Samstag, 28. März 2009
Fernweh

Zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen und dass man sich durch keine widrigen Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen lasse.
Adolf Freiherr von Knigge

Ich habe gerade Flüge gebucht! Langes ringen, schieben und planen, 48 Stunden ohne Pause schienen mir doch sehr lange zu sein. Jetzt ist alles fix. Und ich hoffe sehr, daß die Piloten etwas klüger sind als diese Herrschaften;

Tower: ´Sind sie ein Airbus 320 oder 340?´
Pilot: ´Ein A 340 natürlich!´
Tower: ´Würden Sie dann bitte vor dem Start auch die anderen beiden Triebwerke starten?´
... ein Flug wird nämlich auch mit einem Airbus 320 durchgeführt. Weiterhin hoffe ich, von den Stewardessen nur nette Ansagen zu hören zu bekommen und erst nach der Ankunft baden zu gehen.

Man könnte sagen, Fernweh sei die innigste Beziehung meines Lebens. Mit dreizehn wollte ich das erste Mal von zu Hause weg – je weiter desto lieber. Es wurde dann aber doch nur Poole in England. Meine Mutter wirft mir heute noch vor, daß ich bei meinem ersten längeren Auslandsaufenthalt einige Jahre später schnurstracks am Flughafen durch die Paßkontrolle marschiert bin, ohne mich ein einziges Mal umzudrehen. Das ist heute noch genau so, ich liebe Bahnhöfe, ICEs, Flughäfen – sogar großen Busbahnhöfen kann ich etwas abgewinnen.

Wenn ich von reisen spreche, meine ich nicht zwei Wochen Vollpension im Riu Palace auf des Deutschen liebster Mittelmeerinsel. Ich habe jene Kollegen nie verstanden, die das ganze Jahr sparen, um sich im Herbst drei Wochen Tauchurlaub auf Bali zu leisten, oder zwei Wochen Golfen in Tunesien – und nach der Heimkehr über die ganzen aufdringlichen arabischen Männer klagen, die inzwischen mit ihren Ehefrauen ebenfalls solche Lokalitäten frequentieren. Unverschämtheit, das.
Derlei Reisen betrachte ich als traurigen Kredit auf Landeskenntnis, ähnlich inhaltsleer und flüchtig wie Leerverkäufe am Aktienmarkt. Rucksack-Tourismus – immerhin schon aufregender, vielleicht vergleichbar mit einem soliden Bausparvertrag. Aber die eigentliche harte Währung, auszahlbar in kleinen Scheinen, ist das Leben in fremden Ländern. Ich will Zeit haben, Freunde zu finden und mich einzuleben. Einen Alltag mit normaler Beschäftigung haben und einen Ort, an dem ich mich ein bißchen einrichten kann. Ich will lokale Märkte und Supermärkte durchstöbern, mich durch Speisekarten in Fremdsprachen hindurchbuchstabieren und die ganze Planlosigkeit des großen Abenteuers auskosten. Ich bin ein anderer Mensch: rege mich nicht über Kakerlaken im Bad auf. Freue mich, wenn man mir auf der Straße hinterherpfeift (meistens, jedenfalls). Esse Innereien und andere komische Sachen (in Maßen). Gehe jeden Abend aus, wenn sich die Möglichkeit bietet. Nehme Unpünktlichkeit und Staus mit stoischer Ruhe hin. Plaudere mit Taxifahrern, lasse mich von sonderbaren Leuten aufgabeln und bin überhaupt für alles zu haben. Und erlebe mindestens einmal am Tag einen dieser Momente, wo ich mich umschaue und die Realität kaum fassen kann – ich alleine hier – was für ein Privileg! Dafür brauche ich keinen Sonnenuntergang, keinen Meersblick und keine großartigen Panoramen – der Aussicht von einer verdreckten Dachterrasse auf das Verkehrschaos unter mir reicht dafür völlig aus. In jenen seltenen Momenten bin ich mit meinem Leben ganz und gar aussöhnt, bereue nichts, würde nichts ändern wollen – weil alles perfekt ist.

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