Freitag, 3. April 2009
Kleines Highlight
Ich praktiziere seit einiger Zeit im Büro eine “closed door policy” – das gibt mir Gelegenheit, Webradio zu hören und schon fühlt sich Arbeit weniger wie Arbeit an. Ausserdem ist die Freude über bestimmte Werke besonders gross, wenn sie im Radio kommen – obwohl ich sie vielleicht jederzeit genausogut zu Hause hören könnte.
Wäre heute allerdings jemand zum falschen Zeitpunkt hereingekommen, hätte sich ihm ein spassiges Bild geboten: ich hing halb über dem Schreibtisch, das Ohr dicht am Lautsprecher des Rechners und die Hand klickbereit auf der Maus – um jederzeit die Lautstärke dämpfen zu können – bei alldem ein seliges Grinsen auf dem Gesicht. Auf Bayern Vier wurde nämlich ein Konzert des Orchestra of the Age of Enlightenment von Beethovens Pastorale übertragen, laut Kommentar gespielt auf besonders historischen Instrumenten, was immer das heissen mag im Vergleich zur sonstigen HIP. Jedenfalls konnte man das ganz wunderbar deutlich hören. Die Bläser waren streckenweise fast so schief wie damals in meinem Jugendorchester - - aber trotzdem wunderschön! Haben-Wollen eine Aufnahme davon!

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren





Mittwoch, 1. April 2009
Widerstände
Von interessanten Vorträgen bekannter Wissenschaftler habe ich ja schon an anderer Stelle berichtet. Heute war ich auf einem richtigen Seminar. Beschränkte Teilnehmerzahl, Glückskind Damenwahl hat aber eine Platz bei einem Thema bekommen, das die Dame ganz besonders interessiert, nicht aber den Rest der Kollegen. In vorbildlicher Vorbereitung habe ich zwei Tage im Schnellverfahren versucht, mein rudimentäres Verständnis der Regressionsanalyse im allgemeinen unter Berücksichtigung der Paneldaten-Analyse mit Country Fixed Effects im besonderen zu verbessern. Beladen mit drei Econometrics Büchern aus der Bibliothek ins Wochenende gestartet und mich gefragt: warum habe ich das alles nicht früher gelernt? In Erinnerung an meine Qualen über Formeln und Ableitungen muß ich mich ernsthaft fragen, wie ich überhaupt das Hauptseminar zu Political Economy seinerzeit an der Uni überstanden habe. Zur Diplomarbeit habe ich noch mehr gekämpft: zwanzig Papers auszuwerten, alle mit Regressionsanalysen – wieso habe ich damals nicht verstanden, was der Unterschied zwischen Time Series und Cross-Country Daten ist? Ich bin heute noch stolz darauf, daß offenbar niemand gemerkt hat, wie wenig Ahnung von der Methode ich zum Studienabschluß hatte. Warum gelingt es mir heute, Zusammenhänge zu erfassen, die mir seinerzeit beim allem Bemühen ein Rätsel blieben? Kann es sein, daß ich in der Zwischenzeit klüger geworden bin?

Heute morgen, Tag der Wahrheit, ich leider nur noch mäßig motiviert. Ich habe immer ein bißchen Hemmungen, mich alleine in eine Gruppe fremder Menschen und unberechenbarer Situationen zu stürzen:
Wenn nun in der Diskussion in kleiner Runde von mir erwartet wird, Fragen zu stellen?
Wird meine totale Unwissenheit auf dem Gebiet der Ökonometrie auffallen?
Wie bringe ich die Kaffeepause rum, wo ich doch niemanden kenne?
Wäre es nicht schön, jetzt einfach gemütlich in meinem Büro vor mich hinarbeiten zu können?
Aber nein, die Pflichterfüllung treibt mich an. Erstens: ich bin angemeldet, also muß ich hingehen, alles andere würde mich kompromittieren. Zweitens: ich werde im Moment für meine Weiterbildung bezahlt, das erfordert meinen Einsatz, auch unter Überwindung innerer Widerstände. Immerhin war ich dank wochenendlichem Arbeitseinsatz leidlich gut vorbereitet, hatte die beiden empfohlenen Papers durchgearbeitet und zumindest eine ansatzweise Ahnung der Unterschiede im methodischen Zugang. Der Referent, Professor in Stanford, stellte sämtliche Thesen zum gegebenen Thema auf den Kopf. Der Vortrag war ungeheuer aufregend, spannend – so sollte Wissenschaft sein, kritisch, hinterfragend, neu! Die Kaffeepause war in der Tat ungemütlich, aber immerhin gab es Kaffee und Cookies, an denen ich mich festhalten konnte. Zu meiner eigenen Überraschung war ich am Ende traurig, daß es schon vorbei war (das Seminar, nicht die Kaffepause). Nachdem ich schon so schön in Fahrt war, bin ich gleich leichtfüßig über den nächsten Schatten gehüpft, habe mich dem Referenten vorgestellt – hatte auch eine Vorwand-Frage parat und konnte einflechten, daß ich über einen PhD nachdenke. Mission accomplished, Damenwahl in leicht hysterischer Überschwangsstimmung.
Und es stimmt: ich möchte das auch können. Ich möchte diese ganzen mathematisch-methodischen Zusammenhänge kritisch hinterfragen können. Ich möchte Daten bearbeiten und auswerten können und damit ebenso aufregende Dinge anstellen. Ich möchte mich mit Wirtschaftsgeschichte befassen, mit Mathematik, mit Governance und mit Political Economy, mit Institutionen, Demokratie und Korruption.
Nur leider gibt es da zwei kleine Probleme: Zeit und Geld. Im besten Falle könnte ich mich im Herbst für amerikanische oder englische Universitäten bewerben und mein Studium Ende 2010 aufnehmen. In einen PhD käme ich vermutlich ohne einen weiteren Master gar nicht rein, macht in der Summe – soweit reichen meine mathematischen Fähigkeiten immerhin – zwei plus fünf Jahre. Für einen Abschluß, von dem ich mir nicht viel kaufen kann. Und wer, bitteschön, soll das bezahlen? Mir gruselt es jetzt schon, wenn ich an die anstehenden Bewerbungen für Herbst denke nach Ablauf des Stipendiums – aber neben Bewerbungen für einen PhD mit Stipendium in den Staaten nimmt sich der Papierkrieg zwecks Anstellung wie ein Kinderspaziergang aus. Nicht zu vergessen: weitere sieben Jahre Uni bedeuten weitere sieben Jahre in der Warteschleife des Lebens – beschränkte Finanzmittel, beschränkte Flexibilität, beschränkter Bekanntenkreis, festgekettet an einen Schreibtisch in irgendeinem Provinznest. Will ich das wirklich? So schwanke ich heute zwischen Euphorie und Depression. Zwischen einem unbändigen Auch-Haben-Wollen und der Angst, daß ich zuviel vom Leben erwarte und für derart ambitionierte Ziele einfach nicht gut genug bin.
Nun ja, vielleicht schaue ich mir die Papers morgen noch mal an, ich hätte da noch eine Frage zur Konstruktion des einen Indikators – schöner Anlaß für eine e-Mail an den Professor. Und Stanford wäre immerhin klimatisch nett...

Permalink (6 Kommentare)   Kommentieren





Sonntag, 29. März 2009
Weißglut Wut
Mein Zimmer geht nach hinten raus. Dort ist auf der anderen Seite eine Gospelkirche. Die machen Musik, oft, laut und BRINGEN MICH ZUR WEISSGLUT!
Die Musik ist leider gar nicht so wie bei Sister Act, sondern hektisch, mit schnellem Schlagzeugrhythmus - aggressiv anfeuernd. Sobald die anfangen, geht mein Herzschlag hoch, ich spüre geradezu wie mein Körper Adrenalin ausschüttet.
Bevorzugte Zeiten für ihre wenig besinnlichen Kirchenfeiern sind Freitags abends - nein, nachts - von 22h30 bis 00h30 (!), Samstags nachmittags (da bin ich heute geflüchtet) und jetzt also schon wieder.
Da kann ich mit Borodin, Streichquintett in f-moll nicht mithalten, schon gar nicht angesichts der beschränkten Ausgangskapazität meines Rechners. Irgendwann raste ich aus und gehe schreiend darüber und mache den Verein rund, bis einer weint!

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren





Freitag, 27. März 2009
Petitessen
Lauter kleine Ereignislosigkeiten heute. Mit einem Ingenieur (!) aus der Gebäudeverwaltung geplauscht, den ich zufällig auf der Dachterrasse meines Arbeitgebers getroffen habe - in einem Laden voller Wirtschaftshanseln eine absolute Ausnahmeerscheinung. Abends Verkehrschaos in DC, dreißig Minuten für nur vier Blocks im Bus gesessen - in der Zeit hätte ich nach Hause laufen können. Bin dann ausgestiegen, just bevor der Verkehr wieder zu fließen begann. Tolles Timing. Dafür auf dem Fußweg nach Hause einen Block vor meiner Haustür: Blaulicht und Polizeiautos an allen Strassenecken und gelbes Absperrband 'Crime Scene'. Großartig - wieder ein Eintrag für diese Karte.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren





Donnerstag, 26. März 2009
Mezze und Manieren
Gestern Abend war ich mit meinem Freund A. und einem mit ihm befreundeten Pärchen essen. Gehobenes Ambiente, ein bißchen Schickeria, aber wunderbares Essen: Mezze. Auf der Speisekarte ein kurioses Untereinander von türkischem Imam Bayildi, griechischen Fetadips, libanesischem Tabbouleh, ägyptischem Baba Ghannough und marokkanischer Tagine. Dazu griechischer Weißer (gut) und libanesischer Roter (nicht so gut, sagte der Freund). A. und ich warteten an der Bar auf den Tisch, die männliche Hälfte des Pärchens traf ein, begrüßte A. – stand sicherlich dreißig, vierzig, fünfzig Sekunden neben uns – und drehte dann ganz bedächtig mir den Kopf halb zu und nuschelte etwas, das man nur mit viel gutem Willen als Begrüßung interpretieren konnte. Hand aus Hosentasche - dazu reichte es nicht. Seine Angetraute - als sie schließlich mit erheblicher Verspätung eintraf – war nur unwesentlich freundlicher.
Nun gebe ich gerne auch viel Geld für gutes Essen aus, gelegentlich auch wider meine derzeit beschränkten finanziellen Möglichkeiten. Allerdings setze ich gnadenlos Prioritäten, und gutes Essen in schlechter Gesellschaft kommt auf der Rangliste noch hinter aufheizbaren Lockenwicklern. Also habe ich den anderen zugeschaut, wie sie ihre „Chef’s Tasting“ Kombination verspeisten und mich auf zwei kleinere Mezze beschränkt. Mein Freund A., der um meine prekäre Situation weiß, lud mich mehrfach zum probieren ein, am Ende hatte ich dann das Glück, die ganzen wunderbaren Marinaden aufstippen zu können, die außer mir ohnehin niemand wollte. Großer Fehler, aber Amis sind halt manchmal Banausen erster Klasse. Die Marinaden waren nämlich wirklich sensationell, und ganz deutlich das Beste, was ich jemals in den USA gegessen habe. Meine Aneignung sämtlicher Saucenreste fand außerdem schon frühzeitg ihre Rechtfertigung, als die anderen eines meiner Mezze Schälchen verwechselten und ich nur einen klitzekleinen Eßlöffel abbekam. Und nein: ich bin kein hoffnungsloser Geizkragen und eigentlich auch kein pedantischer Aufrechner - aber ich wollte am Ende auf geteilter Rechnung bestehen, um nicht schon wieder anderer Leute Vergnügen subventionieren zu müssen. Mein an der Theke bestellter Wein war beim Kassieren scheinbar vergessen worden, den habe ich selbstverständlich brav nachgezahlt und ebenso selbstverständlich habe ich meine Beteiligung beim Aufteilen der Rechnung großzügig aufgerundet. Aber ich weigere mich, das Essensbudget für eine Woche an einem einzigen Abend auszugeben, wenn die Freude über gutes Essen konsequent durch den Ärger über bräsige Gesellschaft getrübt wird.

Nach einem ziemlich trostlosen Tischgespräch war ich zugegebenermaßen schon frühzeitig innerlich bereit für den Heimweg, als es doch noch lustig wurde: die Herren unterhielten sich über Strip Lokale in Baltimore* und mein Freund A. verkündete, wenn er strippen müßte, wäre xyz sein Lied. Welches denn mein Lied für derlei Anlässe sei? Solche Fragen bekäme ich als Dame ja eigentlich gar nicht gestellt (ich muß also noch an mir arbeiten) und beantworten werde ich sie natürlich schon mal gerade gar nicht – jedenfalls nicht in solcher Runde. Also versuchte ich mich mit dem Hinweis auf meine völlig veralteten und exklusiv auf klassische Musik beschränkten Hörvorlieben aus der Affaire zu ziehen. Worauf A. ganz trocken meinte: „That’s awesome, you could be catering to the distinguished, upscale Gentleman with that“. Aber gut, ich weiß, warum ich mit A. befreundet bin und recht regelmäßig ausgehe, das Pärchen hingegen hoffentlich nie wiedersehen werde.


*gelernt: Amusements wie Strip- und andere Lokale unterliegen Bundesstaatenrecht und da ist Virginia offenbar deutlich unterhaltsamer als zum Beispiel DC und folglich ganz klar vorzuziehen.

Permalink (1 Kommentar)   Kommentieren





Dienstag, 24. März 2009
Bilde mir nicht ein,...
... was Rechts zu wissen. In den langweiligeren Minuten meines Arbeitstages verfolge ich die Diskussion in dem ein oder anderen Blog und erfreue die Betreiber vielleicht mit erhöhten Klickzahlen. Das Ausmaß an Gelehrsamkeit, Belesenheit und Bildung, mit dem ich mich dort gelegentlich konfrontiert sehe, haut mich schlichtweg von den Füßen. Und macht mich traurig, weil es Anlaß zur Reue gibt. Reue, daß ich wertvolle Zeit meines Lebens mit so schwachsinnigen Vorlesungen wie Kostenrechnung oder Konzernrechnungslegung nach IFRS verschwendet habe. Das verschafft mir möglicherweise punktuell ein besseres Verständnis der Finanzkrise, und außerdem das beruhigende Gefühl, immer noch ein angelehntes Türchen zu einer gesicherten, vernünftigen Arbeitnehmer-Existenz zu haben – ändert aber nichts am Bedauern über all die verpaßten Gelegenheiten. Ich würde gerne noch einmal studieren: Philosophie, Germanistik und Musikwissenschaft, vielleicht? Ich hätte dann all die Werke gelesen, die in den schöneren Blogs diskutiert werden. Könnte Gedichte sofort in ihren Kontext einordnen. Wüßte die Quelle ausgefallener Zitate. Wäre in der Lage, andere Kommentatoren argumentativ auseinander zu nehmen, wenn mir deren Meinung nicht paßt.
Statt dessen halte ich meistens meinen Mund, beiße in die Tischkante, schäme mich ob meiner Unkenntnis der genannten Autoren und sehe betrübt, wie die Liste geplanter Lektüren immer länger wird. Vielleicht sollte ich mich mal für einige Jahre nach Saudi-Arabien versetzen lassen. Da gibt es keinen Alkohol, keine Parties, keine Männer, die mich ablenken könnten – und ich hätte ganz viel Zeit zum Lesen. Das wäre dann zwar Heimweh zum Quadrat, aber immerhin einem guten Zweck dienlich. Schlimmstenfalls werde ich mich in dreißig Jahren nach einem erfüllten Leben als Steuerzahler als Seniorenstudent einschreiben – und in der Zwischenzeit weiter die Klappe halten, um mich nicht mit meiner völligen Unkenntnis geisteswissenschaftlicher Bildung zu kompromittieren.

Immerhin kann ich mich damit trösten, daß man sich in den USA wie der Einäugige unter Blinden fühlen kann: dieses Schild - gegenüber einer Ampel - hätte ich nämlich nicht gebraucht:

Permalink (2 Kommentare)   Kommentieren





Montag, 23. März 2009
Schöner Tag
... Wochenenden sind doch eine feine Sache. Zumal sich hier in DC endlich der Frühling durchsetzt und es nicht mehr lange dauern kann bis zum Großereignis "cherry blossom". Immerhin blühen schon die Magnolien Bäume.
Der Stadtteil Alexandria liegt auf der anderen Seite des Potomac River (hübsch, wenn man irgendwann Kinder hat und die Distanz zur Partymeile U-Street als Kriterium an Bedeutung verliert). Beschaulich nett, und das, was der Amerikaner als historisch bezeichnet. Zum Beispiel das George Washington National Masonic Memorial, Freimaurertempel (erbaut 1932).



Oder die Marina. Viele Ausflügler, häßliche Plastikboote auf dem Wasser und einige Zauberkünstler an Land. Eis von Ben&Jerry's gegessen. Ich wollte gar keine zwei Kugeln, aber lecker war's.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren





Mitbewohnerin
Gestern Nacht ist mir meine neue Mitbewohnerin begegnet. Ich bin spät - im dunkeln - noch in die Küche geschlichen, und als ich das Licht anknipste, verschwand Sie hier:



... in der Spalte im Herd. Ich bin nicht sicher, ob es sich um dieselbe Dame handelt... aber vielleicht gibt es ja auch kosmopolitische Nager?

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren





Freitag, 20. März 2009
Heimweh
Das Leben als mobiler Expat-Nomade kann anstrengend sein. Nomadische Wandervölker können ihre Habseligkeiten immerhin mit sich tragen - angesichts der Luftfrachtbeschränkungen der Fluggesellschaften und des begrenzten finanziellen Budgets habe ich diese Möglichkeit des Heimatexports nicht. Diesmal sind aus Effizienzgründen sogar mein Tagebuch und die darin liegenden Familienfotos daheim geblieben - zu spät gemerkt, daß der Koffer zu klein ist für alle meine Bedürfnisse, ich mußte zwangsläufig Prioritäten setzen (vielleicht waren es die falschen).

Ich kenne diese Phase von früheren Auslandsaufenthalten: irgendwann nach der ersten Aufregung über all die neuen Herausforderungen kommt der Punkt, wo die Anstrengungen und Umstände nur noch Erschöpfung hinterlassen. Immer noch holt man sich nachts blaue Flecken, wenn man im dunkeln in die Küche schleichen möchte, weil es an Orientierung in der vorübergehenden Bleibe mangelt. Man hat zwar inzwischen den günstigsten Supermarkt, die nächste Drogerie und den schnellsten Weg zur Arbeit gefunden, aber die Suche nach einem Schuster für abgelaufene Absätze stellt neue, zeitraubende Anforderungen. Man hat gelernt, wo man deutsche Mitbringsel für private Parties erstehen und Alkoholika kaufen kann, mit denen man sich auch bei besseren Einladungen nicht blamiert, aber das hat einen vollen Samstagnachmittag und ein paar wunde Füße gekostet. Hatte man nicht seinen USB-Stick eingepackt? Wo ist das verdammte Ding? Man wühlt sich durch sämtliche Schubladen, zerrt die Koffer aus dem obersten Regalfach, durchsucht sogar die Unterwäsche (da könnte er ja versehentlich im Koffer reingerutscht sein), kapituliert irgendwann und klappert diverse Elektronikläden ab, bis man einen budgetverträglichen Neuerwerb tätigen kann.
Man wundert sich über die vielen alltäglichen Episoden, die einem auffallen und den Geist auf Trab halten, ist froh, zumindest einen Teil seines Gedankenmülls in einem Blog abladen zu können - und bei alldem vermißt man am allermeisten die vertrauten Freunde. Bekannte findet man schnell, auch solche, mit denen man sich spontan gut versteht und Gemeinsamkeiten entdeckt, aber ach! der vorsichtige Mensch - durch Schaden klug geworden - trägt sein Herz nicht auf der Zunge, sondern hütet selbige. Gerne würde man mit deutschen Bekannten die Begeisterung über die neu entdeckte Blogosphäre teilen, aber gottbewahre! wenn sie dann dieses Blog lesen würden und eins und eins zusammenzählen, alle Anonymität wäre dahin, also freut man sich heimlich und alleine, in aller Stille.

Ohne die modernen Kommunikationsmedien wäre man wahrhaftig einsam, aber so kann man immerhin am Wochenende vier Stunden mit der besten Freundin oder dem lieben Schwesterchen Nachrichten im Chat austauschen - das Wochenende vergeht viel zu schnell, und meistens hat man gerade die wesentlichen faktischen Neuigkeiten ausgetauscht, wenn Zeitverschiebung und Schlafbedürfnis der Konversation ein Ende machen. Zurück bleiben ein bißchen Sehnsucht und die eigenen Sorgen. Zu allem Überdruß erfährt man nebenbei auch noch, daß das elterliche Heim aufgelöst wird - die Herrschaften wollen sich nämlich nicht mehr um Haus und Garten kümmern und ziehen um. Mama wird vielleicht bald den Inhalt des Kleiderschranks einpacken, fremde Hände die Bücherregale ausräumen (hoffentlich ohne in den heiligen Tagebüchern zu schnüffeln!) und wenn man dann auf der Durchreise irgendwann nach Hause kommt, findet man seine Habseligkeiten in Kisten auf dem Dachboden und alles ist noch viel fremder als an dem Ort, den man gerade hinter sich gelassen hat.

An solchen Tagen wünscht man sich ein nettes Heim. Einen Ort, an dem man sich auskennt, auch im Dunkeln mit schlafwandlerischer Sicherheit den Kühlschrank findet, genau weiß, welches Buch in welcher Ecke des Regals steht und man träumt davon, morgens vor einem gefüllten Kleiderschrank die volle Auswahl zu haben. Man sehnt sich nach einem Bäcker, der das eigene Lieblingsbrötchen ohne große Erklärungen einpackt, und nach dem vertrauten Plausch mit der Obsthändlerin über das Wetter. Vermißt die Abende mit der besten Freundin und mehreren Sektflaschen (aus richtigen Sektgläsern) auf dem Balkon. Den Geruch des deutschen Frühlings und das einzigartige Hellgrün der Wälder in der Provinz. Die Sicherheit, zu wissen, wo man in einem Jahr sein wird – nämlich immer noch am selben Ort, zu Hause.

Aber ach, man hat es sich ja anders ausgesucht. Also schiebt man das Heimweh beiseite, tröstet sich über die finanzielle Misere mit der Steuererstattung 2008 hinweg und sucht im Internet die Flüge fürs nächste Abenteuer heraus, wohlwissend, daß man nach zwei Jahren der Seßhaftigkeit wieder kribbelige Füße bekäme und es einen in die weite Welt ziehen würde. Schon richten sich die Begehrlichkeiten auf afrikanische Länder, die noch mehr Herausforderungen und noch mehr Heimweh versprechen.
Ich habe in meiner Jugend einmal deutlich mehr Gin Tonic getrunken, als mir zuträglich war und seither nie wieder einen angerührt. Vielleicht funktioniert das mit Fernweh genauso - wenn ich es jetzt übertreibe, bin ich vielleicht irgendwann kuriert.

Permalink (2 Kommentare)   Kommentieren





Donnerstag, 19. März 2009
Schwarz-Weiß
Ich tue mich ein bißchen schwer mit diesem Thema, aber es gehört meiner Meinung nach angesprochen, also bitte. Hier in DC gibt es schwarze und weiße Menschen - und das macht immer noch einen Unterschied. Zumindest nehme ich das so wahr.
Schwarze Menschen sind Busfahrer, Sicherheitspersonal, Kassierer oder Reinigungskräfte. Andererseits war ich vor einigen Wochen bei einem Konzert im Kennedy Center, beim National Symphony Orchestra. Im Orchester: gar keine Schwarzen. Im Publikum: habe genau einen gesehen. Ich sehe auch viele Obdachlose beider Hautfarben - aber doch deutlich mehr schwarze.

Mich macht das traurig. Die Trennlinie entlang der sozialen Dimension, Geschichte und Hautfarbe empfinde ich als gleichermaßen ungerecht und hoffnungslos, weil entsetzlich schwer zu ändern und historisch wie emotional besonders aufgeladen.
Ich habe über meine Wahrnehmung vor zehn Jahren nachgedacht, als ich für längere Zeit in den Südstaaten war. Auch da gab es Unterschiede, beim Mittagessen in der Schule bildeten sich einer ganz besonderen Eigendynamik folgend immer klar getrennte Gruppen. Alle waren nett miteinander, Sportler waren gleichermaßen anerkannt, aber die Teilung vollzog sich ganz automatisch entlang der schwarz-weißen Linie. Bunte Dates wären fast undenkbar gewesen, ganz sicher mehr als aufsehenerregend. Das an sich hat mich seinerzeit hinreichend schockiert, auch wenn ich mich nicht an abfällige Bemerkungen, herablassendes Verhalten oder sonstigen Rassismus erinnern kann. Fast möchte ich sagen: es gab ebensoviel gesellschaftliche Trennung, aber die sozialen Unterschiede waren weniger himmelschreiend. Liegt das an meiner mit dem Alter sensibilisierten Wahrnehmung? Bilde ich mir das ein? Verklärte Vergangenheit? Ich glaube nicht. Aber die überkommenen Vorbehalte und kulturellen Unterschiede wurden (und werden?) im Süden weniger durch eine soziale, finanzielle und edukative Kluft zementiert. Das mag auch mit dem sozialen Milieu der ländlichen Gegend damals und der spezifischen Vergangenheit Washingtons als District of Columbia zusammenhängen. Die beiden Staaten Maryland und Viriginia, auf deren ursprünglichem Territorium DC liegt, waren typische Südstaaten und vertraten entsprechende Positionen in der Sklavenfrage, der Vorort Alexandria war lange ein Knotenpunkt des Sklavenhandels. Andererseits blickt DC auf eine lange Tradition schwarzer Einwohner zurück und die Sklaverei wurde hier früher als im Rest der (Süd)Staaten abgeschafft.
Anekdote am Rande: die Washington Redskins (Football Mannschaft) waren das letzte NFL Team, das erst unter großem Druck schwarze Spieler aufgenommen hat - weswegen Schwarze wiederum seit jeher große Fans der Dallas Cowboys sind, welche als erste schwarze Sportler zuließ.*
Zum Problem trägt wohl auch bei, daß Washington massiv durch die Politik und den daran hängenden Dienstleistungssektor geprägt ist, was das Jobangebot naturgemäß stark einschränkt. Man könnte vielleicht sagen: der Mittelbau für Berufstätige ist wenig ausgeprägt in dieser Stadt - zwischen den elitären Politikjobs und dem bescheidenen Dienstleistungssektor fürs alltägliche Leben gibt es nicht viel. Über Zusammenhänge kann ich aber auch nur mutmaßen.

Bleibt festzustellen: Rassismus im Sinne der Überzeugung, eine ganze Gruppe Menschen könne inhärent minderwertig sein, nehme ich nicht wahr. Aber die Kategorisierung von Personen nach sozialem Hintergrund, die wiederum mit der Hautfarbe zusammenfallen und kaum voneinander zu trennen sind, die gibt es. Und nicht nur in Amerika.

*Diese Infos von einem Freund, der sowohl auf schwarze als auch puerto-ricanische Vorfahren zurückblicken und als daher als berufene Quelle gelten kann.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren