Donnerstag, 16. Juli 2009
Erste Eindrücke
Kein Tag ohne Stromausfall, ich mache gerade den zweiten Anlauf mit diesem Beitrag, weil ich eben zu faul war, den Akku in meinen Laptop zu stecken. Lustig zu sehen, wie die umliegenden Gebäude – zapp! – nacheinander erst dunkel werden, dann wieder vereinzelt Lichter angehen.

Wenn Sie Bilder von Entwicklungsländern sehen, könnte Ihnen der große Anteil an Geländewagen auffallen. Ich weiß jetzt auch warum. Es ist keineswegs so, dass alle Mitarbeiter der Vereinten Nationen und internationaler Hilfsorganisationen dekadente Salon-Kommunisten sind, vielmehr ist ein Allradantrieb hier unerlässlich für die Fortbewegung auf dem, was sich hier Straße nennt. Selbst in den besseren Vierteln der Millionenmetropole Kinshasa kann man von einer der Hauptstraßen abbiegen und sich auf einer besseren Schotterpiste wiederfinden. Schlaglöcher, fehlende Straßenmarkierungen, gelegentlich Bäume auf der Straße – ein SUV ist hier nicht Luxus sondern Notwendigkeit. Montag Abend haben wir auf dem Weg zu einem der netteren Restaurants der Stadt eine Pfütze durchquert, so tief wie mein Kinderplanschbecken, als ich noch jung und unschuldig im heimischen Garten spielte. Auf dem Parkplatz also eine Armada von Geländewagen, die Chauffeure alle in einem Wagen versammelt, fuhr vor uns eine Karosse bis direkt vor die Tür. Herren in Anzügen stiegen aus, das Sicherheitspersonal am Eingang salutierte schneidig und einer meiner Begleiter informierte mich flüsternd: C’est le Ministre de XXX. Wir ließen uns auf der Terrasse nieder, in der Sitzecke nebenan eine größere Gruppe Expats, Kinderwagen sorgfältig mit Moskitonetzen verschlossen. Meine Kollegin holte ihr Moskito-Repellent heraus, wir bestellten Bier und Essen, plauderten. Ich bin überrascht, wie gut ich französischen Gesprächen folgen kann je mehr ich mich einhöre, war aber viel zu müde, um die Anstrengung am Ende eines langen Arbeitstages noch zu machen. Drinnen einige sichtlich wohlhabende Afrikaner. Das Dessert – zuckersüße Mousse au Chocolat – kostete lächerliche zwölf Dollar. Zuhause in Frankfurt bekäme ich dafür ein Hauptgericht bei meinem Lieblingsitaliener um die Ecke. In Tunis vermutlich ein mehrgängiges Menu. Hier nur drei kleine Kleckse Schokocreme.

Mittags waren wir Sandwich holen in einer Bäckerei um die Ecke. Die Strecke ist kaum länger als mein täglicher Weg zum Bäcker in Tunis, aber zu Fuß zu gehen steht nicht zur Debatte. Ich habe mir sagen lassen, dass man als Ausländer zwar tagsüber keine ernsthaften Gefahren zu befürchten hat, sich aber der Belästigungen kaum erwehren kann und vereinzelte Jugendliche auch gelegentlich aggressiv werden, wenn man nicht bezahlt. Eine Kostprobe davon erhielt ich umgehend. An allen freien Parkplätzen hier warten stets hilfsbereite Afrikaner, die einen völlig unnötigerweise einwinken wollen und damit zuweilen, wenn es gleich drei auf einmal versuchen, an verschiedenen Enden des Autos, nur schwerer machen. Dennoch erwarten alle drei danach Trinkgeld für die erbrachte Dienstleistung. Neben der offiziellen Parkplatzwächterin verlangten also mittags zwei weitere Personen Parkgeld – für die zwei Minuten, die wir in der Bäckerei waren. Meine Kollegin erklärte mir, daß sie inzwischen bereitwillig regelmäßig alle bezahlt, die Ansprüche geltend machen, nur um des lieben Friedens willen. Auf der kurzen Fahrt zurück ins Büro konnte ich mehrere ähnliche Szenen beobachten. Und bin erschüttert. Was soll ich sagen: ich bin zerrisen zwischen Verständnis für eine Not, die keinen Platz für Moral und Anstand lässt und der Verunsicherung darüber, wie ich damit umgehen soll.

Ich habe in Nordafrika nie Angst gehabt, nie ernsthafte Befürchtungen gehegt. Vielleicht hatte ich auch einfach nur Glück, aber mir ist nie etwas abhanden gekommen, ich bin allenfalls im kleinen Stil über den Tisch gezogen worden, ein Euro hier, ein Euro dort. Hier hingegen, das habe ich schon begriffen, muß ich aufpassen. Im Dunkeln allein auf die Straße zu gehen ist undenkbar. Selbst Mittags zum Supermarkt zu laufen ist nicht ratsam. Ich bin in meiner Mobilität massiv eingeschränkt, muß mir dringend einen zuverlässigen Taxifahrer organisieren, um weniger abhängig von den Kollegen zu sein. Auch wenn die Kollegin, bei der ich wohne, ihrer – männlichen – Haushaltshilfe vertraut, hat sie gesagt: er weiß, dass ich hier bald aufhöre, also kann man nicht sicher sein, schließ Deinen Reisepaß lieber im Büro ein. Mich beschleicht der ketzerische Gedanke: wenn die Geschichte in diesem Land – Kolonialismus, Imperialismus, Stellvertreterkonflikte inbegriffen, an denen wir Europäer mitschuldig sind – zu einer solchen Mentalität geführt haben, was können dann alle gutgemeinten Bemühungen dieser Welt ausrichten? Das ist eine reichlich ernüchternde Erkenntnis, nach nur zwei Tagen in Kinshasa.

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