Mittwoch, 1. April 2009
Widerstände
Von interessanten Vorträgen bekannter Wissenschaftler habe ich ja schon an anderer Stelle berichtet. Heute war ich auf einem richtigen Seminar. Beschränkte Teilnehmerzahl, Glückskind Damenwahl hat aber eine Platz bei einem Thema bekommen, das die Dame ganz besonders interessiert, nicht aber den Rest der Kollegen. In vorbildlicher Vorbereitung habe ich zwei Tage im Schnellverfahren versucht, mein rudimentäres Verständnis der Regressionsanalyse im allgemeinen unter Berücksichtigung der Paneldaten-Analyse mit Country Fixed Effects im besonderen zu verbessern. Beladen mit drei Econometrics Büchern aus der Bibliothek ins Wochenende gestartet und mich gefragt: warum habe ich das alles nicht früher gelernt? In Erinnerung an meine Qualen über Formeln und Ableitungen muß ich mich ernsthaft fragen, wie ich überhaupt das Hauptseminar zu Political Economy seinerzeit an der Uni überstanden habe. Zur Diplomarbeit habe ich noch mehr gekämpft: zwanzig Papers auszuwerten, alle mit Regressionsanalysen – wieso habe ich damals nicht verstanden, was der Unterschied zwischen Time Series und Cross-Country Daten ist? Ich bin heute noch stolz darauf, daß offenbar niemand gemerkt hat, wie wenig Ahnung von der Methode ich zum Studienabschluß hatte. Warum gelingt es mir heute, Zusammenhänge zu erfassen, die mir seinerzeit beim allem Bemühen ein Rätsel blieben? Kann es sein, daß ich in der Zwischenzeit klüger geworden bin?

Heute morgen, Tag der Wahrheit, ich leider nur noch mäßig motiviert. Ich habe immer ein bißchen Hemmungen, mich alleine in eine Gruppe fremder Menschen und unberechenbarer Situationen zu stürzen:
Wenn nun in der Diskussion in kleiner Runde von mir erwartet wird, Fragen zu stellen?
Wird meine totale Unwissenheit auf dem Gebiet der Ökonometrie auffallen?
Wie bringe ich die Kaffeepause rum, wo ich doch niemanden kenne?
Wäre es nicht schön, jetzt einfach gemütlich in meinem Büro vor mich hinarbeiten zu können?
Aber nein, die Pflichterfüllung treibt mich an. Erstens: ich bin angemeldet, also muß ich hingehen, alles andere würde mich kompromittieren. Zweitens: ich werde im Moment für meine Weiterbildung bezahlt, das erfordert meinen Einsatz, auch unter Überwindung innerer Widerstände. Immerhin war ich dank wochenendlichem Arbeitseinsatz leidlich gut vorbereitet, hatte die beiden empfohlenen Papers durchgearbeitet und zumindest eine ansatzweise Ahnung der Unterschiede im methodischen Zugang. Der Referent, Professor in Stanford, stellte sämtliche Thesen zum gegebenen Thema auf den Kopf. Der Vortrag war ungeheuer aufregend, spannend – so sollte Wissenschaft sein, kritisch, hinterfragend, neu! Die Kaffeepause war in der Tat ungemütlich, aber immerhin gab es Kaffee und Cookies, an denen ich mich festhalten konnte. Zu meiner eigenen Überraschung war ich am Ende traurig, daß es schon vorbei war (das Seminar, nicht die Kaffepause). Nachdem ich schon so schön in Fahrt war, bin ich gleich leichtfüßig über den nächsten Schatten gehüpft, habe mich dem Referenten vorgestellt – hatte auch eine Vorwand-Frage parat und konnte einflechten, daß ich über einen PhD nachdenke. Mission accomplished, Damenwahl in leicht hysterischer Überschwangsstimmung.
Und es stimmt: ich möchte das auch können. Ich möchte diese ganzen mathematisch-methodischen Zusammenhänge kritisch hinterfragen können. Ich möchte Daten bearbeiten und auswerten können und damit ebenso aufregende Dinge anstellen. Ich möchte mich mit Wirtschaftsgeschichte befassen, mit Mathematik, mit Governance und mit Political Economy, mit Institutionen, Demokratie und Korruption.
Nur leider gibt es da zwei kleine Probleme: Zeit und Geld. Im besten Falle könnte ich mich im Herbst für amerikanische oder englische Universitäten bewerben und mein Studium Ende 2010 aufnehmen. In einen PhD käme ich vermutlich ohne einen weiteren Master gar nicht rein, macht in der Summe – soweit reichen meine mathematischen Fähigkeiten immerhin – zwei plus fünf Jahre. Für einen Abschluß, von dem ich mir nicht viel kaufen kann. Und wer, bitteschön, soll das bezahlen? Mir gruselt es jetzt schon, wenn ich an die anstehenden Bewerbungen für Herbst denke nach Ablauf des Stipendiums – aber neben Bewerbungen für einen PhD mit Stipendium in den Staaten nimmt sich der Papierkrieg zwecks Anstellung wie ein Kinderspaziergang aus. Nicht zu vergessen: weitere sieben Jahre Uni bedeuten weitere sieben Jahre in der Warteschleife des Lebens – beschränkte Finanzmittel, beschränkte Flexibilität, beschränkter Bekanntenkreis, festgekettet an einen Schreibtisch in irgendeinem Provinznest. Will ich das wirklich? So schwanke ich heute zwischen Euphorie und Depression. Zwischen einem unbändigen Auch-Haben-Wollen und der Angst, daß ich zuviel vom Leben erwarte und für derart ambitionierte Ziele einfach nicht gut genug bin.
Nun ja, vielleicht schaue ich mir die Papers morgen noch mal an, ich hätte da noch eine Frage zur Konstruktion des einen Indikators – schöner Anlaß für eine e-Mail an den Professor. Und Stanford wäre immerhin klimatisch nett...

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