Montag, 20. Juli 2009
Ohne Worte
Fand ich schon Tunis sehr widersprüchlich, so fehlen mir für den Kongo den Worte.



„Die Reichtümer des Kongo reichen für alle“ – erklärte beim Abendessen jemand, der es wissen sollte. In der Tat, das Land ist reich an natürlichen Ressourcen, nur leider alle ungehoben. Es gibt unendlich viel Platz, genug, um alle zu ernähren, würde man das Land bewirtschaften. Nur leider mangelt es an Straßen, um Güter zu transportieren. Ein Bekannter erzählte, daß sein Onkel ein Vermögen damit verdient habe, nachts um drei Brot in Kinshasa zu kaufen, um vier mit Flugzeug in einer der Provinzmetropolen zu fliegen – eine Stunde mit Turbinenflugzeug – und dort zu verkaufen. Nach Jahren voller Konflikten und Bürgerkriegen gibt es inzwischen für die Strecke nur noch klapperige Propeller-Maschinen, die Pisten sind in erbärmlichem Zustand, wir mußten vor dem Ziel zwischenlanden, um für den Rückflug am folgenden Tag aufzutanken – an der Armut in jener Provinzhauptstadt hat sich jedoch nichts geändert. Nie, nie im Leben hätte ich geglaubt, daß es sich um eine Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern handelt, das wirtschaftliche Zentrum der Provinz; ohne den breiten Schriftzug „Mairerie“ hätte ich die Baracke gegenüber dem Hotel niemals als Rathaus identifiziert und das Hotel auch nicht als bestes Hotel am Ort. Und nie hätte ich erwartet, für unbesternten Hotelstandard auf Jugendherbergsniveau einhundert US Dollar auszugeben. Immerhin funktionierte abends das Wasser wieder, als wir von unserer Besichtigungstour zurückkehrten, staubig, verschwitzt und erschöpft.

Mit dem Ort, der dominanten Firma und seiner Infrastruktur verhält es sich wie bei uns zu Hause in der Kleinstadt mit der katholischen Kirche: ihr gehört praktisch alles. Schulen und Krankenhäuser, Arbeiterhäuser und Kadervillen, Straßen, Land, alle Infrastruktur – gehören der einzigen Firma am Ort. Sie produziert ihren eigenen Strom, betreibt ihre eigenen Werkstätten zur Reparatur von Geräten und Maschinen, ehemals auch landwirtschaftliche Betriebe zur Versorgung der Arbeiter. Leider arbeitet die Firma schon seit Jahren nicht mehr gewinnbringend. Hat ewig keine Gehälter mehr ausgezahlt. Und wurde mit dem Preisverfall im Diamantmarkt mehr oder minder stillgelegt.
Fassungslos sitze ich in einem klimatisierten Geländewagen, der sich über rote Schotterpisten quält, vor uns der Pick-up Truck mit dem Sicherheitspersonal, das bei jedem Halt als erstes Aufstellung nimmt. Nehme zur Kenntnis, daß überall JungsMänner mit Gewehren stehen. Daß es in den Fabrikgebäuden Sicherheitsvorkehrungen gab, die ein Gefängnis harmlos erscheinen lassen, um den Diebstahl der wertvollen Steinchen durch die Mitarbeiter zu verhindern. Und immer diese Blicke, die mich noch bis in den Schlaf verfolgen: überall werden wir angestarrt. Die Menschen bleiben stehen, die Köpfe wenden sich langsam, während wir passieren, die Blicke folgen uns. Das Bemühen, uns zu akkomodieren ist so überdeutlich, daß es mir das Herz zerreißt. Wir sollen sehen, wie wichtig diese Firma ist, wieviel von ihrem Wohlergehen abhängt, am Straßenrand und vor verlassenen Gebäuden salutieren und grüßen die ehemaligen und irgendwie gleichzeitig noch-immer-Arbeiter ohne Arbeit mit dem Habitus von Kindern in der Sonntagsschule - alles, für diesen Anlaß. Ich fühle mich persönlich schuldig, daß wir die mit unserer Ankunft verbundenen Hoffnungen nicht werden erfüllen können.

Den ganzen Tag rumpeln wir über Schotterpisten, daß mir irgendwann der Kopf schwirrt. Anhalten, ein paar Schritte laufen, Erklärungen, mein Kopf wird noch schwirriger von dem Bemühen, auf Französisch zu folgen und zwischendurch während der Fahrt freundlich Konversation mit den Mitfahrern zu machen. Die „Nouvelle Usine“ wirkt auf mich wie eine Fabrik aus dem vorvorigen Jahrhundert. Eine große Maschine zum Abbau von ich-weiß-nicht-was wird uns als weißer Elefant präsentiert, derer es in Kongo unendlich viele gibt: Investitionen, die niemals funktionierten. Eine Abbaumaschine in diesem Fall, die mehr Strom benötigt hätte, als verfügbar war und folglich keinen einzigen Tag gelaufen ist. Wir besichtigen Werkstätten mit Maschinen, die nur zu Präsentationszwecken kurz angeworfen werden, Abbauflächen ohne Abbau, Hühnerfarmen ohne Hühner, Maissilos ohne Mais, Krankenhäuser ohne Betten. Daß in den Schulen tatsächlich Schüler und Lehrer sitzen, verdankt sich nur der Tatsache, daß letztere seit längerer Zeit unentgeltlich arbeiten, damit die Schüler das Schuljahr beenden können. Mittlerweile haben die Arbeiter, die seit Jahr und Tag arbeitslos sind, all ihre Habe verkauft. Möbel, Kleider, Gebrauchsgegenstände, leere Hütten. Alternative Beschäftigungen gibt es nicht, und so stehen – wo immer wir passieren – Menschen am Straßenrand, abgerissen, mager, aber dennoch mit Hoffnung in den Augen, daß bessere Zeiten kommen mögen.

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