Montag, 9. März 2009
Lateinamerikanische Kampftrinker
An sich bin ich ja glücklich, in Washington so schnell Anschluß gefunden zu haben. Aber mußte es ausgerechnet eine Gruppe kampftrinkender Lateinamerikaner sein? Nun ja, wie es sich für eine Dame gehört, sollte ich vielleicht erst mal die Herrschaften bekanntmachen: A. ist ein Kollege aus einer anderen Abteilung meines Arbeitgebers, mein liebster Begleiter für den Nachmittagskaffee und indisch-deutscher Abstimmung. Seine Freundin I. ist aus Ecuador, arbeitet in einer anderen Firma derselben Branche und hatte gestern Geburstag. Zum inneren Kreis gehören außerdem G. – Brasilianerin par excellence – und P., durch und durch Italiener. I. hatte ihren Geburtstag schon frühzeitig angekündigt und ein mittelgroßes Lokal in Adams Morgan, der Partymeile DCs, für den späteren Abend ausgewählt.
Wer Washington kennt, weiß, daß die Stadt rasterförmig angelegt ist, in Nord-Süd-Richtung verlaufende Straßen sind durchnummeriert, in Ost-West-Richtung verlaufende folgen dem Alphabet. Dieses Prinzip erschließt sich schnell und erleichtert die Orientierung ganz ungemein, wenn man erst mal die wenigen Hauptstraßen mit Staatennamen im internen Navi gespeichert hat. Leider folgen gerade die Randgebiete - wie auch Adams Morgan - nicht dieser simplen Logik. Das U-Bahn-Netz ist eher weitläufig und wenn man nicht in Ausgeh-Trippel-Schühchen erhebliche Strecken zurücklegen will, fährt man besser Bus - und bekommt dabei aufgrund des beklagenswerten Zustands der öffentlichen Metro Busse auch noch ein bißchen Entwicklungsland-Romantik gratis. Das Busnetz ist fein gespannt aber eher für akademische Geister, erfordert es doch parallele Konsultation des Stadtplans, Busstreckenplans und Buszeitplans. Da aber Bus fahren das Stipendiaten-Budget schont und meist den direkten Absprung im Zielgebiet ermöglicht, ist mir das die Mühe wert. Ich hatte mir einen Bus rausgesucht, der vier Blocks von meiner Wohnung entfernt passieren sollte (entspricht zehn Minuten Fußmarsch) und mich auch mehr als rechtzeitig auf den Weg gemacht – fand aber die Bushaltestelle leider nicht. Dem inneren Navi folgend stieß ich zwei Blocks weiter auf ein passendes Schild, leider in der falschen Richtung. Immerhin wärmer, wie beim Topfschlagen, folgte ich weiter der Straße, ein Block, zwei Blocks, kein einziges Busschild in der richtigen Richtung. Irgendwann wurde der Straßenzug dunkler, ich kehrte um, passierte auf der anderen Seite zwei Busschilder – und begriff, daß ich in einer Einbahnstraße unterwegs war. Wo logischerweise kein Bus in der Gegenrichtung kommen konnte. Um die nächsten Ecke dann noch heißer, den Topf quasi in Griffweite und nach nur zehn Blocks Fußmarsch dann das Ziel vor Augen: die Bushhaltestelle. Zwei Minuten zu spät leider, sogar nach meiner in deutscher Pedanten-Manier vorgehender Uhr. Immerhin trug mir die unfreiwillige Wartezeit ein Kompliment eines Passanten ein: „nice coat – and nice way you wearin’ it“.
Meine Vorstellung der Zielhaltestelle war kein bißchen präziser als die der Starthaltestelle, aber das Glück ist manchmal doch mit den Dummen, Destination sicher erreicht, -
und kein Mensch da. Jedenfalls keiner aus meinem Bekanntenkreis. Meine Verspätung ersparte mir also immerhin eine unangenehme Wartezeit als trauriger Single im Club der einsamen Herzen an der Bar (ein Bild, das es umso mehr zu vermeiden gilt, als es der Wahrheit entspräche), denn Minuten später traf die Geburtstagsgesellschaft ein. Der Höhepunkt des früheren Abends war ein Gespräch mit einem Libanesen und einem Türken über die Erd*gan-P*res Affaire in Davos, wobei der türkische Kollege in Begeisterung ausbrach, daß ich den Namen des türkischen Ministerpräsidenten kenne. Bescheidene Erwartungshaltung, dachte ich bei mir. Bemerkenswert auch die Konversation mit H. aus Saudi-Arabien und dem Teil-Gastgeber A. über Alkoholkonsum in arabischen Ländern. A. berichtete von einer Hochzeitsfeier in Kuwait in einem gehobenen Hotel, bei dem er in aller Arglosigkeit einen Tomatensaft bestellte, nur um vom Kellner gefragt zu werden, welche Spirituose denn da hinein solle. A. bezeugte, er sei in seinem ganzen Leben am Flughafen noch nie so zuvorkommend behandelt worden wie am folgenden Morgen nach reichlichem Alkoholzuspruch. Merke: wer in solchen Ländern betrunken werden kann, muß in der Logik des Flughafen-Fußvolks in royalen Kreisen verkehren – mindestens.
Unvermeidliches – wenn auch oft nur vorläufiges – Ende jeder Festivität in Washington ist das obligatorische Curfew gegen drei Uhr nachts. In Adams Morgan begleitet von massivem Polizeiaufgebot, kämpft man sich durch Horden von Schnapsleichen und rangelt um ein Taxi mit der Aggressivität eines Sommerschlußverkaufs. Ein ausgewählter Kreis – ausgewählt im Sinne all jener, die überhaupt noch anwesend und kommunikationsfähig waren – verlagerte sich die Party in A.s Wohnung, wo das Projekt „getting totally wasted“ mit neuer Verve verfolgt wurde. Hilfreich dabei vor allem die Drei-Liter-Magnum Flasche Jim Beam Whisky, eine vergleichbare Flasche Sodawasser und eine Mini-Flasche Cola. Muß ich mehr sagen? Zu fortgeschrittener Stunde wurde ich von einem zu kurz geratenen Venezolaner (einen Kopf kleiner als ich, ungelogen) so nachdrücklich zum Salsa tanzen aufgefordert, daß ich nicht mehr ablehnen konnte. Ich habe mit einem Italiener wild über Kommunikationsmethoden diskutiert („Deutsche sind so direkt“ – „aber effizient, weshalb wir demnächst halb Europa aufkaufen müssen“) und wurde zu noch fortgeschrittenerer Stunde von dem verheirateten D. im Beisein seiner Ehefrau mit etlichen Küßchen bedacht, die nur deshalb auf meiner Wange landeten, weil ich geistesgegenwärtig den Kopf wenden konnte. Die Ehefrau war derweil von einem mehr als angeregten Gespräch mit dem ledigen N. voll in Anspruch genommen. Um sechs Uhr morgens gelang es mir, mich heimlich von dannen zu schleichen und dadurch anderen die Nutzung der Gastfreundschaft „you can pass out on our sofa“ einzuräumen. Wenn man so früh morgens in DC unterwegs ist, stolpert man nicht über Unrat auf den Straßen, sondern Zeitungen in Plastikhüllen, und das sieht so aus:

Dann findet man hoffentlich schnell ein Taxi, nachdem man kurzzeitig in die falsche Richtung gelaufen ist und im Kopf überschlagen hat, daß 18 Blocks definitiv mehr sind, als man noch zu Fuß laufen möchte. Gibt sämtliche Hoffnungen auf Chisel Training im Fitneß Studio am „nächsten“ Tag zur Mittagszeit auf. Und hofft, daß der zweijährige Mitbewohner am folgenden Morgen lange, friedlich und still schläft.

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