Fliegen
Ich habe ja schon verschiedentlich meine Leidenschaft fürs Reisen mitgeteilt – ich kann es nicht erklären, ich finde reisen einfach aufregend. Busbahnhöfe, Bahnbahnhöfe, Flugbahnhöfe Flughäfen – alle üben auf mich eine ganz besondere Faszination aus. Ich liebe es auch, Reisende zu beobachten. Die Dame, die offenbar von München nach Köln reist, aber nur ein kleines Handtäschchen bei sich trägt. Der in Nationaltracht gewandete Saudi, der in Frankfurt Messe in den Zug nach Freiburg steigt – und mir abends auf der Rückfahrt wieder begegnet. Was er wohl gemacht hat? In Warteschlangen am Flughafen versuche ich, die Leute einer Nationalität zuzuordnen und einen Blick auf die Pässe zu erhaschen, rot, grün, blau – woher sie wohl stammen mögen?
Bin ich in milder Stimmung – und mein Zug ist pünktlich –, hege ich aufrichtige Bewunderung für die Koordinationsleistung der Bahn, die Hunderte von Zügen über Millionen von Trassenkilometern leitet. Vor allem aber liebe ich die Atmosphäre am Flughafen, den Moment, wenn das Rollband meinen Koffer von mir wegträgt und ich meinen Kontrollimpuls niederkämpfe (Schloß zu? Koffergurt gesichert? Schlafanzug eingepackt?). Ich kann mir stundenlang die Nase am Fenster zum Rollfeld plattdrücken, die Flugzeuge beobachten, mich fragen, ob in jenem Container mein Koffer gerade auf dem Weg in den Flugzeugbauch ist – oder doch in dem dahinten. Mein liebster Moment jedoch ist der, wenn einen die Fliehkraft in den Sitz drückt und ich mich einmal mehr mit kleinmädchenhafter Freude wundere, wie wir es fertig bringen, mit dreihundert Tonnen Gewicht die Schwerkraft unserer Erde zu überwinden.

Ausgangspunkt meiner Leidenschaft fürs Fliegen war vermutlich jener Sommer, in dem meine Eltern mich zu Freunden auf eine beliebte Mittelmeerinsel verschickten (zwecks Animation und Bespaßung der Tochter des Hauses meiner Gastgeber) und ich zum ersten Mal alleine geflogen bin – bzw. mit dem Stewardessen-Kinder-Service der Fluglinie. Als ich im darauffolgenden Herbst gefragt wurde, was ich später werden wolle, stand meine Antwort fest: Stewardeß! Die waren alle so hübsch und freundlich und trugen adrette Uniformen. Die Stewardeß war auch meine liebste Mix-Max Figur. Meine Antwort fand jedoch keinen Anklang in der Familie und irgend jemand (vermutlich mein Vater) intervenierte: „Stewardeß ist nix für Dich, Du bist so ein kluges Kind, Du mußt was intellektuell anspruchsvolles machen“. Woraufhin ich entgegnete: „Dann werde ich Pilotin“. Damals war ich noch nicht von Mathe-und Physiklehrern in die naturwissenschaftliche Unfähigkeit traumatisiert worden und traute mir das durchaus zu. Ich habe sämtliche verfügbaren Unterlagen übers Fliegen gesammelt, konnte detailliert die Lufthansa Flotte beschreiben und war überhaupt völlig überzeugt von meinen Absichten. Bis zum Abitur war ich immer noch nicht kuriert, aber nach einigen Anrufen bestätigten sich meine Befürchtungen: mit meinen kurzsichtigen Augen würde mich die Lufthansa nicht einmal einen Simulator besteigen, viel weniger einen Airbus transatlantik verantworten lassen. Geblieben ist die Erinnerung an meinen ersten leidenschaftlichen Berufswunsch.

Jetzt jedenfalls werde ich dem Lebensgefühl zumindest ziemlich nahe kommen: in vierzehn Tagen werde ich sechs Langstreckenflüge aussitzen, dreizehn Starts und Landungen erleben und sieben Flughäfen besichtigen.
Herr Cabman meinte aus dem vorigen Post herauslesen zu können, dass ich bei der Wahl zwischen Brasilienreise und Auswahlverfahren der Reise den Vorzug geben könne - aber das war eher mein Bauchgefühl als der Verstand. Ich bin leider derart preussisch-protestantisch indoktriniert und von Pflichtgefühl erfüllt, dass ich vermutlich nie im Leben so ein Bewerbungsgespräch ausfallen lassen würde zugunsten meines Privatvergnügens*. Insofern war die Entscheidung tatsächlich von Anfang an klar. Während ich also die halbe Nacht damit verbracht habe, nach einer Lösung meines Problems zu suchen und irgendwie beides zu arrangieren, lösten sich alle Probleme von ganz alleine nach einem Anruf beim potentiellen Arbeitgeber. Der meine Anreisekosten übernimmt. Ich habe schon angefangen, mich auf das Gespräch vorzubereiten (nix schlafen und ausruhen in den nächsten Tagen) und werde vermutlich am Ende ein Heiligenscheinchen von radioaktiver Höhenstrahlung mitbringen. Und einen CO2-Fußabdruck in der Größenordnung von King Kongs Pranken haben. Falls es hier hingegen überraschend still wird, liege ich vielleicht mit Thrombose im Krankenhaus.


*Um Missverständnisse zu vermeiden: Brasilien ist keine reine Vergnügungsreise, sondern hat eher Seminarcharakter - andernfalls wäre ich kaum auf die Idee gekommen, das mit dem potentiellen Arbeitgeber zu besprechen.

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dergeschichtenerzaehler, Samstag, 2. Mai 2009, 02:47
Ihre Reiselust kann ich sehr wohl nachvollziehen. Ich bin gerne in der Welt unterwegs und fremde Menschen aus anderen Ecken der Erde faszinieren mich. Als ich mal in Amman an einem Tisch eines Fastfood Restaurants saß kamen mehrere junge Leute vorbei und leisteten uns Gesellschaft. Da saßen dann einer aus Malaysia, einer aus England, einer aus Florida und einer aus Schweden und wir unterhielten uns stundenlang. So was macht einfach nur Spaß und man kann unheimlich viel lernen. :-)

damenwahl, Sonntag, 3. Mai 2009, 00:08
Oh ja. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Abend in einem Hostel in Chefchaouen, Marokko. Eine deutsche Abiturientin auf der Rueckreise von Nigeria, ein Brite frisch vom Studium in Ghana, zwei Amerikaner aus dem Peace Corps, zwei streitsuechtige Schweizer Hippierinnen... wir hatten einen dollen Abend! Noch besser ist nur, in solchen Laendern fuer einige Zeit zu leben, wenigstens drei-vier Monate... . Nach Jordanien und Syrien moechte ich auch unbedingt noch, irgendwann. Habe mit Interesse Ihre Berichte gelesen...

dergeschichtenerzaehler, Sonntag, 3. Mai 2009, 00:38
Syrien und Jordanien sind einfach nur toll. Wobei Syrien das Land war, welches uns vorher am meisten Angst machte. Hinterher war es das schönste Land was wir je besucht hatten... :-)

P.S. Vielleicht schreibe ich ja doch noch das Buch über unsere... Ein Versuch wäre es Wert.

damenwahl, Samstag, 9. Mai 2009, 18:26
Das sollten Sie unbedingt! Ich würd's auch kaufen und lesen...