Montag, 16. November 2009
Kongokoller und die Konsequenzen
Seit 48 Tagen im Kongo (113 insgesamt) – erste Symptome von Höhlenkoller. Keine Ahnung, wie Livingston, Stanley oder die französischen Kolonialbeamten das seinerzeit ausgehalten haben– ich will nach Hause. Ich möchte mich sonntagsmorgens nicht zehn Minuten lang fragen, ob wohl Wasser und Strom funktionieren, wenn ich gleich unter meinem Moskitonetz hervorkrieche. Ob ich zum Frühstück Dusche, Kaffee und Toast haben werde oder nicht. Kommt mein Fahrer morgens zehn Minuten zu spät, retten auch die stets fröhlichen Grüße und freundlichen Komplimente der Wachleute meine Stimmung nicht mehr. Das immer leicht bräunliche Wasser in der Dusche widert mich an, die ewig schwarzen Ränder unter den Fingern ebenso, die Unvorhersehbarkeit der Regengüsse, die auf der Terrasse vergessene Bücher und Schals gleichermaßen durchtränken. Die Reinigungskräfte am Pool, die morgens über die Länge des Beckens hinweg gebrüllte Neuigkeiten austauschen, möchte ich am liebsten runterputzen, weil sie meine dreißig meditativen Minuten im Wasser gründlich stören. Die Straßenkinder, die beinahe meine Tasche klauen, bekomme eine unerwartete Standpauke, aber mein geldgieriger Fahrer bekommt einfach sein Trinkgeld – ich bin es müde, seine sonderbaren Abwege durch endlose Fragen zu ergründen.

Ich sehe mich nach sauberem Wasser, einem guten Friseur, hartem Sport im Fitnesstudio statt der langweiligen Planscherei im Pool, ich möchte frieren und mich warm anziehen, ich möchte heißen Tee statt eiskaltes Tonic und ich möchte grundsolide deutsche Küche. Ich möchte eine Straße zu Fuß runterlaufen – asphaltiert, bitte! – und in einem Café sitzen, ich möchte Spaziergänge machen und Deutsch um mich herum hören.

Weil all das aber noch mindestens zwanzig Tage weit entfernt ist, ich mir – im Gegensatz zu den Kollegen – nicht eben ein Wochenende in Nairobi, Johannesburg oder Brüssel leisten möchte, aber dringend aus diesem Moloch herauswollte, habe ich einen Kollegen beschwatzt, mit mir vor die Stadt zu fahren. Chez Tin Tin ist eine Institution, direkt am Fluß gelegen, relativ einsam – aber ein guter Platz für ein kaltes Bier und die beruhigende Aussicht aufs Wasser. Bedauerlicherweise eine Institution, die mein Fahrer nicht kannte – so daß wir auf seinen Rat hin doch wieder flußabwärts fuhren. Nach etwa einer Stunde Fahrtzeit erreichten wir eines der typischen Tages-Ferienressorts – kleine Hütten mit Tischen drunter, eine Band, flache Boote für Ausflügler auf einem Seitenarm des Kongo, zwei freilaufende Puter und einige Hühner.
Wir suchten uns einen Platz am Ufer, bestellten ein Tembo, schauten spielenden Kindern zu und lästerten über den weißen Mittfünziger in Begleitung zweier allzu junger Kongolesinnen.



Um kurz vor sechs brachen wir wieder auf, unser Fahrer wollte offensichtlich ebenfalls heim und gab Gas – leider zuviel. Kurz vorm Flughafen N’Djili – also noch einiges von der Innenstadt entfernt – bretterte er mit etwa 80 km/h über ein tiefes Schlagloch, wir hüpften unfreiwillig in den Sitzen, die Reifen krachten und begannen umgehend zu eiern. Fahrer Willy bremste langsam ab, inzwischen eierte der gesamte Wagen und einer der Reifen gab verdächtige flappende Geräusche von sich. Bei der Inspektion stellte sich heraus: drei von vier Reifen platt.



Wir mitten im Niemandsland, gegenüber hinter der Böschung einige einzelne Hütten, einige hundert Meter straßaufwärts noch eine Ansammlung Hütten, ansonsten Niemandsland. Fahrer Willy rief die Autovermietung an und brach auf, den nächsten zwecks Reifenreparatur zu suchen, Kollege C. und ich standen am Straßenrand. Begutachteten die Landschaft, ich machte einige Fotos. Die Passagiere der vorbeifahrenden Autos winkten uns mit einer einmaligen Mischung aus Mitleid und Schadenfreude zu: Autos, überladene Minivans, Taxis, LKWs bis hoch über die Bordwand mit Holz beladen – dazwischen eine Gruppe, die ihr blau-gelbes Kintaxi schob.



Wir tauschten freundliche Grüße und Neuigkeiten über den jeweiligen Schaden aus, Oh lala, trois pneus crevés? .... eh, bonne chance!. Der C. und ich warteten weiter. Begutachteten die Aussicht. Die passierenden Fußgänger, die spielenden Kinder. Diskutierten die potentiellen Fotomotive, aber wagten nicht den demonstrativen Umgang mit der Kamera in einsamer Umgebung. Sahen Willy bei der Arbeit zu. C. verglich Autoreifen mit Fahrradreifen. Wir bewunderten den Sonnenuntergang. Warteten.



Ließen uns nach Einbruch der Dunkelheit von Autos blenden. Drei Kinder mit einem kläglichen Kästchen auf vier Rädern an einer Leine als Spielzeug. Eine junge Mutter mit drei Kindern, das kleine Mädchen gab mir die Hand, strahlte mich an, konnte sich kaum von uns losreißen. Eine junge Frau, Lasten auf dem Kopf balancierend, schritt langsam an uns vorbei das Handy in der Hand, eine Nachricht tippend. Junge Männer, von LKWs herab johlend.
Um halb sieben rief ich Willy an (der straußaufwärts die Reparatur der Reifen überwachte) und wies daraufhin, daß es für uns nach Einbruch der Dunkelheit nicht besonders angenehm sei, am Straßenrand in der Mitte von Nirgendwo zu sitzen. Zwanzig Minuten später tauchte er wieder auf, lotste uns zu einer Bar. Im Gänsemarsch tasteten wir uns am Straßenrand entlang, in langen Schritten über Abwasserrinnen hinweg. Ein Auto von hinten, zehn Schritte im Schweinwerferlicht, dann wieder nachtschwarze Dunkelheit. Quer über die Straße, gottseidank ein begraster Mittelstreifen zur Orientierung: wo sind die nächsten Schlaglöcher, wie viele Schritt bis zum Seitenstreifen? Dann über eine sandige Piste auf ein einzelnes Lämpchen zu. Etwas abseits aber noch in Sichtweite der Straße zwei viereckige Häuschen, eine betonierte Terrasse mit den obligaten Plastikstühlen. Zwischen den beiden Häusern ein Baum, eine Stereoanlage mit kongolesischer Musik, zwei streunende Hunde: geradezu idyllisch. Rechter Hand zur Straße hin zwei Autowracks, eine Holzhütte mit einem Grüppchen Menschen in völliger Dunkelheit und eine Wäscheleine mit Kleidungsstücken. Weniger idyllisch. Jenseits zweier kleiner Glühbirnen und einer Öllampe versank alles in Finsternis – nur manchmal kläffte einer der Hunde oder rührte sich ein Grüppchen Menschen in der Nähe. Wir bekamen ein lauwarmes Bier, eine rundliche Maman schenkte uns ein, während ein nicht minder runder Papa in seinem Stuhl sachte zur Musik mit dem Oberkörper wippte. Für uns eine spannende Abwechslung, ein voyeuristischer Blick in ein fremdes Leben – für die Bewohner alltägliche Realität und keinerlei Perspektive auf Besserung. Wir hinterließen ein großzügiges Trinkgeld – froh, angenehmes Obdach im Unglück gefunden zu haben – das die resolute Maman erst nach Verhandlungen annahm, völlig verständnislos, warum die dummen Weißen Geld zu verschenken hatten.
Um acht tauchte Willy wieder auf und das Auto rollte immerhin bis hinter N’Djili, wo zwei Reifen erneut platzten. Diesmal hielten wir direkt am Straßenrand, blieben sicherheitshalber im Auto, eine Stunde verging, wir diskutierten die Option, beim nächsten Platten ein Taxi zu suchen, bis die Reifen repariert und wir um kurz nach zehn Uhr endlich zu Hause waren. Bilanz: zwei Stunden im Restaurant entspannt, vier Stunden für die Rückfahrt gebraucht.

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