Drum prüfe, wer sich lange bindet...
- ähem, binden will. Ich habe sequentiell Phasen, in denen ich von bestimmten Themen geradezu besessen bin. Bis vor kurzem war es die Blogosphäre (schöne neue Welt), jetzt gerade der Traum vom PhD. Nun habe ich mit Bewerbungen für das, was im angloamerikanischen Sprachraum als „postgraduate studies“ bezeichnet wird, ja schon vor zwei Jahren Erfahrungen sammeln dürfen und bei der Gelegenheit ein studentisches Monatseinkommen investiert, nur um am Ende doch auf den derzeiten Abweg zu kommen. Aber zurück zu den leidigen Bewerbungen. Zuerst wäre da der Kampf mit den Formalien. Formulare, Kopien, Beglaubigungen, Übersetzungen – ein papiergewordener Alptraum. In dreifacher Ausfertigung für drei verschiedene Universitäten, hat mich der Aufwand schon an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht. Für einen PhD müßte man mindestens zehn Universitäten angehen. Andere Bewerber schreiben bis zu zwanzig Universitäten an - wie machen die das? Haben die kein Leben?
Die Krone des Grauens jedoch ist der GRE – Graduate Record Examinations. Ein standardisierter Test, in speziellen Prüfungszentren mit dem Charme eines Krankenhaus-Wartezimmers in klaustrophobischen Zellen am Computer abzulegen. Das Pferdchen muß dabei über drei Hürden springen: Analytical Writing, Verbal und Maths. Auf Englisch, versteht sich. Unter Zeitdruck. Gegen viel gutes Geld.*
Die beiden zu schreibenden Aufsätze interessieren im Allgemeinen niemanden, man könnte sich diesen Teil also auch schenken oder eine Kurzgeschichte für Kinder verfassen. Der Verbal Teil ist nicht ganz einfach (Grammatik, Vokabeln und Leseverständnis), aber hier lassen selbst hervorragende Schulen ausdrücklich Gnade walten, wer den ohnehin obligatorischen Englischtest besteht, muß hier nicht glänzen. [Obwohl ich das durchaus tue.] Nein, wenn man sich für einen Master oder Doktor in Economics bewirbt, verpflichtet man sich zu zwei Jahren Mathematikstudium und dem Arbeitspensum eines Investmentbankers vor der Finanzkrise – da zählt nur der Quants Teil. Man kann sich schon fragen, welche Aussagekraft ein gutes Abschneiden in Aufgaben mit Grundrechenarten, Kopfrechnen und der Umrechnung vom metrischen ins englische System für die Fähigkeit hat, eine Dissertation in VWL zu schreiben, aber hinterfragen nutzt hier nichts. Man muß lernen. Und die Meßlatte liegt hoch: die meisten Kandidaten, die an Topschulen genommen werden, schaffen 800 Punkte – von 800 möglichen. Ich leider nicht. Ich habe brav gelernt, drei lange Monate jeden Abend nach einem anstrengenden Arbeitstag. Meinen Jahresrlaub über den blöden Büchern verbracht. Ich bin leidlich gut im Kopfrechnen. Ich habe mir auch sämtliche Test-Taking-Strategies angeeignet (geschicktes Raten und Schätzen, pythagoreische Dreiecke (3-4-5, 5-12-13, 9-40-41) auswendig gelernt und derlei Schnickschnack). Reichte leider alles nicht. Ich habe sogar einen zweiten Anlauf gemacht - und mich verschlechtert, vor Nervosität. Prüfungsangst und ich gehören eigentlich nicht in einen Satz, aber dieses Ding macht mir Angst. Ich sehe nicht, wie ich jemals einen Score von 800 Punkten schaffen kann. Unrealistisch. Selbst wenn ich die nächsten fünf Monate im saudi-arabischen Niemandsland jeder Vergnügung entsagen würde, könnte ich nie so viel lernen, um einen „stellar score“ zu erreichen. Alternative Eintrittskarten in solche Programme: Referenzen von Top-Wissenschaftlern. Zwar habe ich von vielen dieser Koryphäen gehört oder Aufsätze gelesen, aber leider nicht bei ihnen studiert. Ich könnte natürlich Montag loslaufen und mich bei einem vor die Bürotür setzen und jahrelange Autowäsche anbieten, um eine Referenz zu bekommen – aber auch das wird wohl nicht funktionieren.
Erfolgreiche Bewerber haben häufig schon Mathematikkurse auf dem Niveau des üblichen deutschen Statistik-Doktoranden belegt – ich leider alle zahlenlastigen Fächer im Studium weiträumig gemieden, auch damit kann ich also nicht glänzen. Sommerkurse an guten Universitäten? Kosten soviel wie ein Monatseinkommen und die Bewerbungen sind kaum weniger aufwendig. Bisherige Veröffentlichungen? Fehlanzeige, habe zwar einiges geschrieben, aber am Ende stand immer der Name meines jeweiligen Chefs drauf. Bleiben noch schönes Foto und extravagantes Anschreiben – ach, nein, extravagant und kreativ bin ich leider auch nicht. Also Foto. Ich fürchte, das wird nix, mit mir und dem PhD. Kein Land in Sicht. Werde zu Plan B übergehen und reich heiraten.

*Nebenbei bemerkt: das Pendant für den Management-Aspiranten mit Destination Business School, der GMAT, gilt als deutlich einfacher als der GRE.

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jean stubenzweig, Sonntag, 5. April 2009, 00:33
Ein (reicher?) Mann, der selbst keinen Doktortitel hat, weil die Zeit zum Geldverdienen benötigt wurde, sehnt sich nach einer Frau, die einen hat. Irgendeinen aus der Kunstgeschichte beispielsweise, über einen zweit- oder gar drittklassigen Maler aus irgendwelchen Sümpfen des 19. Jahrhunderts; egal, nach dem Thema und der Note fragt später unter den Rotariern ohnehin niemand.

Sie müßten also gegebenenfalls das Studienfach wechseln. Denn ohne wird's, wie gesagt, schwierig. Mit dem Heiraten. Oder Sie wechseln aus anderen Gründen: Weil Ihnen Literatur und Musik et cetera soviel Freude bereiten. Dann wären Sie, was in der Natur eines klassischen Generale liegt, an Ihrem Lebensende noch nicht fertig mit dem Studieren und dissertierten vielleicht mit sechzig, weil die sich ineinander verwickelnden Disziplinen so komplex sind. Aber das ist ja das Schöne daran.

Ich kann Ihre Bedenken nachvollziehen. Solches hätte ich mir sogar früher nicht, auch nicht annähermd, angetan, als ich noch ein klein wenig ehrgeiziger war als heute. Aber ich würde heute, das hatte ich, wenn ich mich recht erinnere, bereits einmal erwähnt, auch nicht mehr studieren wollen. Denn ich habe die Schule nicht sonderlich gemocht. Das heutige Studium ist aber nicht anderes als verlängerte Schule. Und die macht (eben) keinen Spaß.

damenwahl, Montag, 6. April 2009, 07:53
Ach ja, das wäre schön. Wobei die Sorte Mann, die Sie beschreiben, nicht direkt in mein Beuteschema fällt. Es gibt soviele Fächer und Themen, die mich reizen, daß ich wirklich mein ganzes Leben lang gerne lernen würde. Aber von Luft und Lernen kann man leider nicht leben. Da bin ich zu indoktriniert durch bürgerliches Sicherheitsdenken.

Ich habe sowohl Schule als auch Uni sehr gemocht, weil es soviel zu lernen gab - und ich einzelne sehr achtbare und großartige Lehrer und Professoren hatte. Engagiert, rundum gebildet, aufrecht, integer - bei meinem fantastischen Deutschlehrer aus der neunten Klasse bin immer noch regelmäßig zum Tee. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur gut darin, mich dem System anzupassen und das Blickfeld auf die guten Seiten zu fokussieren. Ich kann die Bachelor-Kultur nicht einschätzen, aber meine eigene Erfahrung ist, daß die Uni bis vor drei Jahren jedem hinreichende Freiheiten geboten hat, der diese wirklich gesucht hat.