Freitag, 1. Mai 2009
Zeitsprung
Vor genau zwölf Jahren, am 1. Mai 1997, saß ich ebenfalls in einer Maschine von Washington Dulles Airport nach Düsseldorf. Manchmal schaue ich ungläubig zurück und kann kaum fassen, daß das mein Leben ist. Oder zunehmend gewesen sein soll.
Ich hatte damals viermal so viel Gepäck dabei wie heute und doppelt so viel wie bei der Einreise, vor allem aber war ich erfüllt von dem Bewußtsein, weiter gereist zu sein als irgendein anderes Mitglied meiner Familie und hatte unbändige Sehnsucht nach zu Hause. Ich bin fast geplatzt vor Wiedersehensfreude – nur um viel zu schnell festzustellen, daß die Heimat mir fremd geworden war in dem Jahr. Ich habe in den Staaten mein erstes Date erlebt, meine erste verzweifelte Selbstmorddrohung, die erste Erschütterung meines Weltbilds. Großzügige Gastfreundschaft gefunden an unerwarteter Stelle ebenso wie Kleinlichkeit und Abgründe. Mit nach Hause genommen habe ich einen Schatz an Erfahrungen und vage Vorstellungen von einer irgendwie aufregenden und großartigen Zukunft (die sich so nie einstellte). Grossartig wurde es nicht, dafür aber anstrengend, manchmal aufregend, immer jedoch abwechslungsreich. Ich war so unendlich viel jünger und naiver, hatte noch keine grauen Haare aber dafür große Pläne, die sämtlich enttäuscht wurden. Was ich bekommen habe, wenn ich zurückschaue, ist nicht das, was ich mir erträumt habe, aber es ist nicht schlecht.
Rückblicke machen mich immer melancholisch, aber ich will nicht undankbar sein sondern mich an dem freuen, was ich habe, statt den Misserfolgen nachzujammern. und das schöne am Älterwerden ist die Zuversicht und Erfahrung, daß alles Ungemach sich auch wieder einrenken wird.

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Fliegen
Ich habe ja schon verschiedentlich meine Leidenschaft fürs Reisen mitgeteilt – ich kann es nicht erklären, ich finde reisen einfach aufregend. Busbahnhöfe, Bahnbahnhöfe, Flugbahnhöfe Flughäfen – alle üben auf mich eine ganz besondere Faszination aus. Ich liebe es auch, Reisende zu beobachten. Die Dame, die offenbar von München nach Köln reist, aber nur ein kleines Handtäschchen bei sich trägt. Der in Nationaltracht gewandete Saudi, der in Frankfurt Messe in den Zug nach Freiburg steigt – und mir abends auf der Rückfahrt wieder begegnet. Was er wohl gemacht hat? In Warteschlangen am Flughafen versuche ich, die Leute einer Nationalität zuzuordnen und einen Blick auf die Pässe zu erhaschen, rot, grün, blau – woher sie wohl stammen mögen?
Bin ich in milder Stimmung – und mein Zug ist pünktlich –, hege ich aufrichtige Bewunderung für die Koordinationsleistung der Bahn, die Hunderte von Zügen über Millionen von Trassenkilometern leitet. Vor allem aber liebe ich die Atmosphäre am Flughafen, den Moment, wenn das Rollband meinen Koffer von mir wegträgt und ich meinen Kontrollimpuls niederkämpfe (Schloß zu? Koffergurt gesichert? Schlafanzug eingepackt?). Ich kann mir stundenlang die Nase am Fenster zum Rollfeld plattdrücken, die Flugzeuge beobachten, mich fragen, ob in jenem Container mein Koffer gerade auf dem Weg in den Flugzeugbauch ist – oder doch in dem dahinten. Mein liebster Moment jedoch ist der, wenn einen die Fliehkraft in den Sitz drückt und ich mich einmal mehr mit kleinmädchenhafter Freude wundere, wie wir es fertig bringen, mit dreihundert Tonnen Gewicht die Schwerkraft unserer Erde zu überwinden.

Ausgangspunkt meiner Leidenschaft fürs Fliegen war vermutlich jener Sommer, in dem meine Eltern mich zu Freunden auf eine beliebte Mittelmeerinsel verschickten (zwecks Animation und Bespaßung der Tochter des Hauses meiner Gastgeber) und ich zum ersten Mal alleine geflogen bin – bzw. mit dem Stewardessen-Kinder-Service der Fluglinie. Als ich im darauffolgenden Herbst gefragt wurde, was ich später werden wolle, stand meine Antwort fest: Stewardeß! Die waren alle so hübsch und freundlich und trugen adrette Uniformen. Die Stewardeß war auch meine liebste Mix-Max Figur. Meine Antwort fand jedoch keinen Anklang in der Familie und irgend jemand (vermutlich mein Vater) intervenierte: „Stewardeß ist nix für Dich, Du bist so ein kluges Kind, Du mußt was intellektuell anspruchsvolles machen“. Woraufhin ich entgegnete: „Dann werde ich Pilotin“. Damals war ich noch nicht von Mathe-und Physiklehrern in die naturwissenschaftliche Unfähigkeit traumatisiert worden und traute mir das durchaus zu. Ich habe sämtliche verfügbaren Unterlagen übers Fliegen gesammelt, konnte detailliert die Lufthansa Flotte beschreiben und war überhaupt völlig überzeugt von meinen Absichten. Bis zum Abitur war ich immer noch nicht kuriert, aber nach einigen Anrufen bestätigten sich meine Befürchtungen: mit meinen kurzsichtigen Augen würde mich die Lufthansa nicht einmal einen Simulator besteigen, viel weniger einen Airbus transatlantik verantworten lassen. Geblieben ist die Erinnerung an meinen ersten leidenschaftlichen Berufswunsch.

Jetzt jedenfalls werde ich dem Lebensgefühl zumindest ziemlich nahe kommen: in vierzehn Tagen werde ich sechs Langstreckenflüge aussitzen, dreizehn Starts und Landungen erleben und sieben Flughäfen besichtigen.
Herr Cabman meinte aus dem vorigen Post herauslesen zu können, dass ich bei der Wahl zwischen Brasilienreise und Auswahlverfahren der Reise den Vorzug geben könne - aber das war eher mein Bauchgefühl als der Verstand. Ich bin leider derart preussisch-protestantisch indoktriniert und von Pflichtgefühl erfüllt, dass ich vermutlich nie im Leben so ein Bewerbungsgespräch ausfallen lassen würde zugunsten meines Privatvergnügens*. Insofern war die Entscheidung tatsächlich von Anfang an klar. Während ich also die halbe Nacht damit verbracht habe, nach einer Lösung meines Problems zu suchen und irgendwie beides zu arrangieren, lösten sich alle Probleme von ganz alleine nach einem Anruf beim potentiellen Arbeitgeber. Der meine Anreisekosten übernimmt. Ich habe schon angefangen, mich auf das Gespräch vorzubereiten (nix schlafen und ausruhen in den nächsten Tagen) und werde vermutlich am Ende ein Heiligenscheinchen von radioaktiver Höhenstrahlung mitbringen. Und einen CO2-Fußabdruck in der Größenordnung von King Kongs Pranken haben. Falls es hier hingegen überraschend still wird, liege ich vielleicht mit Thrombose im Krankenhaus.


*Um Missverständnisse zu vermeiden: Brasilien ist keine reine Vergnügungsreise, sondern hat eher Seminarcharakter - andernfalls wäre ich kaum auf die Idee gekommen, das mit dem potentiellen Arbeitgeber zu besprechen.

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