Kakerlakenjagd
Ich fürchte, der vorbildliche Jean Paul ist bei der von mir erbetenen Kakerlakenjagd in der Küche nicht so vorbildlich gründlich vorgegangen wie erhofft. Gestern Abend leere Weingläser in die Küche getragen, auf der Spüle abgestellt. Licht ausgemacht. Zehn Minuten später Wasserflasche geholt. In der kleinen Restpfütze Rotwein eine fette Kakerlake, sicherlich fünf bis sechs Zentimeter lang. Was nun? Fragt sich die Dame des Hauses in Abwesenheit männlicher Mitbewohner. Vor wenigen Tagen hätte ich immerhin eine Runde kreischen können, um den Mann im Haus aufzuscheuchen, aber in einer reinen Mädchen-WG ist das keine Option mehr.
Ich habe minutenlang mit mir gerungen: Viech sitzen lassen oder Viech töten. Sitzen lassen schien mir sehr unzivilisiert, also habe ich als nächstes bestimmt zwei Minuten die Option Viech töten und die möglichen Verfahren erwogen. Wasser schien mir gut geeignet, hatte ich doch letzte Woche erst eine ersoffene Kakerlake in einem Wasserglas morgens gefunden.
Leider war das Wasserglas hoch und schmal, das Weinglas hingegen flach und rund und nachdem ich einen Schwall Wasser hineineingeschüttet hatte, zappelte die sechsbeinige Untermieterin verzweifelt mit den Beinchen und Fühlern – war also lebendiger denn je und keineswegs am ersaufen. Auch das habe ich sekundenlang beobachtet und irgendwann dauerte das Tier mich doch, so daß ich dachte: der Qual muß ich ein Ende bereiten. Rausfischen und totschlagen? Angesichts der Größe nicht wirklich appetitlich. Mit angewidertem Geist und spitzen Fingern trug ich also das Weinglas in die Toilette und leerte es über der Kloschüssel. Noch bevor ich spülen konnte, krabbelte mir die Kakerlake flink am Schüsselrand entgegen und hockte sich unter die Brille. Es folgte das nächste gedankenschwere Intermezzo. Was nun? Ich klappte die Brille hoch, dort saß die Kakerlake, parallel zum Schüsselrand. Auch wenn ich mich mittlerweile zu äußerster Gewalttätigkeit und Kakerlakenmord in der Lage fühle – meine Schuhe wollte ich eigentlich nicht schmutzig machen. Eine Zeitung nehmen? Andere Schuhe holen und drei Tage nicht tragen in der Hoffnung, das daran klebende Kakerlakenblut verdrängen zu können? Karton? Pappe? Sonstige Totschlagwerkzeuge? Bis ich mich entschieden hatte und den Flipflop in der Hand hielt –war der Kloschüsselrand leider schon leer und das Viech verschwunden.
Innerlich zitternd vor Grusel und Ekel klappte ich den Deckel runter, die Kakerlake wieselte zwischen den Scharnieren hervor und verschwand zwischen den an der Wand aufgereihten Wasserkanistern. Derer fünf, entfernte ich langsam einen nach dem anderen, jederzeit auf feindliche Attacken gefaßt. Beim dritten Container verschwand das Insekt hinter dem vierten, dann hinter dem fünften, und verkroch sich in der hinteresten Ecke. Mittlerweile hatte ich Mut gefaßt und war vom Jagdfieber erfüllt – zudem stand mir mit den Kanistern die perfekte Tatwaffe zur Verfügung: mit Schwung schmetterte ich den Kanister auf die Kakerlake – leider hatte die gewählte Tatwaffe keinen ebenen Boden. Nach dem zweiten, dritten Anlauf zappelte das eklige Viech auf dem Rücken liegend, Beine und Fühler zuckten, noch zwei Mal ließ ich den Kanister mit der Kante gezielt niedersausen, bevor endlich Ruhe war. Irgendwann hatte es leise geknackt bei einem besonders wohlgezielten Schlag, nun Matsch und Schleim und zerdrückter Körper und kaputte Flügel auf dem Fliesenboden. Als erstes wischte ich den Boden des Kanisters ab, dann breitete ich vorsichtig Toilettenpapier – vielschichtig – über die Leiche und beförderte sie ein letztes, endgültiges Mal in die Kloschüssel. Vielleicht bildete ich es mir, wie ich so in unmittelbarer Nähe der Toilette auf dem Boden kniete, aber es roch deutlich ekliger da unten als auf meiner normalen Höhe. Stinken Kakerlakenleichen so schnell?
Krönender Abschluß des Massakers: das Wasser war schon abgestellt, der Wassertank der Toilette leer und ich konnte das Zeugnis meiner Untaten nicht einmal umgehend in die Kanalisation spülen, sonst mußte zuerst mit den Kanistern Wasser nachfüllen.
Möglicherweise hat meine Mutter recht und ich brauche nach der Heimkehr nicht nur eine vollständige Entwurmung, sondern auch einen Zivilisationskurs, um wieder ein akezptables Mitglied der Gesellschaft zu werden?

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arboretum, Freitag, 20. November 2009, 11:10
Heißt es nicht: Wenn man eine Kakerlake totschlägt, kommen zehn zur Beerdigung? Weshalb man mir beibrachte, sie keinesfalls zu erschlagen, sondern ihnen auf andere Weise den Garaus zu machen.

Jedenfalls hat sich der Spruch zu meinem Leidwesen einst in einem griechischen Hotel bewahrheitet. Nachdem jemand in unserem Zimmer eine Kakerlake erschlagen hatte, kamen danach sehr, sehr viele zur Beerdigung. Ich hoffe aber einmal, dass sich diese Sitte bei den kongolesische Kakerlaken noch nicht eingebürgert hat und die einem anderen Trauerritual folgen.

damenwahl, Samstag, 21. November 2009, 14:05
Ich hoffe, der investigative Journalist meines grenzenlosen Vertrauens hat recht - und muß sagen: bisher keine Probleme gehabt.

mark793, Samstag, 21. November 2009, 23:53
Nicht ganz on topic, aber im aktuellen Zeitmagazin bin ich über eine Geschichte aus Kinshasa gestolpert. Eine interessante Facette, allerdings finde ich Ihre Beschreibungen von dort irgendwie lebenspraller, muss ich sagen.

arboretum, Sonntag, 22. November 2009, 13:33
Nee, bei den Kakerlaken, die da zur Trauerfeier kamen, handelte es sich nicht um den Nachwuchs der erschlagenen. Das waren alles ihre Freunde und Verwandte. Und sie hatte so viele, dass die sich dann auch gleich noch im Nachbarzimmer breit gemacht haben.

Fortan sprühte das Personal Gift - damit wir aber nicht auch des Todes starben, mussten wir abends nach unserer Rückkehr vom Strand die Balkontür öffnen (Fenster gab es da sonst keine). Ergebnis: Alle nur betäubten Kakerlaken erwachten nach und nach wieder zum Leben - und luden die übrigen Freunde zur Party ein. Nachts im Bett hörten wir dann, wie sie die Wände hochkrabbelten und plötzlich abstürzten (! vielleicht eine Folge des Giftgases). Wir hofften jede Nacht inständig, dass sie nicht die Wand am Kopfende unseres Bettes herauflaufen wollten.

Ironie der Geschichte: Ich hatte eigentlich zelten wollen, aber meine Begleitung bestand auf einem Hotelurlaub. Campingplätze seien zu unhygienisch.

damenwahl, Montag, 23. November 2009, 10:02
Mein Beileid. Wie gesagt: bin gottfroh, daß die Viecher nicht in meinem Schlafzimmer sind. Ein Bekannter empfahl neulich: Haarspray nehmen, draufhalten und dann abfackeln - geht natürlich nicht, wenn sie in der Nähe von Stoffen sitzen. Mir außerdem zu gefährlich und bitte: mein Haarspray brauche ich doch für andere Zwecke!

mmmb, Freitag, 20. November 2009, 16:44
Ich habe nach Australien und Malaysia ca. ein Jahr gebraucht, bis ich nicht mehr jede dunkle Fussel auf dem Boden aus den Augenwinkeln gesehen für eine Kakerlake gehalten habe. Australien war zur Eingewöhnung, aber in Malaysia traf ich meine Meisterschabe: Ca. 8 cm lang, auf dem Weg aus der Küche am Türrahmen direkt in Kopfhöhe. Gut 10x muss ich die mit der Bayer-Keule angesprüht haben, einer von uns musste umfallen, aber ich konnte länger die Luft anhalten! Schön ist auch, wenn man - von einem Wochenendtrip zurück - sieht, dass die Ameisen unter dem eigenen Kopfkissen eine Kakerlake erlegt haben... :-)

damenwahl, Samstag, 21. November 2009, 14:09
Unterm Kopfkissen? ... das ist schon ziemlich eklig. Ich habe bisher nur Kakerlaken in der Küche gesehen, selten ein, die sich ins Wohnzimmer verirrte. Was schlimm genug ist. Im Schlafzimmer würde ich glaube ich vielleicht doch noch mal ganz unsouverän ausrasten.

mmmb, Sonntag, 22. November 2009, 15:35
Ja, nun, Bettzeug wechseln und gut. Man gewöhnt sich mit der Zeit an viele Dinge, die man ursprünglich für untragbar hielt!

teutobrecht, Dienstag, 24. November 2009, 23:21
@mmmb, apropos Malaysia, gegrillte, mit Honig bestrichene Kakerlaken ..., sind sie in Malaysia, Indonesien und - moeglicherweise - den Philipinnen nicht ein knusperiger Snack? Koennte sie mir auch karamelisiert als Gaumenschmaus vorstellen, ggf. mit Nutella verfeinert, oder als schlichtes Tempura-Gericht. Hier in Kyushu, wo ich lebe, scheinen sie vor allem den neu aufgeworfenen Komposthaufen zu lieben. Im Sommer haette man tagelang davon leben koennen.

damenwahl, Mittwoch, 25. November 2009, 00:01
Heuschrecken würde ich ja noch mal propieren, und Boa auch, aber Kakerlaken? - niemals!

teutobrecht, Mittwoch, 25. November 2009, 11:26
... tja, das Wasser wuerde mir auch nicht gerade zusammenlaufen. Koennte mir vorstellen, dass sie, wenn man Honig u. Nutella weglaesst, so aehnlich schmecken wie Shrimps Cracker, eher zum Abgewoehnen also, jedenfalls in meiner Geschmackswelt.

Guten Appetit also, fuer diejenigen, die darauf stehen.

G. Schoenbauer

jean stubenzweig, Freitag, 20. November 2009, 17:09
Bei Jean Paul habe ich dann doch andere Assoziationen. Gleichwohl der sich auch ganz gerne in gewisse Flüssigkeiten gelegt haben soll.

damals, Freitag, 20. November 2009, 18:26
Ging mir auch so. Allerdings hat Jean Paul das Elend am eigenen Leib erfahren. Hier in Deutschland. Wem das heute hier nicht gelingt, der muss eben nach Afrika fahren: Liebe Damenwahl, ich beobachte seit einger Zeit, wie Sie sich in einem weit entfernten Herz der Finsternis mit dem Elend des Lebens herumschlagen. Ich bewundere Ihren Mut zu diesem Schnellkurs in Lebenserfahrung. Vergessen Sie nichts!

damenwahl, Samstag, 21. November 2009, 14:11
Mein Jean Paul ist auch ein kleiner Schriftsteller. Aber das Format des anderen hat er dann doch nicht.
Vergessen wird nix - deswegen schreibe ich ja so fleißig.

dergeschichtenerzaehler, Samstag, 21. November 2009, 17:17
Ich hoffe die fremde Welt, der Urwald und die wunderschönen Sonnenuntergänge entschädigen solche Kakerlakeneskapaden...Mich würde das ja gar nicht stören, solch Viechzeugs... Ich habe dann eher Angst vor größeren Tieren. Alles ab Hund ist mir suspekt...Gibt es nicht auch Schlangen bei ihnen und andere giftige Reptilien?

In freudiger Erwartung auf neue Abenteuer Geschichten,

Ihr Geschichtenerzähler :-)

damenwahl, Montag, 23. November 2009, 10:06
Schlangen auf jeden Fall - aber ich hab ja keinen Garten. Boa gibt's auch im Restaurant zu essen.
Noch mehr Abenteuer Geschichten? Jetzt ist doch bald Weihnachten, da wird es vielleicht auch im Kongo beschaulich...