Montag, 30. November 2009
Unerwartet gut
Der Sonntag begann mit dem üblichen Stromausfall, kein Kaffee, keine Rühreier, kein Toastbrot, dafür eine völlig versiffte Küche (nicht abwaschbar, weil ohne Strom keine Wasserpumpe), eine Ameisenstraße entlange der Krümel der Mitbewohner vom Vorabend und ein ganz schlechter Start in den Tag im Hause Damenwahl. Mangels Alternativprogramm habe ich um elf die Bücher auf der Terrasse ausgepackt und gearbeitet, bis ein freundlicher Besucher sich mittags zu mir in den Elfenbeinturm begab (acht Stockwerke in völliger Dunkelheit, besser als bei Rapunzel im Märchen). Obendrein ergab sich daraus das Nachmittagsprogramm: ein Ausflug zu Chez Tintin.
Beim Verlassen des Hauses begegneten wir im Hinterhof der Familie, die das Döner Kebab betreibt, ein kleiner Junge führte drei Zicklein an der Leine und erklärte uns, welches die Mama und der Papa und das Kind der Familie Ziege seien.
Zu Chez Tintin wollte ich ja eigentlich schon vor zwei Wochen, was aber durch mangelnde Ortskenntnis meines Chauffeurs verhindert wurde – dafür war es gestern umso schöner. Eine halbe Stunde flußabwärts beginnen die ersten Stromschnellen, das Wasser schäumt und spritzt an die Wand unter der Terrasse, auf der man hübsch sitzen kann und es rauscht wie das Meer im Urlaub an der See. Dienstbar Geister brachten einen Sonnenschirm, kalte Limonade und nach einiger Zeit auch Liboke – Fisch in Palmenblättern und Pili-Pili Sud gegart. Das Pili-Pili ist so scharf, daß man sich um die Reinlichkeit der Küche keine Gedanken zu machen braucht und trieb mir die Tränen in die Augen (ebenso wie die unzähligen Gräten im Fisch), aber Pili-Pili hat im Gegensatz zu Pfeffer oder Chili nicht nur Schärfe, sondern einen deutlichen Eigengeschmack und der Liboke war besser als im Restaurant um die Ecke.
In der Regenzeit überschwemmt der Fluß die noch etwas tiefer gelegene überdachte Terrasse, wo Kinder im Wasser planschten, während wir auf unserer Terrasse zwischen pseudo-römischen Säulenstummeln aus grauem Beton saßen und die Aussicht auf die Inseln und das Ufer genossen. Zwischendurch passierten zwei Boote einander unter lautem Gejohle direkt unter uns, ein paar Jungs in Sporthosen und leuchtend-bunten Polyesterhemden mit Angeln kamen vorbei, und ein Mann mit verkrüppeltem Bein schleppte sich ohne erkennbares Ziel durch die Brandung. Einige Meter stromaufwärts nahm die hübsche Idylle Schaden durch einen metallenen Steg mit Häuschen drauf – hier holt die Wasserbehörde das Wasser aus dem Fluß und jetzt weiß ich auch, warum das Wasser in der Dusche immer leicht bräunlich ist: nicht ich bin so dreckig, sondern das Wasser ist nicht gut genug gefiltert.
Bei der Heimkehr hing Familie Zicklein geschlachtet vom Dach der Unterstände für die Autos, drei Leichen baumelten nebeneinander und der Besitzer des Dönerladens war mit einem großen Messer zugange. Etwas zu spät eigentlich fürs Hammelfest – Eid war doch schon Freitag? – aber was weiß ich schon von muslimischen Feiertagen. Der Strom ging wieder an, kaum daß ich mich acht Etagen zu Fuß hochgekämpft hatte und nach Einbruch der Dunkelheit bin ich schwimmen gegangen. Auf dem Grill im Hof, wo Familie Dönerkebab sonst ihre Brochette grillt, lag ein halbes Ziegenfell und es stank die bis spät nachts ganz erbärmlich (selbst in meinem Turm), aber schwimmen in der Dunkelheit nach einem heißen Tag ist herrlich. Das Wasser ist morgens direkt aus der Bettwärme heraus kalt und taugt gut für Tage mit Katerstimmung, aber abends ist es warm und fühlt sich auf der sonnenverbrannten Haut so angenehm weich und samtig an, daß es ein Genuß ist. Die Fliesen sind noch sonnenwarm unter den Füßen und das Gras ist weniger stachelig – die Palmen rascheln leicht und die Grillen zirpen. Aus der Paillote nebenan zieht der Duft von Gegrilltem herüber und am Himmel sieht man Sterne und den Mond hinter den Wolken – als hätte jemand eine Decke über eine Lampe gelegt. Manchmal sieht man Vögel, die vom Licht von unten angestrahlt werden und sich wie silberne Motten gegen den Nachthimmel abheben und dann ist dieses Land einfach wunderschön und man kann sich nur verlieben und möchte für immer bleiben.

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