Montag, 1. Juni 2009
Ankunft
Die ersten Tage in einer neuen Stadt sind immer die schlimmsten und die ersten Stunden ganz besonders. Der Flug, der unbekannte Ankunftsflughafen, Geld abheben, Transport in die Stadt organisieren, Hotel finden, Zimmer aussuchen – all das hält mich in Atem und die Bedenken fern, aber dann: man sitzt auf seinem Zimmer, überwältigt von neuen Eindrücken, alles ist fremd. Das Zimmer ist klein und bescheiden, die Dusche eine nachträglich eingebaute Plastikkabine, Vorhänge und Bettüberwurf in rosa Blumenmuster würde ich unter allen anderen Umständen als scheußlich betrachten, hier jedoch qualifizieren sie als Versuch freundlicher Dekoration. Die Kleiderbügel sind entsetzlich verstaubt – vermutlich geschuldet der Tatsache, daß die übliche Klientel dieses Etablissements nicht mit Anzügen und Blusen im Gepäck reist. Gleich muß ich hinaus ins zwar nicht direkt feindliche aber doch sehr fremde Leben, aber einen Moment lehne ich mich noch auf dem Bett zurück und betrachte den Stuck unter der Decke.
Ein kurzer Moment des Zweifels: kann man Wertsachen hier sorglos auf dem Zimmer lassen? Oder doch besser verstecken? Mangels Möglichkeiten hoffe ich, der Schlüssel sei sicher aufgehoben an der Rezeption und trabe ziellos los. Während des ersten Erkundungsgangs fällt mir meine Verlorenheit immer besonders auf. In den Cafés sitzen Pärchen, Freundinnen, Gruppen junger Männer, aber ich kenne niemanden in dieser Stadt. Natürlich wird sich das ändern, ab Montag habe ich Kollegen und sobald ich in diversen Ehemaligennetzwerken gesucht habe, hoffentlich auch andere Bekanntschaften, aber in diesem Moment bin ich ganz alleine. Ich fühle mich wie eine Marionette, von der die Fäden abgeschnitten wurden, orientierungslos und auch ein bißchen identitätslos. Niemand verstünde mich in meiner Muttersprache. Und ich bin ganz offensichtlich die Ausländerin hier, auf den ersten Blick. Selbst wenn ich fließend Arabisch und Französisch spräche, an dieser offensichtlichen Tatsache würde sich nichts ändern. Ganz besonders in der Métro fühle ich mich wie ein Exot im Zoo, mehr oder weniger verstohlen beäugt. Besser schon, in einem der touristischen Cafés an der Av Bourguiba zu sitzen, da falle ich weniger auf - auch wenn ich immer noch alleine bin. In europäischen Metropolen würde man sich vielleicht ein gut besuchtes Café aussuchen oder abends in eine Bar gehen, Blickkontakt aufnehmen, mit dem Barkeeper plauschen, oder neue Menschen bei einer Zigarette vor der Tür am Aschenbecher treffen. Nichts von alledem ist als alleinreisende Frau in arabischen Ländern empfehlenswert. In einem wirklich günstigen Hostel bestände vielleicht noch eine kleine Chance, andere Reisende kennenzulernen – aber ich ziehe eine saubere Dusche und Einzelzimmer dann doch der Gesellschaft vor.

Ich hasse diese ersten Tage, an denen ich nicht weiß, in welche Straßen und Vierteln ich mich sorglos bewegen kann, warum das Geld hier drei (!) Nachkommstellen hat, wieviel Taxigeld angemessen ist, in welche Richtung ich gehen soll, wo ich Notwendigkeiten einkaufen kann, wo es anständiges Essen gibt. Geht alles vorbei, tröste ich mich, und genieße den Klang von Arabisch rund um mich her. Französisch als Amtssprache scheint mir reichlich überholt, fast alle Menschen auf der Straße sprechen Arabisch. Während ich den ersten Café au lait trinke, buchstabiere ich mich durch die Schilder der umliegenden Hotels und Restaurants. Mein Französisch ist völlig eingerostet und obendrein fühlt sich mein Kopf nach einer Stunde an, als hätte jemand alle drei säuberlich getrennten Sprachschubladen zusammengeschüttet und nun ist alles durcheinander. Keine gute Idee, englische Literatur in ein zweisprachiges Land mitzubringen, ein Überbleibsel aus Washington. Temps passé, on se débrouille!

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