Auch nicht besser
Ich liebe meine Familie – aber die Liebe wächst mit der Entfernung. Meine Mutter wurde vor Jahren gefragt, ob sie es nicht bedauere, daß nun alle Kinder aus dem Haus seien. Sie verneinte, es sei sogar ganz großartig, denn man könne sich immer zwei Mal freuen: wenn die Kinder kommen und wenn sie wieder abreisen. Mir geht es ganz ähnlich, und mehr als zehn Tage konsekutiv mit meinen Eltern und Geschwistern sind für mich ein Alptraum, gleichauf mit einem langweiligen Job in der deutschen Privatwirtschaft. Folglich habe ich die erste sich bietende Möglichkeit genutzt, vor den Weihnachtsfeiertagen noch einmal zu flüchten und Freunde in Frankfurt besucht. Am Dienstag war ich mit meiner besten Freundin C. und ihrem Liebsten S. essen. Am Mittwoch war ich mit der ehemaligen Kollegin V. zu Mittag verabredet, habe teuer gekleidete Investmentbanker mit unsäglichen Tischmanieren bestaunt und einen riesigen Eimer Thai-Curry verspeist. Danach habe ich weitergestaunt, die neue Zeil, den häßlichen Glaskasten, das Palais aus der Retorte. Das neue Palais erinnert mich in seiner Künstlichkeit an Deko-Obst aus Holz oder Plastik: hübsch anzuschauen, aber irgendwie nicht authentisch. Um sechs bin ich zum Glühweintrinken mit Freunden zum Römer geeilt und um acht war ich mit K. zum Abendessen verabredet.
K. ist ein besonderer Fall: wir haben uns vor fast drei Jahren eher zufällig kennengelernt, der Abend endete damit, daß er mich nach London einlud, auf seine Kosten. Soviel Großzügigkeit war mir eher unheimlich und letztlich haben wir uns meistens in Frankfurt getroffen, abgesehen von einer Gelegenheit, wo ich eine Freundin in London besucht habe und folglich von ihm unabhängig war. Ich erinnere mich noch, wie ich damals – seit langer Zeit zum ersten Mal wieder – zum Flughafen fuhr in aller Frühe, voller Vorfreude auf den Flug, eine vergleichsweise weite Reise, eine fremde Stadt und das vor mir liegende Abenteuer. Wiederholt hat er mich seither eingeladen, nie mochte ich kommen: innerhalb von zwei Tagen Flug und Hotel buchen und mich spontan auf den Weg zu machen war mir fremd, und so beklagte K. regelmäßig meine überaus deutsche Planungssucht und Treffen wurden auf seinen nächsten Geschäftsbesuch in Frankfurt verschoben. Dieses Mal hingegen war mir jedes Ziel recht, um der geliebten Familie noch einige Tage zu entgehen, besagte Freundin hat inzwischen eine Wohnung mit Gästebett, auch der Wechselkurs kommt mir entgegen, und so habe ich spontan am Dienstag Abend einen Flug für Donnerstag morgen gebucht und K. informiert, er möge mich in seine Abenplanung am Wochenende bitte einbeziehen. Er fragte per Textnachricht: Who are you? And what have you done with Damenwahl?
Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: gestern Abend waren wir essen, schon nachmittags rief er an und schlug beiläufig ein indisches Restaurant vor. Ich war zu sehr mit bummeln und staunen beschäftigt, um mir über eine alternative Adresse den Kopf zu zerbrechen und so traf ich ihn um halb neun an der Bar. Selbstverständlich kannte er – wie fast überall, wo wir jemals essen waren – den Eigentümer und das halbe Personal. Natürlich hatte er schon ein Glas Whisky vor sich und bestellte für mich einen Martini, kaum daß er meiner ansichtig wurde. Um neun wurde unser Tisch frei, er bestellte ein Steak und suchte einen feinen Wein aus, ich entschied mich für dreierlei Hähnchen. Ich habe die Angewohnheit, das Beste zuletzt zu essen, gestern Abend jedoch war ich aufgeschmissen: alles war wunderbar. Das Hähnchen im Backteig mit Mangochutney, das Tandoori mit Sauce ebenso wobei die dritte Variante – Chicken Tikka – leicht vorne lag. Ich halte ja sonst nicht viel von Fresstempeln für hippe Investmentbanker, aber das Essen war definitiv gut. Ohne die Herrengesellschaft am Nebentisch wäre es noch schöner gewesen. Im Bücherregal standen übrigens Bismarcks Briefe an seine Gattin. Im Restaurant. Interessierte außer mir aber niemanden.
Heute morgen dann zum Flughafen. In der S-Bahn saß mir eine etwas ältere, grauhaarige Stewardess gegenüber – sehr gepflegt, wie sich das gehört. In Niederrad stieg eine Frau dazu, relativ jung vermutlich, aber verhärmt, etwas dicklich und schäbig gekleidet, mit tiefroten Augen und sehr ungesundem Aussehen. Ihren Bauch umfassend bat sie die übrigen Fahrgäste um etwas zu essen und während ich noch überlegte, was sie wohl von einer Spende kaufen würde, kramte die Stewardess eine Orange und eine Dose Erdnüsse aus ihrem Gepäck und überreichte beides. Die Frau hustete entsetzlich, erklärte, an der Bahnhofsmission gebe es nur noch Tee, keine Suppe, weil so viele Obdachlose dort seien. Die Stewardess verwies auf die Flughafenmission und die Frau begann zu schniefen, dann zu weinen, man würde sie nun auch aus ihrer Wohnung rauswerfen, weil sie verbotenerweise vier Paar Schuhe im Flur habe stehen lassen, dabei täten das alle. Die Stewardess versuchte zu trösten, die übrigen Anwesenden schauten verlegen zum Fenster hinaus. Nachdem die Frau – Orange und Erdnüsse in der Hand – gegangen war, entspann sich eine kurze Diskussion über das deutsche Sozialsystem und Kinder als Hauptleidtragender einer verfehlten Politik.
Wenn man etwas genauer hinschaut, sind die sozialen Unterschiede in unserem schönen Wohlstandsland genauso frappierend wie jene im Kongo. Dabei hätten wir soviel mehr Möglichkeiten, uns selbst zu helfen. Traurige Erkenntnis.
K. ist ein besonderer Fall: wir haben uns vor fast drei Jahren eher zufällig kennengelernt, der Abend endete damit, daß er mich nach London einlud, auf seine Kosten. Soviel Großzügigkeit war mir eher unheimlich und letztlich haben wir uns meistens in Frankfurt getroffen, abgesehen von einer Gelegenheit, wo ich eine Freundin in London besucht habe und folglich von ihm unabhängig war. Ich erinnere mich noch, wie ich damals – seit langer Zeit zum ersten Mal wieder – zum Flughafen fuhr in aller Frühe, voller Vorfreude auf den Flug, eine vergleichsweise weite Reise, eine fremde Stadt und das vor mir liegende Abenteuer. Wiederholt hat er mich seither eingeladen, nie mochte ich kommen: innerhalb von zwei Tagen Flug und Hotel buchen und mich spontan auf den Weg zu machen war mir fremd, und so beklagte K. regelmäßig meine überaus deutsche Planungssucht und Treffen wurden auf seinen nächsten Geschäftsbesuch in Frankfurt verschoben. Dieses Mal hingegen war mir jedes Ziel recht, um der geliebten Familie noch einige Tage zu entgehen, besagte Freundin hat inzwischen eine Wohnung mit Gästebett, auch der Wechselkurs kommt mir entgegen, und so habe ich spontan am Dienstag Abend einen Flug für Donnerstag morgen gebucht und K. informiert, er möge mich in seine Abenplanung am Wochenende bitte einbeziehen. Er fragte per Textnachricht: Who are you? And what have you done with Damenwahl?
Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: gestern Abend waren wir essen, schon nachmittags rief er an und schlug beiläufig ein indisches Restaurant vor. Ich war zu sehr mit bummeln und staunen beschäftigt, um mir über eine alternative Adresse den Kopf zu zerbrechen und so traf ich ihn um halb neun an der Bar. Selbstverständlich kannte er – wie fast überall, wo wir jemals essen waren – den Eigentümer und das halbe Personal. Natürlich hatte er schon ein Glas Whisky vor sich und bestellte für mich einen Martini, kaum daß er meiner ansichtig wurde. Um neun wurde unser Tisch frei, er bestellte ein Steak und suchte einen feinen Wein aus, ich entschied mich für dreierlei Hähnchen. Ich habe die Angewohnheit, das Beste zuletzt zu essen, gestern Abend jedoch war ich aufgeschmissen: alles war wunderbar. Das Hähnchen im Backteig mit Mangochutney, das Tandoori mit Sauce ebenso wobei die dritte Variante – Chicken Tikka – leicht vorne lag. Ich halte ja sonst nicht viel von Fresstempeln für hippe Investmentbanker, aber das Essen war definitiv gut. Ohne die Herrengesellschaft am Nebentisch wäre es noch schöner gewesen. Im Bücherregal standen übrigens Bismarcks Briefe an seine Gattin. Im Restaurant. Interessierte außer mir aber niemanden.
Heute morgen dann zum Flughafen. In der S-Bahn saß mir eine etwas ältere, grauhaarige Stewardess gegenüber – sehr gepflegt, wie sich das gehört. In Niederrad stieg eine Frau dazu, relativ jung vermutlich, aber verhärmt, etwas dicklich und schäbig gekleidet, mit tiefroten Augen und sehr ungesundem Aussehen. Ihren Bauch umfassend bat sie die übrigen Fahrgäste um etwas zu essen und während ich noch überlegte, was sie wohl von einer Spende kaufen würde, kramte die Stewardess eine Orange und eine Dose Erdnüsse aus ihrem Gepäck und überreichte beides. Die Frau hustete entsetzlich, erklärte, an der Bahnhofsmission gebe es nur noch Tee, keine Suppe, weil so viele Obdachlose dort seien. Die Stewardess verwies auf die Flughafenmission und die Frau begann zu schniefen, dann zu weinen, man würde sie nun auch aus ihrer Wohnung rauswerfen, weil sie verbotenerweise vier Paar Schuhe im Flur habe stehen lassen, dabei täten das alle. Die Stewardess versuchte zu trösten, die übrigen Anwesenden schauten verlegen zum Fenster hinaus. Nachdem die Frau – Orange und Erdnüsse in der Hand – gegangen war, entspann sich eine kurze Diskussion über das deutsche Sozialsystem und Kinder als Hauptleidtragender einer verfehlten Politik.
Wenn man etwas genauer hinschaut, sind die sozialen Unterschiede in unserem schönen Wohlstandsland genauso frappierend wie jene im Kongo. Dabei hätten wir soviel mehr Möglichkeiten, uns selbst zu helfen. Traurige Erkenntnis.
Permalink (2 Kommentare) Kommentieren
Arbeitsamt: immer gut für einen Lacher
Vorweg: Da ich nach Ablauf meines Vertrages Ende des Jahres keinen neuen Job habe, habe ich mich sicherheitshalber vor der Abreise beim Arbeitsamt gemeldet. Soll man ja.
Meine Mutter:
hallo damenwahl, habe heute mir dem arbeitsamt gesprochen, da war ja post gekommen, du hast am 5.11. einen termin zum besprechen deiner situation. falls du irgendwelche kosten hast , würden sie die auch erstatten! also komm doch einfach nach hause. die bundesagentur für arbeit spendiert dir einen flug. habe ich so verstanden. haha. habe das also storniert. du sollst dich melden. einen tag , nachdem du arbeitslos bist. das müssstest du dann aus dem flugzeug machen, kann ja kein problem sein, oder du landest einfach zwischen! wenn du verlängerung der arbeit hast musst du das auch mitteilen. die sind soo doof, das hält man fast nicht aus. habe heute gelesen, dass es einen neuen studiengang gibt für leute die zur arbeitsagentur wollen. hat man sowas schon gehört. die uni befindet sich in "Schilda", wo man das licht in säcken ins haus trägt. schreib mir doch mal , ob es dir noch gut geht. deine mama
Unbezahlbar.
Meine Mutter:
hallo damenwahl, habe heute mir dem arbeitsamt gesprochen, da war ja post gekommen, du hast am 5.11. einen termin zum besprechen deiner situation. falls du irgendwelche kosten hast , würden sie die auch erstatten! also komm doch einfach nach hause. die bundesagentur für arbeit spendiert dir einen flug. habe ich so verstanden. haha. habe das also storniert. du sollst dich melden. einen tag , nachdem du arbeitslos bist. das müssstest du dann aus dem flugzeug machen, kann ja kein problem sein, oder du landest einfach zwischen! wenn du verlängerung der arbeit hast musst du das auch mitteilen. die sind soo doof, das hält man fast nicht aus. habe heute gelesen, dass es einen neuen studiengang gibt für leute die zur arbeitsagentur wollen. hat man sowas schon gehört. die uni befindet sich in "Schilda", wo man das licht in säcken ins haus trägt. schreib mir doch mal , ob es dir noch gut geht. deine mama
Unbezahlbar.
Permalink (9 Kommentare) Kommentieren
Heimatgefühle
Ich habe darüber nachgedacht, was für mich Heimat ist. Meine Eltern sind seit meiner Geburt drei Mal umgezogen. An das erste Haus erinnere ich mich kaum. Das zweite war mein Zuhause. Beim nächsten Umzug war ich schon ausgezogen, ich habe nicht mitbekommen, wie im Vorfeld hunderte Gegenstände in die Müllkippe vor der Türe wanderten (so hat man mir erzählt), wie Koffer und Kisten gepackt wurden, wie starke Männer ein Möbelstück nach dem anderen aus der Tür trugen. In dem neuen Haus war für mich nicht einmal mehr ein Zimmer vorgesehen, nach einem Jahr wurde ausgebaut und aus meiner türlosen Kammer wurde das Ankleidezimmer meiner Eltern. Ich bezog das kleinste, dunkelste und unattraktivste der vier Schlafzimmer und teilte dieses mit dem Sideboard fürs gute Geschirr meiner Mama, Regalmetern von Ordnern meines Vaters und einem monströsen Schinken von Bild mit Rückepferden im Schnee – Erbstück meines Opas, das meine Mutter nicht aufgeben aber auch ebenso wenig an exponierter Stelle im Hause sehen wollte. Ich habe lange Zeit gebraucht, mich dort zu Hause zu fühlen und als es vor zwei Jahren endlich soweit war, begannen meine Eltern von erneutem Umzug zu sprechen.
Jetzt haben sie also den Blick über Felder und Wälder gegen den Blick über die Stadt getauscht, es gibt nur noch ein Kinderzimmer und eigentlich zu wenig Stauraum für die Hausstände zweier auslands- und abenteuerlustiger Töchter. Das eine verfügbare Kinderzimmer gibt einen spaßigen Einblick in die Soziologie meiner Familie: eigentlich ist es zuerst das Zimmer der jüngsten, noch studierenden E. Im Schrank hängen ihre Kleider, in den Regalen stehen ihre Bücher und im Bad nebenan ihre Zahnbürste. Damit aber wir zwei älteren uns nicht ausgeschlossen und unerwünscht fühlen, wurde innerfamiliär der Begriff „Kinderzimmer“ festgelegt – die einzige hingegen, die konsequent Kinderzimmer sagt ist E. selbst, für alle andere ist es E.s Zimmer.
Mal abgesehen vom nominellen Zuhause, das keines mehr ist, bin ich selbst leider auch kein großer Freund der Sesshaftigkeit. So schön mir die Vorstellung eines richtigen eigenen Zuhauses mit Einrichtung, Dekoration und Büchern scheint – ich kann mir nicht helfen: nach spätestens zwei Jahren werde ich ruhelos. Ich bin seit dem 16. Lebensjahr fünfzehn Mal umgezogen, wenn ich alle Aufenthalte länger als vier Wochen mit eigenem Schlafzimmer zähle – ich könnte die Zahl auch noch hochmanipulieren, wenn ich strenger rechnen würde. Und natürlich treiben die vier Umzüge des letzten Jahres die Zahl hoch. Ich bin im Moment ganz zufrieden, keinen Besitz bewahren zu müssen, meine Habseligkeiten sind vergleichsweise reduziert und lagern bei meinen Eltern im Keller – dafür schätze ich die Freiheit, jeden Tag umziehen zu können, wenn ich nur wollte. Nicht gebunden zu sein. Meine Eltern waren geradezu entsetzt, als sie Fotos von meinen Zimmern im vergangenen Jahr sahen, funktional eingerichtet, hässliche Bilder an der Wand (bestenfalls), kaum Dekoration, abgesehen von einer Handvoll Bücher im Regal (so ich denn eins hatte – ansonsten auf der Heizung oder dem Fensterbrett). Ich habe das anfangs auch so wahrgenommen, in Wien habe ich mir noch Mühe gemacht, Postkarten aufgestellt, und überlegt, ein Poster für die leere Wand überm Bett zu kaufen. In Tunis hingegen oder DC war ich soviel unterwegs und so eingenordet ins Wanderleben, daß ich derartige Bemühungen nicht einmal mehr in Erwägung gezogen habe. Ganz im Gegenteil finde ich mein Zimmer in Kinshasa geradezu gemütlich, während meine Eltern vor Entsetzen bleich wurden.
Von Wohnsitzen abgesehen ist Heimat für mich die Region, in der ich meine Jugend verbracht habe. Ich mag die Hügel und die kurvigen Landstrassen, Wälder und Hecken dazwischen, ganz besonders die Strecke zum Bahnhof über Land rührt mich jedes Mal – obwohl oder gerade weil sie eng verbunden ist mit Abreisen und Ankommen.
Wie wohl ich mich in meinen vielen Wohnungen und Zimmern auf Zeit gefühlt habe konnte ich immer an den blauen Flecken an meinem Körper zählen. Wenn ich nachts unbeschadet im dunkeln das Bad erreichen konnte, war ich angekommen. Mal dauerte das länger, mal ging es schnell. In Kinshasa ging es schnell und ich freue mich arg auf meine Wohnung, mein Zimmer, unserer Terrasse. Die Aussicht dort ist anders, aber nicht schlechter.
Jetzt haben sie also den Blick über Felder und Wälder gegen den Blick über die Stadt getauscht, es gibt nur noch ein Kinderzimmer und eigentlich zu wenig Stauraum für die Hausstände zweier auslands- und abenteuerlustiger Töchter. Das eine verfügbare Kinderzimmer gibt einen spaßigen Einblick in die Soziologie meiner Familie: eigentlich ist es zuerst das Zimmer der jüngsten, noch studierenden E. Im Schrank hängen ihre Kleider, in den Regalen stehen ihre Bücher und im Bad nebenan ihre Zahnbürste. Damit aber wir zwei älteren uns nicht ausgeschlossen und unerwünscht fühlen, wurde innerfamiliär der Begriff „Kinderzimmer“ festgelegt – die einzige hingegen, die konsequent Kinderzimmer sagt ist E. selbst, für alle andere ist es E.s Zimmer.
Mal abgesehen vom nominellen Zuhause, das keines mehr ist, bin ich selbst leider auch kein großer Freund der Sesshaftigkeit. So schön mir die Vorstellung eines richtigen eigenen Zuhauses mit Einrichtung, Dekoration und Büchern scheint – ich kann mir nicht helfen: nach spätestens zwei Jahren werde ich ruhelos. Ich bin seit dem 16. Lebensjahr fünfzehn Mal umgezogen, wenn ich alle Aufenthalte länger als vier Wochen mit eigenem Schlafzimmer zähle – ich könnte die Zahl auch noch hochmanipulieren, wenn ich strenger rechnen würde. Und natürlich treiben die vier Umzüge des letzten Jahres die Zahl hoch. Ich bin im Moment ganz zufrieden, keinen Besitz bewahren zu müssen, meine Habseligkeiten sind vergleichsweise reduziert und lagern bei meinen Eltern im Keller – dafür schätze ich die Freiheit, jeden Tag umziehen zu können, wenn ich nur wollte. Nicht gebunden zu sein. Meine Eltern waren geradezu entsetzt, als sie Fotos von meinen Zimmern im vergangenen Jahr sahen, funktional eingerichtet, hässliche Bilder an der Wand (bestenfalls), kaum Dekoration, abgesehen von einer Handvoll Bücher im Regal (so ich denn eins hatte – ansonsten auf der Heizung oder dem Fensterbrett). Ich habe das anfangs auch so wahrgenommen, in Wien habe ich mir noch Mühe gemacht, Postkarten aufgestellt, und überlegt, ein Poster für die leere Wand überm Bett zu kaufen. In Tunis hingegen oder DC war ich soviel unterwegs und so eingenordet ins Wanderleben, daß ich derartige Bemühungen nicht einmal mehr in Erwägung gezogen habe. Ganz im Gegenteil finde ich mein Zimmer in Kinshasa geradezu gemütlich, während meine Eltern vor Entsetzen bleich wurden.
Von Wohnsitzen abgesehen ist Heimat für mich die Region, in der ich meine Jugend verbracht habe. Ich mag die Hügel und die kurvigen Landstrassen, Wälder und Hecken dazwischen, ganz besonders die Strecke zum Bahnhof über Land rührt mich jedes Mal – obwohl oder gerade weil sie eng verbunden ist mit Abreisen und Ankommen.
Wie wohl ich mich in meinen vielen Wohnungen und Zimmern auf Zeit gefühlt habe konnte ich immer an den blauen Flecken an meinem Körper zählen. Wenn ich nachts unbeschadet im dunkeln das Bad erreichen konnte, war ich angekommen. Mal dauerte das länger, mal ging es schnell. In Kinshasa ging es schnell und ich freue mich arg auf meine Wohnung, mein Zimmer, unserer Terrasse. Die Aussicht dort ist anders, aber nicht schlechter.
Permalink (4 Kommentare) Kommentieren
Abschied
Ich hatte eine unglaublich anstrengende Woche in Berlin voller Termine, Termine, Termine, das mir wieder einmal in aller Deutlichkeit demonstriert hat, daß ich der dreißig näher als der zwanzig bin.
Das Wochenende ab Freitag Mittag hatte ich mir also redlich verdient und dafür umso mehr genossen. Ich habe Freitag Nacht etwas zu viel gefeiert, viel Zeit mit reizenden Menschen verbracht, mich blendend amüsiert, der Freund meiner besten Freundin in Frankfurt kocht Frühstückseier auf den Punkt perfekt und überhaupt bin ich froh, die zwei Wochen in Deutschland genutzt zu haben, auch wenn das auf Kosten des Schönheitsschlafs ging.
Jetzt sind die Koffer gepackt, das Visum hat seine Ordnung, und ich genieße die letzten Minuten mit meinem Eltern und den goldenen Herbst.
Das Wochenende ab Freitag Mittag hatte ich mir also redlich verdient und dafür umso mehr genossen. Ich habe Freitag Nacht etwas zu viel gefeiert, viel Zeit mit reizenden Menschen verbracht, mich blendend amüsiert, der Freund meiner besten Freundin in Frankfurt kocht Frühstückseier auf den Punkt perfekt und überhaupt bin ich froh, die zwei Wochen in Deutschland genutzt zu haben, auch wenn das auf Kosten des Schönheitsschlafs ging.
Jetzt sind die Koffer gepackt, das Visum hat seine Ordnung, und ich genieße die letzten Minuten mit meinem Eltern und den goldenen Herbst.
Permalink (2 Kommentare) Kommentieren
Anpassungsprobleme
Asche auf mein Haupt für vierzehn Tage Schweigen. Ich habe rund um die Uhr gearbeitet und organisiert, seit Samstag habe ich ein neues Visum, seit heute einen Flug und nächsten Dienstag hat Afrika mich wieder.
Ich finde mich regelmäßig mit der Zahnbürste in der Hand vorm Waschbecken und suche meine Wasserflasche, bevor mir einfällt, daß ich das Wasser aus dem Hahn nehmen kann. Neulich schaltete jemand Lichter aus und ich dachte "Schon wieder Stromausfall". Ich ertappe mich dabei, wie ich auf der Straße gelegentlich meine Tasche fester umklammere als ich es früher getan hätte. Kleine Eingewöhnungsschwierigkeiten.
Meine Freunde in Kinshasa schreiben mir alle freundliche Mails und erkundigen sich nach meinem Wohlbefinden, das ist fein und freut mich aufrichtig.
Ich finde mich regelmäßig mit der Zahnbürste in der Hand vorm Waschbecken und suche meine Wasserflasche, bevor mir einfällt, daß ich das Wasser aus dem Hahn nehmen kann. Neulich schaltete jemand Lichter aus und ich dachte "Schon wieder Stromausfall". Ich ertappe mich dabei, wie ich auf der Straße gelegentlich meine Tasche fester umklammere als ich es früher getan hätte. Kleine Eingewöhnungsschwierigkeiten.
Meine Freunde in Kinshasa schreiben mir alle freundliche Mails und erkundigen sich nach meinem Wohlbefinden, das ist fein und freut mich aufrichtig.
Permalink (4 Kommentare) Kommentieren
Heim
Alles fügt sich aufs Schönste ineinander: Flug umgebucht, am 16. September komme ich heim, werde meine Schwester in Berlin besuchen, stundenlang in Cafés sitzen und Torten essen, auf vernünftigen Bürgersteigen bummeln, ganz viel zu Fuß gehen und mich eine Runde amüsieren. Ich gedenke weiterhin, eimerweise Thai-Suppe mit rotem Curry zu essen, Sushi, Kartoffelpuffer, Bratwürstchen und ganz viel Graubrot. Zwetschgendatschi gibt es dann vermutlich schon nicht mehr. Aber hausgemachte Marmelade. Auf Vorrat, für die nächsten drei Monate bis Weihnachten. Vielleicht könnte meine Mama schon im September eine Ladung Weihnachtskekse backen, die ich dann mitnehmen kann? Vorweihnachtszeit auf meiner Terrasse mit Blick auf den Fluß, inmitten tropischer Regenfälle bei Kerzenschein, Tee und Christstollen. Bei der Vorstellung muß ich lachen...
Permalink (9 Kommentare) Kommentieren
Routine
Jiha! Ich komme mit 20 kg Koffer für vier Monate aus und bin ein Held, alles paßt rein. Mein Gepäck (Koffer - nicht in Überseegröße, wie ich betonen möchte, plus Handtasche im Reisetaschenformat) und ich sind inzwischen ein eingespieltes Gespann und es kommt mir vor, als hätte ich im vergangenen Jahr geradezu Routine im Koffer packen bekommen.
Kleine Gelfiebertierchen zirkulieren in meinem linken Arm – zartfühlend vom Tropendoktor injiziert – und im rechten tummeln sich Typhus- und Meningitisviecher. Selbige wurden von meinem Herrn Papa gespritzt mit der Verve eines professionellen Dart-Spielers beim finalen Wurf. Im Koffer außerdem zum ersten Mal was man eine Reiseapotheke nennt, inklusive kostspieliger Malaria Standby Therapie. Ich schwöre: wenn ich heute 250 Euro heute umsonst ausgegeben habe und sich keine Gelegenheit für Subsahara Afrika ergibt, beiße ich vor Wut in meine Tastatur! Bis dahin scheint es, als bekäme ich einen ersten Vorgeschmack auf Arbeit in afrikanischen Ländern: Arbeitsvertrag? Fehlanzeige. Hilfe bei der Wohnungssuche? Angekündigt, nicht umgesetzt. Arbeitsplatz? Ich soll bitte meinen Laptop mitbringen. Wo melde ich mich Montag morgen? Weiß ich noch nicht. Aber: das alles habe ich ja so gewollt!
Kleine Gelfiebertierchen zirkulieren in meinem linken Arm – zartfühlend vom Tropendoktor injiziert – und im rechten tummeln sich Typhus- und Meningitisviecher. Selbige wurden von meinem Herrn Papa gespritzt mit der Verve eines professionellen Dart-Spielers beim finalen Wurf. Im Koffer außerdem zum ersten Mal was man eine Reiseapotheke nennt, inklusive kostspieliger Malaria Standby Therapie. Ich schwöre: wenn ich heute 250 Euro heute umsonst ausgegeben habe und sich keine Gelegenheit für Subsahara Afrika ergibt, beiße ich vor Wut in meine Tastatur! Bis dahin scheint es, als bekäme ich einen ersten Vorgeschmack auf Arbeit in afrikanischen Ländern: Arbeitsvertrag? Fehlanzeige. Hilfe bei der Wohnungssuche? Angekündigt, nicht umgesetzt. Arbeitsplatz? Ich soll bitte meinen Laptop mitbringen. Wo melde ich mich Montag morgen? Weiß ich noch nicht. Aber: das alles habe ich ja so gewollt!
Permalink (0 Kommentare) Kommentieren
Sommerfrische
Meine lieben Eltern tun immer so, als seien Ihre drei Damen zu Hause in einer endlosen Sommerfrische, aber das stimmt einfach nicht. Um acht Uhr aufgestanden, gefrühstückt, mit Papa Leihwagen abgeholt, Kisten in die neue elterliche Wohnung transportiert und dort im Keller verstaut, e-Mails beantwortet, mit Mama über ihre Bewerbungen diskutiert, mit Papa seinen Schreibtisch aufgeräumt und vermessen, mit Mama noch einmal an Bewerbungen gearbeitet, Einkäuft in den Keller geschleppt, Zimmer für anreisende Schwester aufgeräumt nach ausführlicher Telefonberatung betreffs post-examinöser Depression, eigenes Zimmer aufgeräumt, Lebensmittel fürs Wochenende eingekauft.
Gerade dachte ich, nun endlich noch eine Stunde Klavier üben zu können, da ruft die piepsende Waschmaschine nach mir wie der Backofen im Märchen von Frau Holle. Und zehn Takte später stand auch schon die Schwester mit dem vierbeinigen Patenkind vor der Tür, die für sich genommen schon eine Vollzeit-Beschäftigung im Schichtbetrieb bedeuten.
Sommerfrische ist anders... aber bald werde ich ja dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Brauche nur noch einen Flug für nächste Woche, Hotelzimmer für die ersten Nächte, Wohnung bis September und gepackte Koffer.
Gerade dachte ich, nun endlich noch eine Stunde Klavier üben zu können, da ruft die piepsende Waschmaschine nach mir wie der Backofen im Märchen von Frau Holle. Und zehn Takte später stand auch schon die Schwester mit dem vierbeinigen Patenkind vor der Tür, die für sich genommen schon eine Vollzeit-Beschäftigung im Schichtbetrieb bedeuten.
Sommerfrische ist anders... aber bald werde ich ja dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Brauche nur noch einen Flug für nächste Woche, Hotelzimmer für die ersten Nächte, Wohnung bis September und gepackte Koffer.
Permalink (0 Kommentare) Kommentieren
Mama kocht
Meine Mama macht die besten Rinder-Rouladen der Welt:
Mein zweites Lieblingsessen ist Grünkohl, mit Kartoffeln und Kohlwurst. Schon als Kind wollte ich andauernd Grünkohl essen, und habe auch im Hochsommer danach verlangt.
„Was soll ich denn heute schönes kochen?“
„Grünkohl!“
„Das geht nicht, Grünkohl gibt es im Sommer nicht.“
„Warum?“
„Weil Grünkohl Frost braucht, sonst schmeckt er nicht.“
„Aber er kommt doch aus der Tiefkühltruhe?“
Mein zweites Lieblingsessen ist Grünkohl, mit Kartoffeln und Kohlwurst. Schon als Kind wollte ich andauernd Grünkohl essen, und habe auch im Hochsommer danach verlangt.
„Was soll ich denn heute schönes kochen?“
„Grünkohl!“
„Das geht nicht, Grünkohl gibt es im Sommer nicht.“
„Warum?“
„Weil Grünkohl Frost braucht, sonst schmeckt er nicht.“
„Aber er kommt doch aus der Tiefkühltruhe?“
Permalink (2 Kommentare) Kommentieren