Reibung
Ich bin wahrhaftig kein bekennender Trekkie, aber ich schaue gelegentlich Star Trek, das gebe ich zu. Ein Überbleibsel meiner prägenden Erfahrungen als Teenager in den USA, wo Fernsehen streckenweise wirklich die einzige mir zugängliche Freizeitbeschäftigung war – in der Not frißt der Teufel bekanntlich Fliegen, und manchmal kommt er dabei eben auf den Geschmack.
Meine liebste Folge ist jene, in der die Enterprise Crew mit einem Raumschiff in die Vergangenheit fliegen muß, um Wale zu retten. Sie landen mit dem Ding in San Francisco in einem Park, natürlich im Tarn-Modus, aber man sieht dennoch die Abdrücke im Gras und manchmal laufen verwirrte Passanten gegen das unsichtbare Hindernis. Überdies muß das Fluggerät mit – vergleichsweise – vorsintflutlichen technischen Mitteln repariert werden und manchmal funktioniert das nicht, dann können alle das Raumschiff aus der Zukunft versehentlich sehen und überhaupt gibt es allerlei Komplikationen wegen der Zeitverschiebung. So ähnlich kann man sich das Leben als Expat in Tunis vorstellen. Der Großteil des Alltags ist spürbar Schwellenland – mein Arbeitgeber jedoch sitzt wie ein futuristisches Raumschiff auf der grünen Wiese in meinem Alltag.
Über Mülleimer, Ampeln und deren Nichtbenutzung habe ich schon berichtet. Auf den Straßen sieht man dauernd wilde Babykätzchen*, viele Bauruinen, viele Cafés mit Männern jeden Alters, die ganz offensichtlich sonst nichts zu tun haben. Immer ordentlich und gepflegt, die Älteren zumindest, selten aufdringlich – aber immer präsent. Gelegentlich zertretenes Ungeziefer auf dem Gehsteig. Überhaupt Gehsteig – oft in desolatem Zustand. Vor meinem ersten Aufenthalt in Nordafrika wurde ich gewarnt, nicht die besten Schuhe mitzubringen, die Gehsteige seien in keinem guten Zustand. Darunter konnte ich mir – ganz ehrlich – nichts vorstellen, die Warnung war geradezu kryptisch für mich. Entweder es gibt einen Bürgersteig, oder eben nicht? Davon abgesehen – schreibe ich wie jemand, der mit weniger als fünf Paar Schuhen auskommt oder Plastiksohlen trägt? In Casablanca lernte ich: zwischen Bürgersteig und kein Bürgersteig gibt es eine unerwartete, unendliche Vielfalt von Möglichkeiten: Bürgersteige mit Unterbrechungen (mal ein Block lang keiner), Bürgersteige kaputt und uneben, Bürgersteige aus Schotter, oder geborstenen Platten. Gehwege weisen schon mal ein Gefälle von 15 cm auf einer Schrittlänge auf. Die Abflußrinne zwischen Straße und Bordstein erinnert in ihrer Tiefe gelegentlich an Freiburger Bächle, so hoch gewölbt ist der Asphalt. Und wenn mal ein richtiges Loch im Bürgersteig ist, dann kann man immer dicke Pappe drüberlegen, jawohl. Absolut gängige Praxis, hier.
Straßenverkäufer – auch so was. Zigaretten sogar an größeren Kiosken einzeln kaufen können – nicht nur als Schachtel. Verlotterte Baufälligkeit an vielen Gebäuden, darunter optische Perlen des Art-Déco und der Kolonialzeit. Morgens und abends laufe ich durch die Straßen, beobachte das Leben hinter meiner Sonnenbrille und dann stehe ich vor meinem Arbeitgeber: ein großer, teilweise glasverspiegelter Klotz, im Umkreis einige ähnliche Gebäude, gegenüber ein Café und straßab ein paar Krämerläden. Natürlich kommt hier nicht jeder rein: Zutrittskarte oder Anmeldung an der Rezeption und Abholung durch Mitarbeiter, und schon steht man in einer anderen Welt.
Alle Mitarbeiter tragen Anzüge oder zumindest gepflegte Bürokleidung. Alles ist hübsch gefliest und sauber, die Aufzüge kommen sofort und haben viele Knöpfe. Mein Büro ist vollklimatisiert (individuell regelbar, versteht sich), ausgestattet mit neuen Büromöbeln, Telekommunikation war sofort verfügbar, eigene E-Mail und Telefonanschluß hatte ich innerhalb von 48 Stunden – es könnte auch ein Frankfurter Büroturm sein. Wir arbeiten hier fleißig (8-12, 14-18), die Technik funktioniert, und wir haben einen richtigen, wichtigen Job, Meetings und Materialschränke. Post-its, Laserdrucker und Netzwerke. Auf dem Ordnerschrank gegenüber stehen sogar gläserne Tombstones – Inbegriff des Bankwesens und hier irgendwie fehl am Platz für mein Empfinden. Das hier ist schließlich keine Investmentbank.
Und doch: die Raumnummern sind mit Filzstift auf die Türen geschmiert (provisorisch, bevor die adretten Schildchen angebracht wurden?). Auf den Fluren stehen Kartons und Stapel von aufgelassenen Ordner und hinterlassen einen vermüllten Eindruck. Die Dekoration im Eingangsbereich hatte ich zuerst für die Verkleidung von Baumaßnahmen gehalten, bevor mir irgendwann aufging, daß man dabei wohl kaum Flachbildschirme integriert hätte – also doch stationäre Dekoration mit Ewigkeitsanspruch. Die Toilette? Wurde ganz sicher seit einer Woche nicht geputzt. Jadoch, ein Reinigungsplan hängt wohl an der Tür, aber nur mit einem einzigen einsamen Eintrag, der schon – nun, etwas älter ist. Und raten Sie mal: als der junge Mann von der IT die Druckersoftware mittels Stöckchen auf meinen Privat-Laptop übertragen wollte, wessen Antiviren-Programm hat da laut gejault und geblinkt? Ein Tipp: nicht das seinige. Aber die Technik funktioniert, kopieren, drucken, scannen – alles einwandfrei.
Dennoch: inmitten meines modernen und westlichen Arbeitgeber-Raumschiffs drängelt sich die Schwellenland-Realität immer wieder nach vorne und die schöne Fassade bei meiner Arbeit hat Risse, wenn man länger und genauer hinschaut. Ohne dies wäre es hier allerdings – einfach todlangweilig. Gerade diese Mischung von verschiedenen Welten, die sich manchmal laut krachend aneinander reiben, finde ich so aufregend. Deswegen bin ich hier. Auf meinem Heimweg abends um sechs habe ich einen Parkscheinautomaten gesehen (gekennzeichnete Parkplätze suchte ich vergebens, egal, habe ja kein Auto) - angezeigte Uhrzeit: 10h16.
* Babykätzchen verbinde ich mit Afrika und Schwellenländern.... in Brasilien hingegen sind mir die vielen gepflegten Rassehunde an Hundeleine aufgefallen – das wiederum ist typisch Industrieland, finde ich.
Meine liebste Folge ist jene, in der die Enterprise Crew mit einem Raumschiff in die Vergangenheit fliegen muß, um Wale zu retten. Sie landen mit dem Ding in San Francisco in einem Park, natürlich im Tarn-Modus, aber man sieht dennoch die Abdrücke im Gras und manchmal laufen verwirrte Passanten gegen das unsichtbare Hindernis. Überdies muß das Fluggerät mit – vergleichsweise – vorsintflutlichen technischen Mitteln repariert werden und manchmal funktioniert das nicht, dann können alle das Raumschiff aus der Zukunft versehentlich sehen und überhaupt gibt es allerlei Komplikationen wegen der Zeitverschiebung. So ähnlich kann man sich das Leben als Expat in Tunis vorstellen. Der Großteil des Alltags ist spürbar Schwellenland – mein Arbeitgeber jedoch sitzt wie ein futuristisches Raumschiff auf der grünen Wiese in meinem Alltag.
Über Mülleimer, Ampeln und deren Nichtbenutzung habe ich schon berichtet. Auf den Straßen sieht man dauernd wilde Babykätzchen*, viele Bauruinen, viele Cafés mit Männern jeden Alters, die ganz offensichtlich sonst nichts zu tun haben. Immer ordentlich und gepflegt, die Älteren zumindest, selten aufdringlich – aber immer präsent. Gelegentlich zertretenes Ungeziefer auf dem Gehsteig. Überhaupt Gehsteig – oft in desolatem Zustand. Vor meinem ersten Aufenthalt in Nordafrika wurde ich gewarnt, nicht die besten Schuhe mitzubringen, die Gehsteige seien in keinem guten Zustand. Darunter konnte ich mir – ganz ehrlich – nichts vorstellen, die Warnung war geradezu kryptisch für mich. Entweder es gibt einen Bürgersteig, oder eben nicht? Davon abgesehen – schreibe ich wie jemand, der mit weniger als fünf Paar Schuhen auskommt oder Plastiksohlen trägt? In Casablanca lernte ich: zwischen Bürgersteig und kein Bürgersteig gibt es eine unerwartete, unendliche Vielfalt von Möglichkeiten: Bürgersteige mit Unterbrechungen (mal ein Block lang keiner), Bürgersteige kaputt und uneben, Bürgersteige aus Schotter, oder geborstenen Platten. Gehwege weisen schon mal ein Gefälle von 15 cm auf einer Schrittlänge auf. Die Abflußrinne zwischen Straße und Bordstein erinnert in ihrer Tiefe gelegentlich an Freiburger Bächle, so hoch gewölbt ist der Asphalt. Und wenn mal ein richtiges Loch im Bürgersteig ist, dann kann man immer dicke Pappe drüberlegen, jawohl. Absolut gängige Praxis, hier.
Straßenverkäufer – auch so was. Zigaretten sogar an größeren Kiosken einzeln kaufen können – nicht nur als Schachtel. Verlotterte Baufälligkeit an vielen Gebäuden, darunter optische Perlen des Art-Déco und der Kolonialzeit. Morgens und abends laufe ich durch die Straßen, beobachte das Leben hinter meiner Sonnenbrille und dann stehe ich vor meinem Arbeitgeber: ein großer, teilweise glasverspiegelter Klotz, im Umkreis einige ähnliche Gebäude, gegenüber ein Café und straßab ein paar Krämerläden. Natürlich kommt hier nicht jeder rein: Zutrittskarte oder Anmeldung an der Rezeption und Abholung durch Mitarbeiter, und schon steht man in einer anderen Welt.
Alle Mitarbeiter tragen Anzüge oder zumindest gepflegte Bürokleidung. Alles ist hübsch gefliest und sauber, die Aufzüge kommen sofort und haben viele Knöpfe. Mein Büro ist vollklimatisiert (individuell regelbar, versteht sich), ausgestattet mit neuen Büromöbeln, Telekommunikation war sofort verfügbar, eigene E-Mail und Telefonanschluß hatte ich innerhalb von 48 Stunden – es könnte auch ein Frankfurter Büroturm sein. Wir arbeiten hier fleißig (8-12, 14-18), die Technik funktioniert, und wir haben einen richtigen, wichtigen Job, Meetings und Materialschränke. Post-its, Laserdrucker und Netzwerke. Auf dem Ordnerschrank gegenüber stehen sogar gläserne Tombstones – Inbegriff des Bankwesens und hier irgendwie fehl am Platz für mein Empfinden. Das hier ist schließlich keine Investmentbank.
Und doch: die Raumnummern sind mit Filzstift auf die Türen geschmiert (provisorisch, bevor die adretten Schildchen angebracht wurden?). Auf den Fluren stehen Kartons und Stapel von aufgelassenen Ordner und hinterlassen einen vermüllten Eindruck. Die Dekoration im Eingangsbereich hatte ich zuerst für die Verkleidung von Baumaßnahmen gehalten, bevor mir irgendwann aufging, daß man dabei wohl kaum Flachbildschirme integriert hätte – also doch stationäre Dekoration mit Ewigkeitsanspruch. Die Toilette? Wurde ganz sicher seit einer Woche nicht geputzt. Jadoch, ein Reinigungsplan hängt wohl an der Tür, aber nur mit einem einzigen einsamen Eintrag, der schon – nun, etwas älter ist. Und raten Sie mal: als der junge Mann von der IT die Druckersoftware mittels Stöckchen auf meinen Privat-Laptop übertragen wollte, wessen Antiviren-Programm hat da laut gejault und geblinkt? Ein Tipp: nicht das seinige. Aber die Technik funktioniert, kopieren, drucken, scannen – alles einwandfrei.
Dennoch: inmitten meines modernen und westlichen Arbeitgeber-Raumschiffs drängelt sich die Schwellenland-Realität immer wieder nach vorne und die schöne Fassade bei meiner Arbeit hat Risse, wenn man länger und genauer hinschaut. Ohne dies wäre es hier allerdings – einfach todlangweilig. Gerade diese Mischung von verschiedenen Welten, die sich manchmal laut krachend aneinander reiben, finde ich so aufregend. Deswegen bin ich hier. Auf meinem Heimweg abends um sechs habe ich einen Parkscheinautomaten gesehen (gekennzeichnete Parkplätze suchte ich vergebens, egal, habe ja kein Auto) - angezeigte Uhrzeit: 10h16.
* Babykätzchen verbinde ich mit Afrika und Schwellenländern.... in Brasilien hingegen sind mir die vielen gepflegten Rassehunde an Hundeleine aufgefallen – das wiederum ist typisch Industrieland, finde ich.
nnier,
Samstag, 6. Juni 2009, 20:54
Das alles ist sehr interessant und lesenswert, und ich freue mich schon auf weitere Berichte aus dem Raumschiff und seiner Umgebung. (Das war in dem Film übrigens ein Klingonenkreuzer der Raubvogelklasse. Als es um den Tarnmechanismus ging, sprach Pille: "Ich wünschte, man könnte damit auch den Gestank tarnen.")
jean stubenzweig,
Sonntag, 7. Juni 2009, 02:27
Aha, ein Relikt aus der Kolonialzeit: «8-12, 14-18» – zwei Stunden Mittagspause. Aber vermutlich wird dabei nicht alles abgeschaltet wie vor noch gar nicht so langer Zeit in Frankreich – na ja, zu der Zeit, als es noch Faxgeräte gab.
Und die Toiletten – auch das klingt französisch. Nicht unbedingt altfranzösisch. Frankreich ist wohl Schwellenland. Und Tunesien hat diese Charakteristik übernommen ...
Sehr interessant ist das hier, da haben Sie aber sowas von recht, Herr Nnier. Und dann auch noch Raumschiffe und so. Sie müssen sich hier ja wie zuhause fühlen. Und ich lerne immer wieder hinzu. Bald kenne ich auch Star Trek. Mitten in Tunis. Keine Lächel-Hieroglyphe. Gibt's bei mir nicht.
Und die Toiletten – auch das klingt französisch. Nicht unbedingt altfranzösisch. Frankreich ist wohl Schwellenland. Und Tunesien hat diese Charakteristik übernommen ...
Sehr interessant ist das hier, da haben Sie aber sowas von recht, Herr Nnier. Und dann auch noch Raumschiffe und so. Sie müssen sich hier ja wie zuhause fühlen. Und ich lerne immer wieder hinzu. Bald kenne ich auch Star Trek. Mitten in Tunis. Keine Lächel-Hieroglyphe. Gibt's bei mir nicht.