Freitag, 7. August 2009
Peinlich
... nein oberpeinlich. Sie sehen mich gerade leuchtendrot und schamerfüllt vorm Rechner sitzen. Drüber reden hilft mir, damit ich mich weniger geniere, also, bitte: Mittags fahren wir immer in die Bäckerei um die Ecke, ein Sandwich holen. Wenn keiner der Kollegen fährt, leiht mir meistens einer von ihnen seinen Fahrer - so auch heute. Es gibt namentlich zwei Kollegen, die so freundlich sind und ich versuche, gelegentlich zu wechseln, gewissermaßen die Last zu verteilen.

Der Fahrer bringt uns hin, läßt uns raus und parkt dann, möglichst direkt vorm Eingang. So auch heute - dachte ich. Jetzt stellt sich gerade heraus, daß ich offenbar die Fahrer verwechselt habe - die Autos sehen halt leider alle gleich aus. Jener Fahrer, der mich hingebracht hat, steht offenbar seit dreizehn Uhr vor der Bäckerei und wartet geduldig auf mich. Während ich mit irgendwem anders wieder ins Büro gefahren bin. Ich habe aber nicht die leiseste Ahnung mit wem. Warum hat der nix gesagt, der falsche Fahrer, bei dem ich mutmaßlich eingestiegen bin? Da es obendrein auch noch der Fahrer vom schönen J. war und nicht vom seniorenhaften G., wünsche ich mich gerade zehn Klafter unter die Erde. Oder nach Hause. Jedenfalls weit weg von hier.

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Abenteuer und Tischsitten
Don Alphonso regt sich über den Verlust des Gesellschaftsfingers auf und mich dazu an, von Tischsitten zu berichten. Zu erzählen gäbe es genug: nach amerikanischer Unkultur kämpfe ich jetzt in Afrika gegen mich selbst und ermahne mich zur Toleranz, wenn meine Tischnachbarn mit einer Geräuschkulisse, die man vermutlich noch in Deutschland hören könnte, ihrem Behagen Ausdruck geben. Wenn es aber doch ein kulturell anerkannter Indikator dafür ist, daß das Essen schmeckt, kann ich mich schlecht aufregen, auch wenn es mir gelegentlich den Appetit verschlägt. Ich habe mir im Ausland zunehmend angewöhnt, Absonderlichkeiten und Härten, die mich in zu Hause in Tobsucht oder Depression versetzen würden, mit stoischem Gleichmut zu ertragen und als Abenteuer zu betrachten. Anders geht es nicht.

Meine äthiopische Mitbewohnerin in Tunis hat selbstverständlich Reis mit den Fingern gegessen. Hühnchen kommt hier häufiger am Knochen als filetiert und der Verzehr ist folglich regelmäßig eine eher unappetitlich anzuschauende Angelegenheit. Die aufrechte Haltung mit dem Prinzip: Gabel zum Mund und nicht Mund zum Teller ist fernab europäischer Tische unhaltbar, aber offenbar auch unter europäischen Kollegen nicht mehr sehr populär. Spaghetti sind immer beliebt und überall erhältlich, aber wer macht sich schon noch die Mühe und nimmt sich die Zeit, diese sorgfältig aufzuwickeln, sodaß einem nicht dauernd die Sauce am Kinn hängt? Das ist nämlich ein weitere Nebeneffekt. Die Kolonialzeiten mit ihrer Feudalherrlichkeit sind lange vorbei und so sind es nicht mehr unbedingt höhere Söhne und Töchter, die sich zum Leben in den – aus eurozentristischer Perspektive – entlegeneren Winkeln der Welt berufen fühlen. Jene einzigartige Mischung aus Neugier, hedonistischer Abenteuerlust, naivem Weltverbesserungsbedürfnis und ernsthafter Betroffenheit, die ich in vielen meiner Kollegen schätze, findet man vermutlich eher in Menschen, die nicht seit Generationen auf seidenen Kissen ruhen und teure Privatschulen besucht haben.

Natürlich vermisse ich manchmal die klar geregelten Umgangsformen, die ich im Laufe der Jahre zu schätzen gelernt habe. Ich mag es, wenn mir die Tür aufgehalten wird, ich habe ein Faible für die etwas antiquierten Rituale der Tanzfläche, ich erlebe akute Anfälle von Fremdschämen gepaart mit Widerwillen, wenn meinem Gegenüber die Spaghettisauce erst aufs Kinn und dann auf die Krawatte tropft. Kein noch so spannendes Gesprächsthema könnte mich für den Ekel bei der Aussicht auf den halbverdauten Inhalt des geöffneten Mundes meines Tischnachbarn entschädigen, bei so was vergeht mir der Appetit.
Trotzdem bin ich hier und nehme derlei Nebenwirkungen in Kauf. Auf das Risiko hin, entsetzlich borniert und versnobt zu wirken: nur eine Handvoll der neuen Bekanntschaften im vergangenen Jahr verfügten über solche Umgangsformen, die man vor einigen Jahrzehnten in der besseren Gesellschaft als tadellos bezeichnet hätte – aber die habe ich selbst auch nicht. Dafür habe ich hier im letzten Jahr Menschen von so außerordentlicher Großzügigkeit und Warmherzigkeit kennengelernt wie seit Jahren nicht mehr. Meine Kollegen hier überschütten mich mit Anregungen, wie im Herbst ein Anschlußvertrag zu bekommen sein könnte. Nehmen mich wie selbstverständlich mit zu allen Veranstaltungen und berücksichtigen bei der Aufteilung der Rechnung in den teuren Restaurants unsere unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten. Sie machen sich Gedanken über die Probleme dieses Landes, sind auch nach Jahren immer wieder betroffen von Mißständen, nehmen Anteil als wären sie selbst verantwortlich. Darin finde ich mich selbst wieder und genieße die Gespräche und Diskussionen so sehr, daß es mich für den Mangel an gesellschaftlicher Verfeinerung entschädigt. Das kann ich auch in zehn Jahren noch in Deutschland genießen, ebenso wie silberne Teekannen, ausladende Bücherregale mit all meinen Schätzen – und gediegene Tischsitten.

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