Biggest thing ever
Vorgestern Abend war ich mit meinem Mitbewohner D. unterwegs, der für eine UN Organisation arbeitet. Es war schon spät, seine Kollegen hatten fast fertig gegessen als wir in der Pizzeria Piccolo eintrafen. Dort waren mehrere seiner UN-Kollegen, die ich alle nicht kannte, zu sechst um einen genau passenden Tisch versammelt. Wir bauten einen Tisch an und ich kam ungünstig vor dem neuen Kopfende zu sitzen. Da D. sich nicht die Mühe machte, mich dem entfernten Tischende vorzustellen, ich auch meine direkte Nachbarin nur ganz flüchtig kenne und diese sich wiederum nur mit ihrem Nachbarn zur anderen Seite unterhielt, beschied ich mich den Rest des Abends mit der Beobachterposition. Zu fortgeschrittener Stunde erhielt meine Nachbarin eine SMS und fing an, hysterisch zu lachen. Sie zeigte die SMS ihrem Sitznachbarn, reichte das Telefon ans andere Tischende weiter.
T.: Oh my god, a friend just texted me that they caught Josef Kony. Oh my god. That is amazing!
A: Really, no, how do you know? Are you sure?
T.: Yes, you know how I worked two years in Uganda and a friend there just sent the message.
D.: That is unbelievable, are you sure they are right? Is there someone else we can ask?
T.: I know, that would be the biggest thing ever! I’ll try to find someone to confirm that…We have been working for that for years, that would be so awesome if it were true!
C: Yeah, I know. I will try and call X, maybe he knows….
Mehrere Personen standen auf, alle waren schrecklich aufgeregt , fingen an, hektisch SMS zu tippen und zu telefonieren. Der französische Kollege G. kehrte von seinem Telefonat draußen zurück und hatte nichts in Erfahrung bringen können. Mein Gegenüber am andere Kopfende des Tisches versuchte es gleichfalls, telefonierte draußen und berichtete:
M.: I just talked to someone in DPKO*, they say it may have been a mistake, allegedly two persons high up in the LRA** defected but it is not confirmed that they caught Kony.
T.: Oh, I wish…. It would have been just to great had it been true. What a disappointment.
D.: Yes, that would have been the biggest thing this year. I mean, who else did they get in the last years or who died? Nkunda, Michael Jackson, Bemba…. What a pity… .
T.: When I was in Uganda… [...]. That was exactly what we were all hoping for.
D.: Well, if Assasins sans Frontières would start collecting donations, would you actually give something?
Allgemeines Gelächter. Ende des weltpolitischen Intermezzo, zurück zu Rucola, Pizza und Bier.

Das sind die Momente, in denen ich zufrieden bin, mich zurückzulehnen und festzustellen: ich bin ganz weit weg von zu Hause. Vor einigen Wochen schickte eine Freundin mir eine Spaßseite im Internet, kurz nachdem einer unserer Politiker Ouagadougou in eine Reihe mit den Steuerparadiesen Liechtenstein und der Schweiz gestellt hatte. Eine Zeitung hatte sich die Mühe gemacht, auf der Straße Erkundigungen einzuziehen, was der deutsche Bürger mit diesem Namen verbindet. Die Vielfalt der Antworten war erstaunlich, Hauptstadt von Burkina Faso jedoch beklagenswert selten vertreten. Und hier sitze ich abends in einer Pizzeria in Kinshasa mit lauter Leuten, für die die Festnahme eines ugandischen Rebellenführers the biggest thing ever ist.

*UN Department of Peacekeeping Operations
** Lord's Resistance Army

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dergeschichtenerzaehler, Samstag, 22. August 2009, 17:39
Ich hätte nicht gewusst wer Kony ist. Aber woher auch... Schließlich sieht bei dem ganzen Elend in Afrika sowieso keiner mehr durch. Die Medien interessiert nur noch Afghanistan. Als die Wahlen waren hat man sich mal kurz für Kinshasa interessiert. Wir sehen eben nur das, was wir auch sehen sollen.

sunny5, Samstag, 22. August 2009, 23:52
Großartige Geschichte! Danke dafür!

damenwahl, Montag, 24. August 2009, 11:41
Ich wußte es auch nicht. Deshalb finde ich es ja gerade faszinierend, daß die anderen sieben Personen am Tisch emotional so involviert waren und selbstverständlich alle wußten, wer Kony ist.

Gängige Ansicht im Kongo ist übrigens, daß Rwanda und Uganda schuld am Krieg sind - die haben den Krieg in den Kongo getragen. Jawohl. Kann man so in der Zeitung lesen.