unserer Familie, spielt sie inzwischen eigentlich gar nicht mehr Klavier und hat auch sonst kein besonderes Interesse an Musik (und nie gehabt, ganz nebenbei). Voller Begeisterung stürzte sie sich am ersten Abend auf den Stapel sortierter Noten, förderte von Dvorak die Slawischen Tänze für vier Hände zu Tage und wollte mit mir spielen. Schön, wir quetschten uns nebeneinander auf die Bank, und haben losgelegt. Sie hat die Tänze seinerzeit für einen Wettbewerb geübt und beherrscht die Oberstimme immer noch sehr gut. Ich habe mich so gut es geht durch die Unterstimme gefingert, die meist in Akkorden und Harmonien läuft, und überhaupt recht überschaubar ist. Außerdem darf ich in aller Bescheidenheit sagen, daß ich im Vergleich zu meiner Schwester ein gewisses Talent fürs Vom-Blatt-Spiel habe und eben seit Jahren regelmäßig übe, wenn ich zu Hause bin. Unser vierhändiger Versuch der Hausmusik funktionierte daher wider Erwarten gut. Die gesamte Familie kommentierte in wohlwollend-überraschter Weise mein ordentliches Spiel, aber ich bin ja inzwischen erwachsen genug, daß ich mir sage: es ist keine Kränkung, nimm's nicht so schwer. Meine Schwester – immer noch im Überschwang – bat mich dringend, in den kommenden Tagen doch den Dvorak zu üben, so daß wir vielleicht noch einmal ernsthafter musizieren könnten. Was ich selbstverständlich mit Vergnügen getan habe, ist mir doch Kammermusik eine echte Freude. Nun habe ich also die ganzen letzten Tage die wenigen freien Minuten genutzt, die gerunzelte Stirn meiner Schwester ob der Lärmbelästigung durch mich ignoriert – aber gespielt haben wir nicht. Dafür hatte sie dann doch keine Zeit oder keine Lust oder ich weiß nicht was. Und ist heute Abend im Streit abgereist.

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