Dienstag, 28. August 2012
Auf ein Neues.
Ich wußte immer, daß die USA anders sind als Europa, oder wenigstens wußte ich das, seit ich das erste Mal länger da war. Dennoch unterschätze ich die Andersartigkeit jedes Mal wieder und falle aus allen Wolken, wenn ich ankomme. Meine Ankünfte sind ein bißchen wie Super Mario auf dem Game Boy: jedes Mal ein neues Level. Das erste Mal war ein Rundum-Sorglos-Paket, ich mußte mich um nichts kümmern. Das zweite Mal, der Besuch einer Freundin, war schon anstrengender, weil die Freundin nicht eben die bestorganisierteste Person war.

Nummer drei, vor fast vier Jahren in Washington, erforderte schon einige Organisation. Tatsächlich fand ich den Gedanken, in einem fremden Land, so weit weg, eine Wohnung finden zu müssen, ziemlich beängstigend, aber am Ende lief es erstaunlich einfach: Ein paar Tage Anzeigen auf Craigslist gelesen, fünf Mails geschrieben, drei Antworten bekommen, mit einer davon einig geworden. Es war eine Bauchentscheidung, gemeinsame berufliche Interessen, passable Fotos, bequemes Arrangement (mit Bettwäsche und so) – also habe ich zugeschlagen. Erst rückblickend begreife ich, was für ein unglaublicher Glücksfall das war.

Nunmehr sind wir auf Level vier angekommen, und das Glück ist nicht mit mir bei diesem Unterfangen (ich will ja nicht jammern, aber: es ist schon länger nicht mit mir, und hätte ich die letzten Monate gebloggt, es wäre ein einziges wortreiches Jammertal gewesen). Immerhin, ich habe ein Visum, eine vorrübergehende Unterkunft, sogar ein Leihfahrrad und bin wohlbehalten angekommen – aber meine größte Sorge ist, daß ich ab nächstem Freitag obdachlos bin.

Schon vor Wochen habe ich begonnen, Anzeigen auf Craisglist zu durchsuchen und knappe, präzise, aber freundliche Mails zu schreiben. Knapp ist nicht gut, dämmerte mir recht schnell. Ich legte mir eine spezielle Emailadresse zu, mit der ich meine Bemühungen nunmher als Nebeneffekt großartig beaufsichtigen kann (125 verschickte Anfragen, 39 Antworten) und schrieb ausführlicher über mich selbst. Es half nichts. Die Antwortquote dümpelte bei 10% vor sich hin, davon wiederum 5 % umgehende Absagen, 4,5 % Absagen nach einigen Mails und Überlegungen, mal auf Skype zu telefonieren. Ich entschied (nach Rücksprache mit versierten Freunden), daß das auf die Entfernung aussichtslos sei, konzentrierte mich aufs Kofferpacken, und startete eine Woche vor meiner Ankunft den nächsten Versuch, meine baldige physische Anwesenheit ankündigend. Ohne Ergebnis.

Seither, gebe ich zu, hat sich die Antwortquote drastisch verbessert (immerhin von 10 % auf 30 % ). Ich verbringe nunmehr meine Tage damit, bei 30 Grad im Schatten auf einem klapprigen Rad über Straßen zu holpern, die auch Kinshasa Ehre machen würden. Zwischen den Fahrradtouren besichtige ich vorwiegend trostlose Buden. In manchen sind die Möbel so heruntergekommen, daß ich Depressionen kriege. In anderen sieht es aus, als wäre eine Bombe aus Staubsaugerbeuteln, Lebensmittelpackungen und Kleidungsstücken explodiert. In wieder anderen fällt so wenig Licht durch die Fenster, daß auch tagsüber eine Lampe notwendig wäre. Manche Leute machen gar nicht erst die Tür auf, andere sind nicht willens, am Telefon auch nur grundlegende Auskünfte zu erteilen (ich will doch wenigstens wissen, wofür ich mich 30 Minuten durch die Stadt quäle). In einem Fall war eine Familie gerade im Auszug begriffen, es roch durchdringend nach alten Lebensmitteln, die Zimmer völlig chaotisch, auf Rückfrage nach den weiteren Bewohnern: die Mutter des etwa 45-jährigen Vermieters. Aha. Die „moderne Küche“ war so dreckig, daß man aus den Resten in den Ecken eine Mahlzeit hätte kochen können. Interessant auch die Arrangements, wo die potentiellen Mitbewohner von 90 qm für 4 Personen so desinteressiert sind, daß sie die Auswahl komplett den Vermieterin überlassen, oder sich zur Besichtigung jedenfalls nicht blicken lassen.

Und das sind nur die normalen Anzeigen. Nicht diejenigen, wo ein „artist“ wünscht, daß sich eine „clothing optional atmosphere“ einstellt, so die Witterungsverhältnisse erlauben. Nicht die 40-jährige Aktivistin mit strengen Hausregeln, deren Anzeige jeden Morgen unter neuem Namen auftaucht. Auch nicht die beiden DJ-Jungs, 420-friendly (googeln Sie das mal), die zwar gerne Musik machen, aber ganz bestimmt nicht laut und nicht spät nachts. Oder der junge Mann mit dem „well-toned muscular body“, der sich eine Mitbewohnerin für „family atmosphere“ wünscht, in Astrophyisk dilettiert, bitte mit Bild, falls ihm selbiges gefällt, würde er antworten, „but not if you're more than 45 that's too old“.

Nein, ich erwäge ja überhaupt nur Anzeigen, die sich vernünftig und vielversprechend anhören, normale Menschen mit normalen Interessen. Zugegebenermaßen, den Inder, der während einer Europareise seiner jungen Ehefrau eine Mitbewohnerin zur Seite stellen möchte für ihr „luxury apartment“ mit Jacuzzi, das würde ich ernsthaft erwägen. Man muß ja flexibel sein. Aber selbst bei normalen Leuten erwarten einen Überraschungen.

Ich bin zugegebenermaßen keine Freundin schneller Entschlüsse, schon gar nicht, wenn es um essentielle Fragen wie mein Zuhause für die nächsten Monate geht. Da würde ich gerne eine Nacht, oder wenigens einen halben Tag in mich gehen. Ich bin andererseits ehrlich genug, daß ich nicht zusagen möchte, und dann im Nachhinein wieder zurückziehen – also sage ich, ich nehme die Wohnung fast mit Sicherheit, erbitte nur einen halben Tag Bedenkzeit. Daß der Markt (mit viel Nachfrage und begrenztem Angebot) diese Karenzzeit nicht zuläßt habe ich auf die bittere Art begriffen, als die Wohnung vier Stunden später weg war – als ich endgültig zusagen wollte. Beim nächsten Mal habe ich noch definitiver zugesagt, mein Dilemma erklärt und gebeten: wenn jemand anderes kommt, der das Zimmer will, dann ruf bitte an – ich will die Wohnung eigentlich. Ich brauche nur eine Stunde für mich, aber ich melde mich nachher. Die potentielle Mitbewohnerin war verständnisvoll, sagte mir zu, bestätigte, sie finde wir passten gut zusammen, ich sei eine gute Wahl. Im gegenseitigen Einverständnis gingen wir auseinander. Ich rief zwei Stunde später wie versprochen an – das Einverständnis war weg. Sie würde morgen noch einige andere Interessenten treffen, mir aber eventuell dann mittags die Bewerbungsunterlagen für den Vermieter schicken. Dazu kam es allerdings nie.

Die jungen Leute, die morgens in Antwort auf meine Mail (auf ihre Anzeige hin) anriefen und mir später einen Termin für den nächsten Tag mitteilen wollten – nie wieder von gehört (obwohl ich ausdrücklich um eine Absage gebeten hatte). Die Erfahrung zeigt: alles, was nicht umgehend funktioniert ist aussichtslos. Es scheint, als würde man hier permanent alles zusagen, nur um dann einen Rückzieher zu machen, wenn es etwas passenderes auftaucht.

Dafür hat mir jemand anderes – sehr knappe Anzeige – ein sonderbares Angebot unterbreitet, bei dem ich für vergleichsweise wenig Geld den reinsten Palast bekäme, während er im abenteuerlichen Asien weilt – er habe allerdings Schlüssel und Dokumente wegen überstürzter Abreise nirgendwo hinterlegen können, die Wohnung stünde dann mir alleine zur Verfügung, ich möchte bitte antworten bzgl. der Verträge. Wie ich in die Wohnung reinkommen soll, wenn die Schlüssel bei ihm in Asien sind, und warum er überhaupt eine solche Residenz für einen Notgroschen vermietet, das ganze noch für unspezifierte Dauer – sehr sonderbar. Es ist schon komisch genug, im Moment im Bett der Freundin einer Freundin zu schlafen, ohne die Person jemals getroffen zu haben – im Bett eines völlig Unbekannten zu schlafen wäre allerdings noch sonderbarer. Aber vielleicht wird das ja die ultimative Verzweiflungstat der krönende Abschluß meiner Wohnungssuche im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

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Freitag, 25. November 2011
Mein Begleiter
Seit zwölf Jahren sind wir ein Paar. Er ist ein dunkler Typ mit kantigem Profil, seine zuverlässige Unverbrüchlichkeit wußte ich stets zu schätzen und wir haben viel zusammen erlebt. Oft habe ich befürchtet, er könne mich verlassen - auf Flügen ganz besonders, auch in Zügen hatte ich immer ein Auge auf ihn, damit ihn mir keine andere Frau wegschnappt. Jede Beziehung jedoch erfordert Investitionen, auch monetäre, und so ziehe ich gerade Erkundigungen ein, wie ich ihm zu Weihnachten eine Freude machen kann.

Kennengelernt haben wir uns 1999. Ich war eigentlich mehr an seinem kleinen Bruder interessiert, denn alle Damen meines Bekanntenkreises hatten so einen, und ich wollte mitstinken. Groß die Enttäuschung, als dem Auto meiner Eltern statt des erwarteten kleinen Modells ein Riesentrumm entstieg. Noch größer dann die Freude bei der Entdeckung, daß ich beide würde haben können, den großen und den kleinen.

Die ersten Jahre waren wir viel unterwegs, vom Westfälischen ins Hessische, auch mal nach München oder Hamburg. Der erste große Test für unsere Beziehung waren 3 Wochen USA, später dann 3 Monate Marokko, aber bei einem so verläßlichen Partner - was hätte da schiefgehen sollen? Unsere erste große Beziehungskrise erlebten wir dann während eines gemeinsamen Urlaubs an der Nordsee. Ich hatte mein Schätzchen fahrlässig überbelastet, ihm mehr aufgebürdet als er ertragen konnte und in einem zweistöckigen Regionalexpress, am oberen Ende der Treppe, riß die Beherrschung, im Sturz die Treppe runter brach er sich auch noch ein Füßchen. Großer Kummer, aber Pedantin, die ich bin, hatte ich unseren Ehevertrag ordentlich abgeheftet, und es stellte sich heraus: mit professioneller Hilfe war unsere gemeinsame Zukunft noch zu retten. Seither markiert ein roter Punkt diese Narbe, Mahnmal an meine Selbstdisziplin, sodaß ich ihn seither noch leichter erkenne. Dazu trugen auch andere Andenken bei, gesammelt während vieler Kilometer. Düsseldorf-Washington, Düsseldorf-Rio, Frankfurt-Tunis und Frankfurt-Kinshasa, letzteres mehr als einmal.

Gemeinsam sind wir erst erwachsen geworden, gemeinsam werden wir in den nächsten Jahren altern und zeigen erste Verschleißerscheinungen (meine Knie, seine... nunja, auch). Nie ließ er mich im Stich, klaglos ertrug er alle Härten, zuverlässig wußte ich - wie das bei eingespielten Teams so ist: wenn der Deckel bei leichtem Drücken schließt, bin ich bei 21 kg, also noch unter der erlaubten Gepäckgrenze für auch die kleinlichsten Fluggesellschaften.

Alte Liebe rostet nicht und daher gebe ich ihn in die besten und erfahrensten Hände (Manufaktur in Köln) und spendiere meinem Rimowa-Schätzchen zu Weihnachten ein paar neue Rollen. Das ist er mir wert.

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Donnerstag, 3. November 2011
Diese Woche
Einen Doktortitel in einer Publikation angedichtet bekommen, den ich noch gar nicht besitze. Die Richtigstellung gestaltet sich schwierig, denn gedruckt ist gedruckt.

Eine Briefsendung wurde vom freundlichen Postboten – statt sie in den Briefkastenschlitz zu stecken – wieder mit in die sichere Filiale genommen, wo ich sie zwischen 9 und 18 Uhr abholen darf, also zu Zeiten, zu denen ich üblicherweise hinter meinem Schreibtisch sitze. Strategisch jenen Abend fürs früher gehen gewählt, an dem der Chef aushäusig ist, beim Verlassen des Büros angerufen worden, mußte doch Farbe bekennen, sonst wäre meine Post wieder zurück zum Absender gegangen.

Daß ich morgen früh um 8 Uhr den ersten Termin habe, wird natürlich niemand bemerken.

Der Sonderverkauf bei Talbot und Runhof ist an genau dem Wochenende, an dem ich keinesfalls nach München fahren kann, um endlich mal ein wirklich tolles Ballkleid schnappen zu können.

Die Organisation eines Hotels für eine größere Gruppe kann keinesfalls an den Vorjahreskonditionen orientiert werden, statt dessen sollen wir jetzt 80 % anzahlen und dafür lieber nicht mehr stornieren – Telefonate nonstop, Emails ohne Ende, außer vom Entscheider - der glänzt durch Unerreichbarkeit.

Außerdem: versetzt, am Telefon abgewürgt („Wir müssen jetzt einen Film schauen“), und ein Büro, in dem um meinetwillen noch ein paar Fettnäpfe extra aufgestellt wurden.

Um all diesen Widrigkeiten erhobenen Hauptes und geraden Rückgrats begegnen zu können, heute zum ersten Mal im Leben Plateaupumps getragen (elegante, nicht prollige). Gummiknopf unterm Absatz fiel schon vor Erreichen der Bürotür dem Pflaster zum Opfer, so daß ich den Rest des Tages nicht mit Grandezza über die Flure schwebte, sondern geräuschvoll wie Kapitän Ahab auf seinem Deck unterwegs war: links lautlos, rechts Stahlnagel auf Steinboden.

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