Mittwoch, 18. November 2009
Anständig oder dumm?
Die Freude über einen eigenen Fahrer war leider nur von kurzer Dauer – man könnte auch sagen, ich habe gerade reichlich Gelegenheit, mich rücksichtsvoller als beim beim letzten Mal zu verhalten. Schon letzten Mittwoch verkündete Fahrer Willy, sein Kind sei krank, ob er früh nach Hause könne? Außerdem: ach! – die teuren Medikamente. Ich habe ihn also letzte Woche regelmäßig am späten Nachmittag nach Hause geschickt, von daheim gearbeitet und trotzdem üppige Trinkgelder gegeben. Am Samstag kam er zwei Stunden zu spät – angeblich wegen zweier platter Reifen, allerdings waren die Erklärungen etwas dürftig. Am Sonntag dann die Katastrophe mit noch mehr Platten, Montag morgen bat er wiederum um einige Stunden Pause, um sein Kind aus dem Krankenhaus zu holen. Auf freundliche Rückfragen erklärte er, die Kleine habe Malaria, Typhus und noch eine andere Krankheit, und nachdem er am Wochenende sein Handy als Pfand für die Behandlungskosten dagelassen habe (glücklicherweise hat er zwei Telefone), müsse er das nun auslösen.

Es ist absolut glaubwürdig, daß er sein Handy als Pfand gelassen hat. Ich selbst habe für ein lächerlich kurzes und nutzloses Gespräch mit einem Arzt und den anschließenden Bluttest 30 Dollar bezahlt – gehe ich davon aus, daß eine richtige Behandlung teurer, aber die Kosten insgesamt für Kongolesen günstiger sein dürften, kann ich nachvollziehen, wo die nicht unerheblichen Trinkgelder von Mittwoch bis Sonntag abgeblieben sind. Natürlich gibt es im Kongo keine Krankenversicherung für die Mehrheit der Bevölkerung, natürlich muß für jede Dienstleistung bezahlt werden und natürlich gilt auch die Behandlung kranker Menschen als Dienstleistung. Kollegen berichten, daß Menschen im Zweifelsfall an der Krankenhauspforte sterben, wenn sie nicht bezahlen können.

Eine der großen Entwicklungsorganisationen hat vor Jahren einige Millionen Moskitonetze in Kinshasa verteilt – natürlich imprägniert. Die Akzeptanz war schlecht, es gab Unmengen Gerüchte, das populärst davon: die Weißen hätten die Netze vergiftet, um die Kongolesen umzubringen und das Land für sich zu haben.

Ein anderer Bekannter erzählte von einem seiner – sozialversicherten – Mitarbeiter, daß die Firma ein Computertomographie des Kopfes bezahlt hat – der Mann hatte einen verstauchten Zeh. Auf Rückfragen nach dem kausalen Zusammenhang zwischen CT des Kopfes und Fuß erklärte der Mitarbeiter: die Ärzte hätten die Untersuchung so vorgeschlagen – wer sei er, das anzuzweifeln? Mit dem Gesundheitssystem im Kongo und dem mündigen Patienten steht es also nicht unbedingt zum Besten. Umso mehr bin ich grundsätzlich gewillt, die Behandlungskosten für ein krankes Kind zu unterstützen übernehmen und einem verzweifelten Familienvater vierer Kinder mit monatlichem Einkommen von vermutlich etwa 200 USD zu helfen. Andererseits sucht mich beharrlich der Gedanke heim, daß soviele platte Reifen, dauernde Verspätungen und Entschuldigungen und die ständigen Krankenhausgeschichten reichlich viele Unannehmlichkeiten für eine einzige Woche sind. Auch die Erklärungen – sei es meinem oder seinem schlechten Französisch geschuldet – waren eher dürftig und etwas verworren. Ich bin innerlich zerrissen: fünfzig Dollar Trinkgeld für die paar Tage sind hier viel Geld und auch für mich keine Portokassenbeträge. Darüber hinaus schränkt die Anpassung an Willys Bedürfnisse meinen neu gewonnen Bewegungsspielraum wieder deutlich ein und die damit verbundene Koordination und Risiken erschweren meine Arbeit (Pünktlichkeit ist grundsätzlich nicht eine seiner hervorstechendsten Tugenden). Ich habe keinerlei Möglichkeit, die mir präsentierten Begründungen nachzuvollziehen: möglicherweise hat er tatsächlich eine kranke Tochter und ist in argen Geldnöten. Möglicherweise hat er eine kranke Tochter, aber haut das Geld für andere Dinge raus, versäuft, verspielt es oder begleicht sonstige Schulden. Und schlimmstenfalls hat er gar keine Kinder (oder jedenfalls keine kranken) und erfreut sich heimlich an der dummen Gans, die goldene Eier legt.

Ich mag den Gedanken nicht, über den Tisch gezogen zu werden – aber ich möchte es dieses Mal auch richtig machen. Nach einigem Ringen habe ich Montag also das Gespräch gesucht und erklärt, daß ich einen zuverlässigen Fahrer und ein anständiges Auto brauche, und ob er vielleicht mit einem anderen Fahrer tauschen wolle? Nein, erklärte er demütig, auf keinen Fall, er wolle gerne weiter mein Fahrer sein solange ich hier bin (Mein Gott, ich fühlte mich wie der schlimmste Sklaventreiber). Wir haben uns darauf geeinigt, daß er am Montag Trinkgeld für den Rest der Woche bekommt, um die Medikamente zu bezahlen, und im Gegenzug von nun an pünktlich kommt, seine Probleme zu Hause regelt und dafür Verantwortung trägt, daß das Auto funktioniert. Sequitur zu der gesamten Angelegenheit: am selben Abend präsentierte er mir ein fast leeres Fahrtenbuch (in dem gerade mal die Fahrten bis Mittags eingetragen waren) zum Abzeichnen vor und legte sich anderntags nach einem klaren Fahrfehler seinerseits mit einem Polizisten an, so daß seine Papiere jetzt auf irgendeiner Polizeiwache liegen und ich außerdem einen Termin absagen mußte.

Im Zweifelsfall ziehe ich das Risiko vor, zu Unrecht fünfzig Dollar an einen vernantwortungslosen, halsabschneiderischen Suffkopp verloren, als zu Unrecht einem Kind die Behandlung vorenthalten zu haben. Das eine scheint irgendwie der bei weitem bessere Fehler zu sein. Aber meine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt.

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