Sonntag, 19. April 2009
Pausenlektüre
Mit achtzehn hatte ich keine rechte Vorstellung davon, was ein Musikdramaturg eigentlich tut. Ich wußte wohl, daß Opernhäuser (wie auch Theater) meist einen Dramaturgen beschäftigen – das stand schließlich im Programmheft – aber die Abgrenzung zum Regisseur wäre mir schwergefallen. Daß diesem Mangel irgendwann abgeholfen wurde, verdanke ich meiner ehemals besten Freundin V., die inzwischen Dramaturgin an einem kleinen Opernhaus ist. Die Freundschaft gibt es nicht mehr, nach fünfzehn Jahren Zusammenhalt, über alle Stürme und Kämpfe hinweg, räumliche Distanz, diverse Beziehungen auf beiden Seiten und auseinanderdriftende Lebenswege fiel diese Zitadelle der Beständigkeit vor gut einem Jahr in sich zusammen wie eine Sandburg. Ganz ohne Kampf und letzte Zuckungen; trotzdem vergeht kein Tag, an dem sie mir nicht fehlt. Was bleibt sind viele wunderbare Erinnerungen und das Wissen, was ein Dramaturg eigentlich tut.

Je nach Größe des Opernhauses ist er Mädchen für alles und besonders für musikwissenschaftliche Belange bei der Unterstützung des unmöglichen Kunstwerks verantwortlich. Konzeption des Spielplans, Einrichtung von Werken, Programmhefte und sonstige Publikationen – in allem hat der Dramaturg seine Finger drin. V. an ihrem kleinen Provinztheater verbringt außerdem regelmäßig ihre Wochenenden morgens in der Oper, um gegebenenfalls Ersatz für kranke Sänger für abendliche Vorstellungen zu finden und übernimmt vereinzelt die Abendspielleitung. Ich stelle mir vor, daß das ein schöner Beruf ist – und jedenfalls geht V. darin auf. Leider in einem Maße, daß für überkommene Freundschaften in ihrem Leben kein Platz mehr war.

In Amerika scheint das Berufsbild jedoch ein anderes zu sein, denn ein Programmheft, das diesen Namen verdienen würde, gibt es hier nicht. In Deutschland finde ich neben einem Abriß der Handlung vielleicht Interviews mit dem Regisseur, Dirigenten oder Ensemblemitgliedern, Auszüge aus der literarischen Vorlage und erläuternde Texte von Wissenschaftlern. Hier nicht. Es gibt eine Besetzungsliste, eine Inhaltsangabe, in Konzerten noch die Vita der Künstler. Und dann: endlose Listen von Sponsoren. Sämtliche Beiräte, Aufsichtsräte, Vorstandsräte und Beratungsräte, Fördervereine, Einzelgeldgeber, Stiftungen werden aufgelistet. An der Met gibt es ein „Council for artistic excellence“, „Production Funders“, „125th Anniversary Fund“, „Golden Horseshoe Donors“, „Support the Broadcast Campaign“, sowie sieben (!) weitere (!) Arten von Sponsorengruppen. In vielen Kategorien werden die großzügigen Spender nach Spendenhöhe gestaffelt mit Namen genannt: “Mr. And Mrs. Butler J. Peterson Jr.“*. Wir reden hier natürlich nur über fünf- bis siebenstellige Beträge. Man möge mich nicht falsch verstehen: privates Engagement ist großartig, lobenswert und verdient öffentliche Anerkennung, meinethalben auch schwarz-weiß im Programmheft, damit es jeder mitbekommt. Aber müssen alle anderen möglichen Inhalte diesem Bildungsprotz-Theater zum Opfer fallen? Ich lese gerne über die Werksgeschichte und Interpretation in Texten, die ich selbst nicht gefunden hätte, lasse mir die Absichten und Einfälle von Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner erklären (sofern es sich denn um Einfälle handelt) und bilde mich in der Pause weiter. Ganz besonders wenn ich alleine gehe, ist die Lektüre außerdem ein willkommener Pausenfüller. Immerhin: das amerikanische Werbe-Programmheftchen ist umsonst. Kein Inhalt kostet nichts.

*Der Name ist natürlich erfunden.

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Samstag, 18. April 2009
Impressionen
Endlich macht sich das subtropische Klima in Washington bemerkbar. Während ich vorgestern immer noch im Wintermantel zur Arbeit gegangen bin, gibt es doch zunehmend hochsommerliche Tage. Heute zum Beispiel. Um zehn Uhr morgens könnte man im Bikini im Garten liegen und würde nicht frieren - wenn man denn einen richtigen Garten hätte. Und sich nachmittags ein Eis holen:

Lange her, daß ich so etwas gesehen habe. Der Wagen kündigt sich mit einer unglaublich nervtötenden Dudelmelodie an, aber er erinnert mich an meine Kindheit, als es bei uns zu Hause noch einen Wagen mit Brot und Schlickerzeug gab, der täglich zur selben Zeit in unsere Strasse kam.

Die berühmte Kirschblüte ist schon fast vorbei, dieses Foto ist zwei Wochen alt.

Ich hatte nur eine sehr vage Vorstellung vom Ablauf des "National Cherry Blossom Festival", aber als ich morgens zu meiner Laufstrecke auf der National Mall aufbrechen wollte habe ich's verstanden: Menschenmassen auf der Mall, Parade und ungefähr fünf verschiedene Marching Bands. Was Kirschblüten mit "national" zu schaffen haben, ist mir immer noch rätselhaft, aber gut. Ich bin dann andersherum nach Hause gelaufen und war so bedient von dem Getümmel, daß ich lieber auf weitere Kirschblütenfotos verzichtet habe.

Und das hier muß man kaum kommentieren, denke ich. Campen verboten? Das ist ein Kreisverkehr in bester Innenstadtlage. Aber die "Park Police" ist verantwortlich. Was der Amerikaner halt für Park hält.

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Mittwoch, 15. April 2009
Revanche
Mein gestriger Abend endete in Gesellschaft von vier Herren und blauem Licht auf der Strasse mit einem herzlichen “Have a good night, Ma’am”. Wie schon verschiedentlich erwähnt, residiert in meinem Hinterhaus eine Gospelkirche, die seit über einer Woche extensiv Ostern feiert, bevorzugt zwischen elf und ein Uhr nachts unter erheblicher Lärmentwicklung. Leider nicht mit besinnlichen Bach Kantaten, sondern mit hektischer Popmusik, lauten “Hallelujah” Sprechchören und elektronischem Verstärker. Nach über einer Woche abendlicher Beschallung war ich am Ostermontag reichlich zermürbt, vor Wut und Schlaflosigkeit den Tränen nah, und sah froh dem erwarteten Ende der Feierlichkeiten entgegen. Wurde aber gestern pünktlich um zehn eines Besseren belehrt. Nach einigen Diskussionen mit meiner Mitbewohnerin (die inzwischen mit dem Verein nicht einmal mehr spricht, nachdem weder freundliche Gespräche noch Einspruch bei offiziellen Stellen Abhilfe schaffen konnten) bin ich höchstselbst hinüber gegangen, um erstens die Querulanten zu besichtigen und zweitens in Erfahrung zu bringen, wann wieder der übliche Zeitplan von nur drei (!) abendlichen Gottesdiensten pro Woche greifen würde.
Dabei stellte sich heraus, dass diese besondere Gemeinde tatsächlich ein leuchtendes Vorbild der Ökumene ist, offenbar gleich mehrere Götter verehrt, und in diesem speziellen Fall neben dem christlichen Ostern auch das jüdische Passahfest zelebriert. Neben einem Kreuz vor der Tür hat die "Church of the Living God" auch Davidsterne und Mesusa am Türstock im Angebot. Kirchenvorsteher und -begründer ist “Bishop X.” Falls jemand weiss, wie das alles zusammengeht - ich bin immer dankbar, mich weiterbilden zu können. Nachdem ich das Exterieur einen Moment auf mich hatte wirken lassen, öffnete ich etwas zaghaft die zweiflügelige, leuchtendrote Tür und konnte gerade noch einen kurzen Blick auf schwarze Gläubige in langen weissen Schläppen erhaschen, bevor ich abgefangen und nach draussen geschoben wurde:

…[Austausch eröffnender Höflichkeiten]
"I was wondering whether you could please tell me how long your celebrations are going to last tonight and when they will be finished"
"Well, this is the way we celebrate our God [doch nur einen?] and this will go on for a couple of days"
"And when will you be finished tonight?"
"Ah, I really can't tell you, we don't know yet"
… [nicht mehr ganz so höfliche Verabschiedung]

Konkretere Antworten waren nicht zu bekommen, ich habe nochmals mein Missfallen ausgedrückt und dann aufgegeben, mit denen war deutlich nicht zu reden. In der Zwischenzeit hatte meine Mitbewohnerin die Polizei angerufen, und wenig später standen wir mit unserem Freund und Helfer auf der Strasse. Nun liess sich DC nicht lumpen, anfangs kamen zwei Wagen mit zwei Polizisten - ganz auf der Höhe der Zeit mit Netbook und Internetanschluss im Auto und allerlei anderen Spielereien und vielen Waffen. Officer X. sass im Wagen (und muss daher unbenamst bleiben, Namensschild war nicht erkennbar), Officer John S. hingegen leistete uns Damen auf der Strasse im Nieselregen Gesellschaft. Die Officers hörten sich die Klage an, es gab Diskussionen, ein Vorgesetzter wurde hinzugerufen. Mitbewohnerin B. wollte ihren kleinen Sohn nicht so lange allein im Haus lassen, dafür blieb ich allein mit den beiden Polizisten und ihren blauen Lichtern. Officer John S. fing an, sein Handy zu traktieren, die knarrenden Funkgeräte gewährten Einblick in die polizeiliche Gesamtkommunikation. Dann kam noch ein Polizeiwagen, und noch einer, die Versammlung auf der Strasse nahm langsam Partygrösse an. Während wir immer noch auf den Vorgesetzten warteten. Ich wiederholte für jeden Neuankömmling brav mein Sprüchlein (seit über einer Woche, jede Nacht, immer von zehn bis eins, Diskussionen vergebene Liebesmüh’), die Officers plauschten nett miteinander über das letzte Sportereignis, Officer X. - noch immer im Auto - surfte auf G**gle, und ich stand rum. Die Autos formten inzwischen eine veritable Strassensperre, die Kirchenheinis gingen unbeeindruckt ihrer wenig andächtigen Andacht nach und mir war kalt.
Es folgte: Auftritt Sergeant T. (Vorgesetzter) in tiefschwarzer Uniform - und exakt zeitgleich stoppte die Musik auf wundersame Weise. Das war schon ein sonderbarer Zufall. Nachdem ich erneut die Situation dargelegt hatte, setzte mir der ausserordentlich zuvorkommende Sergeant auseinander, wie schwierig das alles sei... er könne ja auch nichts tun... es müsse dafür doch Vorschriften geben [muss ich die kennen, oder er?]... ob wir denn nicht vernünftig mit der Kirche reden könnten? Der Officer hörte sich selbst ganz eindeutig lieber reden als andere - oder mich in diesem Fall -, allerdings gelang es mir zwischendurch ganz unabsichtlich diesen grandiosen Satz einzuschieben: “We certainly tried to reason with them but they just don’t give a damn”. *haha*

Aber, so Officer T., er könne ja noch mal mit den Kirchenoberen reden. Er begab sich zum Gespräch in die Kirche, ich zog mich auf seine Empfehlung hin um die Ecke zurück und beobachtete das Geschehen aus der Ferne. Nun gab es für ihn nicht wirklich viel zu tun, die Musik war ohnehin schon aus, aber kann ja nicht schaden. Anschliessend berichtete er, dies sei nach Auskunft der Kirche der letzte Abend [ach ja? das klang vorhin aber noch anders, als ich gefragt hatte] und er könne weiter nicht viel tun. Dennoch, for future reference, er sei Sergeant T. aus dem x. Bezirk, und ich möge mich vertrauensvoll weiter an die Polizei wenden, auch wenn sie nichts ausrichten könne in dieser Angelegenheit. Und dann kam dieses wunderbare "Have a good night, Ma’am" - sukzessiver Abgang der vier Polizeiwagen.

Immerhin hatte die geballte Anwesenheit des personifizierten staatlichen Gewaltmonopols die Querulanten in der Kirche hinreichend beeindruckt, dass auch nach Abrücken der Obrigkeit Ruhe herrschte. Ich muss ehrlich sagen: diese völlig skurrile Situation, mit vier Polizisten im Schein der rotierenden Blaulichter nächtens auf der Strasse zu stehen und den Lärm-Idioten wenigstens einmal so richtig einen reinzuwürgen war beinahe die Qualen der letzten Woche wert. Auch wenn ich gestern wieder erst nach Mitternacht im Bett war.

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Montag, 13. April 2009
New York
Zwei Tage in New York gewesen und das erste, was mich daheim erwartet: Gospelmusik, bis um ein Uhr nachts. Das ist doch wirklich nicht normal. Ich habe den Verdacht, daß die Gläubigen nebenan vielleicht den Herrn Jesus Christus mittels maximaler Lärmentwikcklung ein weiteres Mal von den Toten auferstehen lassen wollen. Amerikaner sind ja bekanntlich ein bißchen naiv und in Geschichte jenseits der eigenen Geographie wenig bewandert, vielleicht ist ihnen die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen einfach nicht bewußt.

New York war fein, und bietet reichlich Anlaß zu Reflektionen über Land und Leute, wie auch einige spaßige Erlebnisse. Meine Freundin L. und ich kamen am Samstag in strömendem Regen an, bewaffnet mit nur einem Mini-Schirm und hatten die klimatischen Unterschiede die Ostküste hinauf klar unterschätzt. Auf gut deutsch: wir froren bitterlich und ähnelten mit jeder Minute mehr verfrorenen und abgesoffenen Ratten. Mit leeren Bäuchen retteten wir uns vor dem Regen ins nächste Restaurant und machten erste Bekanntschaft mit den inflationären Preisen der Metropole - keine Ahnung, warum sich Volkswirte Sorgen um Deflation machen, 18 USD für ein Sandwich (Beilage: ein mikroskopisch kleines Töpfchen Coleslaw) waren der Stimmung nicht gerade zuträglich. Den Versuch, Zeit bei Macy's abzusitzen, brachen wir nach etlichen Nahkämpfen mit Touristen inmitten opulenter Blumendekoration, die ganz offenbar von der Mehrheit der Besucher als wesentliche Attraktion betrachtet wurde, ab und retteten uns zu Starbucks. Ich bin ja grundsätzlich kein Anhänger der hier omnipräsenten sugar-free-low-fat Kultur für Lebensmittel, aber die neueste New Yorker Richtlinie (verbindlich für Ketten ab einer bestimmten Filialzahl), Kalorienangaben in die Speisekarte aufzunehmen, ist nicht schön, wirklich nicht. Wir haben dann doch beide Skinny Vanilla Latte genommen.

Gegen vier trafen wir bei unseren Gastgebern, Kollegen meiner Freundin, ein. Wirklich schöne Wohnung mit komfortablem Gästezimmer in Harlem, knapp oberhalb des Central Park. Da wir eine Opernkarte zuviel im Gepäck hatten, machten wir uns frühzeitig wieder auf den Weg zurück nach Downtown in die Oper, angemessen aufgebrezelt und voller Erwartungsfreude. Nun fährt die U-Bahn zwar durch bis Lincoln Center, allerdings ist 'durchfahren' in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen: ab Höhe Central Bank fahren zwei von drei Linien nonstop bis zum Times Square - wie wir dann merkten, als wir die Zielstation ohne Halt passierten. Aus Schaden wird man klug, so sagt man, wir aber nicht, und machten den Fehler gleich ein weiteres Mal - fanden uns also nach dreißig Minuten wieder auf Höhe Central Park wieder. Im dritten Anlauf waren wir außerdem an der falschen Station ausgestiegen und mußten einmal raus, oberirdisch über die Straße stöckeln und erneut bezahlen. Immerhin hatte der Himmel ein Einsehen mit unserer prekären Schuhsituation und den sintflutartigen Regen eingestellt (andernfalls wäre das Wasser zu L.s Schuhen vorne hineingelaufen - Peep Toe - und in meine vermutlich hineingeschwappt und hätte sich dort in Teichen gestaut). Blieb noch genug Zeit für einen Happen zum Abendessen, bevor wir mit der Extra-Karte auf der Treppe Stellung bezogen, zwischen einem ältlichen Ehepaar, das strategisch rechts und links positioniert war und etlichen Herren, die offenbar gewerbsmäßen Schwarzmarkthandel betrieben. Ich bin mir meiner katastrophalen Uneignung für jede Vertriebstätigkeit völlig bewußt und die liebe L. stand mir in nichts nach, dennoch fand sich eine junge Frau, die uns die Karte für die Hälfte (!) des ursprünglichen Preises abkaufte. Angesichts unser Talentfreiheit für solche Unterfangen betrachteten wir das als Erfolg.

Leider wurde ich von der Met um das eigentliche Objekt meiner Sehnsucht, den Startenor, betrogen - nicht ganz unerwartet zwar, aber dennoch enttäuschend. Sich über die Qualität des Ersatzes zu beklagen, hieße allerdings auf hohem Niveau zu jammern, insgesamt ist die Met natürlich ein Erlebnis und bietet Kunst auf sehrsehr hohem Niveau. Besonders begeistert war ich vom Bühennbild: passend für die Oper "L'elisir d'amore" komplett in Zuckerbäcker-Pastellfarben gehalten. Einfache Holzstellwände waren durchgängig in gelb und rose mit Einwürfen von türkis und lila gestrichen. Herrlich artifiziell und überspitzt! Highlight war der Wagen des Dulcamara, Ton in Ton mit der restlichen Deko - ein monströses Gefährt. Wunderbar, wenn die Ausstattung die Musik und Botschaft unterstützt und die Balance findet zwischen Nachdenklichkeit und Musikverständnis, ohne dabei in sinnlose, egozentrische Provokation zu verfallen!
Wir hatten Plätze im fünften Rang ganz oben direkt über dem Orchestergraben, eingeschränkte Sicht, mäßige Akustik, aber immer noch meine liebsten Plätze, egal in welchem Haus ich sitze. Oper ohne Blick in den Orchestergraben ist für mich einfach nur der halbe Spaß - gemessen an meinen Maßstäben hatte ich also alles richtig gemacht. Besonders sympathisch fand ich die kleinen Pulte mit Lämpchen in der zweiten Reihe, das hätte ich mir vor einigen Jahren gewünscht, als ich regelmäßig mit Partitur gerüstet in die Oper ging. Völlig konsterniert war ich allerdings am Ende der Vorstellung: noch bevor die ersten Idioten zu klatschen anfangen konnten* fingen die Musiker schon an zu packen - bis der Dirigent seinen Applaus entgegennehmen konnte, war der Orchestergraben beklagenswert leer! Sehr sonderbar. Danach waren wir noch einen Absacker-Cocktail trinken - von dem Wunsch nach einem nächtlichen Dessert nahmen wir Abstand nach dem Blick auf die Karte. Während dort nämlich keine Getränkepreise verzeichnet waren (Damenkarte für zwei alleinreisende Damen?), waren die Kalorienangaben absolut unübersehbar - 1440 nachts um zwölf schien uns keine gute Idee zu sein angesichts des absehbaren Strandurlaubs im Mai (Aktion Sommerkörper, und so).

Der Sonntag begann mit einem fantastischen Osterbrunch bei unseren Gastgebern, ganz ohne Kalorienangaben für Rühreier, Bratkartoffeln, Käse und Lachs und Obstsalat und Schokoladenkuchen. Diese Gastfreundschaft wollten wir natürlich nicht mit Undank belohnen, und brachen erst gegen drei Uhr nachmittags auf. Während die gute L. sogar eine Einkaufsliste im Geiste mitgebracht hatte (Bikinishoppen, s.o.) und ich sie natürlich tatkräftig hätte unterstützten wollen, zeichnete sich doch ab, daß außer den üblichen internationalen Ketten die Läden selbst im nimmerkonsummüden NY am Sonntag geschlossen sein würden. Ins Museum zu gehen wäre bei dem traumhaften Wetter (kalt aber sonnig) wirklich Sünde gewesen, also endeten wir mit noch mehr Skinny Latte im Central Park auf der "Sheep Meadow".

Ich bin ja wahrhaftig kein ausgesprochener Freund von Großstädten und New York hat bei mir vor über zehn Jahren keinen großartigen ersten Eindruck hinterlassen. Häuserschluchten und stählerne Bordsteine machen mir Beklemmungen, multilpliziert mit Menschenmassen und potenziert durch schlechtes Wetter war ich auch im Laufe des ersten Tages wenig angetan, muß meine Meinung aber nach diesem wunderbar entspannten Sonntag revidieren: New York kann auch anders. Und ist dann eigentlich ganz nett.

*Wie ich Menschen hasse, die die Stille nicht als Bestandteil der Musik erkennen!

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Freitag, 10. April 2009
Auf eine Zigarette mit...
... Peer Steinbrück? Nicht ganz, aber fast. Rauchen ist eine unschöne Angewohnheit und meine Mama wünscht sich sehr, daß ich aufhöre. Ich habe diesbezüglich aber keine guten Vorsätze, denn im Falle des Scheiterns müßte ich mich schämen, also versuche ich es gar nicht erst. Ich genieße die fünf Minuten auf der Dachterrasse meines Arbeitgebers, mit einem Kaffee in der Hand, meinen Gedanken nachhängend, und freue mich über den gelegentlichen Geistesblitz, der mich dabei überkommt: die Lösung für ein Problem bei meiner Arbeit, eine schöne Formulierung für mein Blog, ein Plan für die Zukunft...
Im Moment ist die Arbeit eher stupide und so zog es mich am Spätnachmittag noch einmal aufs Dach. Wie schon zwei Stunden vorher saß auf der Mauer ein ziemlich gut gekleideter Herr, dem Rentenalter deutlich näher als ich – also nahe am Rentenalter, einen Hefter mit Unterlagen auf den Knieen, lesend.
Die flapsige Frage, ob er schon wieder oder immer noch hier oben sei, konnte sich die Dame von Welt gerade noch verkneifen – als er mich ansprach:
Er: Is this coincidence, or do we both not have enough work?
Ich: Meeeeee? No, not at all, I am working diligently all day and this MUST be coincidence.
Er: Hey, my name is N. – where are you from?
Ich: Nice to meet, you, I’m Damenwahl, from Germany. And you?
Er: I’m from X, other side of the world. Which department are you in?
Ich: I am just a visiting fellow, short-term assignment in XYZ division.
Er: Ah, so you are working for J.?
Ich: Well, not any more more, to be precise
[Chef J. hört bald auf. Es folgte eine kurze Diskussion über meine Arbeit, seine Arbeit und die Finanzkrise. Die Dame von Welt interessiert sich ja auch sehr für ihr Gegenüber, also fragte ich ganz höflich:]
What department are you working for?
Er: XYZ department, but I just joined in January, haven’t been here very long.
Ich: And, what have you been doing before that?
Er: I was Minister of Finance…. Of country X.
Hier verschluckte sich die Dame von Welt und hatte Mühe, nicht hysterisch zu lachen. Is klar, ich rauche gerade eine Zigarette mit dem ehemaligen Finanzminister eines nicht ganz unbedeutenden Schwellenlandes, für den Rest der Welt „your excellency“ – für mich, seit eben, N. Muhahahaa! Die Damen von Welt fängt sich natürlich wieder und setzt die angenehme Konversation souverän fort. Mit Hilfe des anwesenden Finanzministers a.D. von Welt, der die momentane Sprachlosigkeit der Dame elegant überging. Ich liebe meinen Job!

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Donnerstag, 9. April 2009
Tristesse
Heute Abend nach kurzer Nacht und langem Arbeitstag im Bus: mitteljunger Mann mit langen, übergeschlagenen Beinen, die hervorragende Aussicht auf giftgrüne Strümpfe gewährten, Blickfang eines sonst unspektakulären Äußeren. Zeitung lesend.
So semi-überlegt, wohl aus Neugier, habe ich mich ausgerechnet neben ihn gesetzt und empfing eine Welle latenten Mißfallens darüber. Als er gleich an der nächsten Station ausstieg, hat er sich trotzdem sehr artig entschuldigt, daß er mich zum Aufstehen nötigte - wunderbare Stimme! Habe ihm hinterhergeschaut solange es ging.

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Mittwoch, 8. April 2009
Gähn
Zeitpunkt, zu dem die Gospel-Kirche gestern den Gottesdienst beendet hat: 00h45. Zeitpunkt, zu dem ich aufgestanden bin, um mit Deutschland zu telefonieren: 05h30. Kurze Nacht.

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Montag, 6. April 2009
Sonnenbrand
Ich habe einen Sonnenbrand. Weil ich heute knapp zwei Stunden auf der Treppe Vokabeln gelernt habe - trotz aller Bemühungen, auch die andere (jetzt nicht-rote) Seite der Sonne zuzuwenden. Sowas.

Ich habe gelernt, daß ich für einen PhD in den USA in Economics definitiv Mathematik studiert haben müßte. Und der PhD selbst wären noch mal zwei Jahre Mathematik. Bevor man dann drei Jahre - oder länger - die eigentliche Arbeit verfaßt. Habe ich ja schon geahnt, aber es heute noch einmal in drastischer Deutlichkeit gehört. Kalter Wasserguß für meine Obsessionen. Wäre es nicht schon so spät, würde ich jetzt von den Vorzügen des Netzwerks berichten. Und das dann vielleicht meiner kleiner Schwester weiterleiten, die immer noch nicht begriffen hat, warum Stipendien wertvoll sind, weit über den Barwert hinaus.

In diesem Fall hat mir also das Netzwerk (in Person zweier netter, sehr hilfsbereiter junger Herren von großen akademischen Ehren) eine blutige Nase und Prügel für mein Ego erspart. Das PhD Thema wird hier also vorerst nicht weiter ausgerollt, weil abgehakt. Allerdings habe ich in den nächsten Tagen vielleicht etwas zum Thema Hybris zu sagen.

Und ich kann mit gutem Gewissen noch eine Stunde meinen Leidenschaften nachgehen und Donizetti hören, weil ich am Wochenende Großes vorhabe.

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Sonntag, 5. April 2009
Noch eine Männerstory
.... ich hatte heute Sprachunterricht mit meiner etwas sonderbaren Lehrerin. Die Sprache kann sie natürlich – Muttersprachlerin –, aber ihre pädagogischen Fähigkeiten wären noch ausbaufähig. Gut, daß ich genau weiß, wo es langgehen soll. Was aber den unfassbaren Luxus des Einzelunterrichts keineswegs mindert.

Danach war ich gleichermaßen aufgekratzt und erschlagen, so daß ich lieber zu Fuß nach Hause laufen wollte, 10 Blocks durchs Wohngebiet. Und mir ausnahmsweise eine Zigarette gegönnt habe – normalerweise rauche ich nie im Gehen, das ist schließlich ein Genußmittel. Junger Mann in Gegenrichtung unterwegs, schon einige Meter bevor sich unsere Wege kreuzen, sieht man ihm an, wie er beim Anblick meiner Zigarette einen Gedanken faßt. Und mich munter fragt:
- Hey, sorry, could I ask you for a cigarette, maybe, please?
- Yes, sure, always… Dame kramt in ihrer Tasche.
- Oh man, thank you so much, I love you for that!
- Can I hear that again please?

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Samstag, 4. April 2009
Drum prüfe, wer sich lange bindet...
- ähem, binden will. Ich habe sequentiell Phasen, in denen ich von bestimmten Themen geradezu besessen bin. Bis vor kurzem war es die Blogosphäre (schöne neue Welt), jetzt gerade der Traum vom PhD. Nun habe ich mit Bewerbungen für das, was im angloamerikanischen Sprachraum als „postgraduate studies“ bezeichnet wird, ja schon vor zwei Jahren Erfahrungen sammeln dürfen und bei der Gelegenheit ein studentisches Monatseinkommen investiert, nur um am Ende doch auf den derzeiten Abweg zu kommen. Aber zurück zu den leidigen Bewerbungen. Zuerst wäre da der Kampf mit den Formalien. Formulare, Kopien, Beglaubigungen, Übersetzungen – ein papiergewordener Alptraum. In dreifacher Ausfertigung für drei verschiedene Universitäten, hat mich der Aufwand schon an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht. Für einen PhD müßte man mindestens zehn Universitäten angehen. Andere Bewerber schreiben bis zu zwanzig Universitäten an - wie machen die das? Haben die kein Leben?
Die Krone des Grauens jedoch ist der GRE – Graduate Record Examinations. Ein standardisierter Test, in speziellen Prüfungszentren mit dem Charme eines Krankenhaus-Wartezimmers in klaustrophobischen Zellen am Computer abzulegen. Das Pferdchen muß dabei über drei Hürden springen: Analytical Writing, Verbal und Maths. Auf Englisch, versteht sich. Unter Zeitdruck. Gegen viel gutes Geld.*
Die beiden zu schreibenden Aufsätze interessieren im Allgemeinen niemanden, man könnte sich diesen Teil also auch schenken oder eine Kurzgeschichte für Kinder verfassen. Der Verbal Teil ist nicht ganz einfach (Grammatik, Vokabeln und Leseverständnis), aber hier lassen selbst hervorragende Schulen ausdrücklich Gnade walten, wer den ohnehin obligatorischen Englischtest besteht, muß hier nicht glänzen. [Obwohl ich das durchaus tue.] Nein, wenn man sich für einen Master oder Doktor in Economics bewirbt, verpflichtet man sich zu zwei Jahren Mathematikstudium und dem Arbeitspensum eines Investmentbankers vor der Finanzkrise – da zählt nur der Quants Teil. Man kann sich schon fragen, welche Aussagekraft ein gutes Abschneiden in Aufgaben mit Grundrechenarten, Kopfrechnen und der Umrechnung vom metrischen ins englische System für die Fähigkeit hat, eine Dissertation in VWL zu schreiben, aber hinterfragen nutzt hier nichts. Man muß lernen. Und die Meßlatte liegt hoch: die meisten Kandidaten, die an Topschulen genommen werden, schaffen 800 Punkte – von 800 möglichen. Ich leider nicht. Ich habe brav gelernt, drei lange Monate jeden Abend nach einem anstrengenden Arbeitstag. Meinen Jahresrlaub über den blöden Büchern verbracht. Ich bin leidlich gut im Kopfrechnen. Ich habe mir auch sämtliche Test-Taking-Strategies angeeignet (geschicktes Raten und Schätzen, pythagoreische Dreiecke (3-4-5, 5-12-13, 9-40-41) auswendig gelernt und derlei Schnickschnack). Reichte leider alles nicht. Ich habe sogar einen zweiten Anlauf gemacht - und mich verschlechtert, vor Nervosität. Prüfungsangst und ich gehören eigentlich nicht in einen Satz, aber dieses Ding macht mir Angst. Ich sehe nicht, wie ich jemals einen Score von 800 Punkten schaffen kann. Unrealistisch. Selbst wenn ich die nächsten fünf Monate im saudi-arabischen Niemandsland jeder Vergnügung entsagen würde, könnte ich nie so viel lernen, um einen „stellar score“ zu erreichen. Alternative Eintrittskarten in solche Programme: Referenzen von Top-Wissenschaftlern. Zwar habe ich von vielen dieser Koryphäen gehört oder Aufsätze gelesen, aber leider nicht bei ihnen studiert. Ich könnte natürlich Montag loslaufen und mich bei einem vor die Bürotür setzen und jahrelange Autowäsche anbieten, um eine Referenz zu bekommen – aber auch das wird wohl nicht funktionieren.
Erfolgreiche Bewerber haben häufig schon Mathematikkurse auf dem Niveau des üblichen deutschen Statistik-Doktoranden belegt – ich leider alle zahlenlastigen Fächer im Studium weiträumig gemieden, auch damit kann ich also nicht glänzen. Sommerkurse an guten Universitäten? Kosten soviel wie ein Monatseinkommen und die Bewerbungen sind kaum weniger aufwendig. Bisherige Veröffentlichungen? Fehlanzeige, habe zwar einiges geschrieben, aber am Ende stand immer der Name meines jeweiligen Chefs drauf. Bleiben noch schönes Foto und extravagantes Anschreiben – ach, nein, extravagant und kreativ bin ich leider auch nicht. Also Foto. Ich fürchte, das wird nix, mit mir und dem PhD. Kein Land in Sicht. Werde zu Plan B übergehen und reich heiraten.

*Nebenbei bemerkt: das Pendant für den Management-Aspiranten mit Destination Business School, der GMAT, gilt als deutlich einfacher als der GRE.

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