Absurdistan
Ich habe eine Kollegin auf einen Workshop begleitet. Sie hat sich hier mit einer Studie zum Emissionshandel und der REDD Initiative (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) beschäftigt. Kongo verfügt nach Brasilien über die größte Regenwaldfläche der Welt, und besagte Initiative stellt eine enorme Zukunftsperspektive für das zerrüttete Land dar. In der aktuellen Fassung sieht REDD vor, daß Entwicklungsländer, die erfolgreich die Abholzung des Regenwalds bekämpfen, dafür Geld erhalten und außerdem am weltweiten Zertifikatehandel in CO2 Emissionen teilnehmen können. Bescheidene Schätzungen gehen davon aus, daß DRC so 75 Million USD im Jahr zufließen könnten. Die Ausgangslage ist gut: in einem Land, in dem der miserable Zustand der Straßen selbst den Handel mit Lebensmitteln fast unmöglich macht, ist illegale Regenwaldabholzung schwierig ins Werk zu setzen, weil man das Holz nicht transportieren kann. Mit den massiven Infrastrukturmaßnahmen der Entwicklungshelfer aus Fernost könnte sich das jedoch bald ändern, und so war der Start von REDD hier ein mittleres Ereignis, das unter anderem die Anwesenheit des Umweltministers rechtfertigte. In einem der drei akzeptablen Hotels vor Ort war ein durch acht Klimaanlagen auf sibirische Temperaturen heruntergekühlter Konferenzsaal für die etwa 150 geladenen Gäste vorbereitet worden. Auf einem Podium hoben sich die beanzugten Würdenträger schön von der opulenten Dekoration in Rot und Gold ab, neben den offiziellen Kameraleuten wuselten überall Fotografen herum. Jede halbwegs bedeutsame Person bringt mindestens eine Videokamera samt Bedienpersonal mit, Fotografen wiederum knipsen ununterbrochen mit enervierender Aufdringlichkeit und hoffen, die Bilder in der Mittagspause für fünf bis zehn Dollar an die Gäste verkaufen zu können.
Als weiteres Statussymbol ist der demonstrative Umgang mit dem eigenen Handy unerläßlich. Die Lautlos Einstellung ist hier überflüssig, es ist auch in offiziellen Konferenzen oder Sitzungen absolut akzeptiert, in flüsterndem Tonfall Gespräche anzunehmen. Nur verschüchterte Europäer stehen dafür auf und verdrücken sich zumindest in eine Ecke. Andererseits weiß man, daß man im Begriff ist, wahrhaft bedeutsame Personen zu treffen, wenn man aufgefordert wird, sein Handy beim Sicherheitspersonal abzugeben. Das gilt zum Beispiel für die Provinzgouverneure oder Minister. Füher gab man seine Waffen an der Tür ab, hier nun die Waffe der Neuzeit: das Handy.
Neben eine Handvoll Botschafts- und internationalem Personal waren vor allem Mitarbeiter aus den relevanten Ministerien sämtlicher Provinzen und eine Unzahl Mitarbeiter lokaler Initiativen und NGOs anwesend. Der Strom fiel zum ersten Mal aus, als der Umweltminister gerade seine Eröffnungsrede beendete. Bis zur Mittagspause wurde es noch weitere vier Mal dunkel, immerhin verschaffte das Erholung von der leidigen Klimaanlage. Völlig unangefochten von den technischen Schwierigkeiten waren die Vorträge jedoch inhaltlich spannend und durchaus professionell, wie auch die lebhafte Diskussion nach den ersten beiden Vorträgen.
Es ist schwierig, über hiesige Besonderheiten zu berichten, die mir so fremd oder nach europäischen Maßstäben einfach komisch sind, ohne in einen Tonfall postkolonialer Überheblichkeit zu verfallen, was ich keineswegs beabsichtige. Hinter uns saß ein Delegierter aus Westafrika im wallenden türkisfarbenen Gewand. Vor uns ein Anzugträger aus einem der Ministerien mit rotem Käppi mit Goldlitzen auf dem Kopf, ein bißchen wie Jackie O. mit Pillbox. Weiße Socken zum Anzug sind keineswegs verpönt, sondern geradezu ein modisches Diktum. Ich habe in meiner Zeit in Frankfurt ein gerütteltes Maß an miserabel sitzenden Anzügen gesehen, aber hier tun sich Dimensionen auf, bei denen sich die Herrenschneider der Savile Row gruseln würden. Ich auch. Dazwischen eine Minderheit weiblicher Gäste in bunter afrikanischer Tracht. Den ersten Preis hätte ich jedoch fraglos jenem Herrn verliehen, der zu seinem deutlich zu kurzen Anzug Socken mit Weihnachtsmannmuster in leuchtendem rot-grün trug. Stellen Sie sich dazu die permanenten Stromausfälle vor, die aufdringlichen Fotografen, die technischen Schwierigkeiten mit den Mikros, unablässig klingelnde Telefone, hoch- und runterfahrende Laptops mit Dudelmelodie – wobei all diese Absurditäten in frappierendem Gegensatz mit der inhaltlichen Ernsthaftigkeit standen, mit der die Teilnehmer sich äußerten.
Wirklich spaßig wurde es während der Fragerunde. Ich habe mit meiner Kollegin diskutiert, wie schwierig es ist, ein solches Thema hier zu vermitteln. Die Wirkungsmechanismen von REDD wie überhaupt der internationale Emissionshandel sind reichlich komplexe Angelegenheiten, die vermutlich auch die Mehrheit der Europäer keineswegs beim ersten Mal durchdringen würde. Allein die Vorstellung, daß dank der Segnungen des Finanzkapitalismus die Kapazität der Regenwälder zur CO2 Speicherung einen handelbaren Wert darstellt - sehr weit weg von den existentiellen Bedürfnissen der Menschen hier. Trotz aller offensichtlichen Verständnisschwierigkeiten – ganz besonders seitens der NGO Mitarbeiter – war die Diskussion überaus lebhaft. Um elf waren die Vorträge beendet und das Plenum wurde für Fragen geöffnet, um halb eins war das Mittagessen geplant. Um zwölf begann der Moderator seine Bemühungen, die Fragerunde abzuschließen und ermahnte die ersten Redner im Publikum, sich kurz zu fassen. Zunehmend energischer vertrat er sein Anliegen, bis ihm ein besonders renitenter NGO Mitarbeiter kampfeslustig entgegnete, er wolle aber gefälligst seine Position ausführlich darlegen. Der Moderator konterte, das sei mit Rücksicht auf den allgemeinen Veranstaltungsablauf in dieser Länge leider nicht möglich, er möge einfach seine Frage stellen. Der Rebell hingegen bestand auf seinem Recht auf Ausdrucksfreiheit und es entspann sich ein lebhafter Wortwechsel, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließ – bis der Moderator ihm kurzerhand das Wort abschnitt und den nächsten Frager aufforderte. Da es sich bei diesem um einen Ministeriumsmitarbeiter handelte, durfte er völlig ungestört über etliche Minuten seine Frage in Ausführungen verpacken, und auch der anschließend zu Wort kommende Professor einer hiesigen Universität wurde nur sehr milde zur Raison gerufen.
Abseits aller Skurrilitäten und Absonderlichkeiten bin ich beeindruckt vom Engagement, der Einsatzfreude und dem überbordenden Interesse aller Teilnehmer. Es ist schön, in einem so desolaten Land Zeugnisse einer Zivilgesellschaft zu sehen, die Hoffnung machen. Vom Unterhaltungsfaktor ganz abgesehen.
Als weiteres Statussymbol ist der demonstrative Umgang mit dem eigenen Handy unerläßlich. Die Lautlos Einstellung ist hier überflüssig, es ist auch in offiziellen Konferenzen oder Sitzungen absolut akzeptiert, in flüsterndem Tonfall Gespräche anzunehmen. Nur verschüchterte Europäer stehen dafür auf und verdrücken sich zumindest in eine Ecke. Andererseits weiß man, daß man im Begriff ist, wahrhaft bedeutsame Personen zu treffen, wenn man aufgefordert wird, sein Handy beim Sicherheitspersonal abzugeben. Das gilt zum Beispiel für die Provinzgouverneure oder Minister. Füher gab man seine Waffen an der Tür ab, hier nun die Waffe der Neuzeit: das Handy.
Neben eine Handvoll Botschafts- und internationalem Personal waren vor allem Mitarbeiter aus den relevanten Ministerien sämtlicher Provinzen und eine Unzahl Mitarbeiter lokaler Initiativen und NGOs anwesend. Der Strom fiel zum ersten Mal aus, als der Umweltminister gerade seine Eröffnungsrede beendete. Bis zur Mittagspause wurde es noch weitere vier Mal dunkel, immerhin verschaffte das Erholung von der leidigen Klimaanlage. Völlig unangefochten von den technischen Schwierigkeiten waren die Vorträge jedoch inhaltlich spannend und durchaus professionell, wie auch die lebhafte Diskussion nach den ersten beiden Vorträgen.
Es ist schwierig, über hiesige Besonderheiten zu berichten, die mir so fremd oder nach europäischen Maßstäben einfach komisch sind, ohne in einen Tonfall postkolonialer Überheblichkeit zu verfallen, was ich keineswegs beabsichtige. Hinter uns saß ein Delegierter aus Westafrika im wallenden türkisfarbenen Gewand. Vor uns ein Anzugträger aus einem der Ministerien mit rotem Käppi mit Goldlitzen auf dem Kopf, ein bißchen wie Jackie O. mit Pillbox. Weiße Socken zum Anzug sind keineswegs verpönt, sondern geradezu ein modisches Diktum. Ich habe in meiner Zeit in Frankfurt ein gerütteltes Maß an miserabel sitzenden Anzügen gesehen, aber hier tun sich Dimensionen auf, bei denen sich die Herrenschneider der Savile Row gruseln würden. Ich auch. Dazwischen eine Minderheit weiblicher Gäste in bunter afrikanischer Tracht. Den ersten Preis hätte ich jedoch fraglos jenem Herrn verliehen, der zu seinem deutlich zu kurzen Anzug Socken mit Weihnachtsmannmuster in leuchtendem rot-grün trug. Stellen Sie sich dazu die permanenten Stromausfälle vor, die aufdringlichen Fotografen, die technischen Schwierigkeiten mit den Mikros, unablässig klingelnde Telefone, hoch- und runterfahrende Laptops mit Dudelmelodie – wobei all diese Absurditäten in frappierendem Gegensatz mit der inhaltlichen Ernsthaftigkeit standen, mit der die Teilnehmer sich äußerten.
Wirklich spaßig wurde es während der Fragerunde. Ich habe mit meiner Kollegin diskutiert, wie schwierig es ist, ein solches Thema hier zu vermitteln. Die Wirkungsmechanismen von REDD wie überhaupt der internationale Emissionshandel sind reichlich komplexe Angelegenheiten, die vermutlich auch die Mehrheit der Europäer keineswegs beim ersten Mal durchdringen würde. Allein die Vorstellung, daß dank der Segnungen des Finanzkapitalismus die Kapazität der Regenwälder zur CO2 Speicherung einen handelbaren Wert darstellt - sehr weit weg von den existentiellen Bedürfnissen der Menschen hier. Trotz aller offensichtlichen Verständnisschwierigkeiten – ganz besonders seitens der NGO Mitarbeiter – war die Diskussion überaus lebhaft. Um elf waren die Vorträge beendet und das Plenum wurde für Fragen geöffnet, um halb eins war das Mittagessen geplant. Um zwölf begann der Moderator seine Bemühungen, die Fragerunde abzuschließen und ermahnte die ersten Redner im Publikum, sich kurz zu fassen. Zunehmend energischer vertrat er sein Anliegen, bis ihm ein besonders renitenter NGO Mitarbeiter kampfeslustig entgegnete, er wolle aber gefälligst seine Position ausführlich darlegen. Der Moderator konterte, das sei mit Rücksicht auf den allgemeinen Veranstaltungsablauf in dieser Länge leider nicht möglich, er möge einfach seine Frage stellen. Der Rebell hingegen bestand auf seinem Recht auf Ausdrucksfreiheit und es entspann sich ein lebhafter Wortwechsel, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließ – bis der Moderator ihm kurzerhand das Wort abschnitt und den nächsten Frager aufforderte. Da es sich bei diesem um einen Ministeriumsmitarbeiter handelte, durfte er völlig ungestört über etliche Minuten seine Frage in Ausführungen verpacken, und auch der anschließend zu Wort kommende Professor einer hiesigen Universität wurde nur sehr milde zur Raison gerufen.
Abseits aller Skurrilitäten und Absonderlichkeiten bin ich beeindruckt vom Engagement, der Einsatzfreude und dem überbordenden Interesse aller Teilnehmer. Es ist schön, in einem so desolaten Land Zeugnisse einer Zivilgesellschaft zu sehen, die Hoffnung machen. Vom Unterhaltungsfaktor ganz abgesehen.
sunny5,
Montag, 24. August 2009, 20:19
Eine ebenso großartige Begebenheit und auch wirklich unterhaltsam geschrieben! Man kann sich die Szenerie sehr klar und deutlich vorstellen. Sage somit wiederum: Herzlichen Dank! :)