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Theater und Krippe
Diese Stadt überrascht einen immer wieder: es gibt in Kinshasa Theater. Nicht die feudalen Paläste, in denen die Oberschicht ihre feinen Kleider ausführt und Sekt in der Pause schlürft, sondern kleine Centre des Arts, versteckt in den Seitengassen der ärmeren Viertel außerhalb von Gombe. In einem länglichen Hinterhof von der Größe einer Einfahrt waren einfache Plastiktische vor einem schmalen Podest aufgebaut, vier gerichtete Theaterlampen, ein Buffett für die Gäste. Wir waren um kurz nach sieben viel zu früh dort, vertrieben uns die Zeit mit einem Bier und beobachteten junge Mädchen dabei, wie sie für die eintreffenden Gäste weitere Tische aufbauten. Von den anwesenden Gästen waren allenfalls die Hälfte Kongolesen, der Rest alternativ angehauchte Expatriates. Ein junger Mann in einem Schlafanzug Anzug mit lokalpatriotischem Muster (afrikanische Landkarten) sprach einführende Worte, stellte die Autorin des Werkes vor und dann ging es los: Kongolesen im Flugzeug auf dem Weg nach Paris, Kongolesen beim Streit im Taxi, Kongolesen in einer boite, Kongolesen auf der Straße, Mädchen im Geplauder beim Haare einflechten ... Szenen des Alltags, angereichert mit kritischen Anmerkungen zum Zustand des Landes, Einfluß der Industrieländer, Wohl und Wehe von freien Wahlen, und garniert mit gelegentlichen Seitenhieben auf die politische Elite. Die letzte Szene spielte wiederum im Flugzeug, zum Schluß verließen alle fünf Passagiere eilends die Maschine, um ihr Glück im gelobten Land Europa zu suchen. Mein Französisch ist immer noch zu schlecht, als daß ich alle Feinheiten verstanden hätte, aber allein die offensichtliche Spielfreude der Darsteller war ein Vergnügen. Es war beeindruckend zu sehen, wie die Mädchen im einen Moment in heller Freude lachten und tanzten und dabei so umwerfend hübsch und lebendig aussahen, und im nächsten die personifizierte Traurigkeit darstellten, daß ich glaubte, sie würden umgehend in Tränen ausbrechen. Nach der Vorführung stellten sich alle Darsteller namentlich vor, wir klatschten eifrig, kaum hörten wir auf, verbeugten sie sich, dann wurde wieder geklatscht. In den zehn Dollar Eintritt war ein kongolesisches Buffett inbegriffen, ich hatte Glück und konnte mir ein halbwegs mageres Stück Hühnchen angeln. Für die weitere Abendplanung war ich zur Party bei Médecins sans Frontières eingeladen, wo mein umtriebiger Mitbewohner den DJ gab, aber am Ende sind wir statt dessen im La Crèche gelandet. Im Stadtteil Matonge, also etwas ausserhalb gelegen, gibt es auf der Dachterrasse im dritten Stock eines billigen Hotels live Musik, Bier, widerliche Toiletten und reiche Einblicke ins kongolesische Sozialleben. Um die Terrasse herum glühten die Spitzen der Telefonantennen von Vodacom und Zain, am Hotel gegenüber vermittelten Lichterketten in Palmenform afrikanisches Weihnachtsgefühl und von unten zog der Duft einer Bäckerei in unsere Nasen. Schon die fünfköpfige Band war sehenswert: ein Gitarrist in verschossenem braunen Anzug mit verrutschter orange-metallic glänzender Krawatte bediente sein Instrument kunstvoll mit glimmender Kippe im Mund, der Drummer beherrschte diese Fähigkeit ebenfalls und handhabte geplatzte Trommeln wie auch scheppernde Becken mit viel Verve. Bei einem kurzen Ausflug auf die Tanzfläche erfragte der Sänger meinen Namen und flocht diesen danach in jedes zweites Lied ein – ich wünschte irgendwann, ich hätte Waltraud oder Heidrun zur Antwort gegeben, dann wäre mir diese Exposition vielleicht erspart geblieben. Auf der Tanzfläche bewegte ein einsamer Soldat in Uniform rhythmisch die Hüften (und im Gegensatz zu Europäern sehen Kongolesen dabei cool aus), ihm gegenüber wand sich eine magere, verhärmte, schon etwas ältere Kongolesin wie eine Bauchtänzerin. Auf dem Kopf einen Stummelschwanz von Zöpfchen – und zwar wirklich beinahe auf dem Kopf, nicht am Hinterkopf – mit einem überdimensionierten Glitzerhaargummi, schien sie meist alleine völlig zufrieden mit sich und ihrem Tanz. Neben etlichen jüngeren Pärchen, die Mädchen oft in westlicher Kleidung, gab es ein älteres Paar in den Vierzigern, er in gepflegter Bürokleidung, sie in einem giftigroten zweiteiligen Kostüm ebenfalls ausgehfein – vermutlich Kunstfaser Direktimport aus China – und die Art, wie sie ihre Hand flach auf seine Brust legte und die beiden tiefe Blicke tauschten beim Tanzen sprach Bände: ein in die Jahre gekommenes Ehepaar (hoffe ich), das sich begehrt. Schöner Anblick. Das skurrilste Pärchen des Abends jedoch (abgesehen von uns paar Weißnasen-Elefanten zwischen all den afrikanischen Gazellen) waren ein spindeldürrer junger Hänfling von Mann in einem weiten, westafrikanischen Gewand aus silberglänzendem Polyester mit buntem Käppi auf dem Kopf und eine kongolesische Matrone dreifachen Ausmaßes in lokaler Tracht. Trotz des beträchtlichen Körperumfangs der Dame, bewegte sie sich mit einer Eleganz, gleichzeitig beherrscht und doch entspannt der Musik hingegeben, daß man als Europäer nur neidisch sein kann. Obwohl die beiden den größten Teil des Abends gemeinsam tanzten, wirkten sie doch seltsam distanziert und weniger vertraut und entspannt miteinander als die übrigen Gäste. Überhaupt die ganze Atmosphäre in einem solchen Club ist anders als in seinem europäischen Pendant, es scheint auf unbestimmte Art ein Wir-Gefühl zu geben. Auf Clubs und Parties westlicher Prägung läuft die Musik stets durch, aber sobald sie der Gruppe nicht mehr zusagt, leert sich die Tanzfläche nach und nach, während die einzelnen Paare und Tänzer sich zurückziehen. In der Crèche brauchten die Musiker natürlich gelegentlich eine Pause, aber selbst zwischen den Liedern bewegten sich alle Gäste stets in dieselbe Richtung: entweder die Tanzfläche war voll, oder sie war leer und getanzt wird entweder das ganze Lied oder gar nicht. Die Musiker waren nicht externe Dienstleister, sondern Teil der Festivität und alle schienen irgendwie zusammenzugehören, auch wenn es klar getrennte Gruppen an den Tischen gab. Auf der anderen Seite der Terrasse war die Aussicht bis Ma Campagne wunderbar, allerdings überlagerte der intensive Uringeruch der Toiletten selbst die Rauchschwaden der Bäckerei und nahm der Seitenterrasse jegliche romantische Stimmung. Eigentlich steht mir der Sinn im Moment eher nach europäischem Eskapismus, aber es war trotzdem ein interessanter Abend außerhalb der Wohlstandsseifenblase von Gombe, und auch das hat etwas Befreiendes.
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