Glückliche Fügung
Man freut sich viel zu wenig über die kleinen Freunden des Alltags, glückliche Zufälle und Unwesentlichkeiten. Fällt mir im Supermarkt ein ganzer Karton Eier aus den Armen (weil ich zu bequem war, ein Wägelchen zu schieben) und verpasse ich an einem Tag zwei Mal die U-Bahn, nehme ich das ganz sicher zur Kenntnis und bedauere mein Pech. Wenn dann noch das bestellte Buch nicht angekommen ist, oder mir das Abendessen anbrennt, weiß ich: „Schon morgens war dieser Tag zum Scheitern verurteilt“. Erhalte ich an einem Tag drei Absagen auf Bewerbungen, hadere ich mit dem Schicksal. Wirft mein Vorgesetzter die Abendplanung über den Haufen, weil ich auch nach zwanzig Uhr unersetzlich bin im Büro, denke ich unzweifelhaft: Ausgerechnet heute, wo ich feste Pläne hatte, verabredet war... morgen, übermorgen, gestern, alles wäre günstiger als heute gewesen... warum immer ich? Und sollte ich danach noch die U-Bahn verpassen schleicht sich die Frage an, ob mein Leben vielleicht vom Pech verfolgt, nachgerade verflucht sein könnte?
Es geht aber auch anders und ich bemühe mich sehr, auch die netten kleinen Zufälle nicht unbemerkt vorbeiziehen zu lassen, sondern mich darüber zu freuen, ganz bewußt und aus vollem Herzen. Gestern zum Beispiel. Wer hätte gedacht, daß das Internet direkt nach dem einstöpseln verfügbar sein würde? Und was anfangs unannehmlich schien, wurde schließlich doch gut. Eine unspektakuläre kleine Verwaltungsgeschichte: Zutrittskarte beantragen. Netterweise half mir die Team Assistentin (Sekretärinnen scheinen vom Aussterben bedroht, die letzte dieser Art begegnete mir vor einigen Jahren in einer Privatbank, heute sind die vergleichbaren Mitarbeiter immer Team Assistentin oder Office Assistant), also, die Team Assistentin nahm mich mit ins Gebäude nebenan, wo wir vertröstet wurden auf elf Uhr. Zwei Stunden später sind wir erneut die Strasse hochgetrabt (bei über 30 Grad im Schatten beginne ich auch zu verstehen, warum es für die Distanz von 200 Metern Pendelbusse gibt) und mußten geraume Zeit warten, vor mir waren nämlich zehn andere Praktikanten dran. Ich war ohnehin schon frustriert, mit Abschluß und Berufserfahrung nur einen Ausweis für Stagiaires (Praktikanten) zu erhalten (Verwaltungsgründe) und leider war die Situation auch nicht dazu angetan, Kontakt zu den anderen Stagiaires aufzunehmen, obwohl diese offensichtlich als Gruppe unterwegs waren. Milde Frustration, ob meiner Einstufung und meiner Abgeschiedenheit von der Gruppe – kein guter Start, nicht wirklich und eine wunderbare Gelegenheit, mein hartes Los zu bedauern.
Um halb sieben abends fand ich dann, es sei nun genug gestrebt für den ersten Tag, immerhin hatte ich keinerlei konkrete Aufgaben (einlesen? ha!, muß ich nicht, ihr habt mich doch eingestellt, gerade weil ich mit den Themen vertraut bin, oder?) und habe mein Täschchen gepackt. Draußen in der Hitze stehend, Orientierung im immer noch gleißenden Licht suchend, welches der beste Heimweg wäre, holte mich jemand auf der Kreuzung ein: einer der anderen Praktikanten des Vormittags! Unsere Heimwege trennten sich erst auf der Avenue Bourguiba, reichlich Gelegenheit zu Austausch und Small Talk, und: er hat mich gleich mit auf die vormittags gegründete, inoffizielle Praktikantenliste aufgenommen und möchte als gebürtiger Tunesier gerne den ortsfremden Stagiaires die Stadt zeigen – mich eingschlossen, versteht sich!

Ohne die Verzögerungen bei der Zutrittskarte, ohne die Wartezeit gedrängt in dem kleinen Büro, ohne den glücklichen Entschluß, just um halb sieben das Büro zu verlassen – wir hätten uns möglicherweise nie wieder gesehen und mir wäre die Anschlußmöglichkeit an die anderen Stagiaires entgangen. Das war also ganz unbestreitbar eine wirklich glückliche Fügung des Schicksals und Grund, mit seinem Leben zufrieden zu sein!

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