Freitag, 20. März 2009
Heimweh
Das Leben als mobiler Expat-Nomade kann anstrengend sein. Nomadische Wandervölker können ihre Habseligkeiten immerhin mit sich tragen - angesichts der Luftfrachtbeschränkungen der Fluggesellschaften und des begrenzten finanziellen Budgets habe ich diese Möglichkeit des Heimatexports nicht. Diesmal sind aus Effizienzgründen sogar mein Tagebuch und die darin liegenden Familienfotos daheim geblieben - zu spät gemerkt, daß der Koffer zu klein ist für alle meine Bedürfnisse, ich mußte zwangsläufig Prioritäten setzen (vielleicht waren es die falschen).

Ich kenne diese Phase von früheren Auslandsaufenthalten: irgendwann nach der ersten Aufregung über all die neuen Herausforderungen kommt der Punkt, wo die Anstrengungen und Umstände nur noch Erschöpfung hinterlassen. Immer noch holt man sich nachts blaue Flecken, wenn man im dunkeln in die Küche schleichen möchte, weil es an Orientierung in der vorübergehenden Bleibe mangelt. Man hat zwar inzwischen den günstigsten Supermarkt, die nächste Drogerie und den schnellsten Weg zur Arbeit gefunden, aber die Suche nach einem Schuster für abgelaufene Absätze stellt neue, zeitraubende Anforderungen. Man hat gelernt, wo man deutsche Mitbringsel für private Parties erstehen und Alkoholika kaufen kann, mit denen man sich auch bei besseren Einladungen nicht blamiert, aber das hat einen vollen Samstagnachmittag und ein paar wunde Füße gekostet. Hatte man nicht seinen USB-Stick eingepackt? Wo ist das verdammte Ding? Man wühlt sich durch sämtliche Schubladen, zerrt die Koffer aus dem obersten Regalfach, durchsucht sogar die Unterwäsche (da könnte er ja versehentlich im Koffer reingerutscht sein), kapituliert irgendwann und klappert diverse Elektronikläden ab, bis man einen budgetverträglichen Neuerwerb tätigen kann.
Man wundert sich über die vielen alltäglichen Episoden, die einem auffallen und den Geist auf Trab halten, ist froh, zumindest einen Teil seines Gedankenmülls in einem Blog abladen zu können - und bei alldem vermißt man am allermeisten die vertrauten Freunde. Bekannte findet man schnell, auch solche, mit denen man sich spontan gut versteht und Gemeinsamkeiten entdeckt, aber ach! der vorsichtige Mensch - durch Schaden klug geworden - trägt sein Herz nicht auf der Zunge, sondern hütet selbige. Gerne würde man mit deutschen Bekannten die Begeisterung über die neu entdeckte Blogosphäre teilen, aber gottbewahre! wenn sie dann dieses Blog lesen würden und eins und eins zusammenzählen, alle Anonymität wäre dahin, also freut man sich heimlich und alleine, in aller Stille.

Ohne die modernen Kommunikationsmedien wäre man wahrhaftig einsam, aber so kann man immerhin am Wochenende vier Stunden mit der besten Freundin oder dem lieben Schwesterchen Nachrichten im Chat austauschen - das Wochenende vergeht viel zu schnell, und meistens hat man gerade die wesentlichen faktischen Neuigkeiten ausgetauscht, wenn Zeitverschiebung und Schlafbedürfnis der Konversation ein Ende machen. Zurück bleiben ein bißchen Sehnsucht und die eigenen Sorgen. Zu allem Überdruß erfährt man nebenbei auch noch, daß das elterliche Heim aufgelöst wird - die Herrschaften wollen sich nämlich nicht mehr um Haus und Garten kümmern und ziehen um. Mama wird vielleicht bald den Inhalt des Kleiderschranks einpacken, fremde Hände die Bücherregale ausräumen (hoffentlich ohne in den heiligen Tagebüchern zu schnüffeln!) und wenn man dann auf der Durchreise irgendwann nach Hause kommt, findet man seine Habseligkeiten in Kisten auf dem Dachboden und alles ist noch viel fremder als an dem Ort, den man gerade hinter sich gelassen hat.

An solchen Tagen wünscht man sich ein nettes Heim. Einen Ort, an dem man sich auskennt, auch im Dunkeln mit schlafwandlerischer Sicherheit den Kühlschrank findet, genau weiß, welches Buch in welcher Ecke des Regals steht und man träumt davon, morgens vor einem gefüllten Kleiderschrank die volle Auswahl zu haben. Man sehnt sich nach einem Bäcker, der das eigene Lieblingsbrötchen ohne große Erklärungen einpackt, und nach dem vertrauten Plausch mit der Obsthändlerin über das Wetter. Vermißt die Abende mit der besten Freundin und mehreren Sektflaschen (aus richtigen Sektgläsern) auf dem Balkon. Den Geruch des deutschen Frühlings und das einzigartige Hellgrün der Wälder in der Provinz. Die Sicherheit, zu wissen, wo man in einem Jahr sein wird – nämlich immer noch am selben Ort, zu Hause.

Aber ach, man hat es sich ja anders ausgesucht. Also schiebt man das Heimweh beiseite, tröstet sich über die finanzielle Misere mit der Steuererstattung 2008 hinweg und sucht im Internet die Flüge fürs nächste Abenteuer heraus, wohlwissend, daß man nach zwei Jahren der Seßhaftigkeit wieder kribbelige Füße bekäme und es einen in die weite Welt ziehen würde. Schon richten sich die Begehrlichkeiten auf afrikanische Länder, die noch mehr Herausforderungen und noch mehr Heimweh versprechen.
Ich habe in meiner Jugend einmal deutlich mehr Gin Tonic getrunken, als mir zuträglich war und seither nie wieder einen angerührt. Vielleicht funktioniert das mit Fernweh genauso - wenn ich es jetzt übertreibe, bin ich vielleicht irgendwann kuriert.

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