Mittwoch, 12. Mai 2010
Lubumbashi
Lubumbashi ist ganz anders als Kinshasa. Man merkt den Sprung nach Süden bei Einbruch der Dunkelheit: es wird nämlich kühl. Und morgens, man glaubt es kaum, ist es frisch, wenn man nur im Shirt im Innenhof sitzt. Bislang habe ich mit Kongo eine im Tagesverlauf absolut stetige Temperatur verbunden – hier nicht mehr. Die Luft ist klarer und frischer, die Straßen und Gebäude sind besser instand gehalten – hier nämlich ist der Bürgerkrieg nie hingekommen. Es ist immer noch Afrika, keine Frage, es gibt Schlaglöcher und Schlammpisten, schäbige Hütten und das Hotel würde in Deutschland keine drei Sterne bekommen, aber insgesamt ist Lubumbashi viel weniger Trümmerstadt als die Kapitale.

Überhaupt das Hotel: wir melden uns an der Rezeption und die hübsche, junge Frau teilt uns umgehend mit: ja, die Reservierung, also, leider, gerade alles ein wenig überbucht, aber man könne uns in einem angeschlossenen Hotel, also der Dependance.... . Wir lehnen entschieden ab, verweisen auf die Reservierung, diskutieren, verlangen den Manager und siehe da: als Hauptproblem scheinen die Zimmer noch nicht gereinigt zu sein, und dann, entsetzlich!, gibt es nur ein Deluxe Zimmer – einer von uns müßte also mit einem Semi-Deluxe Zimmer vorlieb nehmen. Was ich, als Junior natürlich tue.
Wie allerdings jemand mein Zimmer (oder auch das des Kollegen) mit dem Begriff Deluxe, egal ob semi oder wie auch immer, in Verbindung bringen kann, ist mir rätselhaft.
Das wäre zuerst das Wasser: im Abfluß unter dem Waschbecken gluckert es immer bedrohlich. Wasser, heiß, in der Dusche, kommt erst nach zehn Minuten Wartezeit. Dafür steht das Wasser in der Toilette in pissgelb – auch nach wiederholtem Spülen.
Das Zimmer selbst riecht nicht nach Wasser, sondern nach Chlor, Plastikmöbel in Weichholzoptik, die Matratze steinhart, die Klimaanlage schwächlich, vor allem aber: der Inneneinrichter dieser Räume gehört verklagt. Für die augenkrebserregende Scheußlichkeit dieses Zimmers. Für den mit systematischen Lücken gepflasterten Innenhof, bei dem man dauernd in den begrasten Spalten zwischen den Steinen hängenbleibt: hübsch anzuschauen, aus der Ferne, aber völlig unfunktional. Für den Speiseraum, der so gemütlich ist wie ein Krankenhaus und die Akustik einer Kathedrale hat – bei mehr als drei Gästen versteht man sein eigenes Wort kaum noch. Kaum zu glauben, dies hier sei eine der ersten Adressen vor Ort, aber gut, es sind ja nur zwei Tage.

Der erste jedenfalls, der mir im Innenhof begegnet, ist ein alter Verehrer aus Kinshasa. Seines Zeichens Behördenmitarbeiter, bin ich dem privaten Umgang immer weiträumig ausgewichen, um Konflikte zu vermeiden. Diese Strategie verfolge ich auch unter den veränderten Umständen weiter, zu groß sind die Verstrickungen, mich von so jemandem zum Essen einladen zu lassen (obwohl ich den jungen Mann weniger gutaussehend in Erinnerung hatte). Beinahe allerdings bedauere ich meine Ausflüchte am zweiten Abend, denn vor lauter Arbeit habe ich außer dem Hotel, der Hotelbar und dem Tagungshotel nicht viel von Lubumbashi gesehen. Was gibt es sonst noch zu sagen? Die Europäer in diesem Hotel sind anders. In Kinshasa trifft man vor allem auf UN und Development Personal, hier hingegen sind es rustikale, schwer gebaute, bärtige Herren die, auch wenn sie keine karierten Hemden tragen, doch so aussehen als täten sie es öfter. Bergbau Leute, kurz gesagt. Meine ich jedenfalls, aber vielleicht bin ich voreingenommen. Die Afrikaner bzw. Kongolesen hier sehen logischerweise auch anders aus, sind ja auch andere Volksstämme und natürlich sprechen sie nicht Lingala sondern Swahili. Auch wenn ich, nach sechs Monaten, beschämenderweise zugeben muß, daß es mir immer noch schwer fällt, afrikanische Gesichter auseinanderzuhalten: grundlegende Unterschiede fallen hier sogar mir auf. Insgesamt muß ich dem Kollegen zustimmen: das hier ist viel mehr Südafrika als Zentralafrika. Und Südafrika gefällt mir nicht schlecht. Vielleicht nehme ich bei nächster Gelegenheit die Einladung eines Kollegen nach Johannesburg ja an?

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Sonntag, 9. Mai 2010
Monuc Airlines
Im Kongo zu reisen ist nicht einfach. In den Nordosten des Landes gibt es den Fluß, für den Rest Flugzeuge. Straßen kann man jenseits von 400 km Umland von Kinshasa vergessen. Um nach Lubumbashi im äußersten Südostzipfel des Landes zu gelangen, könnte man über Nairobi oder Johannesburg fliegen. Die lokalen Airlines, Hewa Bora oder Kin Avia könnte ich als Privatperson durchaus nutzen, aber die Tatsache, daß sie bei meinem Arbeitgeber und bei der europäischen Union fast alle auf der schwarzen Liste stehen, macht diese Option eher weniger attraktiv. Bleiben als letzte Möglichkeit die Flüge, die von der Monuc Mission für ihre Mitarbeiter angeboten werden. Nachdem der größere Teil meines Bekanntenkreises hier sehr regelmäßig Monuc fliegt für dienstliche Angelegenheiten, stand ein solcher Ausflug schon länger auf meiner persönlichen Wunschliste, jetzt endlich hatte ich die Möglichkeit. Streng genommen sind Monuc Flüge nur für UN Mitarbeiter in offizieller Mission vorgesehen, aufgrund diverser Umstände waren diesmal mein Kollege und ich erfolgreich auf die Verbindung nach Lubumbashi gebucht und alle schrecklichen Geschichten von Freunden über Unbequemlichkeiten und Unzuverlässigkeit konnten meine Vorfreude nicht dämpfen. Morgens früh um sechs sollten wir am Monuc Terminal, gleich um die Ecke des offiziellen Flughafens N'Djili sein, um fünf erwartete uns der Fahrer im Hotel. Das, zugegebenermaßen, war dann doch ein Dämpfer, aber was tut man nicht alles. Ich habe meinen Koffer im Zimmer des Kollegen deponiert, mein Täschchen, meine unförmige Arbeitstasche voller essentieller Unterlagen und dem Beamer gepackt und pünktlich um sechs passierten wir die Schranke zum Terminal. Nachdem, wohlgemerkt, mein Kollege den Wachen am Tor erklärt hatte, daß bei seinem letzten Flug keine Eintrittsgebühren zu zahlen gewesen seien, und er folglich auch dieses Mal nichts zahlen würde für den Zutritt zum Monuc Gelände. Wir passierten ein Gittertor zu einer Containerbaracke und verbrachten zunächst ein Stündchen ich einem tristen Wartesaal. Kaputtes Linoleum auf dem Fußboden, ein paar Holzbänke (in UN hellblau) an den Wänden und viele Wartende. Mir war gar nicht bewußt, wie viele Arten von Flecktarn es gibt, der jordanische UN Soldat hatte Wüstentarn, der aus Benin Dschungeltarn, der aus Bangladesh war noch grüner, und die aus Südafrika hatten wiederum anderen. Zwei Soldaten aus Tchad waren offenbar in Ausgehuniform mit hellblauen Hemden und Tressen und Litzen, sehr hübsch, und eine runde Matrone war offenbar in Diensten der UN für Ghana. Alle aber trugen sie hellblaue Baseball-Caps und einen runden Aufnäher am Oberarm. Diese Diversität unter – buchstäblich – einem Hut berührte mich – an solchen Tagen bekommen die Vereinten Nationen plötzlich ein Gesicht. Nach einer Stunde wurden alle erst zur Registrierung geschickt, wobei sich für die Hälfte der Passagiere, darunter auch uns, herausstellte, daß wir nur auf Standby waren – Warteliste also. Die nächste Stunde verbrachten wir nach dem kurzen Ausflug in die Schlange draußen vor der Tür wieder im Wartesaal, parallel damit beschäftigt, unser Anliegen nachdrücklich allen möglichen Mitarbeitern von MovementControls nahezubringen und alternative Pläne mit unserem Büro auszuarbeiten. Nachmittags eine Maschine von Hewa Bora? Buchen bitte, und Tickets direkt mit Fahrer zu uns schicken. So ähnlich.
Irgendwann konnten wir uns wundersamer Weise doch noch beim usprünglich geplanten Reisemittel durchsetzen, zu Recht wie ich finde, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß die in zivil reisenden Kongolesen mit Unmengen Gepäck, darunter koffergroßen Kühlboxen, und in Begleitung von Kindern, tatsächlich alle in offizieller Mission unterwegs waren. Das Gepäck wurde eher nachlässig gescannt, Flaschen im Handgepäck? Kein Problem. Feuerzeuge? Aber bitte. Die Bordkarte? Ein laminierter Plastikstreifen, wiederverwendbar.
Die nächste Stunde – Überraschung – warteten wir wieder, diesmal vor der Cafeteria im ersten Obergeschoß. Kaum hatten wir uns ein Käsebrötchen und einen Tee zum Frühstück gekauft, mittlerweile immerhin seit fünf Stunden wach, wurde der Flug aufgerufen. Ein klappriger Bus übers Rollfeld zu einer hübschen kleinen Jetmaschine.



Alle Maschinen weiß mit schwarzen Lettern, UN, United Nations, eine fröhliche blonde, kanadische Stewardess, kaum saßen wir, rollten die Maschine auch schon. In Kinshasa wimmelt es von UN Geländewagen (Dienstautos der Monuc Mitarbeiter), aber erst auf dieser Reise, auf der ich massenhaft UN Flugzeuge, UN Tankwagen, UN Busse, und noch mehr UN Dienstwagen gesehen habe, wurde mir klar, was für ein enormer logistischer Aufwand so eine Mission ist. Die UN betreiben im Kongo über die Friedensmission tatsächlich ein komplettes Airlinenetz, alle wesentlichen Städte werden mindestens einmal die Woche, oft auch mehrfach angeflogen, und alles ist ein sich geschlossenes System. Eigene Terminals, eigenes Personal, eigene Kontrollen, aber eben auch: eigene Infrastruktur, vom Zubringer bis zur Tankstelle. Die Vorstellung, diesen Aufwand innerhalb weniger Monate abzubauen und aus dem Land abzuziehen ist – von den politischen Konsequenzen gar nicht zu reden – vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Eine Stunde später landeten wir in Kananga, ungefähr die Hälfte der Strecke, ein paar aussteigende Passagiere, ein paar einsteigende, weitere dreißig Minuten später dann Kamina Base. Beim Weg über den Taxiway passierten wir Gebäude, die einem vernünftigen Terminal mit Tower recht ähnlich sahen, und offenbar ist Kamina Base mit relativ langer Piste durchaus strategisch wichtig, aber unser Aufenthalt beschränkte sich wie üblich auf eine Baracke. Ein weiterer auf minimale Funktionalität beschränkter Wartesaal in UN-hellblau, Sitzbänke, ein Fernseher, eine Bar mit Cola, Wasser und Sandwich im Angebot, sonst nicht viel. In einem von Stacheldraht umzäunten Hühnerkäfig Soldaten aus Bangladesh und Indien im vertrauten Gespräch, hier sind sie plötzlich Nachbarn und haben Gemeinsamkeiten, außerdem gesichtet: einen Rumänen, einen Peruaner, einen Griechen, einen Russen, auch alle – versteht sich – in eigenem Flecktarn. Und immer mit blauer Müsse. Außerdem im Hühnerkäfig: ein Bekannter aus Kinshasa, auf der Suche nach einer Zigarette. Auf einem Whiteboard standen die Flugzeiten für die sechs oder so täglichen Verbindungen angeschlagen, darüber zwei Uhren für Kinshasa Zeit und Kamina Zeit, damit die vielen Weltreisenden nicht durcheinanderkommen. Früher als erwartet ging es weiter, es gibt de facto keinen Flugplan (man muß halt morgens früh da sein), aber das kann auch Vorteile haben. Wie es wohl ist, einen Flughafen oder eine Airline zu managen, die an keine Flugpläne gebunden ist? Bei der sich niemand beschweren kann? Das, so stelle ich mir vor, muß ein recht angenehmer Job sein.

Die Maschine für den zweiten Teil der Strecke war ein Abenteuer für sich: eine alte Antonov, geschätzt aus den siebzigern. Eine wackelige Treppe zum Heck (immer nur ein Passagier, bitte), Sitze mit richtigen Tischen in der Mitte wie in der Bahn, das Interieur liebevoll mit braunem Karostoff bezogen, die runden Bullaugenfenster mit weißen Vorhängen dekoriert. Das Personal hatte man ebenfalls aus dem russischen Raum übernommen, Stewardess Marina begrüßte mit mütterlichem Lächeln die Passagiere, fackelte nicht lange mit Sicherheitsvorkehrungen 'rum: Oxygen masks are on the shelves above your heads, have a pleasant flight and bonne chance, allerdings waren die Gummibeutel braun vergammelt und optisch so unappetitlich, daß man vermutlich selbst im Notfall zwei Mal über die Nutzung reflektieren würde, und schon waren wir wieder in der Luft. Eine Stunde Flug ließ mir genug Zeit, das Schild zu meiner Rechten zu studieren:



und festzustellen, daß die nach hinten fallende Rückenlehne zum Schlafen ideal gewesen wäre, nicht jedoch zum Arbeiten. In der freien Sitzreihe nebenan hingegen war der Fensterplatzsitz so durchgesessen, daß ich gewissermaßen auf einem Hubbel hockte – offenbar eine Eigenschaft aller öfter frequentierten Fensterplätze, wie ich auf dem Rückweg feststellen konnte. Mit Propellern fliegt es sich langsamer, aber immerhin war die Ankunft in Lubumbashi sehr viel geordneter und angenehmer, als ich erwartet hätte. Nicht nur in Kinshasa gibt es Jeffery Travels, und im Wirtschaftszentrum Lubumbashi verfügt die Agentur nicht nur über einen klimatisierten Wartesaal, sondern sogar noch über ein kleines Restaurant, wo der Kollege und ich heißhungrig Samosas verspeisten, nachdem mein Vorrat an Haferkeksen längst aufgebraucht war. UN Airlines schenkt nämlich lediglich Wasser aus, und das ist – dem Geschmack nach – weniger purified als chlorified. Wir waren also in großer Not bei der Ankunft um sechzehn Uhr und selten haben Samosas und Cola so köstlich geschmeckt. Insgesamt allerdings bleibt zu sagen: so sehr ich seit Monate einen Monuc Flug herbeigesehnt habe, so wenig brauche ich jetzt eine Wiederholung - dafür war es dann doch zu viel Warterei und Anstrengung. Fürs erste reicht es mir.

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Entschuldigung
Hier war lange totale Stille, aber nur, weil mein Leben so umtriebig und aufregend war. Ich habe viel zu viele Nächte zu kurz oder sogar ganz außerhalb meines Bettes verbracht, angefangen bei der Rückreise aus Kinshasa bis heute, bin umgezogen, sitze in einer reichlich leeren Wohnung, und all das war dem Schreiben nicht zuträglich. Aber jetzt, ganz bestimmt, kommt alles wieder in geregelte Bahnen, wobei ich zuerst den Arbeitsrückstand an der Uni aufholen muß. Und ich muß alle meinen schönen Bücher, die ich vier Jahre lang nicht befingern konnte, noch mal lesen.
Erwarten Sie also bitte nicht zu viel von mir. Trotzdem, jetzt werden erst mal die letzten Berichte aus Kinshasa nachgeliefert. Peu à peu.

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Dienstag, 27. April 2010
Stippvisite
Es ist ja leider immer so: wenn besonders viel bloggenswertes passiert, fehlt meistens die Zeit für ausführliche Berichte. Ich war die ganze letzte Woche auf Reisen, in der ersten Hälfte sehr erfreulicher Art, in der zweiten habe ich gelitten wie ein Hund, aber jetzt bin ich wieder in der grünen Heimat und wie frisch und wunderbar ist der Frühling hier!

Jetzt allerdings muß ich erst mal umziehen, der Heimatbesuch ist nur kurz, in die Schweiz nämlich, Aprilscherz Afghanisten fällt bis auf weiteres aus, und die kongolesischen Vorhänge werden am Freitag ihr neues Zuhause beziehen. Vier Jahre lang habe ich mich auf meine Bücher gefreut, jetzt aber bereiten sie mir gerade große Sorgen, wollen gesichtet und verpackt werden und ich bin so fürchterlich beschäftigt, daß ich die Berichte aus der letzten Woche Kongo nachreichen werde.

Dafür werden sie dann umso länger, ich verspreche es.

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